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Zukunftswerkstätte

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In toten Hallen ist stets Sicherheit und somit das Überleben gewährleistet.

In freilebenden Herzen stirbt der Raum, der Lebensfreude spendet. Im Dialog zu bleiben ist nicht leicht. Es bedeutet Arbeit, fordert den Willen heraus. Und weiter quälen sich die Menschen durch digitale Abnabelungsräume, hinken kollektiv der KI nach, im Glauben, besser als jeh zuvor miteinander verbunden zu sein. Jeder versucht zu verstehen, jeder scheitert im Kleinen und zieht sein Teilverständnis heran zu einem Ganzen. An Schnittstellen, da wo noch vor kurzem soziale Kontakte pulsierten, herrscht heute social distancing, Theater ohne Darsteller, unterbundene Mimik, Misstrauen schiebt sich vor und zwischen uns. Dem kann man nur noch mit schonungsloser Offenheit begegnen, um der ausgeblendeten Transparenz Vorschub zu leisten. Sollten sie mich doch als eine Zumutung empfinden, sich gestört und empört fühlen durch meine rigorose Präsenz.

Was sollte ich ihnen auch sonst anbieten, als ihnen den Spiegel vorzuhalten? Das ist das einzige, was ich derzeit für sie tun kann. Sie an sich selbst, also an ihre eigenen Defizite erinnern. Gleich einem Pfarrer und Therapeuten. Was aber unternehme ich, was trage ich tatsächlich bei zu einem gesunden Miteinander und einer nachhaltigen Lebensführung? Abgesehen von der Freiheit, die ich mir einräume, zu sagen, was ich denke und der geleisteten Lohnarbeit, die meinen Energietransfer in zweifelhafte Bahnen lenkt, nicht eben viel. All die Jahre habe ich meine Lebenserfahrung allein dafür aufgebracht, mich gegen dieses expansiv auspumpende Prinzip des materiellen Wahnsinns auszusprechen. Und was war geblieben? Natürlich nichts! Wer nicht trachtet wird eben auch nicht beachtet. Jedenfalls hatte ich mich dafür entschieden, die Konsequenzen zu tragen und bei alledem mir die Freude am Leben in Aufrichtigkeit und mit gesundem Humor zu bewahren.

Was bedeutet schon Glück? Sich treu zu bleiben ist ein kleiner Wahnsinn, der in den materiellen Ruin, in ein überaus seelisches Hoch oder sogleich und direkt in den Niedergang führt. Aber soweit waren wir noch lange nicht. Er ging doch erst so richtig los, der Charaktertest für das Volk.

Auszug aus dem Gremium für Jugendarbeit am Modell der Mutterhofkultur:

Raus mit Euch Sesselfurzern. Da schicken die Kulturindustriellen Schausteller und Rapper, Euch in dem Bann Eurer Handlungsunfähigkeit zu ziehen. Sie erschaffen künstliche Action und hinterlassen Langeweile in Euch. Erzeugen Sucht. Ihr werdet zur Manövriermasse ausgebildet. Geformt und geknetet wie Teig. Selbst wenn die Rapper noch aus Dummheit und Geltungswahn hinter Gittern landen, ihr selbst keine Scheiben zertrümmert oder eben Baumhäuser baut, so wollen wir Euch eine Identität schenken, die unser Erbe an Euch sein wird...


Die Rechnung auf Kosten der Kinder zu tätigen, ist grob fahrlässig. Durch die Abkehr der jüngeren Generation von der Kulturleistung ihrer Väter, werden sich zukünftig deren Kinder schließlich von deren Abkehr abwenden, indem sie dem Nihilismus frönen. Für Gandalf bedeutet der Generationenkonflikt kein Grund zur Beunruhigung. Der handvoll Jugendlichen, die am Projekt durch die Teilnahme ihrer Eltern zwangsläufig beteiligt sind, räumt er großzügig sämtliche Freiheiten ein. Durch die Ausführung wesentlicher Pflichterfüllungen will er die jungen Menschen unter sorgsamer Vorsicht erreichen und gleichsam vor ideologischer Einflussnahme schonen. Sie unterstehen allein ihrer eigenen freiheitlichen Entfaltung. Gelegentlich stören sie mit der freien Entwicklung den Ablauf - wie zuvor in ihren familiären Strukturen - tragen jedoch mit ihrer theatralischen Antithese zum Ausgleich, also auch zum öffentlichen Diskurs bei. Wenngleich er sich im Umgang mit den Jugendlichen eher schwer tut, vermag er ihren hohen Stellenwert fürs Kollektiv durchaus zu würdigen, indem er diese in ihrer Abwehr des Bestehenden gar stärkt oder zumindest respektiert. Allzeit sollten sie Zugang finden, sofern sie Interesse am Gemeinschaftsleben zeigen. Das ist alles, was er ihnen im Sinne der Freiheit sowie der misslichen Lage, die der Erwachsene den Nachkommen nicht nur während dieser windschiefen Coronazeit aufzwängt, anzubieten hat. Für individuelle Schulung und Unterrichtung seien die Eltern oder gegebenenfalls sich anderweitig an einem Bildungsmodell beteiligende Personen verantwortlich.


