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Die Formierung der österreichischen Erblande (1335–1365)
ОглавлениеDie Jahrzehnte zwischen 1335 und 1365 stellen die entscheidende Phase für die Formierung der österreichischen Erblande dar. Es war der Zerfall des aus Tirol und Kärnten gebildeten meinhardinischen Länderverbundes, der den Weg freimachte für die Habsburger. Dass es diesen schlussendlich gelingen würde, das gesamte Erbe der Meinhardiner ihrer Hausmacht einzuverleiben, war freilich nicht abzusehen, als Herzog Heinrich von Kärnten am 2. April 1335 starb. Heinrich hatte drei Ehen geschlossen, ohne dass einer der Verbindungen ein Sohn entsprossen wäre, weshalb die Tochter Margarethe – die zweite Tochter Adelheid galt als unheilbar krank – als Erbin des meinhardinischen Länderkomplexes in den Mittelpunkt intensivster territorial- und dynastiepolitischer Operationen und Allianzen rückte. Die Anwartschaft auf die beiden Länder Tirol und Kärnten weckte Begehrlichkeiten bei allen drei Großdynastien des Reichs, den Luxemburgern, den Habsburgern und den Wittelsbachern. Wohl war das alte meinhardinisch-habsburgische Bündnis nicht gänzlich zerbrochen. Auf Vermittlung der Habsburger ging Heinrich 1328 mit Gräfin Beatrix von Savoyen (gest. 1331) eine dritte Ehe ein, und sicherlich nicht zufällig ließ der Meinhardiner um 1325 seine großzügige Klosterstiftung, die Kartause im Südtiroler Schnalstal, vom niederösterreichischen Mauerbach, der Stiftung Friedrichs des Schönen, besiedeln. Das Rennen um die Hand der Erbtochter Margarethe machten indes die böhmischen Luxemburger, die damals gerade an dem Aufbau eines eigenen Territoriums in Oberitalien arbeiteten. Große finanzielle Versprechungen des böhmischen Königs an Heinrich gaben den Ausschlag, dass die zwölfjährige Margarethe 1330 mit dem um vier Jahre jüngeren Prinzen Johann Heinrich, Bruder des nachmaligen Kaisers Karl IV., vermählt wurde.
Die Heirat der Tiroler Erbtochter Margarethe mit dem Luxemburger ließ Wittelsbacher und Habsburger zur Wahrung ihrer Interessen in der Kärnten-Tiroler Sukzessionsfrage zusammenrücken. Nachdem Friedrich der Schöne im Jänner 1330 gestorben war, vertraten dessen Brüder Albrecht II. und Otto (»der Fröhliche«), die letzten überlebenden Söhne König Albrechts I., die Interessen des habsburgischen Hauses. Der ältere der beiden, Albrecht (geb. 1298), war zunächst für den geistlichen Stand bestimmt gewesen, besaß auch bereits eine Passauer Domherrenpfründe, heiratete aber dann 1324 Johanna, die Erbtochter des Grafen Ulrich von Pfirt (im Oberelsass). In den Vordergrund rückte der politisch Begabte nach dem Tod des Bruders Leopold I. (1326). Doch schon 1330 sah sich Albrecht infolge einer schweren Erkrankung, die zu Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen führte, an den Lehnstuhl gefesselt und in vielen Belangen auf die Hilfe des jüngeren Bruders Otto angewiesen. Dieser übernahm denn auch die Federführung bei der Annäherung zwischen Habsburgern und Wittelsbachern. Weil weder Albrecht II. noch Otto ernstlich an eine römisch-deutsche Thronkandidatur denken konnten, gelang der Ausgleich der beiden Häuser rasch, und die Verhandlungen mündeten im November 1330 sogar in ein geheimes Bündnis. Kaiser Ludwig versprach, die Habsburger Albrecht und Otto nach dem Tod des Meinhardiners Herzog Heinrich mit dem Herzogtum Kärnten zu belehnen. Im Sinne dieser habsburgisch-wittelsbachischen Absprache wurde Ludwig der Bayer sodann nach dem Tod Herzog Heinrichs tatsächlich aktiv. Mit dem Argument, dass beide Länder ohne legitimen Erben an das Reich heimgefallen seien, belehnte er die Habsburger Albrecht II. und Otto am 2. Mai 1335 in Linz mit dem Herzogtum Kärnten und dem südlichen Teil der Grafschaft Tirol, deren nördlichen Teil – jenseits von Franzensfeste im Pustertal, dem Jaufenpass und Finstermünz – er seinem, dem