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Vision Zwei

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Bérénice beobachtete, wie die MOBY DICK sich auf die kleine Flotte ausrichtete und sukzessiv Fahrt aufnahm. Nur aus den Augenwinkeln bekam sie mit, wie die Rigelianer sich bewegten und an ihren Pulten Schaltungen vorzunehmen versuchten, welche die Agentin eher an hilflose Streicheleien erinnerten. Wieder wurde ihr klar, dass sie noch weit davon entfernt waren, das Schiff steuern zu können.

Das, was wir hier tun, ist blanker Wahnsinn, schoss es ihr durch den Kopf. Was hätte ich dafür gegeben, dieses Schiff in aller Abgeschiedenheit und Ruhe erforschen zu können. Jetzt werden wir es wohl auf die harte Tour meistern müssen … oder sterben.

Sie kamen den anderen Slide-Lebewesen rasch näher, die auf einem der Schirme bislang nur als elek-tronisch erzeugte Punkte sichtbar waren. Für mehrere Sekunden rechnete Bérénice damit, dass die Schiffe fliehen könnten, da diese ja annehmen mussten, dass die MOBY DICK ein von Hydren besetztes Schiff war. Doch sie blieben.

Die parapsychischen Wellen der MOBY DICK müssen sie schon erreicht haben. Was teilt ihnen unser Schiff wohl mit?

Sie stellte sich vor, wie es sein würde, mit dieser Flotte in den Einsteinraum zurückkehren zu können … und von einem Wimpernschlag auf den nächsten war sie dort!

Die Agentin hatte schon in der Anfangsphase ihrer Tätigkeit mentale Effekte erleiden müssen, welche ihr Vertreter beider Kriegsparteien – Menschen wie auch Mazzar – via Implantaten, Codewörtern und Medikamenten angetan hatten. Als sie nach vielen Monaten der Qual die Erinnerungsfetzen ihrer künstlichen Komata endlich überwunden hatte, war sie von Flashbacks heimgesucht worden. Alle diese meist bruchstückhaften Szenen hatten sich auf Erlebnisse in ihrer Vergangenheit bezogen.

Jetzt hatte Bérénice aber das untrügliche Gefühl, sie würde einen Blick in die Zukunft werfen … zum zweiten Mal. Denn die Flotte aus Slide-Schiffen, die vor ihrem geistigen Auge agierte, bestand aus deutlich mehr als 23 Exemplaren.

Das müssen mindestens fünf Mal so viele sein.

Und diese hingen nicht abwartend im All, sondern kämpften! Vor einem Ringplaneten, der so verteufelt nach dem heimatlichen Saturn aussah, dass es der schwarzen Agentin heiß wurde und sich ihr Herzschlag rapide beschleunigte.

Bérénice musste aufgestöhnt haben, denn besorgte Stimmen um sie herum schienen ihren Namen zu rufen. Als läge eine schalldämmende Wand zwischen ihr und ihren Freunden, nahm sie deren Stimmen immer schwächer wahr, als würde sie sich ihnen auch physisch entziehen.

Stattdessen vernahm sie die üblichen Geräusche, welche während einer Raumschlacht die Zentrale eines beteiligten Schiffes erfüllten: rasche Kommandos, klickende Armaturen, heulende Sirenen, das dumpfe Dröhnen einschlagender Projektile. Erschütterungen und nahe oder ferne Detonationen, die sich über jedwedes Material in alle Abteilungen übertrugen und eine lautstarke Kulisse bildeten, in der die Besatzung sich meist nur mittels Helmfunks und gedrosselter Außenmikrofonen verständigen konnte. Draußen im All ist eine Schlacht ein kaltes, stummes Drama. Innerhalb eines Raumschiffes ist es die blanke Hölle.

Die Diskussion der Materialdesigner mit den Kampfpsychologen hielt seit Jahrzehnten an, ob man deshalb in so einer Situation jegliche akustische Wahrnehmung abschotten sollte, damit die kämpfende Besatzung sich auf ihre Hauptaufgabe konzentrieren konnte. Oder ob ein Mindestmaß an zusätzlichen akustischen Informationen dazu beitrug, das gesteckte Ziel zu erreichen ... und das eigene Überleben zu sichern. Bislang hatten sich Vertreter der letzteren Meinung durchgesetzt. Sie standen im harten Streit mit denjenigen, die für einen rein elektronischen Datenfluss plädierten.

