Читать книгу Mann, Frau, Affe - Volker Hagedorn - Страница 19
Rühren ist emotional wichtig
ОглавлениеWer eine Folge von fünf Tagen hinter sich hat, an denen es von morgens bis abends nur grau ist und nass und der Verdacht aufkommt, dass die EU-Kommission anstelle der Sonne über den Wolken eine ihrer miesen Energiesparbirnen in den Himmel geschraubt hat, kann zweierlei tun. Entweder Anzeige gegen Unbekannt erstatten wegen niederträchtiger Lichtberaubung und Dauerbenieselung. Oder Risotto kochen. Mir wird schon warm, wenn ich das Rezeptbuch aus dem Regal hole. Eigentlich brauche ich es nicht mehr, ich kenne die Basis und weiß, dass man in einen Risotto alles werfen kann, was schmeckt.
Aber ich lese gern zum zwanzigsten Mal, dass man für »4-6 Personen 1 Zwiebel, gehackt« braucht, um dann für nur zwei Personen ebenfalls eine ganze Zwiebel zu nehmen und auch die 500 Gramm Reis nicht zu halbieren, sondern auf 300 herabzusetzen. Kochbuchautoren gehen gern von zu kleinen Portionen aus und fürchten Schadenersatzklagen für den Fall, dass es zu scharf wird. Mehr zu nehmen, als sie empfehlen, ist wohltuend, wenn nichts schief gehen kann. Ich hacke auch etwas mehr Rosmarin und weiche so viele Trockenpilze ein, wie man sie aus etwa 800 Gramm Frischpilzen herstellt, man soll ja was schmecken!
Unterdessen ist das Grau draußen einem sternenlosen Dunkel gewichen, und der Wein, von dem ein Glas in den Risotto kommen wird, reicht auch für den einen oder anderen Arbeitsschluck. »Die Zwiebel mit dem Knoblauch in der Butter weich dünsten.« Ich nehme mindestens ein Viertel vom Pfund, denn ich habe mal gelesen, dass gute Küche drei Grundlagen hat: 1. Butter, 2. Butter, 3. Butter. So. Jetzt den Rosmarin und Tomaten aus der Dose dazu (die frischen aus dem Supermarkt schmecken eh nach nichts), Tomatenmark, Wein, die gehackten Pilze. Jetzt zieht schon ein sehr angenehmer Duft durch Küche und Korridor.
Was mich am Risotto am meisten fasziniert, ist die Metamorphose der Reiskörner, die nun dazukommen. Was die schlucken, bis sie weich sind! Gemüsebrühe, Pilzwasser – im Nu verschwindet das in dieser Lava. Wenn ich eine große Kelle nehme, reicht die Zeit für eine Zigarette draußen, wo es wie immer nieselt. Danach ist der Risotto so durstig, dass er »Schlurch« macht, als ich ihn wieder tränke. Und rühre. Das Rühren ist auch emotional wichtig. Ein Gericht, in dem 20 Minuten lang gerührt wird, gibt sanfte Energie weiter. Außerdem: Risotto wächst, während ein Steak schrumpft. Und es vermittelt Geborgenheit, während ein Steak einen irgendwie schon wieder in den Kampf treibt …
Beim Verzehr bildet sich im Körper ein kleiner Wärmekern, der einen davon überzeugt, dass es die Sonne doch noch gibt. Denn gegen das Wetter kann man nichts tun, aber viel für das Wohlbefinden. Falls Sie statt derlei Küchenweisheit lieber ein vollständiges Rezept hätten: »Butter unter den Reis rühren, drei Minuten ruhen lassen. Parmesan getrennt dazu reichen …«