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Unter Wasser

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Nach der mittäglichen Essensausgabe zwischen 12 Uhr und 13 Uhr 30 im klinikeigenen Restaurant oder auf den Zimmern war den Patienten der Reha eine allgemeine Mittagsruhe bis 14 Uhr 30 verordnet, die sie alternativ auch für Freizeitaktivitäten wie Fernsehen, Schwimmen oder Spaziergänge im Garten der Klinik nutzen konnten.

Katzorke nutzte seine freie Stunde auf für ihn angenehme Art. Nach einem Mittagessen in Gesellschaft mochte er nicht einfach in seinem Zimmer auf dem Bett liegen und Musik hören. Das erinnerte ihn zu sehr an seinLeben in der kleinen Wohnung am Hohenzollerndamm.

Die Klinik verfügte im Kellergeschoss über Räume mit Schwimmbecken zur Bewegungstherapie, die er mittlerweile auch ohne die Hilfe der Therapeuten, die sich nach Mittag ebenfalls gern einmal ausruhten, aufsuchen konnte. Von seinem Zimmer aus hatte er sich in den ersten Tagen seines Aufenthalts markante Lichtquellen wie Fenster oder Lampen eingeprägt, wodurch er in der Lage war, vorsichtigen Schrittes den Weg durch Gänge und Treppenhäuser bis ins Kellergeschoss zu finden.

Zur Mittagsruhe blieb das Becken mit dem badewannenwarmen Wasser meistens unbenutzt, vor allem, weil es gegen die draußen herrschende Julihitze keine Abkühlung versprach. Am Eingang verharrte Katzorke für einen Augenblick, um zu lauschen, ob sich eventuell doch jemand im Wasser aufhielt, aber der Schwimmsaal war menschenleer.

Sofort zog er seinen Bademantel aus und tastete nach der Leiter, deren gewölbte Röhren am Beckenrand einen halben Meter in die Höhe ragten, so dass er sie greifen konnte, um endlich in das für ihn so verlockende Entspannungsbad zu gleiten.

Für Katzorke eine mühevoll erkämpfte Verbesserung seiner Lebensqualität, er genoss diesen Moment. Auf dem Rücken liegend spürte er seinen Körper sanft von dem Wasser getragen, es genügten leichte Bewegungen, um sich an der Oberfläche zu halten. Die gedämpfte Beleuchtung des fensterlosen Bades ließen ihn kaum Umrisse erkennen, die Lampen an der Decke wirkten auf ihn wie weit entfernte Scheinwerfer in dichtem Nebel.

In den Überlauf des Beckens gluckerte Wasser, sobald er ein paar Schwimmzüge machte, sein geschärfter Gehörsinn verfolgte dieses Plätschern bis tief in den Abfluss hinein. Außerdem gab es ein undefinierbares, andauerndes Summen irgendeiner Wasserpumpe oder Lüftungsanlage, dessen Ursache ihn nicht sonderlich interessierte, da es beruhigend gleichförmig war.

Katzorke stieß sich vom Beckenrand ab, immer darauf bedacht, nicht versehentlich gegen die Kachelwand zu stoßen. Dann hörte er Schritte vor der Tür der kleinen Schwimmhalle, die Schwingtür wurde vorsichtig geöffnet, er analysierte deren Schritte, zwei Personen kamen herein.

Katzorke dachte darüber nach, ob er seine Badehose richtig herum angezogen hatte, dann sprach er die beiden unbekannten Personen an, deren Gestalten er lediglich als zwei wabernde Umrisse wahrnahm.

„Wenn Sie das Becken für eine Therapiestunde benötigen, ich wollte sowieso gerade raus.“

Es erfolgte keine Reaktion der beiden Schemen auf seinen Zuruf. Er wunderte sich dennoch nicht, verwarf nur seinen ersten Gedanken, dass die beiden Physiotherapeuten sein müssten. Er vermutete stattdessen, dass zwei ausländische Reha Patienten ebenfalls ins Bad wollten. Beim Mittagstisch hatte er öfter eine Unterhaltung mitangehört, deren Inhalt er aus Mangel an Sprachkenntnissen nicht verstand.

Sie waren nun herangekommen und bauten sich direkt vor dem Beckenrand groß über ihm auf. Zwar wirkte ihr Schweigen befremdlich, doch Katzorke betrachtete es nicht als auffällig. Was sollten Sie ihm antworten, wenn sie ihn nicht verstanden hatten?

Dann bemerkte er überrascht einen Schatten, der sich fürchterlich schnell auf ihn zubewegte. Es folgte ein wuchtiger Stoß mit einer haarigen Wulst gegen seine Schulter, der ihn brutal unter Wasser drückte.

