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Am Rande Bayerns: Herzogtümer, Marken und Grafschaften

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907

Schlacht bei Pressburg; Niederlage des bayerischen Heeres gegen die Ungarn

970/972

Einrichtung der Marken an der Donau und an der mittleren Mur

976–994

Markgraf Leopold I.

996

Erste urkundliche Erwähnung der volkssprachlichen Bezeichnung Ostarrîchi

1027

Kaiser Konrad II. überträgt die Grafschaften Bozen und Vinschgau an den Bischof von Trient, jene im Eisack- und Inntal an den Bischof von Brixen

1075–1095

Markgraf Leopold II. von Österreich

1082

Schlacht bei Mailberg

Traditionell pflegte die österreichische Geschichtsschreibung der im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts eingerichteten bayerischen Mark an der Donau ihre bevorzugte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Entwicklung der Mark zum Herzogtum Österreich bildete gleichsam das Leitmotiv, wenn es galt, die Anfänge österreichischer Geschichte nachzuzeichnen. Und tatsächlich drängt sich aus der Rückschau und im Wissen um die späteren Ereignisse, die die babenbergische Mark zum identitätsstiftenden Nukleus größerer, den Namen Österreich tragender Staatsgebilde werden ließen, eine solche Sicht der Dinge förmlich auf. Erst in jüngerer und jüngster Zeit erfolgte hier ein Perspektivenwechsel, der den Weg für ein weniger anachronistisches Geschichtsbild freimachte. Für die Zeitgenossen des 10. Jahrhunderts mochte eine bevorzugte Stellung der babenbergischen Mark wohl noch kaum erkennbar sein. Ganz überwiegend wurde das Gebiet des heutigen Österreich damals zum ausgedehnten bayerischen Stammesherzogtum gerechnet, das sich im Südwesten weit über den Alpenhauptkamm bis in die Beckenlandschaften von Bozen und Meran erstreckte und im Südosten bis an die Save reichte. Nur im Osten gingen gegenüber der Karolingerzeit große Teile des einstigen bayerischen Ostlandes an die Ungarn verloren, bildete die Enns wiederum die östliche Grenze der Bayern, wie in den Tagen der Agilolfingerherzöge. Das Jahr 907 bezeichnet mit der Schlacht bei Pressburg für den gesamten Ostalpenraum einen tiefen Einschnitt und den endgültigen Zerfall der karolingischen Ordnung. Im Kampf (4. Juli 907), der eine rein bayerische Sache gewesen zu sein scheint – allerdings wurde der Heerbann aus der ganzen Weite des bayerischen Stammesherzogtums zusammengezogen –, fielen Markgraf Liutpold, der mächtigste Mann in Bayern, und mit ihm beinahe der gesamte bayerische Episkopat, Erzbischof Theotmar von Salzburg, die Bischöfe Udo von Freising und Zacharias von Säben. Was eine Strafexpedition gegen die Magyaren hätte werden sollen, geriet zur Katastrophe für den bayerischen Heerbann. Für die nächsten zwei Jahrzehnte war an ein offensives Vorgehen seitens der Bayern gegen die Ungarn nicht mehr zu denken. Das Gebiet östlich der Enns wurde aufgegeben, und auch der Raum östlich der Mur nahm den Charakter eines öden, den Ungarn als militärisches Vorfeld dienenden Landstreifens an. Man vermied größere kriegerische Auseinandersetzungen. Und gelegentlich dürften die Bayern wohl auch den Magyaren den Durchzug nach Westen gegen das Versprechen, sich in Bayern mit Plünderungen zurückzuhalten, zugestanden haben. So kam das bayerische Altsiedelland vergleichsweise glimpflich davon, wenngleich die Lage auch dort zeitweilig so bedrohlich schien, dass der Salzburger Metropolit in Zell am See im Pinzgau Zuflucht suchte. Dort im Alpenraum und in den südalpinen Tälern und Becken Tirols und Kärntens war man sicher, boten doch die gebirgigen und spärlich besiedelten Gegenden den siegreichen Ungarn wenig lohnende Ziele. Gänzlich dürften die Verbindungen aus Bayern in das ehemalige Ostland jenseits der Enns indessen selbst in den Zeiten größter ungarischer Bedrohung nicht abgebrochen sein. Aus dem quellenarmen frühen 10. Jahrhundert ragt die Nachricht heraus, dass Bischof Drakulf von Freising 926 mit seinem Schiff in den Donaustrudel von Grein geriet und ertrank. Keine Quelle gibt den Grund der bischöflichen Fahrt ins ehemalige bayerische Ostland an. Man hat an eine diplomatische Mission zu den Ungarn gedacht, aber auch die Visitation freisingischer Besitzungen östlich der Enns scheint als Motiv für die riskante Reise vorstellbar.

