Читать книгу Mann, Frau, Affe - Volker Hagedorn - Страница 6
Erwachsene sind peinlich
ОглавлениеSchon zum Frühstück kommt sie mit perfektem Make-up, die Augen mit Kajalstift akzentuiert, der Mund glänzend erdbeerrot, die Klamotten frisch gebügelt. Diese Zwölfjährige, Tochter von Freunden, ist der bestgestylte Mensch, den ich kenne. Dass sie überhaupt kommt, ist erstaunlich, denn ihr Leitspruch lautet: »Erwachsene sind peinlich.« Andererseits scheint es ihr zu gefallen, diese Erwachsenen an einem Sonntagmorgen, wenn sich alle ungebügelt und angeknittert um den großen Küchentisch versammeln, mit ihrer eigenen, vollendeten und strahlenden Erscheinung zu konfrontieren.
Ich nenne sie für mich Paris Hilton, wegen der Sachen, die sie später am Tag trägt und die deutlich am Outfit reicher Partyschnepfen ausgerichtet sind. Eigentlich ist das unfair. Lila, wie sie hier mal heißen soll, ist viel intelligenter als Frl. Hilton, zu schlau für ein Leben mit dem Mainstream, dem sie aber vorerst generell huldigt. Sie hat mir mal die Top Ten genannt, die man hören muss, eine Liste, die jetzt, ein Jahr später, längst nicht mehr gilt. Sie will alles richtig machen, wobei sie Prioritäten setzt: Schminken geht vor Schule. Sie kommt eher zu spät, als dass sie sich mit unvollendetem Make-up blicken ließe.
Als ich sie kennenlernte, war Lila neun. Sie sah mich hilflos an der Kaffeemaschine herumwursteln und sagte: »Darf ich dir diese Mühe ersparen? Was möchtest du?« Zwei Minuten später reichte sie mir einen perfekt beschäumten Cappuccino. Als wir uns neulich nachts über sie unterhielten und rätselten, warum sich ausgerechnet ein Kind aus einem mainstreamfernen Kreativhaushalt derart dem Diktat der Mode unterwirft, lehnte das Mädchen plötzlich mit dem Lächeln einer Diva in der Küchentür und sagte: »Das ist ja hochinteressant, was man hier so über sich zu hören bekommt.« Peinlich …
Lilas Mutter macht sich ein bisschen Sorge über den Outfit-Perfektionismus ihrer Tochter, ist aber zuversichtlich, dass die das hinter sich bringt. Andere Kinder beginnen erst mit sechzehn oder sogar nie, sich gegen die Vorstellungen ihrer Eltern zu profilieren, Lila hingegen wird mit sechzehn womöglich Lachkrämpfe kriegen, wenn sie Paris Hilton sieht, und sich dem Studium der Teilchenphysik widmen. Womöglich. Man weiß es nicht. Auch Intelligenz schützt nicht vor einer Laufbahn, die auf dem Chefsessel der »Vogue« gipfelt, und Lila wäre wahrscheinlich der schlaueste Teufel, der je Prada trug.
Nun aber sitzt sie zwischen sieben zerknitterten, gut gelaunten, peinlichen Erwachsenen am Frühstückstisch und zieht eine Fünf-Kilo-Dose Nutella zu sich heran, ein Monument der Versorgungssicherheit, und häuft sich genüsslich das Zeug aufs Brötchen. Ohne Rücksicht auf Linie und Lippenstift schlingt sie es runter. Bei Erwachsenen muss man nicht so manierlich sein, und immerhin ist es Markenware. Es gibt sogar Croissants. Peinlich eigentlich.