Читать книгу Die O´Leary Saga: Todesatem - Werner Diefenthal - Страница 9
Kapitel 2
ОглавлениеSefu saß in seinem Zelt auf dem Boden, unter ihm ein dicker Teppich. Die Beine hatte er übereinandergeschlagen und die Augen geschlossen. Der Duft von Kräutern und Kerzen waberte um ihn herum. Er suchte nach Antworten auf Fragen, die er nicht kannte.
Wie oft hatte er so verharrt in stiller Meditation, in tiefer Trance? Er wusste es nicht. Aber Antworten hatte er noch keine erhalten, nur Fragmente drangen in sein Hirn.
So auch dieses Mal. Er sah Männer. Männer, die gruben, und die sich einen Weg durch ein Labyrinth bahnten, bis sie an eine Tür kamen, die sie mit Gewalt aufbrachen. Dann sah er einen von ihnen genauer. Er hatte tiefschwarze Augen, böse Augen. Er hielt ein Behältnis in den Händen. Und eine Frau mit Haaren wie lodernde Flammen. Sie wollte das Behältnis öffnen.
Und er sah Horatio, der sie daran hindern wollte, dann Aset, die sich über den leblosen Körper der Frau mit den Flammenhaaren beugte. Sefu stöhnte auf. Das Behältnis lag neben ihr, geöffnet, der Atem des Nophta befreit. Dann sank Aset in die Knie, hielt sich die Kehle, röchelte. Und er sah viele Menschen, tot, verkrampft.
»NEIN!«, schrie er auf, als die Trance von ihm wich. Diese Frau, diese »Sa’arah«, wie er sie nannte, durfte nicht sterben. So interpretierte er das, was er gesehen hatte. Er musste mit dem Inglis reden.
Mühsam erhob er sich, als Hanbal in das Zelt stürmte.
»Die Männer. Sie graben.«
Sefu nickte.
»Ich weiß, Hanbal. Und sie sind zu nah.«
Hanbal erstarrte. Obwohl er schon viele Jahre zu Sefu gehörte, so war er doch immer wieder verblüfft, was dieser alles wusste. Sefu lächelt ihn an.
»Ich habe es gesehen.«
»Sie müssen sterben!«, zischte Hanbal. Doch Sefu schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, ob es richtig ist, sie zu töten. Lass uns zuerst versuchen, sie zu vertreiben. Du weißt, was du zu tun hast.«
Hanbal nickte und verbeugte sich. Dann verschwand er aus dem Zelt, um die Vorbereitungen für die Nacht zu treffen.
Als es dunkel wurde, brachen rund zwanzig Männer in Richtung des Wadi auf. Sie waren von oben bis unten vermummt. Die Kamele, auf denen sie ritten, waren nicht zu hören, kein Wort wurde gesprochen. Jeder wusste, was zu tun war.
Am Eingang des Wadi stiegen sie ab und teilten sich auf. Die Hälfte der Männer kletterte die Abhänge hinauf, die andere Hälfte schlich sich geräuschlos in Richtung des Lagers. Eine Wache, die in die Dunkelheit spähte, schwor später Stein und Bein, dass sie von Horus mit einem Stab berührt worden war und daraufhin ohnmächtig geworden sei.
Als die Männer am Lager angekommen waren, pfiff Hanbal leise und lauschte auf die Antwort. Als er diese hörte, brach die Hölle im Lager los. Fackeln wurden entzündet und auf die Ausrüstungszelte geworfen, die sofort in Flammen aufgingen. Hanbal und einer seiner Begleiter stürmten in das Zelt, in dem Esubam schlief. Dieser richtete sich abrupt auf, um sofort wieder, von einem Schlag getroffen, auf sein Lager zurückzusinken. Schnell durchwühlten die Männer das Zelt, suchten alles, was sie an Dokumenten, Karten und Zeichnungen finden konnten, zusammen und warfen diese in die lodernden Feuer. Die Männer auf dem Abhang ließen Steinbrocken und Felsen auf die Grabung krachen.
Innerhalb weniger Minuten war der Spuk vorbei. Die ägyptischen Arbeiter flohen, die Kamele wurden davongetrieben.
Doch es wurde sonst niemand verletzt. Schnell zogen die Angreifer sich zurück.
