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Im Nexus

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Es war beklemmend still in der Zentrale der MOBY DICK. Jeder hing seinen Gedanken nach. Den Rigelianern war anzusehen, wie sehr sie sich bemühten, tiefere Einblicke in das Wesen zu erlangen, in dessen trügerischer Obhut sie sich alle befanden.

Bérénice hatte sich nur kurz mit Arliss besprochen und sich versichern lassen, dass deren Truppen die Gorillas im Bauch des Slide-Schiffes ständig im Auge behielten und sich sofort melden würden, käme es wieder zu einem Aufstand. Doch die Affenähnlichen hegten offensichtlich keinen Drang nach Rebellion. Arliss hatte sich dennoch aus der Zentrale begeben, um mit ihren einzelnen Unterführern vor Ort sprechen zu können. Eine schwer bewaffnete Eskorte von 20 Mazzar begleitete sie.

Bozadd und Kefann verharrten dicht hinter Naya, Roy und Flynn. Der Pilot im hoffnungslosen Bestreben, die Verbindung zwischen den Empathen und dem Schiff verstehen zu wollen. Die Ärztin in berechtigter Sorge, was mit den drei Menschen physiologisch geschah. Den psychologischen, besonders den parapsychologischen Verhältnissen und Gefahren, denen die drei Rigelianer unentwegt ausgesetzt waren, konnte sie nicht nachspüren.

Immer wieder hatten alle Mazzar, mit denen Bérénice Savoy Kontakt pflegte, ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen, dass die Menschheit mit relativ vielen Mutanten gesegnet war. Im gesamten Reich Mazzar gab es kein einziges parapsychisch begabtes Lebewesen. Die Vorstellung, dass dies im Nexus genau umgekehrt war – dass alle Hydren, Slide-Wesen, selbst die Gorillas zumindest empathisch begabt waren , traf die Krötenabkömmlinge offensichtlich tiefer, als die zumindest äußerlich ruhig wirkende Agentin ahnen konnte.

Blieben also nur noch Laurent und sie, die im Augenblick zu verbalem Austausch bereit waren.

Der drahtige Trooper hatte sich zuvor für ein paar Stunden in seine Kabine zurückgezogen und kam nun mit langsamen Schritten wieder zu Bérénice, setzte sich zu ihr auf den Boden und sah nur kurz auf die Ansammlung der Bildschirme.

»Irgendetwas Neues?«

»Nein. Die MOBY DICK fliegt in so gemächlichem Tempo auf ihre Artgenossen zu, dass es nach meiner Schätzung noch mindestens eine halbe Stunde dauern wird, bis wir sie erreichen werden.«

»Bei unveränderter Geschwindigkeit: 37,5 Minuten«, kam es von Freitag, der nach diesem Einwurf wieder verstummte und sich weiterhin mit Messungen beschäftigte.

»Was tun wir, wenn wir angegriffen werden?«

Die Agentin hatte sich Laurents Frage schon selbst die ganze Zeit gestellt gehabt und die für sie einzig logische Antwort längst gefunden. Also zuckte sie mit den Schultern. »Wir fliehen, was sonst?« Bérénices Gesicht war anzusehen, dass sie momentan keine andere Lösung sah. »Und hoffen, dass wir den Angreifern entkommen können.«

»Warum fliegt die MOBY DICK so langsam? Vorhin hatten die Rigelianer behauptet, das Slide-Schiff bereite sich auf seinen Tod vor.«

Wieder zuckte die Agentin mit den Schultern. Dieses Mal aber in der Anmutung eigener Ratlosigkeit. »Wenn es wirklich sterben will … was könnten wir dagegen unternehmen? Nichts.« Etwas umständlich erhob sie sich und ging ein paar Schritte, wohl um ihre Gelenke und Muskeln wieder zu aktivieren. Laurent stand ebenfalls auf und besah sich die Zentrale in einer Weise, als sähe er sie zum ersten Mal.

»Es lässt sich Zeit, seine 23 Artgenossen auf uns vorzubereiten«, beantwortete er seine eigene Frage mit für Bérénice erstaunlicher Einfühlsamkeit.

»Wie kommst du darauf?« Der offenbar plötzliche Wandel seiner Haltung zu allem in dieser Dimension überraschte sie wirklich.

