Читать книгу Die O´Leary Saga: Todesatem - Werner Diefenthal - Страница 14
Kapitel 6
ОглавлениеIn der Oase saß Sefu über die Karte gebeugt, die Horatio ihm hatte zukommen lassen. Er schüttelte den Kopf.
»Bei Nophta! Dieser Hund will tatsächlich sein Grab öffnen.«
Er fuhr mit einem Finger über die Karte, schätzte Entfernungen ein, überlegte.
»Wir müssen es vorher finden und verstecken«, flüsterte er. »Oder ihn daran hindern, es in die Hand zu bekommen.«
»ASET«, rief er. Seine Tochter eilte in sein Zelt.
»Vater?«
»Aset, meine Sonne. Die Dunkelheit naht. Ist dir klar, was dieses Schwarzauge vorhat?«
»Er will den Atem des Nophta stehlen?«, fragte sie leise.
Sefu nickte.
»Ja. Und das müssen wir verhindern. Und, was noch wichtiger ist, wir müssen die Frau mit den flammenden Haaren zu uns bringen.«
»Ich verstehe nicht«, gab Aset vor. Ihr Vater sah sie an.
»Aset, du bist meine Tochter. Und es sollte nichts geben, was du nicht weißt. Denn du bist auserwählt, mit dem richtigen Mann mein Erbe anzutreten, ihm zur Seite zu stehen. Es hat Nophta nicht gefallen, mir einen Sohn zu schenken. Daher liegt es an dir, einen Enkelsohn zur Welt zu bringen, denn so steht es geschrieben.«
Er klopfte auf eine hölzerne Kiste, die neben ihm stand. In dieser waren alle Aufzeichnungen aufbewahrt, welche die Bruderschaft im Laufe der Jahrhunderte zusammengetragen hatte. Noch nie hatte Aset einen Blick darauf werfen dürfen.
»Vater, was steht geschrieben?«
»Alles und doch nichts, Tochter. Nur mit den Visionen, welche Nophta mir schickt, wird es klar.« Er sah ihr in die Augen. »Du weißt, wir haben geschworen, den Atem des Nophta zu verbergen und zu schützen. Niemals soll er das Antlitz der Erde verwüsten.«
»Aber Vater, es heißt, dass man damit alles Elend, alle Krankheit der Welt heilen kann.«
Sefu stieß die Luft aus.
»Irrglaube! Setz dich.«
Aset setzte sich ihrem Vater gegenüber und sah ihn an. Würde sie heute endlich mehr erfahren?
»Vor vielen hundert Jahren lebte Nophta in Ägypten. Er war mächtig, er war reich. Und es hieß, seine Frau war die Schönste aller Zeiten, nur übertroffen von ihrer beider Tochter.
Doch diese Tochter, die Namenlose, verfiel einem bösen Zauber. Ein Mann verführte sie, sie entehrte Vater und Mutter. Als ihre Eltern dies erfuhren, da wurde die schönste aller Frauen krank vor Gram. Nophta trauerte. Er hatte seine Tochter, seinen Augapfel, an das Böse verloren. Die Namenlose war zu dem bösen Mann gegangen und gebar ihm einen Sohn.
Dieser Sohn war krank, schwächlich. So zog jene wieder zu ihrem Vater und flehte um Hilfe. Nophta ließ die besten Ärzte kommen, denn sie war immer noch seine Tochter. Ihre Mutter hingegen siechte immer noch dahin. So wollte Nophta beide heilen: Seine über alles geliebte Frau und seinen Enkelsohn.«
Aset hielt den Atem an. Sefu seufzte und fuhr fort.
»Doch der Mann, der die Tochter des Nophta verführt hatte, schmiedete weiter seine Pläne. Nophta war ein Gott, doch all seine Macht half nicht gegen die Schatten des Todes, die sich über sein Haus gesenkt hatten.
Dann, in einer finsteren Nacht, holte der Tod seine Ernte ein. Die Namenlose ließ den Kindsvater in den Palast. Er verzauberte sie, redete ihr ein, dass nur er Heilung bringen könnte. Und zwar nur dann, wenn sie ihren Vater tötete. Sein letzter Atemzug sollte aber auf das Kind fallen, dann würde es genesen. Und sie tat, wie ihr geheißen. Sie schlich mit dem Kind zu ihrem Vater, der neben seiner Frau schlief, stach ihm vor den Augen ihrer Mutter ins Herz und ließ den letzten Atemzug auf das Kind fallen. Damit war der Plan erfüllt. Das Kind zerfiel vor ihren Augen, löste sich in Nebel auf. Der Vater des Kindes stürzte herbei und fing den Nebel auf.«
Sefu schloss die Augen.
