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Die Schlaraffen-Republik

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Es gab einmal ein besseres Deutschland, auf das alle Nachbarn neidisch blickten, weil seine Regierung allein das Wohl aller Werktätigen im Auge hatte, und jede Art von Unzufriedenheit abschaffte, ja die Vergangenheit so radikal bewältigte, dass im ganzen Land weder ein Faschist noch ein Kapitalist oder Menschenrechtsverletzer gefunden werden konnte.

Schon die kleinsten Kinder durften mit ihrem ersten Lebensjahr das Recht auf staatliche Erziehung in einer Kinderkrippe in Anspruch nehmen und die Jugendlichen bei den zahlreichen völkerverbindenden Aufmärschen, die Woche für Woche stattfanden, ihre überschwängliche Begeisterung ungehemmt zum Ausdruck bringen. Die Sportler sammelten, wann immer sie auftraten, so viele Medaillen für ihr Land, dass für andere Länder kaum Medaillen übrig blieben. Ja, der Alltag war mit so vielen Fahnen und Transparenten ausgeschmückt, dass es jedem leicht fiel, den grauen Alltag, den es bald nicht mehr geben sollte, zu vergessen. Die Konsumgier, unter der nahezu alle Nachbarstaaten zu leiden hatten, war so gründlich ausgerottet worden, dass die Menschen mit all ihrer Kraft nur noch reinen Idealen dienten, und für den Fortschritt der sozialistischen Gesellschaft gerne Opfer brachten, denn sie wussten, dass auch ihr Staat mit dem Bau der Mauer große Opfer für sie gebracht hatte. Nach dem Vorbild jenes Klausners, der einen Mann zum Hüten seiner Kuh einstellte, um die Milch für seine Katze, die die Ratten jagen sollte, zu bekommen, beschäftigte man ein Heer von Zoll-Beamten, die das Geld einzutreiben hatten, mit dem die Polizisten, Grenzbeamten, Mauerschützen oder Stasi-Spitzel unterhalten werden konnten.

Das bessere Deutschland hätte es fast geschafft, die noch in Freiheit lebenden Völker für die Ideale eines von allen menschlichen Unzulänglichkeiten gereinigten Marxismus zu gewinnen, hätten die unter dem Kommunismus lebenden Völker nicht alles mit ihrer Ungeduld zunichte gemacht und - wie kleine Kinder - schon jetzt nach dem Glück verlangt, das man ihnen für eine ferne Zukunft versprochen hatte.

Als das bessere und das andere Deutschland wider Erwarten wieder vereinigt waren, gelang es den ordentlichen Gerichten, ein für alle Mal klarzustellen, dass im besseren Deutschland jeder nur sein Bestes gegeben hatte, auch der Stasi-Spitzel und der Mauerschütze. Es war darum nur recht und billig, dass das andere Deutschland auch versuchte, endlich sein Bestes zu geben und das bessere Deutschland für die Entbehrungen, die es lange hinnehmen musste, finanziell zu entschädigen.

Beschwerde

Leider habe ich aufgrund Ihrer, vor einem Monat erstellten Langzeitprognose, über Studiosus-Reisen einen Spanien-Aufenthalt gebucht. Da unsere Reisegruppe – entgegen Ihrer Voraussage – von Kälte, Wind und Regen überrascht wurde und gezwungen war, pausenlos Kirchen und Museen zu besichtigen, stellte mein Psychotherapeut nach meiner Rückkehr bei mir eine chronische Museums- und Kirchengebäude-Phobie fest, zu deren Heilung ich einen Kuraufenthalt in einem wind- und regengeschützten Gebiet auf den Malediven aufsuchen musste, was mit sehr hohen Auslagen verbunden war. Ich bitte Sie deshalb dringend, bei Ihren nächsten Langzeitprognosen dafür zu sorgen, dass Wetter und Vorhersagen künftig miteinander übereinstimmen und erwarte, dass die Rechnung für meine Behandlungskosten von Ihrem Reiseunternehmen beglichen wird.

Ironische Geschichten

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