Nun war er es, der mit den Schultern zuckte. »Es tut mir leid, Bérénice. Ich meine, meinen Ausraster von vorhin. Ich hatte in meiner Kabine Zeit, um über alles nachzudenken. Wir werden ganz sicher sterben, wenn wir uns nicht auf völlig neue Situationen einlassen und …«

»Wir sind da«, vermeldete der BEHEMOTH knapp und lenkte ihre Aufmerksamkeit dadurch wieder auf das Geschehen außerhalb des Slide-Schiffes. Bérénice fuhr nur für einen Wimpernschlag die Überraschung durch die Glieder, dass die avisierten 37,5 Minuten schon vergangen sein sollten, sagte aber nichts dazu, da auch der Roboter stumm blieb.

Ich scheine mein Zeitgefühl zu verlieren, dachte sie und lag auch mit dieser Einschätzung falsch.

Die MOBY DICK hatte sich in die Mitte des Pulks begeben, den seine Artgenossen in lockerer Formation im All einnahmen. Da die Lebendschiffe keine äußerlichen Beleuchtungssysteme zu haben schienen und auch keine Sonne in der Nähe war, sahen die fünf Menschen und die beiden Mazzar in der Zentrale nur Schwärze auf den Monitoren. Die elektronischen Pendants der Schiffe waren lediglich kleine Markierungen auf schwarzem Grund.

»Und jetzt?« Laurent sah zu den Rigelianern, die ein wenig von ihrer verkrampften Haltung abgelegt hatten und Anzeichen von Erleichterung erkennen ließen.

Naya wandte ihre Augen zu Bérénice und schaffte es, ein zaghaftes Lächeln aufzusetzen. »Ich komme wieder zu dir«, sagte sie und drückte mit ihren mittleren Fingern der rechten Hand auf die Stelle des Geflechts, unter dem sich ihr Herz befand. Wie von Zauberhand öffnete sich das geschmeidige Netzkleid, als hätte ein Schneider einen unsichtbaren Reißverschluss darin eingearbeitet und Naya trat aus ihm heraus, als wäre es die einfachste Sache der Welt.

»Ihr macht wohl Fortschritte, Liebes.« Bérénice schloss ihre Freundin aufatmend in die Arme.

»Ja. Und ich habe weitere gute Nachrichten: Die MOBY DICK will zusammen mit den Wesen dort draußen zu seiner Heimatwelt fliegen.«

»Um dort zu sterben …«

»Nein.« Naya löste sich aus der Umarmung der Agentin und streckte sich ein wenig. Dabei fielen nicht nur Bérénice und Laurent ihre schlackernden Uniform-Ärmel und Hosenbeine auf. Der Kontakt zu dem Schiff musste sie unglaubliche Kräfte kosten, die an ihrer Muskulatur zehrten … und offenbar auch an ihren Nerven. Denn ihre frühere mentale Sicherheit war nun einer Unentschlossenheit gewichen, welche die Haitianerin als befremdlich empfand.

Ist sie noch zu 100 Prozent Naya? Oder ist ein Teil von ihr … slide? Ein anderes Adjektiv fiel ihr nicht ein. Laut sagte sie: »Du sprachst gerade von mehreren guten Nachrichten. Lass hören, wir können sie gebrauchen.«

»Die MOBY DICK, beziehungsweise die Slide-Wesen, sind gesellige Tiere. Halbintelligent, aber definitiv keine Einzelgänger. Wenn sie nicht unter ihresgleichen sein können, brauchen sie andere Lebewesen, um nicht zu … verkümmern. Ihr erinnert euch? Das Lebewesen, welches wir MOBY DICK nennen, hatte im weiteren Umfeld des Diamond-Systems durch einen Kampf seine Hydren-Besatzung verloren. Damals war es noch so von den hypnotischen Befehlen der verstorbenen Hydren durchdrungen gewesen, dass es sich eine Existenz ohne seine Unterdrücker nicht vorstellen konnte. Ergo hat es auf dem einzigen Planeten des Diamond-Systems, auf Crystal, den Rest seiner Besatzung, die Gorillas, abgesetzt, um allein im All sterben und wenigstens ihnen ein Weiterleben ermöglichen zu können. Durch den Kontakt zu uns  Wesen, die es weder unterdrücken, noch quälen wollen  hat es mittlerweile erkannt, dass es auch andere Lebensmodelle gibt. Die Rückkehr in den Nexus hat es allerdings mit gemischten Gefühlen vollzogen. Einerseits sehnte es sich nach seiner Heimat-Dimension und seinem Ursprungsplaneten zurück, andererseits fürchtete es sich – und tut es noch – vor einer erneuten Versklavung. Der Kontakt zu anderen, von Hydren erlösten Vertretern seiner Art, muss es erneut umgestimmt haben. Es will nicht mehr sterben!«

Bérénice nickte nur. Aber Laurent atmete deutlich ein und aus. Auch die beiden Mazzar stießen ein stakkato-artiges Klackern aus, das die anderen schon mehrfach als erleichtertes Seufzen kennengelernt hatten.

