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Gesellschaft im Aufbruch

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Schon seit dem späteren 11. Jahrhundert nahmen die Bevölkerungszahlen kontinuierlich zu, doch zwischen 1170 und 1250 erreichte die demographische Entwicklung eine bis dahin unbekannte Dynamik. Mit dem kräftigen Zuwachs der Bevölkerung gingen Rodung und Binnenkolonisation Hand in Hand. Das Gebiet des heutigen Österreich hatte maßgeblich Anteil an der epochalen hochmittelalterlichen Kolonisationsbewegung. Bis zum 13. Jahrhundert war die Siedlung in die entlegensten Teile des Waldviertels oder der Oststeiermark, aber auch im alpinen Tirol auf Höhen von über 2000 Metern vorgestoßen. Während die Siedler anfänglich überwiegend aus dem bayerischen Altsiedelland gekommen sein dürften – geistliche und adelige Grundherren förderten die Migration ihrer Untertanen –, machte die Bevölkerungszunahme schon bald Rodung durch Leute aus der näheren Umgebung möglich. Die ethnischen Verhältnisse haben durch den hochmittelalterlichen Rodungsvorgang namentlich in Kärnten und in der Steiermark erhebliche Veränderungen erfahren. Im 13. Jahrhundert überlagerte die bayerische Kolonisation die bis dahin überwiegend slawisch besiedelten Gebiete Oberkärntens und der Obersteiermark. Um dieselbe Zeit setzte im westlichen, noch kaum erschlossenen Grenzsaum des Königreichs Ungarn, jenem Gebiet, welches heute das österreichische Bundesland Burgenland bildet, die Einwanderung deutschsprachiger Siedler ein.

Parallel zur Endphase der Kolonisationsbewegung erfolgte die große Welle der Städtegründungen, nach außen fassbar im planmäßigen Ausbau mit regelmäßigen Grundrissen und großen, meist rechteckigen Platzanlagen. Reine Gründungsstädte wie Wiener Neustadt waren eher die Ausnahme, zumeist gingen ältere Burg- oder Marktsiedlungen voraus, die planmäßig erweitert wurden. Endpunkt der um 1190 beginnenden Städtegründungsphase war die Herrschaft König Otakars von Böhmen, während der Stadtanlagen wie Marchegg, Leoben oder Bruck an der Mur entstanden. Kennzeichnend für die im Hochmittelalter ausgebildete österreichische Städtelandschaft ist das Vorherrschen kleiner Städte. Nur Wien, das in der späten Babenbergerzeit schon 10 000 Einwohner gezählt haben dürfte, ragt hier heraus. Insgesamt ist der Urbanisierungsgrad in den alpinen Regionen Tirols, Salzburgs, der Steiermark oder Kärntens als niedrig einzustufen, etwas höher war er im Donauraum. Für den Status einer urbanen Siedlung war die Stellung des Gründers entscheidend. Fürstliche Gründungen entwickelten sich fast immer zu Städten, Bürgersiedlungen in adeliger Hand blieben dagegen vorwiegend Märkte. Was die Ausbildung kommunaler Strukturen betrifft, tun sich bei den Bürgersiedlungen im Ostalpen- und Donauraum große Unterschiede auf. Die ältesten Stadtrechte von Enns (1212) und Wien (1221) lassen bereits ratsähnliche Führungsgremien als Organe einer rechtlich handlungsfähigen Bürgergemeinde erkennen. Vielfach erfolgte die Ausformung einer kommunal verfassten Bürgerstadt freilich erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts, und manchen Städten mit bischöflichem Stadtherrn blieben städtische Magistrate bis weit ins Spätmittelalter hinein überhaupt verwehrt.