Als bestimmende Kraft ging in Bayern aus der Katastrophe von Pressburg der Liutpoldinger Arnulf hervor, der spätestens, seitdem 921/922 das Verhältnis zum neuen ostfränkisch-deutschen König Heinrich I. auf der Basis ritualisierter amicitia (Freundschaft) geklärt worden war, allgemein anerkannt den bayerischen Herzogstitel führte. Arnulfs Bruder Berthold fungierte seit Ende der 920er Jahre, vielleicht in Anknüpfung an karolingische Traditionen, als eine Art Unterherzog mit einem Mandat in Karantanien, aber auch im Südtiroler Vinschgau, ehe er dem Bruder als bayerischer Herzog nachfolgte. Tirol gewann schon damals als Passland und Zugang nach Italien zunehmend an Bedeutung, nachdem der Bayernherzog Arnulf 933/934 für seinen Sohn Eberhard die langobardische Krone zu erwerben versucht hatte. Die Entwicklung des bayerischen Südostens im 10. Jahrhundert ist aufs engste mit dem Wirken der Hochstifte, allen voran der Salzburger Metropolitankirche, verbunden. Gemeinsam sind den sonst durchaus unterschiedlichen Landschaften des Ostalpenraums die durch die geistlichen Institutionen gepflegten festen Bindungen an das alte bayerische Stammesgebiet, Bindungen, an welchen auch der zweite Machtfaktor in diesem Raum, der bayerische Adel, entscheidenden Anteil hatte. Episkopat und hoher Adel gehörten ein und demselben kleinen Personenkreis an. Im Unterschied zur spätkarolingischen Zeit waren regionale slawische Führungsschichten in diesem kaum mehr vertreten.

Die Geschichte des bayerischen Herzogtums im 10. Jahrhundert stellt sich retrospektiv als eine unausgesetzte Kette von Konflikten und Auseinandersetzungen dar. Wie ein roter Faden zieht sich durch diese im einzelnen höchst unübersichtlichen Ereignisse allein der Versuch der ostfränkisch-deutschen Könige aus dem sächsischen Haus, Bayern enger an das Königtum zu binden. Geglückt war dieses Bemühen selbst dann noch nicht, als die bayerische Herzogswürde an Mitglieder des Königshauses gelangte. Dass die Verhältnisse dessen ungeachtet tatsächlich einigermaßen stabil waren, hängt mit den adeligen Führungsschichten, die für Kontinuität sorgten, zusammen. Bayerische Adelssippen wie die Aribonen, Sighardinger oder Wels-Lambacher verfügten über ausgedehnten Besitz im gesamten südöstlichen Bayern und dominierten hier ohne größere Brüche im 10. und 11. Jahrhundert.