»Dann wird es also mit seinen Artgenossen und uns zu seiner Heimatwelt fliegen?« Bérénice beschäftigte längst eine andere, höchst persönliche Sache, wollte sie aber jetzt nicht erwähnen. Denn im Augenblick wusste sie noch nicht, was sie dagegen tun konnte … und ob sie das überhaupt wollte.

»Ja«, sagte Naya. Offenbar bemerkte sie Bérénices Gemütszustand nicht, denn die Rigelianerin lächelte wieder, zwar ein wenig gequält, dennoch zuversichtlich. »Ich muss euch mitteilen, dass es das auch ohne unser Zutun machen würde. Roy möchte aber trotzdem die Verbindung halten und uns warnen, sollte irgendetwas passieren. Flynn und ich können uns also für einige Zeit aus dem Symbiose-Netz lösen und uns um unsere eigenen Bedürfnisse kümmern.« Dabei blickte sie Bérénice an, als wolle sie sie gleich jetzt und hier in der Zentrale verführen. »Ich habe Hunger!«, sagte sie stattdessen. Ihr Tonfall trug aber zweifelsfrei Zweideutiges in sich. Und zwar so vernehmlich, dass es auch Laurent mitbekam.

»Und auf seinem Heimatplaneten sollen also wirklich keine Hydren mehr sein?« Laurent sah diesen Umstand wohl als ein vorübergehendes Asyl an, das ihnen Zeit gab, sich zu besinnen und die Verhältnisse dieser Dimension besser verstehen zu lernen.

»Ja«, bestätigte Naya und hakte sich bei Bérénice unter. »Sein Planet ist von den Hydren vor etwa …« Sie rechnete Zeitangaben des Slide-Wesens – von denen niemand außer den Rigelianern eine Ahnung hatte – offenbar in irdische Einheiten um. »… 250 unserer Jahre verlassen worden.«

»Und wo soll dieser Planet liegen?«

»In einer Region, welche die Slide-Wesen als Das Wilde Dunkel bezeichnen.«

Der anschließende Flug hatte zumindest eines bestätigt: Der Nexus war dunkel … und blieb dunkel. Bérénice Savoy hatte Freitag konsultiert, von ihm aber nur spärliche Informationen erhalten. Fast jede ihrer Fragen hatte er unbeantwortet gelassen und auf unzureichende Daten verwiesen. Lediglich seine frühere Prognose einer dichteren Konzentration dunkler Materie konnte er ein wenig enger fassen und behauptete nun, deren Masse läge im Vergleich zum Einsteinraum um den Faktor 3,1 höher.

Auf das, was sich in ihrem eigenen Gehirn neu und seltsam verändert hatte, brauchte sie den Roboter natürlich erst recht nicht ansprechen. Und Kefann  zwar eine überaus fähige Ärztin mit Kenntnissen der menschlichen Anatomie, aber als Vertreterin einer Spezies, die gar keine Erfahrungen mit parapsychischen Talenten hatte  schon gar nicht. Um sich ein wenig abzulenken, hatte sie Naya mit Leckerbissen verwöhnt und erfreut zugesehen, wie die Rigelianerin diese förmlich verschlungen hatte. Und zu ihrer eigenen Erleichterung war die Mutantin nach dem Mahl fast sofort eingeschlafen, anstatt Bérénice zu verführen, wie es ihre grünen Augen anfänglich noch angekündigt hatten.

Jetzt lagen sie beide – Naya tief und fest schlafend, Bérénice aber hellwach – nebeneinander in einem der vielen Hohlräume des Slide-Schiffes, die man mit einiger Großzügigkeit als Kabinen bezeichnen konnte.

Das Wilde Dunkel, dachte Bérénice. Ich spüre auch in mir einen Bereich, der dunkel war. Diesen Sektor ihres Gehirns hatte sie immer mit Misstrauen beobachtet. Besonders während des Zeitraumes, in dem sie – gleichermaßen von Menschen wie Mazzar – bruchstückhaft geistig ferngelenkt worden war, bis hin zu ihrem Erwachen. Sie hatte nur einmal versucht, sich von Naya diesen Sektor durchleuchten zu lassen … was missglückt war, da sie als konditionierte Agentin über einen Psycho-Schirm verfügte, der das Eindringen eines fremden Bewusstseins verhinderte.

