Читать книгу Kommissar Katzorke - Volker Lüdecke - Страница 6
Schuldenberge
ОглавлениеAn diesem heißen Julitag schwitzte René besonders viel, weil er, von Natur aus schon extrem nervös, noch nervöser war. Seit einigen Jahren war er bei entscheidenden Leuten im Rückstand und hatte nun Maßnahmen eingeleitet, seine Zahlungslage zu verbessern. Es ging nämlich das Gerücht, dass gewissen Geschäftsleuten allein bei der Erwähnung der vier Buchstaben seines Vornamens speiübel wurde. Er konnte sich ausmalen, dass dieser Umstand, wenn er denn stimmte, auch nicht gut für seine Gesundheit war.
Mit seiner säumigen Zahlungsweise hatte er ihnen vor Augen geführt, wie gierig und doof sie gewesen waren, ihm aufgrund von nebulösen Versprechungen Kredite zu gewähren. Doof sieht nun mal keiner gerne aus, besonders, wenn andere bedeutende Kreise darüber lachten.
Die Außenstände summierten sich inzwischen auf einen Betrag, den sie nicht einfach still und heimlich per Radiergummi abschreiben konnten. Eigentlich schien es unmöglich, das Problem René einfach auszuradieren. Weder seine Schulden noch seine Person. Davon war er bisher relativ sicher ausgegangen, bis zu diesem Gerücht. Im „Sandmann“, seiner Stammkneipe, hatte er es erfahren.
René überlegte eigentlich seit Jahren täglich, wie er einen Ausweg aus seinem Dilemma finden könnte. Die gemächlichen Zeiten, als vom Hinterzimmer einer Gaststätte aus, bei Kippen und Schnaps namenlose Konzerne geleitet wurden, waren bekanntlich vorbei. Unmöglich für René, bei seinen Gläubigern einfach mal vorbeizugehen, um anzuklopfen, ob denn eventuell modifizierte Ratenzahlungen für ihn drin wären?
Persönliche Kontakte fanden in namenlosen Syndikaten nur noch in Chefetagen statt. Und die residierten nicht mehr in der deutschen Hauptstadt. Berlin hatte eben keinen Meerblick zu bieten.
Keiner, der im Geschäft bleiben wollte, durfte mehr Kontaktrisiken eingehen. Allein das in die Nähe kommen von zwei überwachten Handys bedeutete ja beinahe schon den technischen Beweis für einen persönlichen Kontakt. Auch wenn vor Gericht behauptet werden konnte, man sei sich zufällig begegnet. Ab einer gewissen Anzahl von Zufällen fielen solche Verteidigungsstrategien juristisch in sich zusammen.
René, der nach dem Frühstück den ganzen Vormittag in der Ankerklause am Kottbusser Damm zugebracht hatte, blieb daher nur die Möglichkeit, eine verschlüsselte Email an einen anonymen Account zu senden, um seine Geldgeber darin höflich und unterwürfig um die Stundung seiner Schulden zu bitten. Und um ihnen im nächsten Absatz gleich seinen neuesten Coup anzupreisen, der ganz gewiss ein todsicherer und lukrativer Großfisch sein würde. Sie würden schon sehen.
Vielleicht lachten sie über seine Messages wie ein Normalbürger über die wöchentlichen Witze in der Fernsehzeitung?
Von seinem Platz am Ufer des Landwehrkanals beobachtete er mehrere Wespen, die um einen übel riechenden Blumentopf roter Geranien kreisten. René hasste Geranien, und Wespen spürte er schon auf seiner Haut, wenn sie noch zwei Meter entfernt flogen. Er ahnte, diesmal würde er keine positive Antwort von seinen Gläubigern erhalten, und das bedeutete, er musste seine täglichen Gewohnheiten ändern. Nicht dort auftauchen, wo sie ihn abpassen konnten.
Den einzig überwachungsfreien Raum für die Aktivitäten solcher namenlosen Konzerne bot das globale Internet, wo weder gesetzliche Regeln noch lokale Gesetze existierten. Ansonsten war in der westlichen Welt nahezu alles überwacht. Selbst die geringsten Schätze wurden längst von Alarmanlagen höchster Präzision geschützt. Früher oder später landeten auch die gewieftesten Einbrecher auf den Fahndungslisten. Oder im Fernsehen, bei XY-Aktenzeichen ungelöst.
