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Im Nexus
ОглавлениеDas Raumschiff mit der menschlichen Bezeichnung MOBY DICK sendete seit ihrer Ankunft im Nexus – ob nun bewusst oder unbewusst Emotionen aus, die mittlerweile selbst die Nicht-Empathen an Bord erreichten. Wellen widersprüchlicher Gefühle überrollten Menschen, Mazzar und Gorillas. Nur Freitag blieb davon naturgemäß verschont. Es dauerte eine Weile, bis Bérénice verstand, was das Wesen so stark fühlen ließ und rechnete ihre erst kurze Zeit zurückliegende Empfindung der gleichen Ursache zu.
Es freut sich, in seine Heimatdimension zurückgekehrt zu sein. Gleichzeitig scheint es die Befürchtung zu hegen, wieder unter das Joch der Hydren geraten zu können. Die schwarze Agentin mahlte mit ihren Kieferknochen. Ich werde das nicht zulassen! Wenn wir den Hydren diese Schiffe abspenstig machen, sie vielleicht zu einer Rebellion bewegen könnten … die Gorillas ebenso … dann nähmen wir den Hydren die Möglichkeit, unsere Dimension heimzusuchen. Sie hatte diese eher unwahrscheinlichen Pläne kaum gedacht, als ihr die knallharte Konsequenz klar wurde: Es würde nichts daran ändern, dass unsere Ultraraumschocks hier im Nexus unendliches Unheil anrichten.
»Wo fliegen wir eigentlich hin?« Bozadd stand mittlerweile auf gleicher Höhe wie Bérénice und musterte die drei Rigelianer, die unentwegt mit dem Slide-Schiff auf eine Weise verbunden waren, die ihm unheimlich erscheinen musste.
Auch mir, dachte die Agentin und hoffte, dass ihre Geliebte keine Schäden davontragen würde. »Keine Ahnung, Bozadd. Aber unsere Empathen hier müssen den Flug zu einem Ziel – welchem auch immer – vorerst dem Schiff überlassen. Wir kennen uns hier noch nicht aus.« Sie drehte sich zu dem Kampfroboter um, der wieder seinen Platz hinter ihnen eingenommen hatte. »Freitag. Du hast sicher damit begonnen, eine Sternenkarte anzulegen.«
»Selbstverständlich, Agent Savoy.«
Er machte eine winzige Pause und entschied sich entgegen seiner vor kurzem getätigten Bemerkung dann doch dafür, ihnen weitere Erläuterungen zu geben.
»Aus praktischen Erwägungen, und in Anlehnung an die bestehende Praxis aus unserer Milchstraße, habe ich unseren Transferpunkt als Nullpunkt für ein Nexus-Koordinatensystem angenommen. Natürlich wäre es klarer und logischer, das hiesige galaktische Zentrum als NKS 0° zu bezeichnen. Aber die Menschheit hat auch nach Besiedelung anderer Planeten darauf verzichtet, das realitätsferne Koordinatenwerk mit der Erde als zentralen Punkt auf ein galakto-zentrisches System umzurechnen.«
Wieder einmal hatte Bérénice den Eindruck, dass die Maschine eine menschliche Vorgehensweise missbilligte.
»Sobald mir ausreichende Datenmengen zur Verfügung stehen«, fuhr der Roboter fort, »kann ich alle bis dahin festgestellten Sternkoordinaten zumindest auf eine hiesige Ekliptik umrechnen.«
»Danke, Freitag. Mach das so!« Dann wandte sich die Agentin an Naya. »Kannst du feststellen, wohin die MOBY DICK will?«
Naya musste sie trotz ihrer Konzentration auf das Slide-Schiff gehört haben. Dennoch verhielt sich die rothaarige Rigelianerin nicht so, wie man es hätte erwarten können, sondern fing stattdessen unvermittelt zu zittern an. Auch ihre männlichen Clan-Mitglieder standen nicht mehr ruhig in ihren biologischen Gespinsten, sondern zeigten vibrierende Arme und Beine. Bérénice hatte den Eindruck, dass sie sogar niedergesunken wären, würde das Geflecht sie nicht stabilisieren.
»Kefann, schnell!«
Die Mazzar-Ärztin hatte schon vorher reagiert und hielt ein Gerät an den Kopf Nayas, das die Menschen bisher noch nicht bei einem Mazzar gesehen hatten. Doch bevor Kefann etwas aus den Anzeigen schließen konnte, riss sie ein Ruf Laurents aus ihren Bemühungen, den Rigelianern irgendeine Hilfe zukommen zu lassen.