Auf die Landwirtschaft wirkten im Hochmittelalter verschiedene Veränderungen ein, von welchen die wichtigste die Zurückdrängung der sogenannten Villikationsverfassung (Meierhofwirtschaft) darstellte. An die Stelle der großen, durch unfreie Knechte und Mägde bewirtschafteten Fronhöfe traten kleine Wirtschaftseinheiten, Hufen oder Huben, die vom Grundherrn gegen jährliche Abgaben in Naturalien und/oder Geld an bäuerliche Hintersassen verliehen wurden. Dieser agrarstrukturelle Wandlungsprozess, der einen mehr oder minder einheitlichen Bauernstand entstehen ließ, zeichnet sich aus den wenigen verfügbaren zeitgenössischen Quellen freilich nur bruchstückhaft ab. Es hat den Anschein, dass das Villikationssystem beim Siedlungsausbau des 12. Jahrhunderts kaum noch angewandt wurde, zumal im alpinen Gelände, wo große Fronhöfe in Eigenregie des Herrn aufgrund der naturräumlichen Bedingungen unzweckmäßig erscheinen mussten. Nur im Altsiedelland lassen sich Villikationen vereinzelt noch bis ins 13. Jahrhundert nachweisen, ehe sie auch dort aufgegeben wurden. Dem allgemeinen Zug zur Grundherrschaft folgten selbst die Zisterzienser, die bei ihren ersten Niederlassungen im Ostalpenraum ihrer Ordenspraxis entsprechend auf große Eigenwirtschaften (Grangien) gesetzt hatten, bald aber zum grundherrschaftlichen System übergingen und ihre Gutsbetriebe in bäuerliche Hufen zerteilten. Die soziale und wirtschaftliche Situation des einzelnen Bauern im System »Grundherrschaft« hing ganz wesentlich von den Bedingungen ab, unter denen ihm ein Grundherr seine Hufe übertragen hatte. Schrittweise kommen im Hochmittelalter für den Bauern günstigere Leiheformen auf, wenngleich das Freistiftrecht, das es dem Grundherrn erlaubte, das Leiheverhältnis nach Jahresfrist aufzukündigen, noch weit verbreitet gewesen sein dürfte. Freiere Leiheformen (Bergrecht, Burgrecht) begünstigte insbesondere der Weinbau. Das zeigt ganz deutlich die seit dem 12. Jahrhundert entstehende »donauländische marktorientierte Weinbaulandschaft« (Roman Sandgruber ).

Der Handel kam im Ostalpenraum seit dem 12. Jahrhundert erst langsam in Schwung. Zollstellen, aber auch Hospize für Reisende dokumentieren den wachsenden Nord-Süd-Verkehr über die Alpenpässe. Noch bleiben die Kontakte zwischen den babenbergischen Ländern und Venedig freilich spärlich. Einen größeren Aufschwung erlebte der Donauhandel. Das bezeugt die 1191 vom steirischen Herzog Otakar erlassene Marktordnung für Enns, in der Kaufleute aus Maastricht, Köln, Aachen und Ulm genannt werden. Aus Russland bezog man Pelze und Wachs, aus Nordwesteuropa kamen Tuche. Führend waren im Donauhandel die Regensburger Kaufleute, deren Hansgrafen 1191 in Enns auch die organisatorische Leitung des Marktverkehrs übertragen wurde. Um diese Vorherrschaft der Regensburger zu brechen und die einheimischen Kaufleute am Zwischenhandel verdienen zu lassen, gewährte der Babenberger Herzog Leopold VI. den Wienern 1221 ein Stapelrecht, das fremden Kaufleuten den Warenverkehr nach Osten über Wien hinaus untersagte.

Ein unschätzbares Kapital des Ostalpenraums stellten die reichen Vorkommen an Eisenerz, Silber, Buntmetall und Salz dar. Eisengewinnung ist am steirischen Erzberg seit dem 12., im Kärntner Hüttenberg seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar. Bei Friesach (Kärnten) gab es einen bedeutenden Silberbergbau, dem die Stadt ihre führende Stellung im hochmittelalterlichen Münzwesen verdankte. Am wichtigsten war aber das Salz. Die wachsende Bevölkerung ließ die Nachfrage nach Salz rasant steigen. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts begann man mit dem Abbau im steirischen Aussee. 1191 wurde der Abbau am Salzburger Dürrnberg aufgenommen. Die Erzbischöfe von Salzburg haben hier alles unternommen, um diese Salzvorkommen optimal zu nutzen und dem Salz vom Dürrnberg Absatzmärkte zu erschließen. Das verkehrsmäßig günstig an der Salzach gelegene Hallein war Sitz der Saline, die binnen weniger Jahrzehnte zur größten Mitteleuropas ausgebaut wurde. Fast ein Jahrhundert nach der Aufschließung des Dürrnbergs ließ der Tiroler Graf Meinhard II. mit dem Salzsieden in den Pfannhäusern von Hall im Inntal beginnen.