wittelsbachischen Haus zuzuwenden gedachte. Das war nun allerdings ein auf dem politischen Reißbrett gezirkeltes Programm. Die Pfandherrschaft Herzog Heinrichs in Krain kam gar nicht zur Sprache, dieses Land fiel scheinbar problemlos an die Habsburger, die seit 1282 nominell damit belehnt waren. In Kärnten hatten die Herzöge Albrecht und Otto einer Herrschaftsübernahme durch Vereinbarungen mit den im Herzogtum reich begüterten Kirchenfürsten von Salzburg und Bamberg erfolgreich vorgearbeitet. Und auch die bereits bestehenden engen personellen Verflechtungen des Kärntner Adels mit dem der benachbarten habsburgischen Steiermark erleichterten die Etablierung der neuen habsburgischen Herrschaft in Kärnten. Kluger politischer Respekt vor den wirkmächtigen Symboltraditionen des Herzogtums ließ es Otto geboten erscheinen, sich unverzüglich am 2. Juli 1335 den Zeremonien der Herzogseinsetzung am Kärntner Fürstenstein in Karnburg zu unterziehen, obgleich das eigenwillig archaische Ritual beim habsburgischen Gefolge Ottos hauptsächlich auf Unverständnis stieß.
Fand also die habsburgische Herrschaft in Kärnten rasche Zustimmung, so reagierte man in Tirol ganz anders auf die Entscheidungen Kaiser Ludwigs. Der Adel des Landes, der in diesen Jahren immer mehr in die Rolle des »Königsmachers« hineinwuchs, hielt zur Meinhardiner Erbin Margarethe und deren luxemburgischem Ehemann. Dem jungen Paar stand Markgraf Karl von Mähren, der ältere Bruder Johann Heinrichs, tatkräftig zur Seite, derart, dass Wittelsbacher und Habsburger nicht dazu kamen, ihre Ansprüche auf Tirol zu verwirklichen. Von habsburgischer Seite wurde die ohnedies halbherzig geführte militärische Auseinandersetzung im Frieden von Enns (9. Oktober 1336) beendet. Die Herzöge Albrecht II. und Otto verzichteten gegenüber König Johann von Böhmen auf sämtliche Rechte in Tirol, und schließlich erklärte sich auch Kaiser Ludwig zur Anerkennung der Herrschaft Margarethes und Johann Heinrichs über Tirol bereit. In Tirol selbst begann sich indes alsbald Widerstand gegen die rigide Personalpolitik der Luxemburger zu regen. Markgraf Karl von Mähren, der spätere Kaiser, der in seiner Autobiographie eine anschauliche, wenngleich durchaus subjektive Schilderung seines damaligen Wirkens in Tirol hinterlassen hat, sorgte für die Einsetzung von luxemburgischen Gefolgsleuten als Bischöfen von Trient (Nikolaus von Brünn ) und Brixen (Matthäus ). Auch andere wichtige Posten im Land wurden mit Böhmen besetzt. Um vermeintlichen oder auch tatsächlichen Verschwörungsneigungen im Tiroler Adel zu begegnen, installierte Karl zuletzt sogar eine böhmische Besatzung auf Schloss Tirol. Der ob dieser Maßnahmen sich weiter verstärkenden Adelsopposition blieb indes nicht verborgen, dass die Landesfürstin Margarethe ihrem luxemburgischen Ehemann mit wachsender Abneigung begegnete. Ein Zusammenspiel von Adel und Fürstin, in das vielleicht der Wittelsbacher Kaiser Ludwig bereits von Beginn an einbezogen wurde, zeichnete sich ab. Am Allerseelentag des Jahres 1341 suchte Johann Heinrich von Luxemburg auf der Rückkehr von der Jagd vergeblich Einlass in Schloss Tirol. Diese in die Tiroler Geschichte eingegangene Szene war das Signal zum Sturz der Luxemburger Herrschaft. Johann Heinrich wurde von seiner Frau verstoßen und samt der böhmischen Besatzung aus dem Land gejagt. In den letzten Novembertagen 1341 verhandelten führende Repräsentanten des Tiroler Adels schon in München über eine Ehe Margarethes mit dem soeben verwitweten ältesten Sohn des Kaisers, dem Markgrafen Ludwig von Brandenburg. Der Preis, den die Wittelsbacher für die Gewinnung Tirols zu zahlen hatten, war eine umfassende Urkunde, in der Ludwig von Brandenburg sich dazu bekannte, die seit den Tagen Meinhards II. üblichen Rechte des Landes zu achten, die gegenwärtigen Amtsträger zu belassen, keine ungewöhnlichen