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Im Einsteinraum

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Enyas Worte und ihr im Augenblick allgegenwärtiges Gesicht erreichten auch ein Kontingent Mazzar, welches erstaunlicherweise von den Menschen der Frontbasis CV weder verbal noch physisch attackiert wurde. Die Trooper, Techniker und die wenigen Zivilisten, welche die Gruppe, die aus etwa dreißig Krötenabkömmlingen bestand, umgaben, waren ohnehin hin- und hergerissen zwischen den zermürbenden Bildern, welche die Monitore in gestochener Schärfe übertrugen, und der Tatsache, dass der fast unsichtbare Feind die Basis tatsächlich zu verschonen schien. Dagegen war der seltene Anblick von übergroßen und in bunte Kleidung gehüllte  vor allem: waffenlosen  Amphibien erst einmal zweitrangig. Doch das änderte sich genau in diesem Moment.

Zuallererst trug das andächtige Verhalten … dann der einsetzende Gesang der Kröten dazu bei, dass sich die Menschen eher erstaunt als bedroht der Szene widmeten, die sich ihnen hier bot: Die Außerirdischen hatten eine lockere Formation eingenommen, die es allen Beobachtern erlaubte, jeden einzelnen Mazzar sehen zu können. Die Kröten hielten ihre Augen geschlossen und hatten beide Hände waagerecht darübergelegt. Die Spitzen der einen Krallenhand berührten die der zweiten. Nur die Münder standen offen und gaben ein tiefes Summen von sich, das sich lediglich zu Beginn wie eine anlaufende Maschine anhörte. Nur wenige Herzschläge später fanden die einzelnen Stimmen zueinander und gaben ein rhythmisches Hoch und Tief von sich, das wie das Werben männlicher Frösche in einem Tümpel klang. Der summende Gesang wechselte zu lockendem Quaken, trug mehrfach erotische Varianten in sich, welche die Menschen speziesübergreifend auch als solche erkannten und endeten schließlich in hoffnungsvollen Stimmen, die keine anderen Interpretationen als Respekt, Gedenken und Hoffnung zuließen. Der Trauergesang der Mazzar hielt mehrere Minuten an, sodass auch dem letzten ahnungslosen Menschen klar wurde, dass die ehemaligen Feinde soeben die Terraner beweinten, welche dort draußen gestorben waren. Viele Stationsmitglieder hatten Tränen in den Augen. Sei es aus dem Grund, dass sie etliche Freunde, Kameraden, vielleicht sogar Verwandte nie wieder sehen würden. Oder aus dem Umstand, dass Außerirdische, die sie über viele Jahrzehnte hinweg als ihre Erzfeinde betrachtet hatten, den Gefallenen die letzte Ehre erwiesen.

Zwei, drei, dann dutzende Menschen hoben eine Hand zum militärischen Gruß an ihre Stirn, als die Mazzar ihren Gesang beendeten, sich neu formierten und den Gang beschritten, den ihnen ein Sergeant mit einer achtungsvollen Geste bedeutete. Dessen Begleitung, vier schwer bewaffnete Trooperinnen und Trooper, senkten ihre Waffen, welche sie in der üblichen Position vor sich gehalten hatten. Hätte eine dritte Partei jetzt Zuschauer sein können, hätte sie den Eindruck gewinnen können, die Spacetrooper würden die Mazzar eher eskortieren, anstatt sie zu bewachen.

Enya, die über eine andere Com-Verbindung die Szene beobachtet hatte, ließ sich von dem freundlichen Inder die Abteilung zeigen, in welche die Mazzar-Gruppe von dem Sergeanten offenbar geleitet wurde. Es war der Konferenzraum, in dem sie nur wenig zuvor selbst gesessen hatte.

Das können nur Lemurr und sein Gefolge sein, dachte Enya. Vielleicht erfahren wir jetzt, warum zig Mazzar-Planeten und Basen von den Hydren vernichtet wurden und werden … und wir hier noch leben dürfen.

Da ihr Weg kürzer war, traf die Rigelianerin noch vor den Mazzar im Konferenzraum ein. Doch der war bis auf eine Person leer.

Die beiden Admirale dürften sich an Bord ihrer Schiffe begeben haben. Wie vernünftig können sie sich angesichts dieses Massakers verhalten? Dann sah sie das erstaunlich gefasste Gesicht der französisch-stämmigen Agentin. Enya atmete tief ein und aus und setzte sich stumm in den Sessel, den sie auch vorher belegt hatte.

