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Auftauchen!

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Als die Physiotherapeutin Mandy mit einer Gruppe von Patienten in die Schwimmhalle kam, trieb ein weißhaariger Mann regungslos an der Wasseroberfläche. Die Wassergymnastik wurde augenblicklich abgesagt, der Rettungseinsatz begann mit dem geübten Klinikpersonal. Nachdem sie ihn aus dem Pool gezogen hatten, behandelten die Ärzte Katzorke mit den üblichen Maßnahmen zur Wiederbelebung.

Nach einer intensiven Herzmassage atmete er wieder. Ob sein Gehirn durch einen Mangel an Sauerstoff geschädigt worden war, würde sich zeigen, wenn er wieder zu sich kam. Sie hoben den weißhaarigen Mann mit dem auffällig massigen Schädel auf eine Krankentrage und verbrachten ihn zur Intensivstation.

„Wie konnte das passieren? Ohne Aufsicht im Schwimmbecken...“

Mandy, die bis dahin nicht von Katzorkes Seite gewichen war, wusste auf die Frage des Oberarztes keine Antwort. Als Physiotherapeutin fiel die Sicherheit der Reha Patienten nicht in ihren Aufgabenbereich.

„Glauben Sie, er wird wieder?“

Der Oberarzt zuckte mit den Schultern. Die Klinikleitung wäre sicher nicht erfreut, wenn im Fall von Katzorkes Tod die Umstände bekannt würden.

„Ja, sicher. Alles gut. Keine akute Lebensgefahr.“

Die Tür auf der Intensivstation schloss sich hinter dem Pulk von Ärzten und Pflegern, nachdem Katzorke an die lebenserhaltenden Geräte angeschlossen war.

„Solange die Zuständigkeiten nicht geklärt sind, bleibt das unter Verschluss. Vermutlich hat unser Hausmeister vergessen, die Tür zur Schwimmhalle abzuschließen. Zu seiner Entlastung muss ich anmerken, dass er derzeit wegen des Defekts an der Klimaanlage abgelenkt ist.“

Die Physiotherapeutin Mandy verstand den dezenten Hinweis des Oberarztes, den Vorfall nicht an die große Glocke zu hängen und machte sich wieder an ihre Arbeit. An einem Ort, wo Sterben ein alltägliches Ereignis ist, gehörte Diskretion zum Ehrenkodex des Klinikpersonals. Jedem konnte mal ein Fehler unterlaufen, dessen Folgen das Leben eines Menschen beendete.

Im Zweifel von etwaigen Verantwortlichkeiten gab es innerhalb jeder Klinik eine klare Hierarchie. Ein Hausmeister konnte geräuschloser entlassen werden als ein Chefarzt.

Dr. Globb hatte Spätschicht und eilte sofort zu ihrem Patienten, nachdem sie erfahren hatte, dass er bewusstlos auf der Intensiv lag. Aufmerksam verfolgte sie an den Geräten seine Sauerstoffwerte und die anderen Anzeigen zur Überwachung seiner Körperfunktionen. Es war klar, wenn peinliche Nachfragen kämen, wäre auch ihr Stuhl in Gefahr. Daher entschloss sie sich zu einer unkonventionellen Maßnahme.

Aus ihrem Spint in der Umkleide für Krankenhauspersonal holte Dr. Globb ein hochdosiertes, flüssiges Vitaminpräparat und eilte damit zurück zu ihrem komatösen Patienten. Vorsichtig flößte sie ihm die Flüssigkeit ein. Und tatsächlich, kaum hatte Katzorke die Vitamine hinuntergeschluckt, zeigten sich auf den Anzeigen der medizinischen Apparate Anzeichen für eine positive Reaktion.

Was von dem Krankenhauspersonal keiner ahnen konnte war, dass der Kommissar a. D. die ganze Zeit über voller Zorn sein fotografisches Gedächtnis dazu benutzte, um seinen alten Aktenbestand nach den Tätern zu durchforsten.

Irgendein Motiv musste es ja geben.

Von Katzorkes Selbstverständnis her existierte so etwas wie Krankheit oder Pensionierung nicht. Der Unterschied zum Berufsalltag war nur entweder mehr oder weniger freie Zeit für seine ganz eigenen Ermittlungsmethoden. Nicht umsonst hattenseine ehemaligen Kollegen ihn „das Tier“ genannt.

Wenn einer an ihm rüttelte oder sonst wie auf ihn einzuwirken versuchte, sollte ihn das nicht beeindrucken. Er hatte einfach keine Lust, sich bei der Arbeit stören zu lassen. Bislang hatte er immer geliefert, in jeder Lebenslage und zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Keiner seiner Fälle war ungelöst geblieben.

