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Wirre Weisheiten des gefallenen Häuptlings

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„Erst wenn die große schwarze Wolke über die Berge kommt..., also über den Grünten oder wie aktuell über den Brenner, wie einst Malariamücken über den San Bernardino oder Flüchtlinge durch den Karawankentunnel - wenn diese schwarze Wolke also über unseren Köpfen hängen bleibt, dann, wenn es quasi zu spät ist, ja dann werden sie hoffen, dass einer kommt, um alles wieder zu reparieren. Kaputtes zu heilen und wieder zu einen. Doch zuvor möchte ich noch einmal den Herbst erleben. Sein Licht atmen. Mit den fallenden Blättern möchte ich gehen. Fallen und zu Erde werden. Nur dieses wundersam flutende Herbstlicht, das wie eine göttliche Verheißung über dem weiten Tal schwebt, möchte ich noch ein letztes Mal in mich einsaugen.“

Sein Atem rasselte. Er schnappte nach Luft als wäre sie Mangelware.

„Ruh dich aus. Das bringt doch nichts.“

„Hab ich dir nicht gesagt, dass die Alten dem Virus als erstes zum Opfer fallen werden? Dass ich mir das für die Zukunft der Kinder so gewünscht habe, fairerweise, als unlängst die Idee der Pandemie in unsere Köpfe gegossen wurde. Sicher, was ich sage, mag für dich nichts weiter als das Stammeln eines wirren alten Infizierten sein. Obgleich auch ein plausibler letzter Geistesfunken eines unbedeutenden Deutschen, der gar im Sterben liegt. Ich nenne es Ein nicht allzu bedeutendes Pseudo-Massensterben, das scheinbar dem Wohle der Menschheit dienen soll. Ein sich selbst genesendes Paradoxon...,“ Ein Hustenanfall zerschneidet seine Gedanken. „...dabei nehmen sie vor allem der Jugend die Zukunft, in dem sie ihr eine neue präsentieren. Mit ihren Helden-Werbekampanien-Videos glauben sie die jungen Leute bei der Stange zu halten. Ich sage dir - ich kann in diesem duckmäuserischen Selbstwegsperren nichts Heroisches erkennen.“

„Lass gut sein. Du hast ja recht. Du solltest dich aber ausruhen.“

Dass es ausgerechnet ihn erwischen würde, damit hatte der Häuptling nicht gerechnet. Ein Mann wie er, ein Leben lang fit, rüstig, kerngesund. Stets hatte er über ausreichend körpereigene Abwehrkräfte verfügt. Und jetzt repräsentierte sein schlaffer Leib plötzlich das Leid der Kranken und Schwachen, gehörte auch er zur sogenannten Risikogruppe, war auch er unversehens zum Opfer, zum sogenannten Patient mit schwerem Verlauf mutiert. Genau genommen war er genau das, was die Brüder vom RKI jetzt brauchten: ein weiterer Fall mit schwerem Verlauf.

„Tja, irgendwann wird jeder einmal alt. Älter als er wahrhaben mag. Alles trübt sich ein, der Wachtraum legt seinen Schleier über all das Vergängliche, das dem Gehenden wenngleich unter fernem Abglanz um so haltloser erscheint.“

„Bitte, sie sagen, du seist über den Berg. Aber hab noch etwas Geduld. Überanstrenge dich nicht.“

Schwarze Wolke über dem Grünten?! Erst wenn sie da hängen bliebe, würde der Messias nahen, um Kaputtes zu reparieren? Einer der das managt und wieder deichselt? Da hatte er recht. Sündenerlass. Das war ihre Hoffnung. Keine Panik: Bevor die große schwarze Wolke sauren Regen über uns ergießt, naht der Krisenstab charismatischer Heilsbringer. Ein Krisenstab starker Reparateure. Das ist die Zukunft. Ein Stück Hollywood. Was sonst sollte unser der Spaltung anheimgefallenes Land noch retten? Sicher wird kein Retter im herkömmlichen Sinne des actiongeladenen Blockbusters eintreffen, um zu reparieren und zu retten. Das nicht. Vielmehr wird es ein subtiles Versprechen sein, das uns triggert und langfristig ein neues Paradigma eintrichtert. Unmerklich verwoben mit den Machtinteressen der globalen Finanzelite. War das die Wahrheit? Mochte der Häuptling - zudem ein gezeichneter Mann unter schwerem Verlauf - hierin noch einen einigermaßen klaren Kopf bewahrt haben? Aber die Wahrheit auf seiner Seite zu wissen machte seinen Vater auch nicht wieder gesund.