In ihrer Bedeutung für den Ostalpenraum nicht gering zu schätzen ist die Entscheidung König Ottos I. 952, das Herzogtum Friaul und die Markgrafschaften Verona und Istrien der Gewalt des Herzogs von Bayern zu unterstellen. Weichen für die Zukunft wurden damit gestellt. Gegenüber den Ungarn brachten die Bayern zunächst allenfalls Achtungserfolge zuwege. So fügte Herzog Berthold einer magyarischen Gruppe bei Wels 943 eine Niederlage zu. Die Epochenwende kam mit dem Sieg König Ottos I. am Lechfeld 955, ohne dass indes unmittelbar eine Offensive zur Wiedergewinnung des ehemaligen karolingischen Ostlandes eingesetzt hätte. Anscheinend fehlten dazu in Bayern noch die Kräfte, und das für längere Zeit. In Karantanien werden um diese Zeit Herrschaftsträger greifbar, die eine »übergräfliche« Stellung beanspruchen konnten. Waltpoto, Gewaltbote, nannte man sie. Ausgestattet mit einem zentralen, vielleicht königlichen Mandat erinnern sie an karolingische Königsboten. Es gibt diese Gewaltboten in Karantanien bis über die Jahrtausendwende hinaus. Als Organisationsform blieben sie vereinzelt. Offenkundig erwies sich die Mark bzw. der Markgraf als für die Erfordernisse im Südosten Bayerns besser geeignet. In den späten sechziger Jahren des 10. Jahrhunderts werden die ersten Spuren einer Markenorganisation im Ostalpenraum fassbar. Anders als im Falle der um dieselbe Zeit im sächsisch-slawischen Grenzgebiet bezeugten marchiones, die vor allem als Königsstellvertreter zu verstehen sind, lassen sich den bayerischen Markgrafen von Beginn an festere Zuständigkeitsbereiche im Grenzraum zuordnen. 970 tritt der Eppensteiner Marchwart als Markgraf im Ostland (in plaga origentali) entgegen. Der Wald Sausal (bei Leibnitz in der südlichen Steiermark) lag in seiner Mark, die im 11. Jahrhundert dann Karantanische Mark hieß. Ihr Herrschaftszentrum war die nicht sicher lokalisierbare Hengistburg. Wahrscheinlich befand sie sich – auch archäologische Befunde scheinen dies zu bestätigen – am Wildoner Burgberg.

Die erste Erwähnung eines Markgrafen an der Donau fällt in das Jahr 972. Burkhard, ein mit der bayerischen Herzogsfamilie der Liutpoldinger nahe Verwandter, Schwager der Herzogin Judith, steht am Anfang der Geschichte jener von Thietmar von Merseburg in seiner Chronik wenig später so bezeichneten Mark zwischen Ungarn und Bayern. Bald schon, im Jahre 976, musste Burkhard den Platz einem anderen räumen. An seine Stelle trat Luitpold/Leopold, Graf im Donaugau (zwischen Regensburg und Passau). Weil er zum Stammvater der Babenberger wurde, die ab nun für fast 280 Jahre lang die Geschicke des Donauraums zwischen Enns und Leitha bestimmen sollten, hat sich die ältere Forschung heftig um die Klärung der Herkunft dieses Mannes mit dem liutpoldingischen Namen bemüht. Ob er tatsächlich der bayerischen Herzogsfamilie zugerechnet werden kann, wofür nicht nur der Personenname sprechen würde, oder doch, wie der berühmte, dem babenbergischen Haus angehörige Geschichtsschreiber und Bischof von Freising Otto im 12. Jahrhundert vorsichtig andeutet, von dem 906 enthaupteten fränkischen Grafen Adalbert (von Bamberg) abstammte, lässt sich nicht entscheiden. Mit Recht bringt die heutige Geschichtswissenschaft solchen genealogischen Fragen nicht mehr jenes große Interesse entgegen wie ehedem und spürt vielmehr dem Selbstverständnis der Zeitgenossen nach. So gewinnt an Bedeutung, dass der Babenberger Otto von Freising sich dem in volkstümlichen Liedern bis in seine Zeit als Held besungenen Grafen Adalbert verwandtschaftlich verbunden fühlte, auch wenn eine patrilineare Abstammung der babenbergischen Markgrafen von diesem nach modernen genealogischen Kategorien eher unwahrscheinlich ist.

