Читать книгу Hydra - Werner Karl - Страница 13
Im Einsteinraum
ОглавлениеWährend also in diesem Augenblick zwei Admirale, eine Agentin und eine Telepathin in einem gut gesicherten Raum konferierten, zogen um die Frontbasis CV ein Dutzend terranische Wachkreuzer ihre Bahnen, unterstützt von Stilettos in vierfacher Zahl. Gut die Hälfte der pfeilförmigen Raumschiffe lag antriebslos im Ortungsschatten von Monden oder großen Asteroiden. Die andere Hälfte patrouillierte als zweite und weit auseinander gezogene Schale im Raum. Dafür liefen ihre passiven Ortungssysteme auf Hochtouren. Ihre Messbereiche überlagerten sich mehrfach mit denen der offensiven – und damit leistungsstärkeren Ortungsgeräte der Kreuzer, und schufen so einen unsichtbaren Kordon, den kein Raumschiff unbemerkt überwinden konnte. Zumindest dachte man dies an Bord besagter Schiffe und auch in der Ortungszentrale der Raumbasis.
Nachdem seit über sieben Monaten kein Ultraraum-Sprungschock mehr einen mazzarischen Angriff angekündigt hatte, herrschte in den betreffenden Abteilungen und Zentralen eine aufmerksame, aber vorsichtig gelassene Ruhe. Die Menschen und die wenigen fremdrassigen Verbündeten genossen die lange Gefechtspause, an die sie sich erst noch gewöhnen mussten. Viele hegten sogar die Hoffnung, dass der formal geschlossene Frieden mit den Mazzar sich dauerhaft etablieren würde. Jahrzehnte anhaltender Kriegshandlungen hatten die Sinne von Menschen und Außerirdischen dennoch so geschärft, dass es nur eines kleinen Vorfalls bedurft hätte, um sie in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen.
Doch das, was sich nun der Basis näherte, hätte auch in mit Adrenalin vollgepumpten Körpern und in unter Höchstlast laufenden Ortungsanlagen keinen Alarm ausgelöst. Denn der unheimliche Gegner befand sich noch gar nicht im Einstein-Universum. Vielleicht hätte Enya wenig später die Ankunft des Feindes bemerken können. Doch die saß in einem gerade auch gegen parapsychische Angriffe geschützten Raum und konnte somit ihre Sinne nicht auf einen Ort jenseits des Schutzschirmes richten.
An Bord der Wachstation gab es selbstverständlich massenhaft Kampfroboter der BEHEMOTH-Klasse III. Ihnen allen fehlten aber die Erfahrungen eines Kollegen namens Freitag, der im Zuge seiner Kämpfe an der Seite einer gewissen Agentin auch Daten über die Art Schiffe sammeln konnte – und es immer noch tat , die nun aus der Hölle selbst zu brechen schienen.
Das Tor zu dieser Hölle wirkte anfangs so gespenstisch und dabei so undramatisch, dass selbst die Sensoren eines Stilettos es nicht wahrnehmen konnten, obwohl dessen Entfernung dazu nur wenige Millionen Kilometer betrug. Die Pilotin, eine erfahrene afrikanisch-stämmige Mittdreißigerin, sah plötzlich nur einen Teil der Sterne verschwinden und dachte zunächst, ihre übermüdeten Augen würden ihr einen Streich spielen. Sie fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und tippte dann pflichtbeflissen auf einige Symbole ihrer Ortungsanzeigen. Doch auch da fand sie keine Erklärung für den schwarzen Fleck vor sich, der sich immer weiter auszudehnen schien. Als nur Wimpernschläge später inmitten der Finsternis ein vager Schimmer auftauchte und darin dunkle Schemen sich auf sie zubewegten, wollte sie den orange leuchtenden Alarm-Button drücken, über den ihre Linke schon geschwebt hatte. Doch eine unsichtbare Faust hielt ihre Hand wie einbetoniert in der Luft. Erschrocken zerrte sie daran, bäumte sich in ihrem Sitz auf und wollte vor Angst und Wut aufstöhnen. Doch auch das gelang ihr nicht. Verzweifelt schluckte sie und spürte, wie sich ihr Hals in ebensolcher Trägheit weigerte, ihr Atem und Stimme zu gönnen. Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen starrte sie auf einen immer heller werdenden Tunnel aus Licht, in dessen Mitte ein dunkler Schatten nach dem anderen auftauchte. Wabernd, offenbar mit unsteten Konturen, sich ihr dennoch zielstrebig nähernd.
Das ist kein Phänomen des Alls, dachte sie schaudernd. Das ist eine von Intelligenzen gesteuerte Aktion!
