Читать книгу Die O´Leary Saga: Todesatem - Werner Diefenthal - Страница 10
Kapitel 3
ОглавлениеHoratio stand am Rande der Oase, in der er seit geraumer Zeit sein Zuhause hatte, und sah in Richtung Luxor. Erleichtert hatte er gesehen, dass Sarah und ihrem Vater nichts geschehen war. Trotzdem, er war wütend. Wie schnell hätte das ins Auge gehen können. Doch Sefu hatte ihm versichert, dass Hanbal und alle anderen genaue Instruktionen gehabt hatten. Horatio scharrte mit dem linken Fuß im Sand. Was heckte der alte Teufel hinten in seinem Zelt wieder aus? Nach einer Weile hörte er leise Schritte, dann legte sich eine Hand auf seine rechte Schulter.
»Horatio, ich habe lange nachgedacht. Du musst nach Luxor. Du musst beobachten! Ich habe das Gefühl, dass dieses Schwarzauge mehr weiß, als wir ahnen.«
Er seufzte.
»Ich habe bereits einige Vorkehrungen getroffen. Er wird nur noch Männer anheuern können, die der Bruderschaft des Nophta ergeben sind. Alle anderen wissen, dass es nicht gesund wäre, bei diesem Teufel anzuheuern.« Er drehte sich zu Horatio und sah ihm in die Augen.
»Du bist ein Inglis. Du verstehst eher, was diese Menschen dort vorhaben. Ich habe dafür gesorgt, dass ihnen auf dem Weg nach Luxor nichts geschieht. Vor allem Sa’arah! Es ist wichtig, dass sie am Leben und gesund bleibt. Ich habe Anweisung gegeben, dass niemand sie anrührt. Unter keinen Umständen darf ihr ein Leid geschehen. In meinen Träumen habe ich sie gesehen. Sie scheint der Schlüssel zu sein, auch wenn ich noch nicht genau weiß, warum.«
Sefu sah Horatio von oben bis unten an.
»Du musst dich waschen und umziehen. So kannst du nicht ins Winter Palace. Es ist für alles gesorgt. Du musst beobachten, beschatten, Informationen sammeln. Ich glaube nicht, dass dieses Schwarzauge aufgibt.«
Er zog Horatio an sich und küsste ihn auf beide Wangen.
»Sei vorsichtig.«
Damit drehte er sich um und ging zu seinem Zelt zurück. Was weder er noch Horatio bemerkt hatten: Aset hatte nicht weit von ihnen gelegen und gelauscht. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Diese Sa’arah! Sie war die Frau, die Horatio nicht aus dem Kopf und noch viel weniger aus dem Herzen bekam, da war die Ägypterin sich sicher. Auch wenn ihr Vater befohlen hatte, sie am Leben zu lassen – sie war ihr im Weg. Aset wollte Horatio! Er wäre der richtige Mann, um das Erbe ihres Vaters anzutreten. Alle anderen, paaah! Staubwedel, dachte sie. Keiner war wie dieser Inglis. Mit ihm an ihrer Seite konnte sie die Bruderschaft zu neuer Stärke führen. Und dafür war ihr jedes Mittel recht.
Am späten Nachmittag bereits saß Horatio im Winter Palace. Er fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig sauber. Stundenlang hatte er in warmem Wasser gelegen, sich Haare und Bart schneiden lassen. Ein Barbier hatte sein Haupthaar und den Bart in ein helles Blond verwandelt. Sein Gesicht war mittlerweile so dunkel gebräunt, dass er eigentlich als Einheimischer hätte durchgehen können. Doch das war nicht das Ziel. Er sollte als Ausländer zu erkennen sein, wenn auch nicht als Engländer.
Dazu hatte man in einer Nebenstraße einem Amerikaner, der sich dort verirrt hatte, eins auf den Schädel gegeben, ihm die Sachen ausgezogen und ihn in ein Versteck gebracht. Die Bruderschaft schreckte vor nichts zurück, wenn es um den Schutz des geheimen Grabes ging. Irgendwann würde man den armen Kerl nackt und betrunken finden. Die Polizei würde den Fall zu den Akten legen. Nur ein weiterer Tourist, den man ausgenommen hatte. Nun besaß Horatio einen vollen Koffer mit Anzügen, Hemden und noch mehr, dazu die Papiere des armen Tropfs.
»George Adam Middleforrest«, stand im Ausweis. Man hatte ihn innerhalb einer Stunde gefälscht. Die hiesigen Behörden kannten sich mit amerikanischen Ausweisen nicht aus.
