Читать книгу Kommissar Katzorke - Volker Lüdecke - Страница 7
Meister der Unauffälligkeit
Оглавление„Unsere Tickets für die Paintball Halle sind jetzt noch eine Stunde lang gültig.“
Till und Drago hatten die Halle verlassen und fuhren durch Spandau, diesen Berliner Randbezirk mit Zitadelle, vorbei an einem Möbelmarkt. Über ihre T-Shirts hatten sie weiße Backstubenkittel gezogen., Drago hatte gesprochen, Till fiel das auf.
„Backup für alle Fälle, juute Idee! Hat uns einer bei der Halle rauskommen gesehen?“
Drago schüttelte ganz leicht den Kopf, er war ein Freund von minimalen Gesten.
„In einer Stunde wird man uns da wiedersehen.“
„Perfekt!“
Drago, wie er mit den ersten beiden Silben seines Vornamens Dragomir meistens genannt wurde, war ein Meister der Unauffälligkeit. Er ging sozusagen in der Masse unter, fiel nur auf, wenn er auffallen wollte. Er beherrschte eine schier unfassbare Art, alle Blicke von sich fernzuhalten. Am helllichten Tag hätte er einen Grenzübergang zwischen Nord- und Südkorea passieren können, ohne einem der Grenzbeamten aufzufallen.
Till beherrschte die Tarnkappe nur, wenn er schweigend mit Drago mitlief und nicht daran denken musste, dass sie nicht auffallen wollten. Ansonsten fiel er nämlich auf, nahezu unvermeidlich. Schweigen konnte er nicht.
Daher die Arbeitskleidung im Stile von Bäckern. Darin würden sie zwar auffallen, aber Till würde aussehen wie Blödmannsgehilfe, ein schwatzhafter Bäckerlehrling beim Ausliefern von Backwaren. Für mögliche Zeugen würde er außerdem viel jünger aussehen als er war. Anfang zwanzig, statt Mitte dreißig. Was jede Fahndung nach ihnen erschweren sollte.
„Wie gehen wir rein?“
„Jeder Küchenchef macht nach Mittag eine Pause, wenn sein Restaurant auf der Karte Frühstück, Mittagstisch, Nachmittagskaffee mit Kuchenbuffet und Abendessen stehen hat. Wann sollte er sonst Pause machen? Um diese Zeit sind bloß ein paar Tellerwäscher in der Küche, die Töpfe und Pfannen schrubben. An denen gehen wir einfach vorbei.“
So viele Sätze in Folge hatte er von Drago noch nie gehört, Till formte eine Faust mit Daumen nach oben, er war aufgeregt. Den Wagen parkten sie zwei Straßen weiter, nahmen zwei mit Geschirrtüchern abgedeckte Körbe aus dem Kofferraum und spazierten damit über den Parkplatz zum Kücheneingang der Vivantes Komfortklinik.
Sie hatten Glück. Die weißgetünchte Metalltür vor dem Gang zur Küche stand weit offen, um frische Luft hinein zu lassen. Es war ein früher Julinachmittag mit bewölktem Himmel, die Luft staute sich in der Stadt, es war drückend heiß.
Mit geschäftiger Miene ging Drago voran. Sie gelangten durch einen kleinen Flur in die Küche, wo ein einziger Tellerwäscher schmutziges Geschirr in die Expressspülmaschine sortierte. Er vollführte dabei eine Art Tänzchen zur Reggaemusik, die aus einem kleinen Lautsprecher auf dem Fenstersims dudelte. Der Mann schien ungefähr Mitte zwanzig und war von dunkler Hautfarbe. Die beiden Ankömmlinge mit den beiden Plastikkörben auf ihren Schultern beobachtete er unauffällig. Als er die Richtung sah, in die sie gehen wollten, mischte er sich ein.
„Wohin damit?“
Fast schon an ihm vorbei und glücklich den Durchgang zum Speisesaal passiert, wendete sich Drago halb in seine Richtung, während Till stocksteif hinter ihm stehen blieb.
„Privatbestellung.“
Die Küchenhilfe nickte und drückte einen metallisch glänzenden Bügel herunter, durch den sich das riesige Maul der Spülmaschine schloss. Drago ging grußlos weiter und Till wagte nicht einmal, seinen Kopf zur Seite zu drehen.
Eilig durchquerten sie den leeren Speisesaal und gelangten in einen Flur der Klinik, der sie vor eine schier unlösbare Aufgabe stellte. Er verzweigte sich in drei Richtungen, am Ende jeden Ganges Treppen und Fahrstühle. Der ehemalige Kommissar konnte überall sein, sie wussten zwar, dass er wegen Blindheit den Dienst quittieren musste, ein vielfach verbreitetes, heiteres Bonmot in Ganovenkreisen, aber ob er sich deshalb vor Ort behandeln ließ, hatten sie nicht in Erfahrung gebracht.
Daher entfaltete Drago einen alten Zeitungsausschnitt mit einem Foto von Katzorke, das ihn noch im Dienst der Berliner Polizei zeigte und hielt es kurzentschlossen dem nächstbesten Patienten im Bademantel vor die Nase.
„Schon mal gesehen?“
Der hagere Mann auf Schlappen schüttelte sein halblanges, schlohweißes Haar und schlurfte teilnahmslos weiter den Flur entlang.
„Hoffentlich ist det keene Klapse hier.“
Till hatte seine Courage wiedergefunden und blickte sich selbstsicher um.
„Mal `ne hübsche Krankenschwester fragen?“
Drago zeigte sein verschlossenes Gesicht, was bedeutete, dass Till auf keinen Fall eine Krankenschwester ansprechen sollte.
„Immer so tun, als wüssten wir den Weg.“
Damit setzte er sich aufs Geratewohl in Bewegung. Till trippelte in kleinen Schritten mit seinem Brotkorb vor der Brust hinter ihm her. An Dragos Gewohnheit, einen Coup quasi spontan auszuführen, hatte er sich inzwischen gewöhnt. Es war seine Art, sich ein Ziel zu setzen und nur einen ungefähren Plan davon zu haben, wie er es erreichen könnte.
Einmal hatte er Till seine Vorgehensweise damit erklärt, dass ein Scheitern viel wahrscheinlicher wäre, wenn er tagelang zuvor einen Streich ausbaldowerte. Das Risiko, gesehen zu werden und durch ungewöhnliches Verhalten die Aufmerksamkeit von Zeugen auf sich zu ziehen, wäre viel höher als das spontane Betreten eines Gebäudes, um dort seine Sache zu erledigen. Katzorke einen Denkzettel zu verpassen, schien für Drago einfach zu sein.
„Bäcker beim Ausliefern von Schrippen. Versehentlich mit ´ner falschen Adresse. Kapiert, Till?“
Der nickte. Die rettende Ausrede, falls sie erwischt wurden, musste absolut überzeugend sein.
Drago hatte eigenhändig eine unleserliche Adresse auf einen Zettel gekritzelt. Gab es etwas Unverdächtigeres, als den Beruf des Bäckers?