Und doch fühlte die Agentin seit ihrer Ankunft in der fremden Dimension, dass sich etwas verändert hatte: Der dunkle Sektor war nicht mehr so finster und undurchdringlich! Anstelle eines Wilden Dunkels war da nun ein Bereich, der viele Türen zu besitzen schien, sie mit Angeboten lockte, die bislang nur verheißungsvolle Wellen ausströmten … unkonkret und scheu. Die ersten dieser Wellen hatte sie sich noch als Anpassung an den Nexus erklärt. Doch seit Stunden reifte in ihr die Erkenntnis, dass da mehr war. Dieses Raunen …

Bérénices Augen hatten die ganze Zeit auf der schlafenden Naya geruht, sie aber nicht wirklich gesehen. Jetzt fand ihr Verstand in die Realität zurück und bemerkte, dass ihre Freundin zwar noch schlief, aber jeden Moment erwachen würde. Woher sie diese Gewissheit nahm, wusste sie nicht. Als Naya nur wenig später tatsächlich ihre Lider hob, spürte Bérénice förmlich den auf atomarer Ebene gesetzten Haken, den ihr Verstand machte.

Um sich selbst abzulenken, musterte sie im aufglimmenden Schein der biolumineszenten Kabinenbeleuchtung ihre Freundin und stellte fest, dass Naya wirklich erholter aussah. Offenbar reagierte das Slide-Wesen auf Akustik und Bewegung seiner Gäste und erhöhte das Licht im Raum, ohne auf einen entsprechenden Befehl zu warten. Von dem Bérénice ohnehin nicht wusste, wie sie den hätte äußern können.

»Geht es dir gut?«, fragte sie stattdessen.

»Ja.« Naya wirkte entspannter, ruhiger.

»Das Geflecht«, begann Bérénice und fuhr mit einer Hand die Stellen an Nayas Gesicht nach, auf denen immer noch schwach die Abdrücke zu sehen waren, welche das Symbiose-Netz hinterlassen hatte. »Schmerzt dich der Kontakt mit dem Schiff? Ich meine … körperlich?«

»Nein. Und bevor du fragst: Auch geistig wird die Belastung geringer. Wir … passen uns einander an.« Dann lächelte die Empathin zaghaft. »Am Anfang war es … überwältigend, erschreckend. Ein Geist, so fremd, so andersartig. Dazu angefüllt mit Ängsten, Wut, Trauer, Entsetzen, Hoffnungslosigkeit, Todeswillen. Ich … auch Roy und Flynn, wir wurden förmlich überschwemmt und hatten permanent damit zu kämpfen, uns in diesem mentalen Chaos nicht zu verlieren oder verrückt zu werden.« Fast entschuldigend senkte sie ihren Blick, tastete nach der Hand Bérénices, die erschrocken in ihrem Tun innegehalten hatte, und nun die lange vermisste Wärme der Rigelianerin neu entdeckte.

»Es hätte nicht mehr viel gefehlt und wir wären …« Naya unterbrach sich und sah die schwarze Frau neben sich plötzlich an, als würde sie sie nicht kennen. »Du bist anders …«, fing sie stockend an und ihr blasses, von unzähligen winzigen Sommersprossen bedecktes Gesicht zeigte eine neue Angst. »Stößt dich mein Kontakt zu dem Schiff ab? Hast du … hast du deine Gefühle für mich verloren? Ich spüre eine Dunkelheit in dir, fast so, als würdest du immer noch mit Psychodrogen und Implantaten vollgestopft sein.«

»Nein!« Bérénice schüttelte heftig den Kopf und wusste in diesem Augenblick, dass sie es nur tat, um sich selbst von dem zu entfernen, was sie in sich anschwellen fühlte. »Das Wilde Dunkel ist nur dort draußen«, flüsterte sie und schämte sich sofort für diese Lüge, brachte aber nichts anderes über ihre Lippen. »Nur dort draußen, Liebes …«

Dann senkte sie ihre Lippen auf die ihrer Freundin, schloss die Augen und küsste sie so lange, bis sie beide fast keine Luft mehr bekamen. Für einen Moment öffneten die Frauen ihre Augen und Münder wieder, nur um sich gegenseitig die wenigen Kleidungsstücke auszuziehen und sich dann sofort erneut zu umschlingen.

Hydra

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