Gandalfs älterer Sohn hasste die Schule von Tag zu Tag mehr. Ihm war ständig schlecht und die Luft hinter dieser blöden Schnabeltüte stank nach Abflussrohr. Dafür verantwortlich war wohl sein Mundgeruch, irgendwelche Giftstoffe, die eigentlich verbraucht ausgestoßen gehören. Nicht eingefangen und wiedergekäut wie diese Scheisseluft. Es war einfach zum Kotzen, ihm ging es miserabel. Das Ganze stank gewaltig zum Himmel. Wer nur würde diese Scheiße je wegwischen? Ginge es nach ihm, so würde er einfach daheim abchillen, das Ganze sein lassen was es war - ein großer Schwindel - und alles wäre gut. Aber so leicht war das nicht. Während seine Mutter sich an der Hochschule als Dozentin verdingte, kroch sein Vater durch heimatliche Wälder, robbte durch Matsch und Scheiße. Dieser Höhlenmensch. Voll primitiv unterwegs war sein Vater. Was konnte man schon von einem Vater erwarten, der einfach abhaute, um einen auf Neandertaler zu machen? Nein, er stand einfach nicht hinter ihm. An jeden Mist glaubte er, bloß nicht an ihn. Hatte sein Vater nicht Erwartungen an ihn gerichtet, die er unmöglich erfüllen konnte? Sollte er ruhig den Wald besiedeln und sich dort als Häuptling aufspielen – egal. Solange er ihn in Ruhe ließ und da nicht mit reinzog, war ja alles gerade noch einmal so im grünen Bereich.

Seitdem sein Vater - warum auch immer - obendrein auch noch seinen Namen geändert hatte, war die Grenze des Zumutbaren eindeutig überschritten. Er war einfach komplett peinlich geworden. Ein Vater, der sich von einer Jüngerschaft Gandalf taufen ließ - den konnte man getrost für insane erklären.

Sicher, jeder ging mit der Belastung eben anders um. Während die einen auf Demos lauthals nach Außen skandierten, richteten andere sich wiederum nach Innen. Andere drehten durch, flatterten als Badman verkleidet durch die Innenstadt und boten Hilfe an wo nicht mehr zu helfen war. Sogenannte Covidioten, Rechte Raudis, Leugner, Spinner, Rechthaber, Grundgesetzbuch - sowie Gelbsockenträger, Heißkocher sowie Totschweiger, losgehetzte Kampfhunde, Antifa-Vorrechtsschreihälse, Angstgesteuerte Lämmerherden und eben Papas, welche sich selbst umtauften, in bärtige Freaks verwandelten oder eben ganz verschwanden. Gandalfs, die das herkömmlich bewohnte Territorium verließen.

Das Demokratiedemontagespektakel war also weiterhin in vollem Gange. Während privilegierte sowie abgesicherte Kreise das Ganze als eine Art elitäre Lieblingsentschleunigungstablette schluckten und eine wundersame Chance für die Menschheit in deren Einnahme sahen, wähnten sich vorweg sozial Benachteiligte bereits in der digitalen Diktatur angekommen. Zu allem Überfluss hatte obendrein auch noch in jenem unsäglichen Covidsommer der Sommerhit savage love die Charts gestürmt, was das DeSARSter nicht unbedingt abmilderte. Zumindest nicht in musikalisch geschulten Ohren. Dieses schädlich infantile Klagegejammer eines unappetitlich treudummen Kerls, der die Radiosender monatelang in Beschlag nehmen sollte und im zuckersüßen Topf angestaut brodelnder Körpersäfte wieder und wieder aufkochte, worauf das Geplärre in homöopathischer Dosis zu luftikoser Potenzlosigkeit gechaked wurde, hatte für die musische Gabe menschlichen Gesangs wohl mehr Elend und Leid hervorgerufen als Covid für die choralen Gesänge weltweiter Nationalorchester.