»Ihre Freundin … DC?«, fragte die Clan-Chefin. »Wie groß ist deren Drang, sich den Hydren entgegenzuwerfen?«

»Größer als Sie denken könnten, Enya«, antwortete die Agentin ruhig. »Aber nicht so groß, dass sie darüber ihren Verstand ausschalten würde. Sie … wir alle haben Ihre Worte gehört. Und es erfüllt mich mit Stolz, dass kein einziges Raumschiff die Basis verlassen hat. Es zeigt, dass wir selbst in Extremsituationen zu vernunftbegabtem Handeln fähig sind. Wir Menschen haben dazugelernt.« Dann deutete sie mit einer knappen Geste auf einen der Monitore, welche die Mazzar-Gruppe auf ihrem Weg zu ihnen zeigte. »Schon wirklich erstaunlich, nicht wahr? Noch vor weniger als einem Jahr hätten wir mit allen Waffen aufeinander geschossen, die wir aufzubieten in der Lage gewesen wären. Und jetzt …«

»… helfen uns auch die modernsten Waffen nicht, Agent Colbert. Ist es Ihnen nicht aufgefallen? Die Hydren haben keine einzige Waffe auf uns abgefeuert. Das war ein mentaler Angriff! Einer, wie ich ihn mir selbst nie vorzustellen erlaubt habe. Das, was wir Mutanten einen parapsychischen Abwehrschirm nennen, haben unsere Raumschiffe nicht. Dieser Raum schon. Die Technologie ist also vorhanden. Und wir sollten sie sofort in alle unsere Raumschiffe und Basen installieren!«

»Vielleicht nur in die mobilen Einheiten.« Amélie Colbert sah nachdenklich durch die Telepathin hindurch, so als wolle sie selbst in die Gehirne der Hydren eindringen. »Warum vernichten sie Mazzar-Planeten und Basen und unsere nicht? Die Raumschiffe haben sie ja auch zerstört … ich verstehe es nicht.«

Dann erschien auf einem aufleuchtenden Monitor das Gesicht des Wachmannes vor der Panzertür. »Agent Colbert? Die beiden Admirale Carpenter und van der Moiren sind zurück … und eine Abteilung Mazzar.«

»Sie haben die Mazzar auf Waffen gescannt, Sergeant Yun?«

Der Mann schien verblüfft zu sein, dass sie seinen Namen auf der Uniformplakette hatte lesen können und blickte auf das kleine Schildchen herab. Dann begriff er, dass es nicht in den Aufnahmebereich der Gesichtserkennung ragen konnte. Also musste ihr seine Identität schon vorher bekannt gewesen sein. »Äh … selbstverständlich, Agent Colbert. Weder Bio-Scan, noch …«

»Schon gut, Sergeant Yun. Lassen Sie sie eintreten!«

»Aye, Madam.« Fast sofort wechselte die Panzerkontrolle von Grün auf Rot und nacheinander traten Diana Carpenter, danach die Mazzar und zum Schluss Admiral van der Moiren ein.

Sowohl Enya, als auch Amélie Colbert erhoben sich und neigten ehrerbietig ihre Köpfe dem vordersten der Mazzar zu, von dem sie annehmen mussten, es sei Lemurr. Es waren auch weibliche Mazzar in der Gruppe, doch die hielten sich im Hintergrund.

»Wir möchten Sie und Ihre Begleitung herzlich an Bord dieser Station begrüßen … Lemurr, Achter Spender der Nestmutter.« Ein Translator auf dem Konferenztisch übertrug die terranischen Worte in die fremde Sprache. Es klang, als hätte eine spanische Tänzerin kurz mit ihren Kastagnetten geklappert.

»Danke, Agent Amélie Colbert. Der Grund dieses Treffens war schon bei unserem ersten Kontakt kein erfreulicher«, begann er und legte für einen Moment wieder beide Hände über seine Augen. »Und dieser Angriff eben bestärkt mich nur in meinem Bestreben, mein Anliegen mit noch mehr Elan in Angriff zu nehmen.«

»Leider sind die Sitzmöbel dieser Station noch nicht auf die Körpermaße von Mazzar ausgelegt, Lemurr. Wollen Sie und Ihre Begleitung daher bitte auf dem Boden Platz nehmen? Es würde die Verständigung auf Augenhöhe vereinfachen, wenn Sie erlauben.«

»Auf Augenhöhe«, wiederholte der Mazzar und nahm ihren Vorschlag an. Die anderen Krötenabkömmlinge folgten seinem Beispiel und schließlich setzten sich auch die vier Menschen in ihre Sessel. »Ein schöner Terminus, Agent Amélie Colbert. Niemand soll auf den anderen herab- oder zu ihm hinaufblicken müssen.«

Woher er den Ausdruck kannte, ließ er unerwähnt.