»Denen könnte man ein Stück Papier hinhalten, auf dem dein Bild klebt und darunter steht: ›Ihr seid Idioten‹, sie würden es als echt behandeln. Hauptsache, es ist ein schöner Stempel darauf.«
Horatio schnürte die Schuhe zu. Es war ein ungewohntes Gefühl, nicht mehr den Sand unter den Füßen zu spüren. Er fühlte sich im Grunde genommen nicht wohl in einem Anzug. Doch er fügte sich.
Er suchte in der Lobby nach einem Platz, von dem aus er zwar alles überblicken, aber selber nicht gesehen werden konnte. Er griff sich eine Zeitung, die dort auslag, und blätterte darin. Geduldig wartete er. Nach einer Weile kamen sie herein. Andrew O’Leary, Sarah und Professor Esubam, über und über mit Staub bedeckt. Sarah humpelte, Andrew machte ein Gesicht, als wenn man Salz in seinen Tee geschüttet hatte. Nur Esubam ging aufrecht und stolz. Seine Augen schienen zu glühen, als er zur Rezeption ging.
»Wir brauchen unsere Zimmerschlüssel«, herrschte er den Mann an der Rezeption an.
Dieser lächelte freundlich.
»Und auf welchen Namen, Sir?«
»Was ›auf welchen Namen‹? Wir sind erst gestern Morgen von hier weg. Haben Sie nichts im Kopf?«
»Entschuldigen Sie, Sir. Aber wir haben sehr viele Gäste, da kann ich mir leider nicht alle Namen merken.« Und mit einem abschätzigen Blick auf den Zustand der drei Personen, die vor ihm standen, ergänzte er: »Und nicht alle unsere Gäste sehen in der Regel so, nun, derangiert aus.«
Bevor Esubam noch etwas sagen konnte, mischte sich Sarah ein.
»Entschuldigen Sie bitte unseren Aufzug, wir haben ein leichtes Problem in der Wüste gehabt, aber wir haben drei Zimmer. Zwei auf den Namen O’Leary, eines auf Professor Esubam. Wenn Sie so freundlich wären, nachzusehen.«
»Sehr gerne, Mylady.«
Der Mann war wie ausgewechselt. Sarah hatte sich nur an die alte Maxime gehalten: ›Behandele jeden so, wie du gerne behandelt werden möchtest.‹
Im Nu reichte der Rezeptionist ihnen drei Schlüssel.
»Darf ich Ihnen etwas bringen lassen?«, fragte er höflich.
»Ja. Einen großen Krug mit Wasser. Und ich würde gerne ein Bad nehmen.«
Der Mann verbeugte sich.
»Ich werde alles vorbereiten lassen.« Er sah die beiden Männer an. »Wünschen die Herren auch ein Bad?«
Esubam winkte ab.
»Später. Ich habe erst etwas Dringendes zu erledigen.«
Sarah humpelte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Horatio sah ihr nach. Als auch Andrew und Esubam verschwunden waren, ging er zur Rezeption. Der Mann lächelte ihn an.
»Wir werden Esubam nicht mehr aus den Augen lassen.«
Horatio nickte.
»Sorg dafür, dass es der Frau an nichts fehlt.«
»Du kannst dich auf mich verlassen.«
Im warmen, schaumigen und nach Zitrone duftendem Wasser entspannte Sarah sich langsam. Gut die Hälfte des Kruges mit Wasser hatte sie bereits geleert, und die Benommenheit und Schwäche, die sie in der Wüste beinahe hätten zusammenbrechen lassen, vergingen langsam. Trotzdem bereitete der Gedanke, in den Wadi el Muluk zurückzukehren, ihr fast körperliches Unwohlsein. Es war sehr knapp gewesen. Hatte sie die Gefahr möglicherweise unterschätzt? In London war Sarah in den gefährlichsten Vierteln der Stadt unterwegs gewesen, bei Tag und bei Nacht, um den Leuten dort zu helfen, die sich keinen Arzt leisten konnten. Sie war stets in Gefahr gewesen, ausgeraubt, vergewaltigt oder gar ermordet zu werden. Ihr war nie etwas passiert – nicht zuletzt, weil sie Horatio dabei gehabt hatte, aber sie war ja auch diesmal nicht auf eigene Faust in die Wüste gezogen.
Dennoch war sie heute fast gestorben, und das nicht einmal durch die Hand eines Menschen. Das Land selbst war die größte Gefahr. Sarah schauderte bei der Vorstellung, sich dieser praktisch unkontrollierbaren Bedrohung noch einmal auszusetzen.