Steuern zu erheben, keine Burgen an Landfremde zu übertragen und die Erbfürstin Margarethe nicht außer Landes zu führen. Unschwer sind hinter den Versprechungen die Interessen des Tiroler Adels erkennbar, und ganz sicher verrät diese von der Landesgeschichtsschreibung zur »Magna Charta« Tirols hochstilisierte Urkunde vom 28. Jänner 1342 noch nichts über eine Landstandschaft der Tiroler Bauern. Im Februar 1342 heiratete Margarethe in einem höchst problematischen Verfahren – die Ehe mit dem Luxemburger Johann Heinrich war nicht rechtsgültig geschieden – Markgraf Ludwig von Brandenburg. Anschließend erteilte Kaiser Ludwig dem Paar die Belehnung mit Tirol und Kärnten. Letzteres sorgte bei den Habsburgern, die die Tiroler Vorgänge bisher mit Zurückhaltung verfolgt hatten, immerhin für so viel Unruhe, dass es Herzog Albrecht II. angeraten schien, sich der Kärntner Herrschaft durch einen neuerlichen Vollzug der Herzogseinsetzungszeremonien zu versichern – Otto der Fröhliche, der sich 1335 dem Ritual am Fürstenstein unterzogen hatte, war 1339 gestorben. Die Zeremonien fanden mit Rücksicht auf Albrechts körperliche Behinderung in entsprechend abgewandelter Form statt.
Zu einer schärferen Frontstellung gegenüber den Wittelsbachern war Herzog Albrecht II. nicht geneigt. Seine vorsichtige Politik zielte auf gleichermaßen gute Beziehungen zu beiden damals den Habsburgern klar überlegenen großdynastischen Konkurrenten, Wittelsbachern und Luxemburgern. Die Annäherung an die Luxemburger fand 1344 in einer Heiratsabrede ihren Ausdruck. Der älteste Sohn Albrechts, der 1339 geborene Rudolf (IV.), wurde mit Katharina, der Tochter des Luxemburgers Karl, verlobt. Die Hochzeit fand 1353 in Prag statt. Herzog Albrecht hielt aber auch zum gebannten Wittelsbacher Kaiser Ludwig bis zu dessen Tod 1347 Kontakt und, weil er Tirol lieber in der Hand der Wittelsbacher als in der der Luxemburger sah, setzte sich an der Kurie für Ludwig den Brandenburger und Margarethe ein, um eine Annullierung der ersten Ehe der Tiroler Erbfürstin zu erwirken. Kriegerischen Auseinandersetzungen ging Albrecht nach Möglichkeit aus dem Weg, einzig der sogenannte »Alte Zürichkrieg« (1351–1355) nötigte den Habsburger in den westlichen Stammlanden der Familie zu einem kostspieligen militärischen Kräftemessen mit der werdenden Eidgenossenschaft. Die eigentlichen Interessen Albrechts galten der Konsolidierung des habsburgischen Länderkomplexes nach innen. Diesem Ziel diente das vom Luxemburger Karl IV. bald nach dessen Königswahl erwirkte Privilegium de non evocando für alle habsburgischen Territorien. Es untersagte die Ladung habsburgischer Untertanen vor auswärtige Gerichte, auch die des Königs. Ein stärkerer Zusammenhalt der bisher nur durch die Dynastie verklammerten Länder sollte durch die sachte Angleichung der Landrechte in der Steiermark, Kärnten und Krain erreicht werden. 1355 gab Albrecht eine Hausordnung, die die drei Söhne Rudolf (IV.), Albrecht (III.) und Leopold (III.) zu gemeinsamer Regierung verpflichtete, jede Teilung der habsburgischen Länder ausschloss und die Landherren, den hohen Adel, der Länder Österreich, Steiermark und Kärnten zu Garanten der Einheit der habsburgischen Herrschaft berief. Man vermeint in diesen Jahren schon so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl aller habsburgischen Länder erkennen zu können. Der bedeutende Geschichtsschreiber Johann von Viktring beschwor in seinem von Herzog Albrecht angeregten historiographischen Hauptwerk, dem von ihm selbst so genannten Liber certarum historiarum (Buch gewisser Geschichten), ein gemeinschaftliches auf die Habsburger ausgerichtetes Landesbewusstsein. Wenngleich sich eine direkte Wirkung solcher intellektueller Propagierung schwer fassen lässt, mag Johann doch einem wachsenden Gemeinschaftsgefühl in den habsburgischen Ländern Ausdruck verliehen haben.