»Dort! Die Monitore … rechter Quadrant.«
Bérénice, Arliss und Bozadd richteten ihre Blicke auf diese Stelle der Darstellung … und fühlten augenblicklich Adrenalin oder dessen mazzarisches Pendant durch ihre Adern schießen.
Eine Kette von Explosionen war da zu sehen. Lautlos und dennoch schrecklich. Acht, elf, fünfzehn, immer mehr glühende Plasmawolken dehnten sich aus und vernichteten etwas, was sie nicht sehen konnten.
»Eine Raumschlacht«, stieß Laurent hervor und fasste unweigerlich – und nutzlos an den Griff seiner schweren Laserwaffe.
»Zwischen wem?«, fragte Bozadd und zappelte von einem Bein auf das andere. Es behagte ihm offensichtlich gar nicht, tatenlos herumstehen zu müssen und nicht in einem Pilotensitz agieren zu können. Bérénice nahm einen Hauch des süßlichen Geruches wahr, den Mazzar immer bei Aufregung aus ihren Hautdrüsen abgaben.
»Freitag?« Bérénice ahnte, dass sie nicht eine Schlacht sahen, sondern …
»Negativ, Trooper Girard. Die Detonationen sind kein Ergebnis von Raketen oder anderen weltraumtauglichen Waffen. Ich stelle massive Schockwellen gravimetrischer Art fest. Nach allen bislang nur theoretisch prognostizierten Auswirkungen unserer harten Ultraraum-Sprungtechnologie können wir diese nun live als reale Geschehnisse beobachten.«
»Naya! Bring uns dorthin! Vielleicht können wir jemanden retten.«
»Ich würde davon dringend abraten, Agent Savoy«, kam es sofort von dem Roboter. »Nach allem, was Sie mir darüber mitgeteilt haben, sind dies Schäden, die Raumschiffe aus unserem Einstein-Universum anrichten. Es ist mir unmöglich festzustellen, ob an den dortigen Koordinaten weitere Schockwellen zu befürchten sind.«
»Das weiß ich selbst, Blechschädel. Und nur um das für alle noch einmal klarzustellen: Wir können jede Sekunde von einer Schockwelle getroffen werden, egal wo wir uns befinden. Und wir kannten das Risiko. Schließlich sind wir hierhergekommen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.«
Sie wirbelte zu Naya herum, ergriff sie mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte ihre Freundin, als müsse sie diese aus einem tiefen Schlaf reißen. »Naya, verdammt, wach auf!« Der Kopf der Rigelianerin wackelte bedenklich. Aber die Augen der hübschen Empathin blieben geschlossen. Bérénice holte mit einer Hand aus und verpasste Naya zwei schallende Ohrfeigen, die tatsächlich Wirkung zeigten.
»Nice … es ist so schrecklich. Sie sterben … alle. Was tun wir ihnen nur an?«
»Lebt dort noch jemand? Kann die MOBY DICK Artgenossen aufspüren?«
»Über diese Entfernung?« Laurent war als Nicht-Mutant kaum in der Lage, sich die Wege vorstellen zu können, mittels derer parapsychisch begabte Menschen – und schon gar nicht fremde Lebewesen aus einer anderen Dimension – miteinander kommunizieren konnten.
»Es leidet … und spürt die Anwesenheit Hunderter Hydren. Wir haben keine Chance, ihnen zu Hilfe zu eilen, ohne Gefahr zu laufen, von ihnen angegriffen zu werden. Die Hydren … sie orten uns bereits auf telepathische Weise. Würden sie noch die Herrschaft über ihre Slide-Schiffe besitzen, würden sie uns sofort angreifen. Wir müssen hier weg!« Naya bäumte sich plötzlich auf, als hätten ihre eindringlichen Worte sie zu viel Kraft gekostet.