Es war ihr letzter bewusster Gedanke. Dann erfassten sie die hypnotischen Kräfte der Ankömmlinge und zwangen ihr deren Willen auf …
[Wir empfangen die Hirnwellen weit verstreut agierender Lebewesen. Bislang nur ein Muster pro Raumfahrzeug], kam die Nachricht zeitgleich in allen Gehirnen der Schlangenwesen an Bord des führenden Slide-Schiffes an.
[Ja. Wir registrieren Wellenmuster dieser glatthäutigen Zweibeiner. Definitiv keine Gorillas.] Natürlich benutzte die Hydra sowohl für die Raumschiffe, als auch für ihre eigenen Sklaven, andere Begriffe. Doch die hätten sich nicht in ein menschliches Wort übersetzen lassen.
[Erstes Feindobjekt erfasst. Das Schiff ist extrem klein, trägt aber die Technik, welche die Gravitationslinien unserer Dimension erschüttern lässt.] Die Hydra musste ihren Mitstreiterinnen nicht erläutern, dass damit ganze Welten im Nexus vernichtet wurden. [Pilot erfolgreich übernommen …]
[Wartet, bis alle Schiffe unseres Verbandes aus dem Dimensionstor geglitten sind, bevor ihr es vernichtet.]
[Zu Befehl, Serpent-Alpha.]
Auch diese Bezeichnung kam nur andeutungsweise dem nahe, was sie in Wahrheit bedeutete. Die Hydren betitelten jedwede Anführerin oder jedweden Anführer einer Kampfeinheit mit diesem Rang. Und der besagte automatisch, dass die betreffende Hydra eine vollständige, also aus mindestens neun Einzelschlangen bestehende, und damit bewusst agierende Wesenheit bildete. Einzelne Schlangen sanken unter die Schwelle, welche zu koordinierten, intelligenten ... und heimtückischen Plänen fähig war. Starb ein Teil dieser Wesenheit, fügten sich eine oder mehrere Exemplare dem Restverbund an und komplettierten ihn wieder. Genau darin lag der Grundstein für die antike Legende, dass der abgeschlagene Kopf einer Hydra durch zwei neue ersetzt wurde.
[Wir registrieren eine Vielzahl weiterer Kleinstschiffe … und eine geringere Zahl größerer Einheiten. Wir sollten die einfacheren Ziele sofort eliminieren.]
[Einverstanden.], verbreitete sich der Gedanke von Serpent-Alpha zeitgleich in allen Hydren-Gehirnen des Verbandes.
Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit rasten unsichtbare Befehle auf die chancenlose Stiletto-Pilotin zu, drangen tief in ihr Bewusstsein ein, holten sich dort die Informationen, die sie suchten und wandelten sie in konkrete Handlungen um. Ein kleiner Teil des menschlichen Verstandes beobachtete mit Grauen, wie die Hände der Afrikanerin nach den Antriebskontrollen griffen und dort Schaltungen vornahmen, die sie sonst niemals vorgenommen hätten.
Die Hydren mussten nicht selbst das Feuer eröffnen. Ohnehin besaßen ihre Slide-Schiffe keine Waffen im Sinne der Milchstraßenvölker. Ihnen genügten vollauf die eigenen mentalen Waffen. Und gegen die besaß kein einziges terranisches, mazzarisches, givvianisches oder samboll´sches Schiff einen Schutzschirm.
Die Afrikanerin war dem Wahnsinn nahe, als sie an den Anzeigen sah, wie ihr Konverter das kritische Energielevel rasend schnell erreichte … und überschritt. Ihr kleines Schiff blühte in einem plötzlichen Feuerball auf und schickte sie und ihr Stiletto in Form von Myriaden verdampfender Atome ins All, die genauso schnell vergingen, wie sie entstanden waren.
Der Energieausstoß blieb auf Seiten der terranischen Schiffe natürlich nicht unbemerkt. Die anderen Stilettos, die Wachkreuzer und selbstredend die Ortungsgeräte auf FRONTIER-CV spielten verrückt und zeigten die Detonation an. Was sie aber vergeblich suchten, waren die Signaturen feindlicher Raketen, Bomben oder Lasergeschütze. Einfach, weil es keine gab. Dafür tauchten seltsame Werte auf, die nur die Offiziere der beobachtenden Stationen als das erkannten, was ihnen der Mazzar-Geheimdienst als Beweise zukünftigen Friedens und der Kooperation gegen den fremden Feind überlassen hatten: verrückte Daten, noch nie gesehene Werte seltsamster Art, die ihnen schon bei den Briefings unglaubwürdig vorgekommen waren und die einige Menschen als Lügen der Mazzar aufgenommen hatten. Sie jetzt in tödlicher Konsequenz bestätigt zu sehen, erzeugte nur bei den Charakteren grimmige Einsicht, die ähnlich wie Bérénice Savoy, Black Ice, gestrickt waren. Alle anderen glotzten mit Unverständnis auf die Anzeigen … und verpassten damit die Chance einer ohnehin fraglichen Gegenwehr oder gar Flucht.
