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Interview mit einem Greis

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1. Viele bedeutende Persönlichkeiten der Geschichte starben früh: Alexander, Jesus, Napoleon oder Mozart. Aber Sie haben das 80. Lebensjahr erreicht!

Ja, ich konnte sie überleben. – Aber 80 Jahre – das sagt sich so leicht. Die müssen - wenn man sie nicht nur rumbringen will - erst einmal gelebt werden.

2. Wie fühlt man sich mit 80?

Man freut sich, dass man noch da ist, obwohl man nicht mehr dazugehört.

3. Wie haben Sie es geschafft, so alt zu werden?

Nun, ich legte immer Wert darauf, dass meine Gesundheit nicht durch eine falsche Ernährung und durch ärztliche Fehldiagnosen Schaden leidet. Außerdem versuchte ich mich während des Krieges den zahlreichen Gelegenheiten, umgebracht zu werden, ohne Rücksicht darauf, dass man das als Feigheit bezeichnet, möglichst zu entziehen.

4. Was sehen Sie rückschauend als die schwerste Krise Ihres Lebens an?

Es war die Zeit, als ich erwachsen werden sollte. Das war mir zu wenig. Ich wollte mehr.

5. Hatten Sie je den Wunsch, mit Ihrem Leben noch einmal zu beginnen?

Um Himmels willen, wirklich nicht. Ich empfinde Abscheu, wenn ich daran denke, dass ich mich noch einmal 18 Jahre lang einer Erziehung aussetzen und einen Schulunterricht ertragen soll. Ich möchte mich nicht noch einmal auf die Sinnsuche begeben und eine Berufsentscheidung treffen. – Tragisch ist nur, dass niemand den ungeheuren Erfahrungsschatz, den ich in meinem Leben ansammeln konnte, haben möchte.

6. Haben Sie je in Ihrem Leben andere beneidet?

Ja, die, die mit ihren Talenten mehr als ich mit meinen anzufangen wussten.

7. Gibt es etwas, was Sie ungeschehen machen möchten?

Mir läge sehr viel mehr daran, wenn ich all das, was in meinem Leben ungeschehen geblieben ist, noch geschehen machen könnte.

8. Welchen Hobbys sind Sie in Ihrer Freizeit nachgegangen?

Sooft ich mich entspannen wollte, ließ ich das Auto in der Garage und die Bücher im Regal, hängte meinen Jogginganzug in den Schrank, schaltete das Handy, das Stereo- und Fernsehgerät ab, und mied das Gespräch mit Schwätzern. Dann atmete ich tief ein und ließ meinen Gedanken freien Lauf.

9. Hatten Sie je den Wunsch, in einer anderen Zeit und in einem anderen Land zu leben?

Dieser Wunsch hielt nur so lange an, so lange ich über diese andere Zeit und dieses andere Land noch nichts wusste, und schwand, sobald ich diese Wissenslücke schließen konnte.

10. Die Gerontologen behaupten, dass man sich in dem Lebensabschnitt, in dem Sie sich befinden, negative Eigenschaften wie Misstrauen, Starrsinn oder Geiz aneignet.

Diese Aussage der Gerontologen beweist, wie sehr Fachleute irren können. Für mich sind diese Eigenschaften positiv. Ohne Misstrauen ist man den Betrügern und ohne Starrsinn den Moden ausgeliefert. Vor allem muss man mit seiner Zeit geizen können.

11. Haben Sie die Erfahrung machen können, dass die Altersweisheit auch über Sie kam?

Sie hat mich nicht verschont. Früher sammelte ich begierig jede Neuigkeit. Ich legte Wert darauf, informiert zu sein und bewahrte Erinnerungen wie Kostbarkeiten auf. Jetzt werfe ich das alles, was ich früher in eine Vitrine legte, auf den Müll.

12. Haben Sie manchmal vor der Zukunft Angst?

Ich habe nur eine Angst, dass ich eingebildete Gefahren ernst nehme und wirkliche Gefahren nicht erkenne.

13. Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?

Dass man jetzt, wo man mich nicht mehr braucht, bereit ist, wenigstens meine Gegenwart ertragen.


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