Der Zuständigkeitsbereich der ersten Markgrafen Burkhard und Leopold zeichnet sich nur sehr vage ab. Wahrscheinlich umfasste die bayerische Mark in den siebziger Jahren des 10. Jahrhunderts den Donauabschnitt von der Enns bis an die Traisen bzw. bis zum Wienerwald, wobei nördlich der Donau einzig ein schmaler Ufersaum besiedelt war, südlich die Kolonisation dagegen schon vom Alpenvorland in die größeren Seitentäler vorzustoßen begann. In der Wachau und auch anderswo im Donautal zeigen sich bayerische Hochstifte und Klöster bald höchst erfolgreich in der Reaktivierung alter Besitztitel aus der Karolingerzeit, was darauf schließen lässt, dass es über die Jahrzehnte ungarischer Herrschaft hinweg doch so manche lokale Kontinuität gegeben hat. Noch hatte die Erschließung der großen Waldgebiete abseits der Donau indes nicht in vollem Umfang eingesetzt. Neusiedler wurden jetzt vermehrt von den Hochstiften im bayerischen Westen rekrutiert, daneben nahmen auch bereits im Alpenvorland siedelnde Slawen, wie jener Gluzo, von dem der kleine Ort Gleiß an der Ybbs seinen Namen hat, am Landesausbau Anteil. Diese kolonisatorische Arbeit bestimmte die frühe Entwicklung der bayerischen Mark an der Donau mehr als kriegerische Erfolge der Bayern, welche unter Führung Herzog Heinrichs des Zänkers 991 erstmals östlich des Wienerwaldes einen Sieg über die Ungarn errangen. 1002 überschritten auch die königlichen Landschenkungen erstmals den Wienerwald. An dessen östlichen Abhängen, dazu im Weinviertel zwischen den weit auseinanderliegenden nördlichen Donauzuflüssen Kamp und March vergabte König Heinrich II. dem Babenberger Markgrafen Heinrich I. in diesem Jahr ausgedehnteren Besitz als Legitimation und Auftrag gleichermaßen zur Erschließung des dünnbevölkerten Landes. Im Kerngebiet der Mark an der Donau trieben die Passauer Diözesanbischöfe unterdessen im Zusammenwirken mit dem König, der der Passauer Kirche 1014 an fünf Orten im Ostland Gut jeweils für die Errichtung einer Kirche und den Unterhalt des Geistlichen zuwies, die Seelsorge- und Pfarrorganisation energisch voran. Den Kirchenzehent im Markengebiet nördlich der Donau erhielt Passau 1025 durch König Konrad II. zugesprochen. Schritt um Schritt nahm die Mark der Babenberger nun Konturen an. Der erste seiner Familie vielleicht, der seine Hauptinteressen in der Mark sah, war der Babenberger Adalbert (1018–1055), auch er noch ein Sohn des Markgrafen Leopold I. Hatte die Ehe des ungarischen Königs Stephan mit der bayerischen Herzogstochter und Schwester Kaiser Heinrichs II., Gisela, dem bayerisch-ungarischen Grenzraum mehrere friedlichere Jahrzehnte beschert, so trat man um 1030 wieder in eine Phase der kriegerischen Auseinandersetzung mit den Ungarn ein. Mehrere Kriegszüge König Heinrichs III. gegen die Magyaren in den vierziger Jahren des 11. Jahrhunderts ließen schließlich March und Leitha zur dauerhaften Grenze des Reichs werden. Der König gedachte, den von den Ungarn aufgegebenen, schmalen siedlungsleeren Streifen im östlichen Weinviertel und zwischen Fischa und Leitha durch eine neue Mark militärisch-administrativ zu organisieren. Eventuell, so glaubte die ältere Forschung, könnte der Salier analog zu dieser »ungarischen« Mark auch im Norden der alten bayerischen Mark eine »böhmische« Mark eingerichtet haben. Letzteres gilt heute freilich als widerlegt, die »böhmische« Mark Heinrichs III. als eine Konstruktion der Gelehrten des 19. und 20. Jahrhunderts. Was die 1045 erstmalig bezeugte »ungarische« Mark (Neumark) betrifft, so blieb deren Existenz ephemer. Bereits um die Mitte des Jahrhunderts scheint der östliche Grenzstreifen in der alten bayerischen Mark der Babenberger aufgegangen zu sein.