Horatio, der sich oben auf seinem Aussichtspunkt befand, konnte nur erstaunt zusehen, wie die Männer Sefus arbeiteten.
Als Sarah aus ihrem Zelt stürzte, hielt er die Luft an. Einer der Männer sah in ihre Richtung. Es dauerte nur wenige Sekunden, der Mann zeigte auf Sarah und dann in Richtung Luxor – so, als wolle er ihr sagen, dass es besser für sie wäre, wenn sie verschwände.
Dann wurde es ruhig. Die Feuer brannten langsam nieder, Sarah rannte zum Zelt Esubams, der sich den Kopf hielt, als er ins Freie taumelte.
Er blickte zu den lodernden Flammen, schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich zu Sarah. Horatio zuckte zusammen. Diese Geste hatte etwas Vertrautes, etwas Intimes. Und für einen Moment glaubte er, Francis lachen zu hören.
Als im Lager die Hölle losbrach, war Sarah gerade erst eingeschlafen. Ihre wirren Gedanken hatten sie den ganzen Tag nicht losgelassen und es ihr schwer gemacht, Ruhe zu finden. Laute Schreie in dem ihr völlig unverständlichen Arabisch, heller Feuerschein und lautes Poltern weckten sie unsanft wieder auf, und Sarah geriet sofort in Panik. Die Silhouetten der Menschen wurden als verzerrte Schatten vom Feuerschein an ihre Zeltwand geworfen, und es sah aus, als seien alle Dämonen der Hölle hinter ihnen her. Ohne einen Mantel oder Schuhe überzuziehen, stürzte Sarah ins Freie, wo sie beinahe von einem ängstlich brüllenden Kamel über den Haufen gerannt wurde, das ebenfalls vor dem Feuer, das überall zu lodern schien, das Weite suchte.
Es herrschte wirklich heilloses Chaos um sie herum; zahlreiche Zelte brannten, aber Sarah konnte in ihrer Verwirrung nicht erkennen, welche. Die Mitglieder der Expeditionsgruppe rannten in alle Richtungen, stolperten, fielen hin und hasteten weiter, verfolgt von schwarz vermummten Gestalten, die gebogene Schwerter schwangen und brennende Fackeln in den Händen hielten und für sie Unverständliches brüllten.
Gehetzt sah Sarah sich um; wo war ihr Vater? Hatten ihn die Fremden etwa getötet? Sie wollte gerade nach ihm rufen, obwohl sie nicht glaubte, dass er sie bei dem ganzen Lärm überhaupt hören würde, als es ein mächtiges Getöse gab, das sich wie ein Steinschlag anhörte. Voll Angst starrte Sarah hinauf in die Berge, aber nichts kam. Wieder holte sie Luft, um nach ihrem Vater zu schreien, als einer der Vermummten auf sie zutrat und ihr jedes Wort im Hals steckenblieb. Sarah wollte zurückweichen, aber ihre Beine schienen wie mit dem Boden verwachsen zu sein. Was geschah nun? Würde er sie vergewaltigen, töten? Aber der Mann zeigte nur zuerst auf sie, und dann in Richtung des Talausgangs.
Die Botschaft war unmissverständlich – verschwinde hier! Genau das, was auch Horatio in Sarahs Traum zu ihr gesagt hatte. Gerade wollte sie den Mann konfrontieren, ihn anschreien, was ihm einfiele, als er sich umdrehte und in der Nacht verschwand wie ein Schatten.
Langsam löste sich Sarahs Starre und sie konnte um sich herum wieder Einzelheiten erkennen, als sie bemerkte, dass sie nicht in unmittelbarer Gefahr war. Nicht einmal ihr Zelt war angesteckt worden, aber die Flammen, die langsam die Versorgungszelte aufzehrten, konnten jederzeit um sich greifen.
In dem Moment taumelte András Esubam aus seinem Zelt, hielt sich den Kopf. Er war offensichtlich nicht so glimpflich davongekommen wie Sarah, und sie schrie erschrocken auf und stürzte zu ihm hin.
»András! Du bist verletzt, was haben sie dir angetan?«
»Nur ein Schlag auf den Kopf, nichts Tragisches!«
Sarah musste seine Hand fast gewaltsam von der blutenden Wunde an der Schläfe lösen und zwang ihn, sich auf einen kleinen Felsen zu setzen.