Als Herzog Albrecht II. am 20. Juli 1358 annähernd sechzigjährig in Wien starb, hielt sich der älteste Sohn Rudolf IV. in den habsburgischen Vorlanden im Westen auf, deren Verwaltung ihm der Vater 1357 übertragen hatte. Dass der junge Fürst nicht gesonnen war, die auf Ausgleich bedachte Politik Albrechts II. fortzusetzen, konnte man schon an seinen ersten Regierungshandlungen in Schwaben und Elsass unschwer ablesen. Nach dem Tod des Vaters entließ er unverzüglich, so wird uns berichtet, dessen Räte und umgab sich mit einem gänzlich neuen Beraterstab. Das Urteil über Rudolf IV., von dem der österreichische Historiograph Thomas Ebendorfer (gest. 1464) meinte, hätte der Herzog länger gelebt, er würde Österreich bis in den Himmel erhoben oder in den Abgrund gestürzt haben, fällt bis heute in der Forschung zwiespältig aus. Die markanteste Herrschergestalt seines Hauses im Spätmittelalter, kreativ, ja bisweilen genial, rastlos, machtgierig, eitel, ein Meister der Selbstinszenierung, so oder so ähnlich wird die Persönlichkeit jenes Habsburgers beschrieben, dem nur eine kurze Regierungszeit von sieben, freilich ereignisdichten Jahren bis zu seinem Tod in noch jugendlichem Alter 1365 gegönnt war. Unbestreitbar ist: Rudolf IV. besaß ein klar konturiertes Herrschaftsprogramm. Dieses war ganz darauf ausgerichtet, den vermeintlich königsgleichen Rang und die »fürstliche Majestät« der habsburgischen Dynastie und ihrer Länder zur Geltung zu bringen. Die unerschütterliche Überzeugung von der einzigartigen Sendung seines Hauses trieb Rudolfs Handeln an. Dazu trat ein übersteigertes Selbstwertgefühl, das sich geradezu in einem Kult um die eigene Person äußerte. Sein Geburtszimmer in der Wiener Hofburg ließ der siebzehnjährige Rudolf 1356 zu einer Kapelle umgestalten, die er nach seinem Geburtstag, dem 1. November, allen Heiligen weihte. Auf seinem Siegel erscheint sein Geburtsjahr 1339, und, ganz ungewöhnlich für die Zeit, Rudolf ließ in seinen feierlichen Urkunden nicht nur, dem Vorbild der Königsurkunde folgend, nach Herrscherjahren, sondern auch nach seinen eigenen Lebensjahren datieren.
Mit bemerkenswerter Entschlossenheit ging Rudolf an die Realisierung seiner politischen Pläne. Wahrscheinlich doch als habsburgische Antwort auf die reichsrechtliche Regelung der Goldenen Bulle von 1356 gedacht, entstand im Auftrag des österreichischen Herzogs im Winter 1358/59 das großangelegte Fälschungswerk der sogenannten »österreichischen Freiheitsbriefe«. Es handelt sich um angebliche Urkunden der Kaiser und Könige Heinrich IV., Friedrich I., Heinrich (VII.), Friedrich II. und Rudolf. In das Diplom Heinrichs IV. wurden zudem vorgebliche Urkunden Caesars und Neros inseriert. Das Kernstück des Fälschungskomplexes bildete das auf Friedrich I. gefälschte Diplom, von der historischen Forschung seit dem 19. Jahrhundert – zur Unterscheidung vom echten Privilegium minus – als Privilegium maius bezeichnet. Über die Umstände, unter welchen die Falsifikate entstanden, wissen wir bis heute nicht im Detail Bescheid. Sicher ist, dass die Fälscher mit beachtlichem technischem Geschick und unter Benützung echter Vorlagen ans Werk gingen – die an der gefälschten Friedrich-Urkunde angebrachte Goldbulle etwa wurde dem echten Original entnommen, das damals vernichtet wurde. Weniger Klarheit besteht indes darüber, wer als eigentlicher Kopf der Fälschungsaktion zu gelten hat. Der Name von Rudolfs Kanzler Johann Ribi von Lenzburg wird hier immer wieder genannt. Im 19. und 20. Jahrhundert hat man sich oftmals schwergetan mit der Beurteilung der Fälschungen Rudolfs, und insbesondere die österreichische Historiographie fühlte sich verpflichtet, das Tun des Herzogs zu exkulpieren. Möglicherweise führt es zu einem besseren Verständnis der Falsifikate, wenn diese an ihren Zeitbedingungen gemessen werden. Das im europäischen Vergleich späte Entstehungsdatum der rudolfinischen Fälschungen hängt jedenfalls, wie zuletzt bemerkt wurde, aufs engste mit der »geringen Dichte« der Staatlichkeit im spätmittelalterlichen Reich zusammen.
