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a) Wirkung eingetragener und bekanntgemachter Tatsachen gegenüber Dritten
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§ 15 II HGB betrifft – anders als § 15 I und III HGB – den Sachverhalt, dass Registerlage und wirkliche Rechtslage übereinstimmen. Dass ein Dritter eine eingetragene und bekanntgemachte Tatsache nach § 15 II 1 HGB gegen sich gelten lassen muss, ist auf den ersten Blick eine Selbstverständlichkeit. So kann etwa die Kündigung durch einen Prokuristen, dessen Prokura ordnungsgemäß eingetragen und bekanntgemacht wurde, nicht mangels Vorlage einer Vollmacht zurückgewiesen werden (vgl. § 174 BGB).[71] Der Regelung kommt vor allem dann besondere Bedeutung zu, wenn die bisherige Rechtslage verändert wird, zB wenn die dem P erteilte Prokura widerrufen wird. Der durch die bisherige Registereintragung oder sonstige Umstände begründete Vertrauenstatbestand, dass P nach wie vor als Prokurist für den Inhaber des Handelsgeschäfts rechtsverbindliche Erklärungen abgeben darf,[72] wird durch die Eintragung und Bekanntmachung der neuen Tatsache (Widerruf der Prokura) zerstört. Der Anmeldepflichtige kann sich nunmehr auf die Rechtsfolge des § 15 II 1 HGB berufen, muss dies aber nicht tun (Wahlrecht!).[73]
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Wiederum erfasst § 15 II 1 HGB nur eintragungspflichtige Tatsachen[74] (wie aus der mittelbaren Bezugnahme auf § 15 I HGB folgt), die zudem auch richtig sein müssen.[75]
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Beispiel:
War etwa der Widerruf der erteilten Prokura unwirksam, dann kann sich der Inhaber des Handelsgeschäfts gegenüber einem Dritten auch dann nicht darauf berufen, wenn fälschlich der Widerruf eingetragen und bekanntgemacht wurde.
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Allerdings entfaltet § 15 II 1 HGB keine generelle Sperrwirkung gegenüber der allgemeinen Rechtsscheinhaftung (Rn. 816).[76] Dies gilt insbesondere im Verhältnis zu § 172 II BGB.
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Fall 11:
G hat die Prokura von P widerrufen; der Widerruf wurde eingetragen und bekanntgemacht. Unter Vorlage einer von G unterzeichneten Urkunde, die P als Prokuristen ausweist, tätigt P für G mit D ein Rechtsgeschäft. Trotz § 15 II 1 HGB folgt hier die Vertretungsmacht des P aus § 172 II BGB.[77]
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Fall 12:
A und B haben ordnungsgemäß eine GmbH gegründet, firmieren im Rechtsverkehr aber schlicht als „A & B“. Insbesondere findet sich auf den Geschäftsbriefen des Unternehmens kein Hinweis auf die wahre Rechtsform (GmbH). Gläubiger G sieht sich durch A und B getäuscht und möchte auf die Gesellschafter persönlich zugreifen. Die aber winken ab und verweisen auf die (zutreffende) Eintragung und Bekanntmachung der GmbH im Handelsregister.
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Nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsscheinhaftung (dazu auch Rn. 816) müssen sich die GmbH-Gesellschafter A und B, weil sie die Führung des Rechtsformzusatzes zurechenbar unterlassen haben, gegenüber dem redlichen Geschäftspartner G am Eindruck der unbeschränkten persönlichen Haftung festhalten lassen.[78] Dabei ist ihnen auch der Einwand des § 15 II HGB abgeschnitten, weil andernfalls das Regelungsziel des § 4 GmbHG – gleiches gilt für § 4 AktG[79] und § 8 IV 3 PartGG[80] – verfehlt würde. Die Führung des Rechtsformzusatzes soll den Rechtsverkehr über den Haftungsausschluss der GmbH-Gesellschafter (§ 13 II GmbHG) ins Bild setzen und dem Geschäftspartner den Blick ins Handelsregister ersparen. Daher ist die Berufung auf § 15 II HGB in diesem Fall entweder mit dem BGH als rechtsmissbräuchlich iSd § 242 BGB anzusehen[81] oder die Vorschrift ist mit der vorzugswürdigen Auffassung des Schrifttums teleologisch zu reduzieren[82]. Der Dritte darf sich demnach auf den durch unzulässige Firmenführung veranlassten Rechtsschein verlassen.