Als sie sich in London dazu entschlossen hatte, die Expedition zu begleiten, war es ihr vorgekommen wie ein großes Abenteuer, von dem sie hoffte, dass es endlich all die Trauer und Schwermut in ihrem Herzen auslöschen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie an die Möglichkeit, dass es lebensgefährlich werden konnte, gar nicht gedacht. Es wäre ihr wahrscheinlich auch egal gewesen.
Das war jetzt anders! Sie wünschte sich den Tod nicht mehr. Es gab noch so viel zu erleben, so viel zu lernen!
Seufzend begann sie, sich den Sand und Staub aus den langen, roten Locken zu waschen. Einen Rückzieher machen konnte sie jetzt nicht mehr. Sie wollte sich auf gar keinen Fall vor András Esubam blamieren! Seine Meinung über sie war ihr enorm wichtig, obwohl sie sich nicht einmal sicher war, wieso. Es war ihr immer egal gewesen, was andere über sie dachten. Nicht so bei András! Er beeindruckte sie, mit seiner Erscheinung, seiner Bildung, seiner ganzen Art. Sarah bewunderte ihn und hatte das Gefühl, dass es ihm bei ihr ebenso ging.
Das Wasser wurde langsam kalt. Nur widerwillig stieg sie heraus und trocknete sich ab. Auch die Handtücher waren von feinster Qualität, wie alles in diesem Luxushotel. Wieder musste sie kurz an Henry Gordon, Horatios Vater, denken. Er hatte – zusätzlich zu den finanziellen Mitteln, die die Bank, in der er einen hohen Posten bekleidete, zur Verfügung gestellt hatte – aus seinem Privatvermögen einen beträchtlichen Betrag beigesteuert. Er wusste sicherlich nicht, auf welch großem Fuß sie hier lebten!
Seufzend zog Sarah ein leichtes Kleid über. Ihre Haare ließ sie lang und offen, damit sie besser trocknen konnten, und ging gedankenverloren ans Fenster, um in den Garten hinunterschauen zu können. Vielleicht hatte sie ja Glück, und Esubam fand keine neue Expeditionsgruppe, um noch einmal in den Wadi el Muluk zu ziehen.
Der Anblick des wundervollen Gartens lenkte Sarah einen Moment lang von ihren Sorgen ab. Die Wege, Bäume, Büsche und Beete waren so ästhetisch und strategisch geschickt platziert, dass es dort aussah wie in einem Wunderland. Künstlich geschaffene Bäche plätscherten dahin, und sie entdeckte immer wieder Vögel, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.
Und dann sah sie den Mann. Er stand halb hinter einer Palme verborgen und schien zu ihr hinaufzuschauen. Wurden sie etwa auch hier schon bespitzelt?
»HE, HALLO, WAS WOLLEN SIE?«
Empört lehnte sich Sarah aus dem Fenster und ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihn gesehen hatte. Eine Sekunde später bereute sie diese Entscheidung schon wieder, denn mit einer schnellen Bewegung zog der Mann sich zurück und ging eilig davon. Sarah erstarrte. Die Art, wie er sich bewegte …
Sie schloss nicht einmal die Tür ihres Zimmers hinter sich, so sehr beeilte sie sich, in den Garten hinauszurennen. Auf dem Weg brachte sie, wenig damenhaft, zwei Dienstboten des Hotels zu Fall, die ihr nicht mehr schnell genug ausweichen konnten.
Dann stand sie in der Grünanlage, genau dort, wo sich eben der Mann noch versteckt hatte. Sie sah sich hektisch um.
»HORATIO!«
Der Mann tauchte nicht wieder auf.
Horatio fluchte. Das wäre fast ins Auge gegangen. Sie hatte ihn tatsächlich gesehen. Und, was noch schlimmer war, sie hatte seinen Namen gerufen. Aus irgendeinem Grund schien sie ihn erkannt zu haben. Doch er konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Er musste aufpassen, dass dies nicht noch einmal geschah.
Er war in sein Zimmer geeilt und hatte sich auf das Bett geworfen. Er hatte gehofft, dass seine Liebe mit der Zeit erkalten oder sogar verlöschen würde. Aber genau das Gegenteil war der Fall.
Horatio starrte an die Decke, dachte an die Nächte mit Sarah. Aber er riss sich zusammen. Schnell zog er sich um, warf sich einen langen Umhang über und verließ das Hotel durch einen Seiteneingang. Sein Ziel war eines der ärmeren Viertel Luxors.