»Lass es mich wenigstens einmal ansehen, ich dachte, dazu hast du mich mitgenommen!«
Ihre Stimme war energisch und duldete keinen Widerspruch, obwohl Esubam noch einmal betonte, es sei nichts. Sie sprang auf und wollte ihre Tasche aus dem Zelt holen, als sie noch einmal vor Schreck aufschrie, weil Andrew O’Leary direkt hinter ihr stand.
»Vater!«, fuhr sie ihn an, »schleich dich doch nicht so heimlich an mich ran, mir ist fast das Herz stehengeblieben!«
Andrew, der zwar verstört und leicht verärgert, aber unverletzt wirkte, maulte sofort los.
»Entschuldige, das nächste Mal binde ich mir eine Glocke um, damit du mich über die Feuersbrunst hinweg hören kannst! Was zum Teufel ist hier gerade passiert? Wer waren diese Gestalten? Und wo sind alle anderen?«
Er kniete schon neben András Esubam und tupfte ihm das Blut von der Wunde.
»Wahrscheinlich verschleppt.«
Die Augen des Professors loderten vor Zorn.
»Diese verdammten Grabräuber … das ist ihre Masche, sie lassen ganze Expeditionen spurlos verschwinden. Nur ein paar Leute lassen sie übrig, damit die ihre Geschichte auch erzählen können und niemand mehr an die Grabungsstätte nachkommt. Alle meine Karten haben diese Dreckschweine vernichtet, aber da haben sie die Rechnung ohne András Esubam gemacht!«
Sarah sah sich betrübt um. Langsam ging die Sonne über dem Wadi el Muluk auf und beleuchtete die gesamte Bescherung. Kein einziges Wohnzelt war beschädigt, was sie doch einigermaßen verwunderte. Eine derartige Rücksichtnahme schien so gar nicht zu Grabräubern passen zu wollen, aber vielleicht planten sie ja, später wiederzukommen und sich an den Wertgegenständen in den Zelten zu bereichern. Die Zelte dagegen, in denen sich die Ausrüstung und der Proviant befunden hatten, waren vollkommen zerstört. Die Trümmer fielen gerade in sich zusammen, kleine Rauchwolken stiegen auf.
Ratlos wandte Sarah sich an den Leiter der Expedition.
»Wie geht es jetzt weiter?«
Mittlerweile hatte Andrew die Kopfwunde Esubams verbunden und dieser stand entschlossen auf.
»Wir müssen zurück nach Luxor. Wir brauchen neue Ausrüstung und neue Helfer. Und ich muss mir natürlich auch eine neue Abschrift der Karten anfertigen lassen. So dumm bin ich nicht, dass ich die Originale mit hierher bringe. Ich habe damit gerechnet, dass so etwas passiert.« Wütend trat er gegen einen Stein. »Und diesmal schaue ich mir die Männer, die uns beschützen sollen, ganz genau an! Wertloses Gesindel!«
Knapp zwei Stunden später war Sarah zu dem Schluss gekommen, dass die Fortbewegung auf Kamelen gegenüber einem Fußmarsch eindeutig die angenehmere Art zu reisen war! Die Sonne brannte unbarmherzig auf sie, András Esubam und ihren Vater herunter, und sie konnte kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen. Da sämtliche Kamele davongelaufen und alle Ausrüstungsgegenstände verbrannt waren, hatten Sarah und die beiden Männer den Weg zurück nach Luxor zu Fuß und ohne Proviant oder Wasser antreten müssen.
Sie wusste, es war nicht weit. In England hätte sie den Weg problemlos, und ohne zweimal darüber nachzudenken, zurückgelegt. Aber die Wüste war trügerisch und unbarmherzig. Sie hatten den Nil noch nicht erreicht, und Sarah glaubte, es auch nicht mehr schaffen zu können. Ihr war bereits schwindelig, ihre Zunge fühlte sich an wie Sandpapier, und sie sah immer wieder Menschen in der Ferne, wo keine waren. Auch ohne Erfahrungen in der Heilung zu haben, hätte die Rothaarige gewusst, dass das kein besonders gutes Zeichen war. Schließlich setzte sie sich einfach unter einen abgestorbenen Baum am Wegesrand, der wenigstens die Illusion von Schatten bot, und lehnte sich dagegen.
