Читать книгу Mann, Frau, Affe - Volker Hagedorn - Страница 13
Raucher von der Rolle
ОглавлениеBriefmarken von der Rolle, 100 Stück zu je 55 Cent. »Was ist es eigentlich für ein Motiv?« »Der arme Poet«, sagte die Postangestellte. »Achje, ich nehme doch lieber was anderes. Es muss auch nicht von der Rolle sein.« Ich habe dieses Bild noch nie gemocht. Und die Vorstellung, dauernd diesen armen Poeten auf meine Briefe zu kleben, behagte mir auch nicht. Dem Mann, den Spitzweg in einer süßlichen Mischung aus Karikatur und Idyll vorführt, geht es doch eigentlich sauschlecht unter dem Schirm, der ihn vor Wasser aus dem undichten Dach schützen soll. Was würde es signalisieren, wenn ich meine Rechnungen mit diesem Jammerbild beklebte? Dass ich mehr Honorar brauche?
Von wegen. Dieses Bild signalisiert ja tiefstes Einverständnis mit der bürgerlichen Vorstellung von selbstverschuldet brotloser Kunst: »Was muss der Mann auch Gedichte schreiben, das hat er nun davon, und wahrscheinlich sind sie eh alle so schlecht wie die, die er schon in den Ofen links im Bild gesteckt hat, um damit die klamme Bude zu heizen.« Ich bin kein Poet, mag aber Gedichte, bewundere die, die sowas hinkriegen, egal ob im Liegen oder im Stehen, und irgendwie beleidigt Spitzweg die ganze lyrische Zunft.
Angeblich ist sein Bild ein ironischer Gegenentwurf zu Caspar David Friedrichs »Wanderer über dem Nebelmeer«, wo man einen gut gekleideten Einzelgänger von hinten sieht, der gewaltigen Natur gegenüber. Bei Spitzweg, las ich in einer Exegese, sei hingegen die Natur der Floh, den der Poet gerade zwischen den Fingern zerdrückt. Auweia.
Leider gab es den Wanderer nicht als Briefmarke, ich nahm stattdessen eine Kollektion von Leuchttürmen, da macht man nichts falsch, außerdem noch zehn Mal Franz Kafka. Seine Zeichnung von dem Typen, der erschöpft überm Tisch zusammengebrochen ist, vermittelt auch in der Korrespondenz mit Redaktionen das richtige Signal auf hohem Niveau.
Zu Hause ging ich zum Rauchen auf den Balkon. Es regnete, und ich holte einen Schirm. Da stand ich dann, höhenmäßig etwa dem Wanderer über dem Nebelmeer vergleichbar, unter einem Schirm, der an Spitzweg erinnerte. Das wäre doch das passende Bild für unsere Zeit, dachte ich. Weltweit stehen die Schreiber, egal ob Poeten oder Prosaisten oder Kolumnisten oder Kafkaisten, auf ihren Balkons, weil sie, voller Einsicht und guten Willens, an ihren Schreibtischen nicht mehr rauchen. Heroisch klappen sie im Regen die Schirme auf. Verschwunden sind Flöhe und Nebelmeere, der Schirm aber wird geadelt zum Insignium des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischem kreativem Rauchen und sozialem Nichtrauchen.
Kann das mal jemand malen? Das würde ich gleich von der Rolle kaufen.