Die Mazzar – zumindest in gewissen Kreisen – scheinen sich intensiver mit der Menschheit befasst zu haben, als wir ahnen, dachte die Französin und nahm sich vor, alle Kontaktquellen zu umfangreicheren Forschungen der Mazzar-Gesellschaft anzuhalten … jetzt, da sie der Menschheit in begrenztem Umfang Zugang zu ihren zivilen Niederlassungen gewährte. Und soweit es der Bürgerkrieg zulässt.

»Fangen wir ohne große Vorreden mit Ihrer Meinung an, warum dieser Hydren-Angriff sich nur auf unsere aktiven Raumschiffe bezog und nicht auch auf die innerhalb dieser Basis oder die Basis selbst. Verstehen Sie mich nicht falsch, Lemurr. Wir sind entsetzt über die Schnelligkeit und brutale Konsequenz dieses Angriffes und betrauern natürlich die Opfer, die wir zu beklagen haben. Und wir freuen uns natürlich, dass wir noch leben. Aber wir verstehen es nicht! Sie deuteten an, dass Sie, beziehungsweise das Reich Mazzar, dazu Erkenntnisse gewonnen haben?«

Lemurr wartete die Übersetzung des Translators ab, schien aber schon vorhergeahnt oder gewusst zu haben, welche Frage aus dem Gerät kommen würde. In einer verblüffend menschlichen Geste nickte er mit seinem Kopf und sah nacheinander in die Gesichter der vier Menschen … und blieb bei dem Enyas hängen.

»Ja, haben wir«, eröffnete er und ließ dann seine Zunge herausrollen und mehrere Sekunden offen hängen. Als er dafür von den Menschen verständnislose Blicke erntete, rollte er sie wieder ein und stieß kurze Klacklaute aus, die von den drei Frauen und dem Mann zumindest ansatzweise als verhaltenes Lachen verstanden wurden. Bérénice Savoy hätte die Bedeutung der Zungengeste erkannt.

»Eine offene – und damit verletzbare  Zunge bedeutet bei uns Mazzar eine Entschuldigung. Je länger man sie zeigt … Sie verstehen sicher.« Als niemand darauf antwortete, fuhr er fort. »Ich darf zunächst erwähnen, dass wir Mazzar uns seit vielen Jahrzehnten den Angriffen der Hydren ausgesetzt sehen. Die Traditionalisten unter uns hatten für viele Jahre gehofft, unsere zahlenmäßige Dominanz in unserem Teil der Galaxis würde die Hydren irgendwann dazu bewegen, die Hoffnungslosigkeit ihrer Angriffe einzusehen. Die Modernisten hingegen plädierten von Anfang an dafür, die Menschheit einzuweihen, anstatt sie nur durch unsere Angriffe zur von uns erwünschten Aufrüstung zu bewegen.« Er stieß ein tiefes, stakkatoartiges Klackern aus, das die Menschen durch die nachfolgenden Worte als Seufzen interpretierten. »Doch die Hydren griffen uns weiterhin an. Ein Raumschiff, eine Flotte und ein Planet nach dem anderen gingen im Feuer der Hydren in das Ewige Nest ein.«

Selbst van der Moiren konnte im Gesicht Lemurrs erkennen, dass dieser tiefe Trauer für die ungezählten Opfer empfinden musste.

»Es dauerte lange, bis wir begriffen, dass von den Raumschiffen der Hydren selbst kein einziger Schuss abgefeuert wird.«

»Und wie konnten sie dann Ihre Welten zerstören? Diese Schlangen müssen eine Waffe besitzen«, ereiferte sich der Admiral und sah sich hilfesuchend bei den anderen um.