Dort angekommen ging er in einen kleinen Laden. Der Besitzer, ein dicklicher Ägypter Namens Abi-Yussef, besaß angeblich die umfangreichste Sammlung von Karten, auf denen die Lage der Gräber der Pharaonen verzeichnet sein sollte. Wenn Esubam also Material brauchte, würde er mit Sicherheit hierher kommen.
Abi sah ihn an. Horatio fasste sich mit dem linken Daumen an sein rechtes Ohrläppchen, dann strich er sich damit über die Nase. Abi tat es ihm nach. Das war das Zeichen der Bruderschaft.
»Was kann ich für dich tun, mein Bruder?«, fragte der Dicke.
»Es wird bald ein Mann kommen, der nach Karten sucht.«
Abi nickte.
»Du meinst den Inglis?«
Horatio nickte. Es machte für ihn keinen Sinn, den Unterschied zu erklären. Esubam war kein richtiger Engländer. Er war zwar, so hatte er erzählt, in London geboren worden, aber seine Eltern stammten aus Siebenbürgen. Sie hatten gemeinsam mit ihrem Dienstherrn, der sich gegen die Habsburger aufgelehnt hatte, fliehen müssen, der sich auch für einen Großteil von Esubams Ausbildung verantwortlich zeigte. Doch es war zu kompliziert, das zu erklären. Für Abi war er ein Inglis.
»Ja. Er wird Karten wollen.«
»Ich weiß. Er hat Karten mitgebracht und mich exakte Kopien anfertigen lassen. Er hat sie in einen Eisenschrank gelegt und sagte, ich wäre tot, wenn ich sie jemand anderem gebe.«
Horatio grinste. Trotz seiner Schläue hatte Esubam einen Fehler gemacht. Obwohl Abi ein durch die Krone vereidigter Kartograph war, hieß das nicht, dass er nicht auch Ägypter war. Abi erstellte im Auftrag des Empire Karten des Landes. Dazu beschäftigte er eine Armada von Landvermessern, an denen es seit dem Bau des Kanals keinen Mangel gab.
Diese Karten durfte er mit dem Siegel der Krone versehen und auch verkaufen. Manchmal zeichnete er jedoch auch Landkarten anderer Art. Aber das wussten die Wenigsten.
Esubam war auf der Suche nach einem Kartografen auf Abi gestoßen und hatte irrtümlich angenommen, dass er vertrauenswürdig sei. Er hatte wohl gedacht, wem die Krone vertraut, der würde einen nicht übers Ohr hauen. Ein böser Irrtum.
»Abi, was waren das für Karten?«
Der Dicke zuckte mit den Schultern.
»Keine, die ich oder jemand von meinen Leuten gemacht hat. Es sind gute Karten. Sehr gute Karten. Alt! Sehr alt!«
Er senkte die Stimme.
»Ich denke, darauf ist ein Grab. Aber nicht irgendein Grab. Das Grab des Nophta!«
Horatio erschauerte. Dieser Irre suchte nach dem Grab des Nophta. Und damit auch nach dem Atem des Nophta. Er packte den Dicken.
»Du hast doch bestimmt eine Kopie zu viel gemacht?«
Der Mann wand sich.
»Aber … aber …«
»Du weißt, was geschieht, wenn Sefu das erfährt?«
Abi fror plötzlich. Obwohl Sefu als gemäßigt bekannt war, so hieß es auch, dass er ohne Gnade töten lassen würde, wenn es um Nophta ging.
»Warte.«
Er verschwand und kam mit einem gerollten Pergament zurück.
»Bitte, sage Sefu, ich tue alles, um zu helfen.«
Horatio war mehr als erstaunt. Diese Karte war nicht nur gut. Sie war sehr gut. Und sie sah täuschend echt aus. Er wusste, es konnte kein Original sein. Aber die Qualität würde vorläufig jeden täuschen.
»Warte.«
Abi nahm einen Federkiel, tauchte ihn in Tinte, beugte sich über die Karte und maß mit dem Daumen. Dann machte er eine Markierung, ein Stück daneben eine Zweite.
»Ich habe diese Karte geändert. Das sind die Originalmarkierungen. Die anderen sind falsch. Dort kann man graben, bis die Götter sich ihre Seelen holen.«
Horatio blinzelte.
»Und die Karte, die du für Esubam gemacht hast?«
»Die Götter mögen mir gnädig sein, aber an manchen Tagen macht die Feder, was sie will.«
Horatio verstand. Er drückte Abi noch einmal die Schulter und verließ den Laden. Diese Karte musste so schnell wie möglich zu Sefu.