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Der Wind weht, wo er will

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In glutheißen Tagen kaufte ich einen der letzten Sonnenschirme, die in der Stadt zu haben waren. Durchmesser gut zwei Meter, Sonderangebot: 19,90 Euro. Von der besonderen Eigenschaft gerade dieses Exemplars konnte da niemand etwas ahnen. Ich kaufte den Schirm und einen sandgefüllten Fuß dazu und schleppte beides ins dritte Obergeschoss. Der Balkon geht nach Süden. Die Luft, von keiner Brise gerührt, stand zitternd über dem Estrich, die Pflanzen ächzten vor Durst, obwohl sie morgens gegossen worden waren. Ich stellte den Schirm auf und entfaltete ihn. Sehr schön. Er beschattete fast den ganzen Balkon, das Orange passte schön zum Pflanzengrün und wirkte mediterran.

Ich setzte mich an den Schreibtisch und genoss das gemilderte Licht, das nun vom Balkon her ins Zimmer fiel. Nach wenigen Minuten wurde es auf einmal heller, ich blickte auf. Der Schirm war umgefallen. Da musste ein bisschen Wind aufgekommen sein, hatte sich aber schon wieder gelegt. Ich stellte den Schirm auf, da kam erneut Wind auf. Er griff so unters Tuch, dass die Stange sich aus dem Fuß zu heben drohte. Ich zurrte das Ganze mit Bindfäden fest. Der Wind wurde heftiger, aus heiterem Himmel. Also fixierte ich die Stange noch mit Spanngurten am Balkongeländer. Der Schirm konnte jetzt weder wegfliegen noch kippen. Der Wind wurde so heftig, dass die Speichen sich verbogen. »Also nee«, sagte ich, »so kann ich nicht arbeiten.« Ich klappte den Schirm zusammen.

Der Wind ließ nach. Ich hatte einen Verdacht, fand ihn idiotisch und versuchte es immer wieder. Tagelang. Schirm auf: Wind, Schirm zu: Ruhe. Es ist, als hocke auf einem Sims am Haus eine Windsbraut, die jedesmal, wenn dieser orangefarbene Kreis sich entfaltet, außer sich gerät. Als ich ihn mal eine Stunde lang offenhielt, schräg gegen die Böen gestemmt, folgten alsbald die ersten Gewitterstürme des Sommers. Vielleicht würden mir die Chinesen ein Wahnsinnsgeld für den Schirm bezahlen. Das olympische Segelrevier vor der Küste von Qingdao leidet nämlich unter chronischer Windstille. Aber wie heißt es in der Bibel? »Der Wind weht, wo er will.« Vorhersagbar am Wind ist nur, dass er bestimmt nicht so weht, wie ich oder die Segler es wollen.

Wobei das mit dem Schirm immer noch Zufall sein kann. Aber das mit dem Rauch kennt jeder. Setzen Sie einen Raucher und einen Nichtraucher an einen Tisch, einander gegenüber. Prüfen Sie die Luftbewegung. Entweder ist es windstill, oder es weht dem Raucher ins Gesicht. Gut. Der Raucher entzündet seine Zigarette. Und natürlich zieht jetzt der Rauch ganz genau auf den Nichtraucher zu, der Raucher muss die Kippe ausdrücken. Ist Gott Nichtraucher? Aber was ist dann mit dem Weihrauch? Werden nur die Konfessionslosen unter den Rauchern und Sonnenschirmbesitzern gestraft? Fragen, denen ich auf meinem Raucherbalkon nachsinne. In praller Sonne, unbeschirmt, während der blaue Dunst kerzengerade gen Himmel steigt.

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