In Sekundenbruchteilen wurden energetische Schutzschirme hochgefahren und vermittelten den Besatzungen eine trügerische Sicherheit, die in Wahrheit nicht existierte. Im Gegenteil: Die antriebslosen Stilettos jagten ihre Konverter im Alarmstart hoch und erzeugten damit wahnwitzige Werte, die ihr eigenes Todesurteil auslösten und besiegelten. Hätten sie darauf verzichtet, wären sie dem Untergang vielleicht noch entgangen. Ganz so wie die Schiffe, welche sich mit abgeschalteten Antrieben innerhalb der Raumbasis befanden. Doch niemandem fiel das in diesem Augenblick auf. Alle Menschen und Vertreter fremder Rassen verfolgten den Ansturm der Stilettos und der schnellen Wachkreuzer.
Wie wütende Wespen stachen die Kleinstkampfeinheiten auf die Lebendschiffe zu, schossen mit ihren Buglasern sonnenheiße Glutfinger auf sie ab … und detonierten innerhalb von weniger als zehn Sekunden, als die hypnotische Gegenwehr sie zwang, sich gegenseitig ins Visier zu nehmen.
Die Besatzungen der Wachkreuzer wurden nicht komplett geistig versklavt. Das war gar nicht nötig. Die Hydren-Kommandeure fanden binnen weniger Herzschläge die befehlshabenden oder sich an neuralgischen Positionen befindenden Feind-Gehirne, übernahmen sie und entdeckten dort das Wissen, das sie brauchten. Und dann begann ein Gemetzel, welches die Menschen auf der Station so noch nie zuvor gesehen hatten.
Die Wachkreuzer vollzogen irrsinnige Wendemanöver, jagten sich gegenseitig ohne Rücksicht auf eigene Verluste, verzichteten auf Ausweichbewegungen. Manche rammten sich sogar oder stürzten sich in kamikazehafter Weise aufeinander, als wären nur noch Verrückte an den Waffen- und Steuerkontrollen. Was im Grunde der Wahrheit genau entsprach: Männer und Frauen mit noch freiem Geist, rascher Auffassungsgabe und eisernem Überlebenswillen, schlugen auf ihre wahnsinnig agierenden Kameraden ein oder schossen gar auf sie. Töteten einen nach dem anderen … nur um selbst schließlich Opfer unsichtbarer Klauen zu werden, die ihre Gehirne überfielen und sie die Schaltungen vornehmen ließen, die sie gerade noch zu verhindern gesucht hatten.
Die terranischen Raumschiffe detonierten auch von innen heraus. Mit atomarer Macht zermalmten die eigenen überhitzten Energieaggregate zahlreiche Decks, Lifte, Einrichtungen, Maschinen, Zwischenwände, Hangars, Waffendepots … und Menschen. Nur wenige der Wachkreuzer explodierten in klassischer Weise. So, als hätte sie ein feindliches Objekt getroffen und auseinandergerissen. Kaskaden von Trümmern, Myriaden zerstückelter Materie und in schreckliche Fetzen zerrissene Körper wurden ins All geschleudert, flogen wie seltsame Schrapnelle in alle Richtungen davon, vergingen entweder im Glutball eines anderen untergehenden Schiffes oder verschwanden in der Schwärze des Raums.
Der Krieg mit den Mazzar hatte an Schrecken viel geboten und unsägliches Leid erzeugt. Doch jedes Mal war es ein greifbarer Gegner gewesen, gegen den man in die Schlacht gezogen war. Dieses Mal tötete ein Mensch andere Menschen. Und selbst das war in Tausenden von furchtbaren Auseinandersetzungen und Kriegen für die Menschheit bis heute nichts Neues gewesen.
Was alle in der Basis aber richtig schockierte, war, dass ihr natürlich längst aus allen Rohren erfolgtes Abwehrfeuer völlig wirkungslos blieb. Die fremden Raumschiffe schienen die eintreffenden Raketen, Laserlanzen und Raumtorpedos förmlich zu verschlucken. Nur wenige im Chaos vernünftig agierende Ortungstechniker hatten die Eiseskälte, jetzt Daten zu sammeln. Ihnen fiel auf, dass die schwarzen Wolken, die nur entfernt an Schutzschirme erinnerten, aber genau dies wohl sein mussten, sogar wuchsen, wenn ein Projektil darin verschwand.