„Ich überanstrenge mich nicht. Ich rede mit dir. Und berichte dir ein wenig von meiner schrulligen Nahtoderfahrung. Falls das nicht nach deinem Geschmack sein sollte, bitte ich dies hiermit zu entschuldigen. Du musst mich doch einfach nur mitnehmen.“

„Mensch, das geht mir jetzt echt zu weit. Nicht einmal im Sterbebett kannst du vernünftig sein und den Mund halten. Es geht hier um dein Leben. Ich kann dich doch nicht einfach mitnehmen. Wie stellst du dir das vor? Wer soll das verantworten?“

„Quatsch, es geht mir gut. Ich verantworte das schon selbst. Und ja, du hast recht, es geht hier um mein Leben und ich habe dich nur darum gebeten, mir doch bitte zu ermöglichen, noch ein letztes mal dieses wunderbare herbstliche Licht erleben zu dürfen. Und genau darum bitte ich dich.“

„Vater, ich kann dich nicht einfach mitnehmen. Sie werden dich bald entlassen. Morgen oder übermorgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Und der Herbst hat gerade erst begonnen.“

„Alle sagen, Home Office sei gar nicht so übel. Derzeit der letzte Schrei...,“ erhob sein Vater unter schwerem Atem erneut das Wort, „...wie siehst du das? Wäre es nicht auch hip, seinen alten Vater, den Coronapatienten, eigenmächtig in die Home-Quarantäne zu entlassen?! Etwas mehr Eigenverantwortlichkeit, wenn ich bitten darf. Zudem ist die Gefahr, durch mich angesteckt zu werden, längst gebannt. Nochmal, ich bitte dich inständig, nimm mich mit Nachhause!“

„Du weißt, dass das zu gefährlich ist. Jetzt, wo es dir wenigstens wieder etwas besser geht. Da draußen steigen die Fallzahlen, die zweite Welle bricht bald über uns ein. Zumindest behaupten das die Medien.“

„Ach, die Medien. Vergesst nicht, wie schön ihr es dort draußen doch habt. Keine physische Berührung. Keine aufgezwungene Nähe. Antiseptischer Freiraum und befreiender Abstand. Kein lästiges Röcheln im Nebenbett und jede Menge Raum für den reinen ätherischen Datenstrom, Keimfreies Wirtschaftswachstum und langen, gesunden und ungestörten Schlaf. Keine Hektik am Morgen, kein Mobbing auf Arbeit, somit auch keine Ansteckungsgefahr, weder Antikörperbildung noch direkte Konfrontation, passiver Kriminalitätsabbau, bargeldloses Onlineshopping, eingedämmter Flugverkehr und somit geringerer Co2-Ausstoß, smog- sowie autofreie Städte und selbst der gute alte Opa ist verräumt. Man muss weder ins Heim noch zur Arbeit und auch nicht die Kinder von der Kita abholen. Prima. Mal was anderes. Endlich wird geändert, was man selbst nicht mehr zu ändern gedachte. Wieder einmal wird im großen Stil über die Zukunft entschieden. Und du lässt mich hier verschimmeln. Hoffst wohl, dass ich mir obendrein noch einen multiresistenten Superkeim einfange!“

„Was redest du nur für dummes Zeug. Ich muss jetzt wirklich gehen. Ruh dich aus. Ich komme morgen wieder, sofern sie mich noch zu dir lassen.“

„Wen du meinst. Aber bevor du retten gehst, was noch zu retten ist - noch ein Wort zum neu entwickelten Impfschutz. Dieser frische Stoff, den das Volk zu Weihnacht so dringlich erwartet - könntest du mir da ne Pulle klarmachen?“

Vater, du bist einfach nur geschmackslos. Du wirst deine Dosis schon noch früh genug abbekommen. Verlass dich drauf. Darum muss ich mich nicht extra bemühen.“

„Ja ja, aus Angst mach Profit, am Besten gleich eine Impfpflicht zu Neujahr, aber nein, vorerst die freiwillige Tracking-App, dazu der eben noch umstrittene Ausbau des 5G-Netzes, Soldaten im Innern zur sogenannten Unterstützung der Bevölkerung und mir als alten...“