Katzorke schluckte und sog vor Schreck Chlorwasser ein, konnte aber unter Wasser nicht husten, weshalb er so schnell wie möglich wieder auftauchen wollte. Doch gleich tunkte ihn dieses haarige Etwas erneut. Es musste ein Besen oder Schrubber sein, mit dem er von der Gestalt attackiert wurde.

Er vollführte unter Wasser hastige Schwimmbewegungen und geriet in Panik, tauchte dann tief hinunter und weg von den auf ihn einprasselnden Angriffen, gelangte wohl diagonal außer Reichweite und tauchte auf der anderen Seite des Beckens wieder auf, hektisch nach Luft schnappend, um sich dort den nächsten brutalen Hieb einzufangen, diesmal wohl von dem zweiten Mann, der einen Wischfeudel führte, dessen glitschig seifige Lappen ihm quer durchs Gesicht fuhren.

Erneut unter Wasser gedrückt, begann sein Adrenalin gepushter Verstand nach einem Ausweg zu suchen, während er verzweifelt gegen den Druck in seinem Nacken anruderte. Katzorke analysierte, dass das Schwimmbecken so klein war, dass seine Angreifer schnell von der einen auf die andere Seite gelangen konnten. Ihre Reaktionen wären auch sicher schneller als seine, wenn er nach dem Besen des einen oder dem Feudel des anderen greifen würde, doch ein Versuch war der Widerstand wert. Sobald er einen der beiden ins Wasser zog, könnte er vielleicht aus dem Schwimmbecken entkommen.

Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Druck des Feudels über ihm, um sodann unvermittelt in die entgegengesetzte Richtung nachzulassen. Die Kraft wurde frei und drückte ins Leere. Die dunkle Gestalt stürzte, Katzorke hörte sein Aufschlagen und Rudern im Wasser.

„Idiot! Lass mich das machen. Komm aus dem Wasser!“

Katzorke holte an der Oberfläche tief Luft und schwamm geradeaus. Gewohnheitsmäßig prägte er sich alles ein, was er in dieser Lage identifizieren konnte. Durch die Stimme war klar, einer der beiden war männlich und sprach Deutsch. Die andere Person würde durch das unfreiwillige Bad vielleicht DNA-Spuren hinterlassen, was ihm jedoch in seiner Lage nichts nützte. Wenn sie es schafften, ihn zu ertränken, würde ihre Tat wie ein Unfall aussehen.

Der Besen erwischte ihn wieder und stieß ihn mit Wucht, so dass er fast seine Besinnung verlor. Er tauchte tief unter Wasser, wo er hören konnte, wie der andere die Leiter hinauf aus dem Schwimmbecken stieg. Zu gern hätte er ihn vielleicht am Fuß erwischt und ins Becken zurückgezogen, aber er sah außer flackerndem Lichtschein nichts unter Wasser. Der Besenstil erwischte ihn schmerzhaft am Rücken, der Mann, der ihn nun unter Wasser drückte, hatte deutlich mehr Kraft als der andere.

Wenn er sich weiterhin vergeblich mit seiner Willenskraft gegen die zwei Angreifer stemmte, verbrauchte er automatisch mehr Energie, mehr Sauerstoff, der ihm abhandenkam. Haushoch im Vorteil waren die beiden Killer über ihm, aber in Sekunden machte Katzorke einen neuen Plan. Eine List, seinen Tod vorzutäuschen, war seine einzige Hoffnung.

Mit scheinbar letzter Kraft simulierte er noch einmal einen verzweifelten Befreiungsversuch, bäumte sich wie ein sterbender, harpunierter Wal aus dem Wasser auf, um gleich von zwei Seiten getroffen zu werden. Dann sank er, wie bewusstlos, im Wasser hinab, ließ sich blutend und scheinbar ohne Gegenwehr auf den Grund des Pools tunken. Arm- und Beinbewegungen erloschen, bis er scheinbar leblos am Grund des Beckens lag.

Der Druck auf seinen Rücken ließ trotzdem nicht nach. Sie schienen ihn durchbohren zu wollen. Jede Sekunde zählte gegen diesen Hass, aber die Sekunden verstrichen in seiner regungslosen Anspannung so langsam wie Minuten an einer Turmuhr. Länger als irdische Zeit dauert Sterben.

Sein Körper begann bald gegen seinen Verstand zu rebellieren, wehrte sich gegen das Unterbinden natürlicher Reflexe. Adrenalin putschte ihn auf wie Kokain, nur sein Plan stand fest, bloß das Bewusstsein nicht zu verlieren!

Still bleiben, bewegungslos! So kommandierte er sich, seinen Körper, in dem sich jede einzelne Zelle gegen ihr Absterben auflehnte und ihm plötzlich wie im Rausch körpereigene Aufputschmittel übermenschliche Kräfte suggerierten. Nein zu diesem Trugbild!