»Als die Namenlose sah, was sie getan hatte, stürzte sie sich auf den Kindsvater. Sie kämpfte mit ihm und es gelang ihr, ihn zu töten. Durch den Krach waren die Wachen alarmiert und stürzten herbei. Als sie sahen, was geschehen war, wollten sie die Namenlose festhalten. Doch sie stieß sich das Messer ins Herz. Ihre Mutter war gebrochen vor Gram, aber sie war eine kluge Frau. Sie gab die Anweisung, den Behälter mit dem letzten Atemzug und dem Nebel mit Nophta zu vergraben, auf dass man ihn niemals mehr finden möge. Und sie verpflichtete die treuesten Priester, darüber zu wachen. So wurde die Bruderschaft des Nophta geboren.«
»Aber was ist nun der Atem des Nophta genau, Vater?«
Sefu zuckte mit den Achseln.
»Genau weiß das niemand, denn es hat niemand gewagt, das Behältnis zu öffnen. Und doch, wenn man die Umstände betrachtet, so kann es nichts Gutes sein. Man fand im Zelt des Kindsvaters, als man seine Helfer überwältigte, Anzeichen dafür, dass er die Herrschaft über die Welt erringen wollte. Doch Beweise gibt es nicht.«
Aset nickte. Endlich, nach all den Jahren, hatte sie erfahren, was geschehen war. Und sie war sich sicher, mit dem Atem des Nophta könnte sie ihr Land befreien, es wieder zur alten Größe führen und zur Pharaonin aufsteigen.
Sarah hatte das Fenster in ihrem Zimmer weit geöffnet und blickte verträumt in den nächtlichen Garten hinaus. In der Dunkelheit, wenn die unerträgliche Gluthitze des Tages einer angenehmen Kühle gewichen war, konnte Sarah die andersartige, bezaubernde Schönheit ihrer Umgebung ganz anders schätzen. Millionen von Grillen zirpten, und die strategisch im Garten platzierten Fackeln tauchten die Bäume und Pflanzen in ein warmes Licht. Selbst den Duft der Blüten schien Sarah in der Nacht besser wahrnehmen zu können.
Sie atmete tief ein und widerstand der Versuchung, die Augen zu schließen. Auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen wollte, sie lag auf der Lauer, hoffte, den Mann, den sie für Horatio hielt, noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Als es plötzlich an der Tür klopfte, zuckte sie heftig zusammen und sprang auf.
»Wer ist da?«
»Ich bin es, András.«
Die Anspannung wich aus Sarahs Körper und ihr Herzschlag beruhigte sich. Sie ging zur Tür und schloss auf, ließ den Professor eintreten. Aufmerksam musterte sie ihn.
»Mit dir habe ich gar nicht mehr gerechnet. Was verschafft mir die Ehre deines späten Besuchs?«
»Ich wollte nach dir sehen.«
Esubams Blicke wanderten forschend an der jungen Frau auf und ab. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Morgenmantel überzuziehen, und die Öllampe hinter ihr ließ ihren Körper als Silhouette durch das weiße Nachthemd hindurchschimmern. Der Mann versuchte, es zu ignorieren und lächelte Sarah an.
»Du siehst schon wieder erholt aus. Es tut mir leid, was in der Wüste passiert ist. Das hätte nicht vorkommen dürfen. Es ist meine Verantwortung, dich zu beschützen, und ich habe kläglich versagt.«
Die ruhige Ernsthaftigkeit und das aufrichtig klingende Bedauern in seiner Stimme sorgten dafür, dass Sarah sich innerlich entspannte. Sie schüttelte leicht den Kopf.
»Du konntest nichts dafür. Damit konnte niemand rechnen, du hattest alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Aber manchmal nützt eben alle Vorbereitung nichts.«
»Trotzdem!«
Esubam beharrte auf seinem Standpunkt.
»Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Du bist unendlich wichtig für das Gelingen dieser Expedition und ich werde auf keinen Fall zulassen, dass dir etwas passiert. Ich habe diesmal noch bessere Männer angeheuert. So etwas wird kein zweites Mal vorkommen, das schwöre ich dir.«
Es überraschte Sarah völlig, als András auf sie zu trat und ihre Hände nahm.
»Und nicht nur für die Expedition bist du wichtig, Sarah. Auch für mich. Du bist eine faszinierende Frau, schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, war ich vollkommen in deinem Bann. Schon deshalb werde ich dich hüten wie meinen Augapfel.«
Als er sich auf sie zubeugte, wusste Sarah sofort, dass András sie küssen wollte. Sie stand da wie gelähmt und wusste selbst nicht recht, ob sie sich nicht rühren konnte oder wollte. Es fiel ihr immer schwerer, sich der Anziehungskraft des Professors zu entziehen.
Sarah spürte schon seinen Atem auf den Lippen, als es erneut an der Tür klopfte. Sie fuhr zurück, spürte, wie ihr die Verlegenheitsröte in die Wangen schoss, und bat den Gast herein, ohne nach seiner Identität zu fragen.
Es war Andrew, und als er Esubam im Zimmer seiner Tochter sah, verschlossen sich seine Züge sofort mit Misstrauen.
»Professor, Sie hätte ich zu dieser Stunde nicht bei meiner Tochter erwartet.«
Trotz der Hitze schien die Kälte in seiner Stimme dazu geeignet zu sein, Eisblumen am Fenster entstehen zu lassen. András konnte sein Missfallen über die Störung nicht völlig verbergen, hatte sich aber gut im Griff und zauberte sogar ein Lächeln auf sein Gesicht.
»Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass es Sarah gutgeht. Die neue Expeditionsgruppe ist vollständig, und ich möchte spätestens übermorgen aufbrechen.«
Dass es so bald schon sein sollte, jagte Sarah einen kleinen Schauer der Angst über den Rücken, aber sie ließ es sich nicht anmerken und straffte ihre Gestalt, nickte.
»Das wird kein Problem sein. Ich bin bereit.«
Sie wurde von Esubam mit einem strahlenden Lächeln belohnt und er verbeugte sich leicht, hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.
»Ich habe gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Zu Andrew gewandt fügte er hinzu:
»Sie haben wirklich eine erstaunliche Tochter! Sie müssen stolz auf sie sein.«
Damit verließ er das Zimmer. Andrew blickte ihm unwirsch nach.
»Das bin ich. Auch wenn ich manchmal wünschte, du wärst weniger wie deine Mutter. Dann würde ich nicht hier in der Wüste sitzen und müsste mir keine Sorgen machen.«
Sarah lachte und nahm ihn in die Arme.
»Aber dein Leben wäre auch entschieden langweiliger!«
Horatio fand keinen Schlaf. Er wälzte sich hin und her. Auf einmal klirrte es leise. Er richtete sich auf. Ein erneutes Klirren. Er stand auf, ging zur Balkontür und öffnete sie. Davor lagen einige kleine Kieselsteine. Er beugte sich über das Geländer und erschrak, als eine Gestalt sich darüber schwang.
»Aset! Was willst du mitten in der Nacht hier?«
Die Frau lächelte ihn an und ließ ihre Augen über seinen Körper gleiten. Horatio hatte völlig vergessen, dass er nackt geschlafen hatte. Schnell schlüpfte er in eine Hose.
»Schade«, murmelte Aset. »Vergiss nicht, ich habe dich schon nackt gesehen.« Sie grinste dabei.
»Hör auf damit«, brummte Horatio. »Du weißt, dass dein Vater mich kastriert, wenn ich dich anrühre.«
»Das wäre schade«, erwiderte sie lachend.
Horatio wurde rot. Seit Sarah war er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Die Natur forderte, wie auch Aset wohl unschwer erkannt hatte, ihr Recht. Doch die Ägypterin war tabu für ihn. Nicht nur ihres Vaters wegen. Als er England fluchtartig verlassen hatte, war es sein Schwur gewesen, keine Frau mehr anzurühren. Er liebte Sarah. Und nur sie wollte er noch in den Armen halten. Auch, wenn es aussichtslos schien.
»Warum bist du hier?«, brummte er.
»Ich soll dir eine Botschaft von meinem Vater überbringen.«
»Und wie lautet sie?«
Aset trat auf ihn zu, mit wiegenden Hüften.
»Du sollst unbedingt auf die Frau mit den flammenden Haaren achten. Egal, was passiert. Sie ist wichtig.«
Horatio kratzte sich am Kopf.
»Und warum?«
Aset trat noch einen Schritt auf ihn zu.
»Er hat mich eingeweiht. Es steht geschrieben, dass nur ein Fremder mit dem Kopf voller Feuer den Atem des Nophta bändigen kann. Und nur dann, wenn es aus freien Stücken geschieht. Es kann nur diese Frau sein, Vater ist sich ganz sicher. Niemand darf sie zwingen, es zu tun. Nur, wenn sie mit reinem Herzen und ohne Zwang die Zeremonie durchführt, wird der Atem des Nophta für immer ruhen. Wird sie gezwungen, so wird ein großes Elend über die Welt kommen.«
Jetzt stand Aset direkt vor Horatio. Er konnte ihren Duft riechen, wie Honig und Jasmin. Er sah in ihre braunen Augen, die zu leuchten schienen.
»Aset. Nicht!«, murmelte Horatio. Sie lächelte und trat zurück.
»Du bist stark, Inglis! Doch wie lange kannst du mir noch widerstehen?«
Horatio wusste keine Antwort. Sie hatte Recht. Irgendwann würde sein Widerstand brechen. Und was dann kam, das wollte er eigentlich nicht wissen. Aset nahm seine rechte Hand, führte sie zu ihrer Brust, legte sie darauf.
»Inglis, wenn du willst, dann wird mein Vater zustimmen. Du wirst mein Mann sein. Und wir werden das Erbe meines Vaters antreten. Du wirst an meiner Seite die Bruderschaft leiten.«
»Nein, Aset! Das geht nicht«, rief er halblaut, riss sich los.
Sie sah ihn enttäuscht an.
»Du liebst sie, nicht wahr? Die mit den Haaren wie Flammen.«
Er nickte. Sie sah ihn zornerfüllt an.
»Dann wirst du verbrennen.«
Sie drehte sich um und verschwand wie der Blitz. Und Horatio hatte das Gefühl, gerade einen nicht mehr gutzumachenden Fehler begangen zu haben.