Was bezweckte Rudolf mit den Fälschungen? Nach Peter Moraw war das Ziel, »sich nach oben zu fälschen«, die Stellung des Hauses Österreich innerhalb des Reiches aufzuwerten, gleichsam nebenbei sei dann noch der eine oder andere kleine aktuelle Vorteil »mitgenommen« worden. Dem umfassenden Charakter des rudolfinischen Programms, wie es in den Fälschungen zusammengefasst erscheint, dürfte eine derartige Einschätzung nicht ganz gerecht werden. Zeremonielle Forderungen Rudolfs, wie jene, die Belehnung in Österreich zu empfangen oder bei königlichen Hoftagen gleich nach den Kurfürsten zur Rechten des Kaisers zu sitzen, ordnen sich zwanglos in die gemäß den Spielregeln der aristokratischen Gesellschaft ausgetragene Rangkonkurrenz im spätmittelalterlichen Reichsgefüge ein. Und hierher gehören auch die in den Fälschungen von Rudolf reklamierten Titel (Pfalzerzherzog, palatinus archidux), Würden und Insignien (Zackenkrone mit Kreuz). Keineswegs nebensächlich sind indessen all jene Rechtspositionen des Fälschungskomplexes, die die habsburgischen Länder betrafen und auf eine weitere Intensivierung der Landesherrschaft abzielten: Das Reich darf in Österreich keine Lehen haben, und alle weltlichen Gerichte im Land gehen vom Herzog zu Lehen. Gleich wie für die Kurfürstentümer gelten ein Teilungsverbot und die Primogeniturerbfolge. Von zentraler Bedeutung ist schließlich der im Fälschungskomplex arrogierte Anspruch, alle Rechte des Herzogtums Österreich auf die übrigen habsburgischen Länder zu transferieren. Deutlich zeichnet sich hier Rudolfs Vorstellung von einem unteilbaren Großterritorium ab, in welchem dem Herzogtum Österreich die tragende Rolle zugedacht war und die übrigen habsburgischen Länder eine Art Erweiterung dieses Kernlandes bilden sollten. Es war ein maximaler Forderungskatalog, den Rudolf mit den gefälschten Urkunden vorlegte, und als solchen scheint ihn der direkt herausgeforderte Schwiegervater Karl IV. auch begriffen zu haben. Denn obwohl der vom Kaiser 1361 mit einer Prüfung der Urkunden betraute Humanist Francesco Petrarca ein vernichtendes Urteil über die pseudoantiken Texte des Fälschungskomplexes abgab, verwarf Karl die Falsifikate nicht rundweg, sondern ließ ein begrenztes Verhandeln über einzelne Punkte zu.