»Wohin, verdammt?«
Naya schien nicht mehr in der Lage zu sein, ihr eine Antwort geben zu können. Sie hatte ihre Augen wieder geschlossen und hing wie ein schlaffer Sack in dem offenbar immer dichter werdenden Geflecht. Stattdessen drehte sich ihr Bruder Flynn zu Bérénice um. Sein aschfahles Gesicht war ein einziger Ausdruck von Entsetzen. »Die MOBY DICK will zu ihrem Heimatplaneten und meint, dass dort schon lange keine Hydren mehr wären.«
»Wieso?«
»Die Hydren haben alle brauchbaren Slide-Wesen von dort weggeschafft und ihrem Zuchtprogramm auf anderen Planeten unterworfen, welche näher an ihrem eigenen Heimatsystem liegen. Vielleicht auch ganz einfach deswegen, weil die Slide-Wesen im Verlauf ihrer natürlichen Entwicklung jegliche Materie im All abgeerntet und gefressen haben. Möglicherweise habe ich schon einmal ein Gedankenbild dieses nahrungslosen Raumabschnittes gesehen. Dennoch will die MOBY DICK zu ihrer Ursprungswelt zurück … um dort zu sterben.«
»Was?« Arliss´ Lippen kräuselten sich heftig und aus den vielen warzenähnlichen Drüsen strömte ein süßlich duftendes Sekret, welches mehr als deutlich anzeigte, dass auch die Mazzar-Anführerin echte Angst empfand. »Wenn wir die MOBY DICK verlieren …«
»Was hindert das Slide-Schiff daran, jetzt sofort dorthin zu fliegen?« Bozadd hätte wahrscheinlich an dessen Stelle schon längst Kurs darauf genommen.
Roy war es diesmal, der ihnen eine Antwort gab. »Es bleibt in deren relativer Nähe … um ihre letzten Gedanken aufzunehmen. Ihre Art, den Sterbenden die letzte Ehre zu erwei…«
Von einem Moment zum anderen brach Roy ab und schien durch die Monitore, durch die Körperhülle des Lebendschiffes … und über die Millionen von Kilometern hinweg, auf den Ort des Sterbens blicken zu können. Dann riss er seine Augen auf und kurz nach ihm taten das auch Naya und Flynn. Fast unisono sagten sie vier Worte, die wohl zu einem anderen Zeitpunkt für Freude gesorgt hätten:
»Die Hydren sind tot.«
»Was zur Hölle …«, stieß Laurent hervor und ging wie ein gefangener Tiger mit gezogenem Lasergewehr auf und ab. Er hätte sich wohl am liebsten in einen Kampf geworfen, zu dem er etwas beitragen konnte. Diese übersinnlichen Verständigungen waren so ganz und gar nicht nach seinem Geschmack. Er hätte seinen Gegnern gerne Auge in Auge gegenübergestanden. »Was hat das nun wieder zu bedeuten?«
»Die MOBY DICK berichtet uns, dass alle an Bord der 23 betroffenen Slide-Schiffe befindlichen Hydren tot sind.«
»Super!«, rief Laurent aufgebracht. »Das ist doch ein guter Anfang. Machen wir sie alle platt und fliegen wieder nach Hause!«
»Trooper Girard!«, donnerte Bérénice und blitzte ihren ehemaligen Kameraden drohend an. »Wir sind nicht hier, um Hydren zu töten …«
»Ach, nein?«, schrie er zurück und hatte mittlerweile einen roten Kopf. »Wollen Sie also lieber abwarten, bis uns eine Schockwelle erwischt und aus dem All fegt, Madame? Dieses Abenteuer entwickelt sich zu einem Höllenflug. Jede Sekunde könnten wir sterben. Und ich kann nichts, rein gar nichts dagegen tun. Es gefällt mir hier nicht!«
Dass er sie in seiner Wut plötzlich wieder siezte, veranlasste Bérénice, es ihm gleichzutun.
»Mir auch nicht!«, zischte sie zurück. »Aber wir sind die Einzigen, die es aus unserer Dimension bis hierher geschafft haben. Wir sind die Einzigen, die eine Chance haben, dem Morden ein Ende zu setzen!« Dann funkelte sie ihn mit zornigem Blick an. »Und wenn Sie sich beruhigt haben, sollten auch Sie erkennen, dass diese 23 von ihren Sklavenhaltern befreiten Slide-Schiffe ein Geschenk sind … sein können.«
Ohne sich weiter um den Trooper zu kümmern, drehte sie sich zu den Rigelianern um. »Könnt ihr die MOBY DICK dazu bringen, zu dieser Flotte zu fliegen? Und zwar so schnell es nur geht?«
Naya wandte sich ihr zu und ließ durch ihre nächsten Worte erkennen, dass sie noch längst nicht die Kontrolle über das Lebendschiff erlangt hatten. Und vielleicht nie erlangen würden. »Es hat schon Kurs auf die Gruppe genommen … und sendet telepathische Signale aus.«
Laurent Girard erschrak und presste mühsam hervor: »Könnt ihr das stoppen, Naya? Vielleicht locken wir damit neue Schiffe an … mit lebenden Hydren.«
»Tut mir leid. Die MOBY DICK lässt sich nicht davon abbringen.«
»Lasst sie in Ruhe!«, warf Bérénice plötzlich in die Runde. »Im Grunde ist es genau das, was eine meiner Hoffnungen war: unbemannte Slide-Schiffe!«