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Lebenskunst

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Ars vivendi oder die Kunst, sich mit Anstand durch das Leben zu mogeln

Da fast alle Menschen ins Leben eintreten, ohne gefragt worden zu sein, ob sie leben möch­ten, und leben müssen, ohne zu wissen wie man das macht, aber oft das Geld nicht haben, nach Asien zu reisen oder bei Sinnfindungskursen Lebensweisheiten einzukaufen, möchte ich de­nen, die Lebenskunst erlernen möchten, einige Einsichten aus meiner Lebenserfahrung mitge­ben, damit sie nicht hilflos durch das Leben tappen müssen.

1. Vor Ängsten braucht man keine Angst zu haben. Es besteht kein Grund, deshalb ins Extrembergsteigen, Tiefseetauchen, Fallschirm- oder Bungee-Springen oder in den Alkohol zu flüchten. Ängste machen das alles mit. Besser ist, man holt sie aus ihrem Versteck und zerrt sie ans Licht. Dann wird man sehen, dass sie keine übermächtigen Gestalten sind, sondern schwache Wesen, die dankbar dafür sind, wenn ihnen jemand Mut zuspricht.

2. Tage kann man nicht verlängern, indem man die Nächte kürzt. Wenn die Zeit am Tage knapp geworden ist, sollte man nicht versuchen, sich Zeit von der Nacht zu holen, denn die Nächte brauchen ihre Zeit für sich. In den Nächten muss viel Aufräumarbeit geschehen: Bis zum Morgen sollen die durcheinander geratenen Gedanken und der nervös gewordene Puls wieder zur Ruhe kommen, und trübe Erinnerungen oder aufgestauter Ärger beiseite geräumt sein.

3. Es ist nicht gut, seine Probleme zu gesellschaftlichen Veranstaltungen, ins Wochenen­de oder zu Gruppengesprächen mitzunehmen, um sie vor anderen auszubreiten. So wird man sie nicht los. Wer seine Probleme mit den Problemen anderer vergleicht, macht sie nicht kleiner, son­dern gerät in Gefahr, dass er auch noch die Probleme der anderen mit­nimmt.

4. Allen, die sich schwer tun, ihr Verlangen, überall mitzureden, zu beherrschen, lege ich nahe, sich eine Sammlung der interessantesten und beliebtesten Meinungen anzulegen, damit sie für jedes Thema plausible Meinungen vorrätig haben, auf die sie jederzeit zurückgreifen können. Bei der Auswahl sollte man auf jeden Fall Meinungen, für die man komplizierte Überle­gungen anstellen müsste, aussortieren und nur die auswählen, für die man keine Argumente braucht. Man kann von Stammtischen oder Parlamentsdebatten ausreichend Meinungen mit­nehmen, die nur mehrmals lautstark wiederholt werden müssen, um jeden Widerstand zu bre­chen. Man kann sich auch an die Überschriften der Tageszeitungen halten, die mit großen Let­tern auf das Wesentliche aufmerksam machen, und vom Fernsehen lernen, wie man aus den widersprüchlichsten Meinungen eine Meinung zusammenmixt, die von Tatsachen, Vermutun­gen und Unterstellungen ein bisschen was enthält. In gebildeten Kreisen kann man mit unausgereiften Hypothesen, die ein Wichtigtuer bei einem Kongress vertrat, immer Eindruck hinter­lassen. Meinungen müssen nicht richtig sein, sondern in langweilige Diskussionen Abwechslung bringen.

5. Zweifel sind kein Grund, nervös zu werden. Sie lassen sich nur mit Menschen ein, die kritisch sind und etwas gern in Frage stellen. Man sollte sie gewähren lassen. Sie zwingen dazu, über andere Möglichkeiten nachzudenken. Sie kratzen an Fassaden, damit der Putz abfällt und das, was sich dahinter versteckt, sichtbar wird.

6. Hinterbliebene brauchen Geduld. Sie sollten sich nicht enttäuscht zeigen, wenn ihnen ein Verstorbener nicht gleich nach seinem Ableben eine Bestätigung zukommen lässt, dass er im Jenseits wohlbehalten an­gekommen ist. Neuankömmlinge, die durch die zahlreichen Neueindrücke und Ablenkungen in der neuen Welt sehr in Anspruch genommen werden, brauchen eine längere Eingewöhnungsphase. Bei Nachrufen ist es ratsam, mit der Würdigung der Verdienste eines Ver­storbenen so lange zurückhaltend zu sein, bis eine Einsichtnahme in die Prozessakten des Jüngsten Gerichtes möglich ist.

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