Das meiste von den im Maius-Fälschungskomplex ausgebreiteten politischen Ideen kehrt in Rudolfs Regierungspraxis wieder. Den in den gefälschten Urkunden geschaffenen Titel eines Pfalzerzherzogs hat er tatsächlich geführt, und zwar so lange, bis ihm Kaiser Karl dies scharf untersagte, befürchtend, dass Rudolf die Pfalzwürde zu einem Reichsvikariat in den habsburgischen Ländern ausbauen könnte. Behalten durfte der Habsburger allein den politisch harmlosen Erzherzogstitel. Auch die im Fälschungskomplex beanspruchte Krone hat ihren Platz in der politischen Realität; auf Siegelstempeln und dem berühmten Porträtbildnis, das über Rudolfs Hochgrab im Stephansdom hing, trägt der Fürst ein kronenartiges Insigne samt Bügel. Wahrscheinlich hat Rudolf sich ein solches Diadem auch anfertigen lassen. Die in den Falsifikaten postulierte Lehenshoheit über alle Gerichte in seinen Ländern brachte Rudolf unter anderem gegenüber den Grafen von Schaunberg in Oberösterreich machtvoll zur Geltung. Nur das in den gefälschten Urkunden angepeilte Primogeniturprinzip vermochte er seinen beiden jüngeren Brüdern gegenüber nicht durchzusetzen. Die Hausordnung von 1364 räumte, der tatsächlichen Vormachtstellung Rudolfs Rechnung tragend, dem Ältesten zwar eine klare Vorrangstellung in der Regierung der Länder ein, hielt aber an der grundsätzlichen Teilhabe aller Familienmitglieder an der Herrschaft fest.
Von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen Rudolfs hat nur eine langfristig Bedeutung erlangt, die Einführung des sogenannten Ungeldes, einer zehnprozentigen Getränkesteuer. Vom Herzog gegen den Verzicht auf den jährlichen Münzverruf (eine in regelmäßigen Abständen vorgenommene Münzverschlechterung) seit 1359 im Herzogtum Österreich eingehoben, wurde diese Steuer dank einer dynamischen Aufkommensentwicklung bald schon zum wichtigsten Finanzträger des Landesfürstentums.
Breiten Raum nahm in den Plänen Rudolfs die Stadt Wien ein, deren Entwicklung zur Residenzstadt in den Jahren von 1358 bis 1365 eine unerhörte Dynamik und einen ersten vorläufigen Höhepunkt erlebte. Das Bild der Königsstadt Prag vor Augen, ging Rudolf planmäßig an den Ausbau Wiens zum ideellen und wirtschaftlichen Zentrum des habsburgischen Länderkomplexes. Im März 1359 legte der Herzog den feierlichen Grundstein zu einem domartigen Erweiterungsbau der Pfarrkirche St. Stephan, eine demonstrative bauliche Vorwegnahme der am Widerstand des Passauer Diözesanbischofs scheiternden Erhebung Wiens zum Bistum. In diese Kirche, die Rudolf zur habsburgischen Familiengrablege erkor und die er zu einem sakral-symbolischen Mittelpunkt Österreichs, zu einer capella regia Austriaca, machen wollte, ließ er weitum zusammengetragene Reliquien transferieren, ein Reliquienschatz, der dem Heil von Land und Dynastie dienen sollte. Nachdem ursprünglich die Wiener Hofburg als Standort vorgesehen war, erhielt in der Wiener Stephanskirche dann auch das von Rudolf IV. nach Prager Vorbild gestiftete vornehme Allerheiligenkapitel mit einem gefürsteten Propst und 24 Chorherren seinen Sitz. Erst knapp vor seinem Tod gelang es Rudolf, sein Residenz-Programm für Wien mit einem aus der Sicht der Zeitgenossen wahrhaft königlichen Projekt, der Gründung einer Universität, zu krönen. Der feierliche Stiftbrief der Wiener Alma mater datiert vom 12. März 1365, die päpstliche Genehmigung, die nur ohne theologische Fakultät gewährt wurde, vom 18. Juni dieses Jahres. Rudolf orientierte sich am Modell der Pariser Universität, von wo auch der Wiener Gründungsrektor Albert von Sachsen kam. Mit der Bestellung des Propstes von St. Stephan zum Universitätskanzler unterstrich der Herzog den Wunsch nach einer engen und dauerhaften Verbindung seiner beiden bedeutendsten Stiftungen. Großzügige Vorsorge traf Rudolf für ein weiträumiges an die Burg anschließendes Studentenviertel, dessen Realisierung der vorzeitige Tod des Herzogs indes verhinderte.