Ich glaub du weißt wirklich nicht was du da redest…“

„ Und ob ich das weiß! Denkst du, auf Station würden sie einem keine Nachrichten verabreichen? Ich bin gut informiert. Über diesen ganzen Sicherheits-Task-Force-Scheiss. Lass mich doch noch kurz ausreden. Also, Soldaten in Kindergärten, flächendeckende Ganztagsbetreuung und Überwachung der Kindermenschen, mehr entstehende Institutionen zum Schutz der Familien und zur Bekämpfung der durch die Ausgangsbegrenzung ansteigenden Rate häuslicher Gewalt. Mehr Transparenz, mehr Sicherheit, mehr Daten, mehr Kontrolle. Ein Präzedenzfall, ein Muster-Start-up-Projekt. Na, Sohnemann, nach was sieht das also aus? Was ihr da draußen erleben dürft ist der absolute Wahnsinns-Krimi. Seit Achtsam. Es ist was im Gange. Alle in Quarantäne und das Ding rollt weiter bar jeder Besinnung. Nur die in prekären Verhältnissen subexistierenden Tiermenschen, Arbeiter und Gesinde, streunen noch durch die leergefegten Innenstädte. Hinken fiebrig zitternd im Banne der Angst der noch verbliebenen, radikal durch Zwangsmaßnahmen ausgedünnten Wirtschaftlichkeit hinterher. Da, sieh nur aus dem Fenster...,“ mit einer anmutigen Bewegung seines von Schläuchen angezapften Armes weist der bettlägrige Häuptling - ein wettergegerbtes Relikt aus grauer Vorzeit, das unter dem schlohweißen Bettlaken grotesk wie eine Mumie aus einer verwunschenen Gruft hervorlugt - auf die beinahe leergefegte Straße. „Auch du hast Augen im Kopf! Wenn ich meinem Sohn etwas beigebracht habe, dann genauer hinzusehen. Dort wo Kurzarbeit kein Schock für den Geldbeutel bedeutet, wird der Zwangsurlaub doch begrüßt. Und der privilegierte Rest feiert sein Retreat sowieso im Home Office. Verborgene Systemrelevanz hinter einem scheinbar kollabierendem Gesundheitswesen. Die es sich leisten können bleiben daheim. Machen einen auf Husten. Und die florierende Forschung auf dem KI-Sektor gedeiht ganz nebenbei prächtig. Weist uns parallel den Weg. Man fällt ja sowieso nur noch von einem Loch ins andere. Bestenfalls ist die Manie so gelagert, dass auch der neurotisch empörte Flügelschlag, zum nächsten Höhenflug flattert. Wie die Jungen Leute auf YouTube. Man lässt sich so in der Informationsflut gehen, wie das träge Faultier im wirr strömenden, von Windböen gepeitschten Geäst. Man surft einfach so, ziellos auf Datenströmen dahin. Lebt seine teilnahmslose Anteilnahme. Na ja, doch solange wieder die gute alte Panik regiert, die Massenhysterie von heute auf Morgen wieder verehrt wird und vermehrt Hochkonjunktur erleben darf, allem voran die Untergangsverliebtheit und

Abgrundsnähe des Deutschen sich obszön nach Außen kehrt, rosarot und dickfleischig, so ist es wieder einmal soweit....“

Bitte, auf was willst du hinaus. Ich verliere langsam die Geduld.“

„Aber aber, einem Sterbenden wird man doch noch mal zuhören können. Oder ist das zu viel verlangt? Ich habe das Licht zwar gesehen, ums Herbstfluten jedoch lass ich mich nicht prellen! Ich bin gleich soweit. Worauf ich hinaus will: Diesmal fängt es also mit dem hustenden Nachbarn an. Ihn gilt es bei Bedarf zu denunzieren, zu diffamieren, um darauf scheinheilig die Atemmaske überzustreifen. Augen zu und durch. Ab in den Supermarkt. Ohne schlechtes Gewissen mal so richtig shoppen. Zum Erhalt der Art, wie sich versteht. Aber bitte nicht hamstern. Das ist unsolidarisch. Es könnte ja ein Versorgungsengpass durch falsches Konsumverhalten entstehen. Und wer kacken muss, der kann auch ohne...“

„Das ist einfach geschmackslos. Du redest wirr. Ich muss jetzt wirklich gehen. Dein Herbstlicht wirst du schon noch früh genug erleben. Du bist und bleibst einfach unbelehrbar. Soweit bist du ja wieder der Alte.

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