»Ich kann nicht mehr weiter. Geht ohne mich. Ihr könnt mich ja später nachholen.«
»Das kommt nicht in Frage!« Verblüfft sah Sarah auf. So aggressiv hatte sie András noch nie sprechen hören.
»Auf gar keinen Fall bleibst du alleine hier in der Wüste. Du hast keine Erfahrung hier draußen und nicht einmal Wasser, du wärst tot, bevor wir dich holen könnten!«
Andrew O’Leary war trotz seines Sonnenbrandes bleich geworden. Wütend fuhr er Esubam an.
»Ich war von vornherein dagegen, dass sie mitkommt auf diesen Höllentrip! Und jetzt schwebt sie schon am zweiten Tag außerhalb einer Stadt in Todesgefahr! Esubam, ich schwöre Ihnen, wenn meiner Tochter etwas passiert, dann mache ich Sie höchstpersönlich dafür verantwortlich und verfolge Sie bis ans Ende Ihrer Tage! Und darüber hinaus, wenn es sein muss!«
Esubam erwiderte seinen Blick kalt, schien nicht im Geringsten eingeschüchtert.
»Statt mir Vorwürfe zu machen, sollten Sie mir lieber helfen, Ihre Tochter wieder auf die Beine zu bekommen! Jetzt ist sie nun mal hier, und es ist niemandem geholfen, wenn sie in der Wüste elendig zugrunde geht!«
»Sidi!«
Sarah hob kaum noch den Kopf, als sie den Ruf hörte, aber Esubam schnellte mit seinem ganzen Körper herum und atmete erleichtert auf.
»Adil! Gott sei Dank. Wenigstens auf einen ist Verlass.«
Der hagere Ägypter kam ihnen aus dem Wadi el Muluk hinterher und führte drei Kamele mit sich. Er grinste über das ganze gebräunte Gesicht.
»Mehr Tiere habe ich leider nicht mehr auftreiben können. Die anderen haben diese Halunken uns sicher gestohlen!«
András winkte ab.
»Das ist nicht so wichtig … wir werden Neue bekommen. Jetzt müssen wir erst Sarah in die Stadt bringen, so schnell wie möglich. Sie braucht dringend Wasser.«
Adil sagte nichts, aber der Blick auf die hellhäutige, schon halb bewusstlose junge Frau sagte, dass er der Meinung war, eine so zarte, vornehme Europäerin habe in diesem Land nichts verloren.
»Doktor O’Leary, ich werde auf eins der Kamele steigen, und Sie reichen mir Sarah hinauf. Ich werde sie festhalten!«
Der Tonfall Professor Esubams duldete keinen Widerspruch, obwohl es Andrew sichtlich missfiel, seine Tochter dem Mann zu überlassen. Dennoch machte O’Leary keinen Versuch, zu widersprechen, da er befürchtete, nicht gleichzeitig sich und Sarah, die zwar schlank und zierlich, aber für eine Frau recht groß war, auf dem schaukelnden Reittier halten zu können.
Mit deutlichem Widerwillen im Blick schob er Sarah, die mittlerweile kaum noch auf Ansprache reagierte, zu András hinauf. Der schlang einen Arm um sie und hielt sie an sich gedrückt, trieb sein Kamel zu einer schnellen Gangart an. Er wartete gar nicht darauf, ob Adil und Andrew nachkamen.
Der Arzt wollte schon protestieren, aber Adil winkte ab.
»Nur mit der Ruhe, Sidi … der Professor kennt den Weg. Ich bleibe bei Ihnen und führe Sie zurück.«
Ächzend erklomm Andrew O’Leary sein Kamel und sah Esubam missbilligend nach. Ihm hatte die Art, wie er Sarah festgehalten hatte, überhaupt nicht gefallen, und noch weniger der Ausdruck in seinen Augen. Dieser Kerl wurde ihm immer unsympathischer und er ahnte, dass es ein großer Fehler gewesen war, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.
»Lassen Sie uns etwas schneller reiten als beim letzten Mal, Adil«, forderte er den ägyptischen Führer auf. Er wollte Sarah nicht länger allein in Esubams Gesellschaft lassen als unbedingt notwendig.