Überhaupt hatte die Pop-Industrie die Hirne der Heranwachsenden in den letzten Jahrzehnten derart gekapert, dass allein an dieser Stelle die materielle Eifersucht - der Neid und somit der Traum, Wunsch oder gar Wille, ebenfalls über derlei, in unzähligen Videoclips dargebotene Mittel wie etwa die üppig feilgebotenen Villen, Frauen, Autos, Poolanlagen und Reiseziele besagter Stars zu verfügen - die nächsten Hundert Jahre expansivem Wachstums trotz klimaschonender Nachhaltigkeitmusik weiterer Kanäle, gesichert sein sollte. Die Küken werden nicht das Werk des Adlers verrichten. Sie werden es sich zu besagter Zeit zu eigen machen und transformieren.

Die Ideologie der Kulturindustrie war nie unzeitgemäßer als heute. Doch unter dem Banner der Pandemie zeigt sich jetzt allzu deutlich, dass die Mitte sowieso seit jeher chronisch gelähmt war, allein schon durch den Status-Quo-Erhalt von Sicherheit und Lifestyle. Das Ende der Geschichte, das Ende der Philosophie, der Demokratie - alle möglichen Enden wurden bereits diagnostiziert und prophezeit. Warum nicht auch das Ende der Ideologie?! Die totale Verwurstung und Entfremdung sowie die zertrümmerte Aufmerksamkeit der Teilnehmenden hat womöglich das Ende der Ideologie eingeleutet. Es wird sich zeigen, ob sich die Kulturindustrie unter Einfluss dieses zersetzenden Prozesses letztlich selbst abschaffen wird.

Über was sein Vater sich nicht alles den Kopf zerbrach. Immerzu und jederzeit. Immer kam er mit der Großindustrie, den Verbrechen aller Branchen, die ihm zuwider waren, kurz: mit der ganzen falschen Welt da draußen kam er daher. Alles, was Spaß machte, führte in seinen Augen zwangsweise zur Verblödung. Handy, Internet, Videospiele, coole Muke, leckeres Essen, technischer Schnickschnack, Energiedrinks, Chips, McDonald – alles würde krank machen, krank sein, einen auszützeln, verarschen, ausnehmen und vor allem entseelen. Alles war in seinen Augen kaputt, zerstört, am Ende, gespalten, ohnmächtig und degeneriert - kurz: eben entseelt. Als Vater hatte er ihm einfach nichts anzubieten. Und tat sein Vater da nicht das Gleiche, was damals die Nazis getan hatten? Die haben das, was ihnen nicht passte, dann einfach entartet genannt und beseitigt. Nur seinem Vater würde das natürlich nicht gelingen. Er konnte ja nicht einfach sein Handy zerstören oder die Chips ins Klo schütten. Das konnte er zwar machen, war er auch oft kurz davor, so war er doch schlau genug, zu wissen, dass das auch keine Lösung ist. Also redete sein Vater eben viel über Missstände, verlor dabei den Humor und konnte echt nerven. Und jetzt war er sogar so weit gegangen, dass er sich an diesen Ort am Arsch der Heide zurückgezogen hatte, um dort einen auf Selbstversorger zu machen. Er sagte, Nachhaltigkeit sei nicht nur ein Trend. Das Wichtigste überhaupt sei es für die Zukunft des Planeten und daher müsse er sich – wenn sich schon sonst niemand darum schere - nun mal ganz darauf konzentrieren. Er hätte ihn als seinen Sohn gerne dabei gehabt, ihn von dieser Notwendigkeit überzeugt. Das selbe hatte er – nur altersgerecht und etwas abgespeckter – zu seinem kleinen Bruder gesagt. Und dann war er einfach, von heut auf morgen, verschwunden.

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