Читать книгу Ironische Geschichten - Walter Rupp - Страница 18
Schönheitskönigin
ОглавлениеREPORTER: Herzliche Gratulation zu Ihrer Thronbesteigung. Jetzt werden Sie als schönste Frau der Welt bewundert und dürfen sich ‚Miss World‘ nennen.
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich schon im 1. Anlauf mein Gesicht gegen so viele Konkurrentinnen durchsetzen konnte.
REPORTER: Haben Sie jemals daran geglaubt, dass Sie soweit kommen?
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Ich habe immer an mein Gesicht geglaubt, und dass ich die Jury überzeuge.
REPORTER: Sie konnten das deutsche Gesicht zu einem internationalen Werbeartikel machen.
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Es freut mich, dass ich so zur Botschafterin meines Landes wurde.
REPORTER: Die Weltbevölkerung wird nun das Vorurteil revidieren müssen: dass deutsche Haare blond, deutsche Augen blau und deutsche Nasen adlerförmig sind.
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Mein Vater stammt aus der Türkei und meine Mutter aus dem Sudan.
REPORTER: Dann ist es umso anerkennenswerter, dass es Ihnen mit Ihrem Einsatz gelungen ist, das deutsche Gesicht zur Exportware Nummer eins zu machen.
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Ich bin überglücklich. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass nun Millionen von Teenagern in aller Welt für ihr Make-up meine Haarfarbe, mein Rouge und meine Lidschatten wählen und die jungen Männer in aller Welt von ihren Freundinnen verlangen, dass sie auszusehen haben wie ich.
REPORTER: Fürchten Sie nicht, dass das bei Millionen junger Paare zu gefährlichen Spannungen führt, weil so viele junge Mädchen den hohen Maßstäben, die Sie gesetzt haben, nicht entsprechen können?
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Dann müssen Sie eben mehr Zeit vor dem Spiegel verbringen oder sich einer kosmetischen Operation unterziehen.
REPORTER: Darf ich eine persönliche Frage stellen? Wie haben Sie es geschafft, so schön zu sein?
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Es wird einem nichts geschenkt - gerade in meinem Beruf - wo auch nicht die kleinste Falte verziehen wird.
REPORTER: Wurde Ihnen die Schönheit nicht in die Wiege gelegt?
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Schön wäre es. Sie ist das Ergebnis harter Arbeit. - Schauen Sie sich doch die Gesichter der Leute an?
REPORTER: Die Sorgen haben da ihre Spuren eingegraben.
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Sorgen sagen Sie? Da wurden nicht die richtigen Kosmetika verwendet.
REPORTER: Sie meinen, dass...
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Seit meiner Kindheit überwache ich mehrmals täglich mein Gesicht. Ich hasse farblose Gesichter. Ich habe in den vergangenen Jahren viel Geld für die Gesichtsgestaltung ausgeben. Das wurde jetzt belohnt.
REPORTER: Sie werden sich jetzt wohl zahlreicher Heiratsanträge erwehren müssen.
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Meine Fototermine werden mir kaum Zeit für die Fan-Post lassen. Mein Freund – von dem ich mich jetzt trennen werde – hat sich bereit erklärt, für mich den Partner auszusuchen, der wirklich zu mir passt.
REPORTER: Muss Ihr neuer Partner auch schön sein?
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Um Himmels willen! Es reicht aus, wenn er - wie es jetzt Millionen tun - mich ebenfalls bewundert.
REPORTER: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
SCHÖNHEITSKÖNIGIN: Dass ich meine Schönheit möglichst lange konservieren kann.
REPORTER: Das wünsche ich Ihnen auch!