Wieder ließ Lemurr kurz seine Zunge sehen, wandte erneut seinen Blick zu Enya und sprach dann weiter. »Wir Mazzar sind nicht wie manche Menschen mit PSI-Fähigkeiten gesegnet. Jahrelange Forschungen unserer Ärzte haben ergeben, dass wir auch nicht ansatzweise eine Chance hätten, ähnliche Mutationen zu entwickeln, wie Ihre Rigelianer oder andere Menschen. Wir Mazzar sind daher völlig immun gegen parapsychische Angriffe! Die Hydren konnten uns nicht hypnotisch überfallen und zur gegenseitigen Vernichtung vergewaltigen. Sie mussten sich etwas anderes einfallen lassen. Wir verstanden anfangs einfach die Art der Waffe nicht, welche die Hydren anwendeten …«

»Also doch eine Waffe«, warf van der Moiren triumphierend ein. Allen war klar, dass seinem militärischen Verstand eine andere Erklärung fast unmöglich war. Und genau in diesem Punkt ähnelte er den Krötenwesen mehr, als er wohl auch nur entfernt in Erwägung ziehen würde.

»Wenn Sie deren parapsychischen Abwehrschirm als eine Waffe bezeichnen wollen, Admiral? Dann ja! Als wir dieses für uns so völlig andersartige Konzept endlich verstanden hatten, lag es nahe, was dahinter stecken könnte. Es hatte wiederum vieler Opfer und viel zu langer Zeit bedurft, um unsere Vermutung bestätigt zu bekommen: Die Slide-Schiffe der Hydren nehmen mit ihren Paraschirmen jedwede – sei es aus Raketen, Torpedos, Laserlanzen, ja, selbst die aus der Corona von Sonnen – gewonnene Energie auf und können diese zur Verstärkung ihrer Schirme nutzen. Oder sie schlagartig von sich geben und damit alles vernichten, was sich in unmittelbarer Nähe befindet. Dabei gehen sie selbstverständlich mit in den Tod.«

»Sie opfern also ihre Schiffe und sich selbst?«

»Ja. Die Menschheit kennt ebenfalls eine ähnliche militärische Strategie. Ich glaube, Sie nennen dies Kamikatze …?«

»Kamikaze«, korrigierte van der Moiren automatisch und schien die Tragweite der Opferbereitschaft der Hydren nur schwer begreifen zu können. »Das müssen seit Ausbruch des Krieges ja Tausende von Slide-Schiffen und ungezählte Besatzungen gewesen sein.«

»Ja«, bestätigte Lemurr wieder und atmete hörbar ein und aus. »Und darin liegt nach unserer Ansicht der Grund, warum die Hydren die Menschheit mit einer anderen Strategie angreifen.«

»Spannen Sie uns nicht so auf die Folter, Lemurr«, sagte Amélie Colbert und schien sich ein wenig vor dem zu fürchten, was sich als dunkler Schatten in ihrem Kopf schon zu regen begann.

»Die Hydren haben erkannt, dass die Menschen anfällig gegen hypnotische Angriffe sind, von konditionierten Gehirnen einmal abgesehen. Sie können also auf ihre Kamikaze-Angriffe verzichten und dennoch überwältigende Siege erringen. Ohne auch nur ein einziges weiteres Schiff oder eine einzige Schlange dabei einzubüßen.«

Diana Carpenter hatte aufmerksam zugehört und nur auf eine Ungereimtheit des Mazzar-Anführers gewartet. »Das erklärt aber immer noch nicht, warum sie diese Basis und alle darin verschont haben«, widersprach die Admiralin. »Den Hydren muss doch klar sein, dass die Schiffe in den Docks nur Stunden oder Tage später die gleiche Gefahr darstellen, wie die aktiven draußen im All.«

»Doch, das tut es, meine Liebe«, kam es überraschend von der Rigelianerin.

»Hab´ ich etwas verpasst, meine Damen?« Van der Moiren hatte sich so auf Lemurr konzentriert, dass er die drei Frauen fast ausgeblendet hatte. Jetzt sah er Enya in einer Mischung aus böser Vorahnung und Angespanntheit an.

»Die Hydren sehen eine Chance darin, unsere Besatzungen auf Dauer zu übernehmen und damit Mensch gegen Mensch kämpfen zu lassen. Sie wollen uns hypnotisch unterwerfen! Richtig, Lemurr?«

»Ja, Enya von Rigel. Und es kommt noch schlimmer.«

»Was kann schlimmer sein als der Verlust seines Verstandes?« Admiral van der Moiren war blass geworden.

Lemurr kräuselte heftig seine Lippen. Selbst die über diese Mazzar-Geste uninformierten Menschen erkannten die Angst und die Abscheu, welche die Bewegung ausdrückte. »Wir Mazzar sind davon überzeugt, dass die Hydren eine neue Vorgehensweise vorbereiten.«

»Und die wäre?«, fragte van der Moiren.

»Eine Invasion der Menschen-Region.«

Hydra

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