Nachdem er alle erdenklichen Motive aus seinen bedeutendsten Verhaftungen durchgegangen war, blieb er dennoch ohne Ergebnis. Das war nicht ungewöhnlich, denn fast bei allen, die er seinerzeit aus ihrer sauberen Existenz in eine der Haftanstalten befördert hatte, konnte er sich Rachegelüste vorstellen. Rache war kein schwaches Motiv.

Aber nach so vielen Jahren? Katzorke grübelte, vollkommen eingenommen von seinen Überlegungen. Eigentlich akzeptierten die meisten Straftäter, wenn sie ermittelt und verhaftet worden waren, dass es ihnen gegenüber eine Institution und einen Berufsstand gab, der von Amts wegen gezwungen war, gegen sie vorzugehen.

Ihre Niederlage nahmen die meisten nicht persönlich.

Nur die besonders tieffliegenden Kamikazepiloten der Verbrecherzunft waren der Überzeugung, von Polizisten verurteilt zu werden, nicht von Gerichten. Vor allem politisch motivierte Straftäter machten eins aus Staat, Polizei und Gerichten. Sie konnten aus ihrer Ideologie heraus zu Taten fähig sein, für die der Normalsterbliche keinen Zusammenhang sah.

Da er in der Schwimmhalle zwei Täter wahrgenommen hatte, konnte er sich vorstellen, dass sie im Auftrag gehandelt hatten. Dass sich zwei gleichzeitig mit denselben Motiven gegen ihn wandten, erschien ihm unwahrscheinlich.

Über ihre Identität würde er sicher auch zu dem Psychopathen gelangen, der ihm nach dem Ende seiner Dienstzeit immer noch etwas nachtrug. Wen hatte er in seiner Zeit als Kommissar Katzorke so dermaßen im Innersten verletzt, dass der Hass so viele Jahre überdauerte?

Katzorke überlegte, wie er Spuren der Täter in der Schwimmhalle sichern könnte? Seine ehemaligen Kollegen zu involvieren, wäre eine einfache Lösung, die jedoch Risiken barg. Ein gewaltiges Aufsehen würde entstehen. Und wenn er Pech hatte, waren keine Spuren zu identifizieren, weil die Täter Profis waren. Keine Beweise für den Angriff hieße, Katzorke stünde als Trottel da, und das vor der neuen Generation von Ermittlern. Oder noch schlimmer, als verwirrte Person, als demenzkranker Ex-Kommissar!

Diese Blöße durfte er sich nicht geben.

Wenn er stillhielt, hielten ihn die Täter für tot. Ein Vorteil, was seine Sicherheit anbetraf. Falls sie für ihren Auftragsmord bereits Gelder kassiert hatten, würde er wie Jesus Christus plötzlich vor ihren Augen wiederauferstehen. Das wäre nach seinem Geschmack, ein gelungener Spaß.

Wenn´s richtig dumm für sie lief, brächte er sie damit sogar in Bedrängnis. Vielleicht hatten sie in ihren Kreisen mit ihrem Mord an ihm geprahlt, wie gnadenlos sie ihn auf den Grund des Schwimmbeckens stocherten.

Katzorke spürte eine Übelkeit, die sich zum Glück nicht entlud.

Seine Vorstellung, wie sie dann plötzlich als Betrüger ihres Auftraggebers dastehen würden, als Aufschneider und Lügner, das freute den alten Ermittler und beruhigte seinen Magen wie Linsensuppe.

Ihren Auftraggeber stellte er sich als Mann ohne Gesicht vor, wie er ungeduldig nach der Vollzugsmeldung auf eine öffentliche Reaktion auf den Mord an dem stadtbekannten Kommissar wartete, aber nichts passierte. So, als wären die beiden Killer gar nicht unterwegs gewesen, hätten sich stattdessen auf seine Kosten einen schönen Tag gestaltet.

Katzorkes Mund schmerzte, als er darüber schmunzeln musste.

Dieser Verlauf konnte ihr Schicksal für immer besiegeln, das wusste er. Ihr geheimnisvoller Auftraggeber liest am Morgen die Zeitung, schaut im Internet nach Polizeimeldungen, nichts, keine Nachricht über Katzorkes Ableben.

Vielleicht eine Nachrichtensperre, denkt er, und wartet unruhig einen weiteren Tag ab, um erneut keine Nachricht über den Tod des Gehassten zu erhalten.

Immer nervöser würde der Mann ohne Gesicht werden, bis vielleicht nach einer Woche in der Presse der Fund von zwei Leichen gemeldetet werden würde. Zwei Männer aus dem Milieu, hingerichtet von ihresgleichen. Zwei Auftragskiller, die zu blöd waren, ihn umzubringen.

Katzorke würde lächelnd in den Nachrichten davon erfahren.

Darauf freute er sich.


Kommissar Katzorke

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