Und Bérénice schien in diesem Moment ein Paradebeispiel zu sein, was irritierende Eindrücke mit einem Trooper, Mannschaftsmitglied oder Agenten anstellen konnten. Ihre Verwirrung währte aber nur kurz.

In der Sekunde, in der ihr klar wurde, dass dieser Planet nicht der Saturn war, sondern irgendein anderer Ringplanet, und sie eine weitere Vision erlebte, wich ihr heißer Adrenalinstoß kühler Beobachtung. Sie stand da, unbeweglich, einen kalten Blick in den Augen, der die anderen in der Zentrale sie wieder als Black Ice wahrnehmen ließ. Wie ein nüchterner Wissenschaftler verfolgte Bérénice die imaginäre Schlacht, sah die Schiffe durch das All fegen, sich gegenseitig vernichten, Trümmerstücke von sich schleudern und im Dunkel des Weltalls verschwinden.

Dann erkannte sie, dass es terranische Einheiten waren, die dort im Feuer der biologischen Raumschiffe vergingen. Als würde diese Erkenntnis ihre Sehschärfe erhöhen, betrachtete sie das Geschehen plötzlich so, wie ein Mediziner ein Bakterium unter einem Mikroskop beobachtet hätte.

Und sah, dass nur die terranischen Schiffe feuerten. Von den Slide-Schiffen ging kein einziger Feuerstrahl einer Rakete aus, kein blitzender Stoß einer Laserlanze … gar kein Beschuss! Dennoch waren es die terranischen Kampfschiffe, die detonierten.

Die Vision verschwand – scheinbar ohne äußeren oder inneren Anlass  so rasch, wie sie gekommen war.

Aber Bérénices linke Wange brannte. Jemand musste ihr eine Ohrfeige verpasst haben, wie sie selbst kurz zuvor Naya. Als die Agentin ihre unmittelbare Umgebung wieder bewusst wahrnahm, sah sie Laurent Girard vor sich stehen, die Augen voller Angst und Scham.

»Es tut mir leid, Madame. Ich wollte Sie nicht …«

»Schon gut, Laurent. Du musst nicht wieder in das formelle Sie zurückfallen. Ich brauche hier im Nexus jeden Freund, den ich finden kann. Aber vielleicht hättest du mich noch ein paar Sekunden … vergiss es! Du konntest nicht wissen, was mit mir ist. Aber tu das nie wieder! Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, käme es noch einmal vor.« Sie bekam mit, wie sein Blick unwillkürlich zu dem Griff ihres Katanas ging, welches sie in einer Schwertscheide auf dem Rücken trug.

Sie gönnte weder ihm noch den anderen eine Erklärung für ihr kurzfristiges Weggetretensein, sondern trat ganz dicht an Naya heran, umfasste mit beiden Händen deren Gesicht und drückte ihr einen langen Kuss auf den Mund.

Als Naya sie daraufhin mit großen Augen ansah, wagte Bérénice die Frage, die ihr die Vision beinahe beantwortet hätte: »Ich sah Menschen sterben, Liebes. Eine unserer Flotten wurde … wird … vernichtet werden. Von Slide-Wesen. Welche Waffen haben die lebenden Raumschiffe an Bord? Was steht ihnen, und vielleicht bald uns, zur Verfügung?«

Naya sah in diesem Moment wie ein weibliches Spiegelbild Laurents aus: entsetzt, kreidebleich, die Augen voller Furcht. Sie atmete tief ein und Bérénice ließ die Hände sinken, die sie immer noch an die Wangen ihrer Geliebten geschmiegt hatte.

»Die MOBY DICK verfügt über keine Waffen, Nice«, kam es leise von der Rigelianerin.

»Bitte?« Es war alles, was die schwarze Agentin hervorbrachte. Dann richtete sich ihr Blick in die Ferne … und wurde eiskalt.

»Wir …«, fing Girard an und stockte. »Wir sind in einer fremden Dimension, umgeben von wer weiß wie vielen Milliarden hypnotisch begabter Hydren, die dazu bis unter die Schuppen mit Rachegelüsten erfüllt sind … und besitzen keine raumtauglichen Waffen?«

»So ist es«, antwortete Naya. »Dieses Schiff – und wir entnehmen seinen Botschaften, dass dies auf alle Slide-Schiffe zutrifft – ist waffenlos.«

Hydra

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