Der Reflex, zu atmen, wollte sich jedoch nicht einfach unterdrücken lassen, schmerzte in Brust und Hals. Dieses verzweifelte Nein fühlte sich an wie ein aussichtsloses Match gegen das Pumpen des eigenen Herzens. Du kannst dich mit deinen Händen nicht selbst erwürgen, sendete ein sich verselbstständigender, rebellierender Verstand. Lieber kämpfend sterben, als ohne Widerstand!

Seine Vernunft, auf die er sich festgelegt hatte, wurde von seltsamen Stimmen korrumpiert. Immer drängender der Wunsch, wieder offensiv zu kämpfen, für einen Atemzug, nur ein bisschen Luft die Konfrontation zu wagen. Sei klug, befahl ihm eine immer leiser werdende Stimme.

Katzorke begann zu zählen. Zahlen haben diese Kraft der Sachlichkeit gegen das irrationale Dasein. Er zählte, um sein objektives Bewusstsein für die Dauer des Wartens zu bewahren. Ob der Plan sinnlos war? Zweifel durfte er sich nicht erlauben, sie schwächten ihn nur.

Er dachte an frühere Taten, brenzlige Situationen während seiner Dienstjahre, oder als er mutig durch ein fünfzig Meter langes Becken getaucht war. Körperliche Leistungsfähigkeit gehörte zu seinem Beruf wie Öl zu einem Motor, aber er war nie besonders sportlich gewesen. Mit Mitte zwanzig hatte er noch regelmäßig trainiert, danach immer weniger Ehrgeiz verspürt, seinen Körper weiter zu optimieren.

Wie lange dauerten damals diese Schwimmzüge unter Wasser? Eine erleichternd sachliche Frage. Er sah sich mit Stoppuhr unter Wasser, vom Sprungpfeiler eines Wettkampfbeckens bis zum anderen Ende und fragte sich, wie man gleichzeitig schwimmen und die Zeit stoppen könne?

Er wusste es nicht, hatte sich nie darum gekümmert, was andere sportlich erreichten, vielleicht gab es ja Tricks, geheime Fähigkeiten, aber plötzlich hämmerte sein Herz gegen den Brustkorb, schaffte trotzdem immer weniger Sauerstoff mit seinem bald nutzlosen Blut heran. Nun zählte er einen Countdown, jede einzelne Sekunde wie eine Luftblase betrachtend, eine lange Kette, an der er sich bald wieder an die Oberfläche ziehen musste, sonst würde er sterben. Die große Uhr ließ sich niemals betrügen.

Ein stechender Schmerz begann von innen gegen seine Schläfen zu pochen, sein gesamter Körper schien auf einmal zu zittern. Das war mehr, als er aushalten konnte. Jetzt auftauchen, er spürte den Druck in seinem Rücken nicht mehr. Aber Katzorke verweigerte sich selbst das Einverständis, sein Instinkt behauptete, sie wären noch da, schauten immer noch argwöhnisch zu ihm auf den Grund des Beckens hinunter.

Die letzte Runde im Pokerspiel, wer sein Blatt verriet, verlor auch das Spiel. Wer waren die, fragte er sich fast bewusstlos, Profis? Wessen Handlanger? Er ahnte, dass sie seinetwegen nicht wiederkommen wollten. Waren sie Profis, hatte er eigentlich keine Chance. Sie würden warten, bis sicher kein Funken Leben mehr in ihm vorhanden sein konnte.

Katzorke wusste, dass er nun einfach bewusstlos werden würde, mit einem Schlag ewige Nacht, Ersaufen.

Dieses Fallen, das immer wiederkam, kannte er. Wie seine Entführer ihn früher mit verbundenen Augen an den Abgrund geführt hatten, bis der Boden unter einem Fuß plötzlich gefehlt hatte, blieb für immer traumatisch. Damals war sein Aufprall durch Baustellenabfälle glücklich abgefedert worden, aber das Krachen seiner brechenden Knochen, das hatte er noch bei vollem Bewusstsein erlebt.

Ein grauenhafter Laut.

Jetzt so blöde hier verrecken? Niemals! Eine wütend kräftige Stimme tönte in ihm, sein souveränes Ich mit dem Mut seiner starken Persönlichkeit. Noch eine Minute ausharren, aus irgendeiner letzten Luftblase noch ein Mikrogramm Sauerstoff saugen. Katzorke begann noch einmal zu zählen, und hatte schon vier Mal langsam bis sechzig gezählt.

Bei der Sechzig würde er auftauchen. Mithilfe seiner eisernen Disziplin.


Kommissar Katzorke

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