Der größte territorialpolitische Erfolg Rudolfs IV., die Erwerbung Tirols für die Habsburger, stellte sich im Jahre 1363 ein. Langjährige, geduldige Vermittlungsarbeit von Herzog Albrecht II. an der Kurie hatte das Tiroler Fürstenpaar Ludwig und Margarethe ganz ins habsburgische Fahrwasser gebracht, und noch ehe der päpstliche Bann, der auf den beiden wegen ihrer kirchenrechtswidrigen Ehe lag, 1359 endlich gelöst wurde, kam eine Heirat zwischen Meinhard III., dem einzigen Sohn und präsumtiven Erben des Tiroler Fürstenpaares, und der Habsburgerin Margarethe, einer Tochter Albrechts II. und Schwester Rudolfs, zustande. Doch als Markgraf Ludwig von Brandenburg 1361 überraschend starb und der junge Erbe Meinhard sich tief in innerfamiliäre Interessenkonflikte des wittelsbachischen Hauses verstrickte, drohte Tirol den Habsburgern wieder gänzlich zu entgleiten. In dieser Situation gelang es Tiroler Adels- und Städtevertretern, Meinhard III. mit einem drängenden Schreiben dazu zu bringen, aus München nach Tirol zu kommen. Herzog Rudolf könnte bei dieser Aktion seine Hände im Spiel gehabt haben – sie kam dem Habsburger jedenfalls gelegen. Freilich schon drei Monate später, Mitte Jänner 1363, war Meinhard tot, und seine Mutter Margarethe geriet in eine Art Kuratelverhältnis zum Tiroler Adel, der die Macht im Lande an sich riss und sich im großen Stil Güter und Privilegien zuschanzte. Nun griff der österreichische Herzog zu. Bereits auf dem Wege nach Tirol, als sein Schwager Meinhard starb, bewog er Margarethe in Bozen am 26. Jänner 1363, Tirol unter Vorbehalt der Regentschaft ihm und seinen Brüdern als nächsten Verwandten zu übertragen. Das Einverständnis des Tiroler Adels zu dieser folgenschweren Entscheidung gewann Rudolf durch entsprechende Zugeständnisse, möglicherweise auch unter Einsatz gefälschter Urkunden. Noch drohte der habsburgischen Herrschaft in Tirol indes Gefahr, insbesondere durch die Wittelsbacher. Eine Erhebung des heimischen Adels, bei welcher Rudolf offenbar persönlich in Lebensgefahr geriet, scheiterte im Sommer 1363 an der Entschlossenheit der Bürger von Innsbruck und Hall. Nun erst verzichtete Margarethe endgültig auf alle ihre Rechte. Sie zog sich nach Wien zurück, wo sie 1369 starb. Vonseiten der Wittelsbacher sollten noch mehrere militärische Vorstöße nach Tirol erfolgen, der massivste im Jahre 1368, der Übergang des Landes an die Habsburger war jedoch irreversibel geworden. Dies lag nicht zuletzt daran, dass Rudolf die beiden Hochstifte Trient und Brixen eng an das Haus Österreich zu binden vermochte. Im Falle Trients geschah dies durch ein Abkommen, das den Habsburgern als Tiroler Landesfürsten ein weitgehendes Durchgreifen im Gebiet dieses Hochstifts erlaubte. Der Brixner Bischofsstuhl entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten überhaupt zu einem »Hausbistum« der Habsburger, das diese als Versorgungspfründe für ihre Kanzler zu benützen sich angewöhnten. Die Reihe dieser Kanzler-Bischöfe eröffnete 1364 Rudolfs Kanzleichef Johann Ribi.
Am 8. Februar 1364 erteilte Kaiser Karl IV. den Habsburgern in Brünn die Belehnung mit Tirol. Um diese zu erlangen, hatte Rudolf IV. eine radikale Wende in seiner Politik gegenüber dem kaiserlichen Schwiegervater vollzogen. Seit Rudolfs Herrschaftsantritt waren die Zeichen unausgesetzt auf Konfrontation gestanden, und der Schwiegersohn hatte den Schwiegervater herausgefordert bis hin zur offenen Ankündigung eigener Thronambitionen, worauf Karl IV. die in Nürnberg anwesenden Kurfürsten am 13. März 1362 dazu verpflichtete, bei seinem Tod keinem Habsburger die Krone zu übertragen. Die Brünner Belehnung Rudolfs und seiner Brüder mit Tirol flankierte der Abschluss eines gegenseitigen Erbvertrages zwischen Habsburgern und Luxemburgern unter Einschluss der ungarischen Anjous. Als Nutznießer dieses Vertrags wähnte sich vermutlich der Kaiser. Dass es ein Lebensalter später die Habsburger sein sollten, die die Luxemburger beerben, dürfte damals kaum jemand erwartet haben.