Eigentlich hätten sich seine Gläubiger die logische Frage stellen müssen, wie er aus seiner Lage jemals Gewinne generieren wollte, aber die ganze Fragerei hatte sich nach der Agenda ihrer Methoden bereits erübrigt.
Nachdem sie ihn wie üblich hatten bedrohen und zusammenschlagen lassen, wussten sie, bei dem Neuköllner war definitiv nichts zu holen. Also erschien es nach ihren Prinzipien ratsam, ihn noch eine Zeit lang gewähren zu lassen. Um dann, eines Tages, seine Person irgendwie nutzbringend zu verwenden. Eine übliche Variante war, einen wie ihn als Sündenbock für die Taten anderer ins Gefängnis wandern zu lassen. Bei dem Verfahren unterschieden sich Ganovenkreise nicht vom Prinzip des Bauernopfers in der Politik.
Die Hoffnung, aus seinen blumigen Versprechungen würde doch noch irgendein monetärer Gewinn resultieren, hatten die Bosse bestimmt längst aufgegeben. René war in ihren Augen zum Running-Gag mutiert: einer, der andauernd stolperte und wieder aufstand, einer, der zu ihrem Spaß um sein Leben lief.
Was sie jedoch nicht wussten und in ihren höheren Sphären auch nicht erahnen konnten, war die Fähigkeit von René, unterhalb des Radars von Polizei und Konkurrenz eine schlagkräftige Einheit aufzubauen, von denen jedes Mitglied stolz war, ihr anzugehören.
Zwei Männer fürs Grobe, Till und Drago, die er in der Merkur Spielhalle am Kottbusser Damm angesprochen hatte, nachdem sie über mehrere Stunden hohe Summen Bargeld an Automaten verspielt hatten.
Zwei Spielsüchtige, deren Bedarf an Cash enorm ausgeprägt war, die jedoch keine körperlichen Defizite aufwiesen, wie vergleichbare Suchtkandidaten aus dem Drogenmilieu. Sie schienen auf den ersten Blick etwas unbedarft, da sie ja wie Don Quichote gegen rotierende Scheiben von unbesiegbaren Automaten ankämpften, aber sie waren immerhin reaktionsschnell und auf Trab. Später erfuhr er, dass sie sich sogar mit regelmäßigem Kampfsporttraining fit hielten, und ab und an für etwas Kleingeld Berlintouristen vermöbelten.
Renés Ansprüchen kamen sie gelegen, denn bessere Mitarbeiter fand er nicht.
Intelligenz benötigte er an anderer Stelle und es war für ihn wesentlich schwieriger gewesen, jemand aus dieser Kategorie zu finden, als die beiden Schläger Till und Drago. Da sich Computerhacker zu Hause vor ihrem Rechner oder vielleicht mal in irgendwelchen Clubs und Bars mit kostenlosem Internetzugang aufhielten, ansonsten aber hauptsächlich online vernetzt waren, schien eine spontane Begegnung unvorstellbar.
Auf unwahrscheinliche Zufälle wollte René sich bei seinem Plan nicht verlassen und hatte deshalb eine Annonce platziert, deren Wortlaut, „Suche computeraffine Person für leichte Ermittlungstätigkeit“, eher unverfänglich daherkam. Ein wahres Genie dieser Branche hatte sich daraufhin bei ihm gemeldet, ohne dass es René gleich auffiel. Der Russlanddeutsche Waldemar aus Hohenschönhausen, der sich offiziell Ron nannte, wurde erst nach sorgfältiger Prüfung zum wichtigsten Spieler seines Matchplans.
„Verfluchte Wespenviecher!“
René scheuchte die immer angriffslustigeren Gelbgestreiften mit wütenden Hieben von links nach rechts, doch sie verteidigten ihr Revier, indem sie ihn im Nacken attackierten. Ihm blieb keine Wahl, er eilte zur Theke, um bei der Bedienung seinen Espressokaffee zu zahlen.