Und dann war das Weltall rings um die Raumbasis FRONTIER-CV plötzlich von eigenen Schiffen wie leergefegt. Neue Alarme dröhnten durch Decks, Aufzugschächte, Hangars und Unterkünfte der Station. In letzteren hielt sich ohnehin niemand mehr auf. Jedes Stations- oder Besatzungsmitglied stürmte zu seinem Posten, seiner Abwehrstellung, seinem Verteidigungsgeschütz oder an Bord jedes Raumschiffes, das in der Lage wäre, sich dem Feind entgegenzuwerfen.
Alle wären damit in den eigenen Tod geflogen, wenn nicht eine Person den Konferenzraum verlassen hätte und gerade in einem Expresslift ihrem eigenen Raumschiff zugeeilt wäre: Enya.
Der Schock über den Angriff hatte ihr Gehirn für bange Minuten wie mit einem bleiernen Deckel belastet. Doch jetzt, als sie auf einem Monitor innerhalb des Liftes das Drama um die Station beobachten konnte, kehrte eine kühle Ruhe in sie zurück, die sie schon lange Zeit nicht mehr verspürt hatte. Und kaum, dass ihr Verstand sich mit etwas anderem beschäftigen konnte, als mit der Sorge um ihrer aller Überleben, empfing sie die exotischen Wellen der Hypnoseangriffe.
Es waren grausame Ströme, welche die Rigelianerin schier zu überrollen versuchten. Wäre sie jünger gewesen, weniger erfahren im Umgang mit menschlichen und fremdrassigen Gehirnen, hätte sie dem Angriff vielleicht nicht widerstehen können. So aber nahm sie die Informationen auf, die ihr natürlich nicht absichtlich übermittelt wurden, sondern wie ein Echo in ihr auftauchten … und ihr Dinge verrieten, welche die Hydren sicher lieber für sich behalten hätten.
»Stoppt diesen Lift!«, blaffte sie die Menschen an, die mit ihr in der Kabine fuhren. »Sofort!«
»Wir sind noch nicht auf Raumdeck XIV, Madam«, entgegnete ihr ein Soldat, der sie an ihrer Kleidung als Rigelianerin erkannt hatte und zu wissen schien, wo ihr Clan-Schiff untergebracht war.
»Ich will nicht an Bord meines Schiffes, Soldat«, zischte sie hastig. »Ich muss an die nächste Funkanlage und eine stationsweite Warnung abgeben!«
»Eine Warnung?«, stieß eine bleiche Frau hervor. »Vor was? Alle wissen längst, dass wir angegriffen werden.«
Ein olivhäutiger Mann – vermutlich ein Terraner indischer Herkunft – hieb mit einer Faust auf den Button, der die Fahrt beim nächsten Stockwerk beenden würde.
»Egal! Wenn die Frau etwas zu sagen hat, was Leben rettet …«
Weder Enya noch jemand anderer erwiderte etwas darauf. Alle sahen ihr nach, wie sie der Kabine förmlich entfloh, als diese abrupt stoppte und die Türflügel rasch in den Wandungen verschwanden. Nur der Inder folgte ihr und deutete eilends auf ein Com-Terminal, das nur wenige Schritte entfernt an einer Wand angebracht war und mit in beruhigendem Grün leuchtenden Signalen seine volle Funktionsfähigkeit kundtat. Ohne dass Enya ihn dazu auffordern musste, trat er an das Terminal, nahm zwei rasche Schaltungen vor und nickte ihr dann zu. »Bitte.«
»An alle: Hier spricht Enya, Telepathin vom Planeten Rigel.« Plötzlich erklang ihre Stimme ein wenig überlaut aus dutzenden Richtungen und Enya sah ihr eigenes Gesicht auf ebenso vielen Monitoren erscheinen. »Die Hydren greifen nur Schiffe mit aktiviertem Antrieb an. Bitte starten Sie kein einziges Schiff! Ich wiederhole: Bitte starten Sie nicht Ihre Triebwerke! Wir können unseren Kameraden dort draußen ohnehin nicht mehr helfen. Sie sind alle längst tot. Wenn Sie den Zorn der Schlangen überleben wollen, bleiben Sie innerhalb dieser Basis. Ich konnte in eines der Hydren-Gehirne blicken. Sie werden diese Basis nicht angreifen!«