Einen Namen für die bayerische Mark im Osten kannte die politische Sprache um die Jahrtausendwende noch nicht. Den Gewohnheiten der Zeit entsprechend identifizierte man die Mark in den Königsdiplomen mittels der Person des Markgrafen, den Begriff marchia orientalis (Ostmark) gebraucht erst Otto von Freising im 12. Jahrhundert in seinen Gesta Friderici imperatoris (Die Taten des Kaisers Friedrich [Barbarossa] ). Das lateinische oriens oder orientalis kommt nur in Verbindung mit geographischen Gegendbegriffen vor, und mit einem solchen Gegendbegriff verknüpft erscheint auch 996 der zukunftsträchtige Name Ostarrîchi (Gebiet im Osten) zum ersten Mal bezogen auf einen Landstrich in der bayerischen Mark an der Donau. Am 1. November dieses Jahres schenkte Kaiser Otto III. dem Hochstift Freising Besitz in Neuhofen im heutigen westlichen Niederösterreich. Diese Güter lagen – so das kaiserliche Diplom – in der Mark und Grafschaft des Grafen Heinrich, des Sohnes des Markgrafen Leopold, in einem volkssprachlich Ostarrîchi genannten Gebiet. Indem Ostarrîchi in der Folge häufiger mit der Bezeichnung pagus (Gau) und nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zuletzt auch mit marcha (Mark) verbunden wurde, entwickelte sich daraus langsam der Name für die bayerische Mark an der Donau.

Keine einzige historiographische Quelle berichtet von der Entstehung des Herzogtums Kärnten, einem Ereignis, das die politische Gliederung des Ostalpenraums im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts wesentlich umgestaltete. Nachdem Kaiser Otto II. den stets unruhigen Bayernherzog Heinrich den Zänker im Jahre 976 abgesetzt hatte, tritt ein Angehöriger des alten liutpoldingischen Hauses namens Heinrich als Herzog der Karantanen entgegen. Dass damals eine Abtrennung Kärntens von Bayern erfolgte, lässt sich allenfalls aus späterer Sicht erkennen. Für die Zeitgenossen mochte die Situation durchaus nicht so neu und bemerkenswert scheinen. Man denke nur an das karantanische (Unter-)Herzogtum des Liutpoldingers Berthold neben dem Bruder Herzog Arnulf von Bayern in den zwanziger Jahren des 10. Jahrhunderts. Berthold und Arnulf waren Vater bzw. Onkel des 976 von Kaiser Otto II. installierten Kärntner Herzogs, dessen Zuständigkeitsbereich sich aus den spärlich verfügbaren Quellen im übrigen kaum deutlicher abzeichnet als jener seines Vaters Berthold fünf Jahrzehnte früher. Eine immer noch sehr in anachronistischen territorialen Kategorien verhaftete Geschichtsschreibung sieht das Kärntner Herzogtum des ausgehenden 10. Jahrhunderts gerne als ein großes, vom Alpenhauptkamm bis an die Save und von Verona bis zum Semmering sich erstreckendes politisches Gebilde. Tatsächlich konnte die Markgrafschaft Verona als zum Königreich Italien gehörig gar nicht Teil des Herzogtums Kärnten sein. Hier bestand nur eine Personalunion, auch wenn die Mark Verona ihres höheren Entwicklungsstandes wegen im 11. Jahrhundert häufig den Interessenschwerpunkt der Kärntner Herzöge bildete. Aber auch die Mark an der mittleren Mur dürfte ungeachtet der zeitweiligen Benennung als Karantanische Mark wohl nicht zum Herzogtum Kärnten gehört haben, sondern mit Bayern verbunden geblieben sein. Als folgenschwer für die hochmittelalterliche Entwicklung sollte es sich erweisen, dass die Kärntner Herzöge in raschem Tempo wechselten – bei zwölfmaligem Wechsel zehn verschiedene Herzöge innerhalb von einem Jahrhundert – und sich keine dynastische Kontinuität einstellte. Zwar entstammten die Herzöge den ersten Familien des Reichs wie der Salier Otto von Worms (reg. 978–985 und 995–1004), der Großvater Kaiser Konrads II., Welf III. (reg. 1047–1055) oder Berthold von Zähringen (reg. 1061–1077), doch deren eigentliche Interessen lagen fernab von Kärnten, und auch über Besitz in »ihrem« Herzogtum verfügten sie nur sehr begrenzt oder gar nicht. Weit davon entfernt, die Position der Kärntner Herzöge stärken zu wollen, legten die römisch-deutschen Könige und Kaiser die für den Weg nach Italien geopolitisch wichtigen Plätze im karantanischen Zentralraum seit dem Ende des 10. Jahrhunderts in die Hände der hohen Geistlichkeit. So gelangte das an einer Schüsselstelle des Nord-Süd-Verkehrs gelegene Villach durch Kaiser Heinrich II. an die von diesem gestiftete Bamberger Kirche. Auch das Erzstift Salzburg wurde reich bedacht.

