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Poeten hinter Gittern

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Neulich sprach uns im Botanischen Garten der Bundeshauptstadt ein Dichter an. Ein beleibter Mann in Sandalen, in der Hand ein Notizbuch. »Darf ich Ihnen was vorlesen?« rief er, »gerade fertig geworden.« »Ja.« Das Gedicht war relativ kurz und handelte von der Sonne, die sich nachts vom Tag erholt. Das Gedicht war schön. »Schön«, sagten wir und gingen weiter, und der Dichter lächelte mild. »Das ist typisch Berlin!« sagen die Leute, die derzeit in Scharen aus schönen Städten hierher ziehen, »dass da einfach so ein Dichter auf der Bank sitzt!«

Ich muss alle, die auch noch hierher ziehen wollen, warnen. Es sitzen eben nicht überall in Berlin solche Freaks herum. Es gibt für die unterschiedlichen Arten von Menschen hier streng abgemessene Gehege, und die milden Freaks, eben die lyrischen, gehen in den Botanischen Garten. Sie würden nie am Potsdamer Platz sitzen, der nur eine öde Schneise und ausschließlich Touristen vorbehalten ist, aber ebenso wenig auf dem Prenzlauer Berg, den, genau wie das Vorurteil behauptet, Schwaben und Art Directors unter sich und ihren dort in Rekordfrequenz zur Welt kommenden Kindern aufteilen.

Ich kenne keine Stadt, in der die Zünfte, Kasten, Schichten, Stadtteile so grotesk getrennt sind – vielleicht weil eine verbindende Mitte fehlt, geografisch wie geschichtlich. Die Busse bis Steglitz sind voll mit strapazierten Schlechtverdienern, die Busse nach Dahlem locker besetzt mit teuer gekleideten Kindern sorgloser Villenbesitzer, man wähnt sich in einer völlig anderen Stadt. Wir wohnen genau an der Kante. »In Steglitz?« sagte neulich eine Hochschulprofessorin und sah mich groß an. »Da kenne ich keinen!« Was soviel hieß wie: Da wohnt man doch nicht als zivilisierter Mensch. »Ich kenne da auch keinen, außer Kafka«, sagte ich stolz. Kafka ist allerdings vor 86 Jahren weggezogen. Kostümbildner, Medientypen, Akademiker wohnen in Mitte, Kreuzberg und Schöneberg, was nicht heißt, dass sie sich dort vermischen. Musikwissenschaftler laden keine Musiker ein, Germanisten haben mit Galeristen nichts zu tun. Es gibt Imbissbuden, die man meiden sollte, wenn man nicht in türkisch-kurdische Grenzkonflikte geraten will. Wer sein Gehege gefunden hat, hält Berlin für eine offene Stadt, wie auch jene, die auf der Suche nach sich selbst sind und die Revierrituale noch für Vibrations halten.

Es hat seinen tiefen Sinn, dass der cliquenfernste Ort Berlins vom längsten Gitter der Stadt umgeben ist, eben der Botanische Garten. Für die Leute aus den Kreativvierteln ist er zu weit weg, für die Hells Angels zu schlecht asphaltiert, Grillen darf man auch nicht. Hier haben Dichter und Kolumnisten ihre Ruhe. Ich bin da täglich – Jahreskarte! – und blicke mit Befremden auf Besucher, die hier nicht so hinpassen. Als Insider erkennt man die einfach.

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