Spezialisierte metallverarbeitende Gewerbe, die sich mit den Zentren an der Maas oder in Köln hätten messen können, gab es damals im Ostalpenraum nicht. Das Stift Klosterneuburg gab den berühmten Verduner Altar, ursprünglich eigentlich die Verkleidung eines Kanzel-Ambos, bei dem aus Lothringen stammenden Goldschmied und Emailmaler Nikolaus von Verdun in Auftrag. In dessen Werkstatt, vielleicht in Köln, werden die 45 Kupferemailtäfelchen entstanden und dann 1181 in Klosterneuburg zusammengefügt worden sein. Für den hohen Stand des Baugewerbes im Ostalpenraum fehlt es dagegen nicht an eindrucksvollen Zeugnissen. Der Burgenbau machte rasch Fortschritte, und Klosteranlagen entstanden verbreitet im Land. Alles übertraf der neue von Erzbischof Konrad III. 1181 begonnene Salzburger Dom, der in seinen Dimensionen an Alt St. Peter in Rom Maß nahm. Durchaus Beachtung verdienen aber auch bautechnische Leistungen wie der später so genannte Salzburger Almkanal. Schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ließen das Salzburger Domkapitel und die Abtei St. Peter einen 370 Meter langen Stollen durch den Salzburger Mönchsberg schlagen, um Wasser in die Stadt zu leiten.

Aufbruch und Aufschwung kennzeichnen nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sie prägen das gesamte gesellschaftliche Gefüge. Der Aufstieg der ursprünglich unfreien Ministerialen ist hier das ohne Zweifel bedeutsamste soziale Phänomen. Es lässt sich im 13. Jahrhundert überall in den Ländern des Ostalpenraums beobachten, dass Ministerialen und Hochfreie zu einer einheitlichen neuen Adelsschicht verschmelzen. Durch letzte, den Ministerialen anhaftende Relikte der Unfreiheit wurde dieses Zusammenwachsen nicht behindert, ja eigentlich müsste man fast von einem Aufgehen der wenigen gräflichen und freien Geschlechter im neuen durch die Ministerialität geprägten Adel sprechen. Die Ministerialen stehen im übrigen auch mit der zweiten dynamischen Entwicklung im hochmittelalterlichen Sozialgefüge, dem Aufstieg der städtischen Bevölkerung, in enger Verbindung. Die jüngere Forschung hat klar herausgestellt, dass die Ministerialität ein wichtiges Bindeglied zwischen Stadt und Herrschaft bildete. Gerade bei kleineren österreichischen Städten übernahmen Ministerialen häufig in einer ersten Phase die Führungsrolle im Auf- und Ausbau. Bei alten Burgsiedlungen wie Steyr oder Judenburg entwickelte sich dauernd oder zeitweilig eine von der Bürgergemeinde getrennte Organisation der stadtsässigen Ministerialen. Demgegenüber bildeten in Wien Ritter und Bürger zusammen die städtische Führungsgruppe.

Am Beginn jüdischen Lebens in Österreich steht der Name Schlom. Als Münzmeister des österreichischen Herzogs in mächtiger Stellung, konnte ihn dies dennoch nicht davor bewahren, samt seiner Familie von durchziehenden Kreuzfahrern 1196 ermordet zu werden. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden jüdische Gemeinden in den wichtigsten Städten des babenbergischen Herrschaftsbereiches, wobei Wien und Wiener Neustadt vorangingen. Mit den Städten Villach und Friesach erreichte die jüdische Ansiedlung dann bald auch den südalpinen Raum. Zu einer ersten Regelung der rechtlichen Stellung der jüdischen Bevölkerung in Österreich entschloss sich Herzog Friedrich II. im Jahre 1244. Vorausgegangen war eine Privilegierung der Wiener jüdischen Gemeinde durch Kaiser Friedrich II. 1238, von der sich die herzogliche Judenordnung aber deutlich absetzte. Vor allem suchte der Babenberger den Schutz der jüdischen Bevölkerung durch schärfere Strafen für Übergriffe und Zuwiderhandeln wirkungsvoller zu gestalten. Indem die herzogliche Gesetzgebung das Schwergewicht auf die Regelung des jüdischen Pfand- und Kreditgeschäftes legte, kommt freilich das vorwaltend fiskalische Interesse des Babenbergers zum Ausdruck, der für sich das Judenregal beanspruchte, auch wenn er es in der Ordnung vermied, die Juden ausdrücklich als »herzogliche Kammerknechte« zu bezeichnen. Weit über die Grenzen Österreichs hinaus hat diese Judenordnung von 1244 Vorbildwirkung besessen.

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