Mehr noch als in Kärnten prägte die ottonisch-salische Reichskirchenpolitik die Geschicke der Landschaften an Inn, Etsch und Eisack. Die hervorragende geopolitische Lage rückte das Passland Tirol in den Mittelpunkt der Interessen der römisch-deutschen Könige, die vermehrt Brenner und Reschen für ihren Weg aus dem Norden nach Italien wählten. Um diesen strategisch so wichtigen Verkehrsweg in sicheren Händen zu wissen, betrauten die römisch-deutschen Herrscher seit Heinrich II. die Bischöfe von Brixen und Trient mit der Ausübung weltlicher Hoheitsrechte im Tiroler Raum. Ganze Grafschaften gelangten an die Bischöfe, so bereits 1004 die Grafschaft Trient an den dortigen Oberhirten. Seinen Höhepunkt erreichte das sogenannte ottonisch-salische Reichskirchensystem unter Kaiser Konrad II., der dem Trienter Bischof 1027 die Schenkung von 1004 bestätigte und die Grafschaften Vinschgau und Bozen hinzufügte. Gleichzeitig bedachte der Salierkaiser den Brixner Bischof Hartwig mit den Grafschaften im Inn- und Eisacktal. Dem Reichsoberhaupt treu ergebene Gefolgsleute geistlichen Standes, die ihr Bischofsamt zudem in den meisten Fällen der Gunst des Kaisers verdankten, verwalteten nun die Grafenrechte nahezu im gesamten Bereich der Tallandschaften des späteren Landes Tirol. Wie nahe diese geistlichen Herrschaftsträger dem Kaiser waren, macht die Karriere des Brixner Bischofs Poppo (reg. 1039–1048) deutlich. Häufig in der Umgebung Kaiser Heinrichs III. anzutreffen, begleitete er diesen 1046 nach Rom, wirkte an einschneidenden kirchenpolitischen Maßnahmen (Synode von Sutri) mit und bestieg schließlich als Damasus II. den Papststuhl. Gleich seinem Vorgänger Clemens II. / Suidger von Bamberg behielt er auch als Papst sein Bistum. Nach einem kurzen Pontifikat ist er 1048 gestorben.

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