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Im Nexus

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»Bozadd an Nice und Naya. Bitte melden Sie sich!« Die Stimme des Mazzar-Piloten  immer noch unfreiwillig außer Dienst  drang aus dem kleinen Translator, den Bérénice neben sich auf den Boden der Kabine gelegt hatte. Die beiden Frauen hatten nach ihrem Liebesspiel ausgiebig geschlafen und lagen immer noch nackt und aneinandergeschmiegt in dem Raum, von dem sie nicht wussten, zu was oder wie er von dem Slide-Wesen normalerweise genutzt wurde.

Bérénice war sofort hellwach, löste sich von der Rothaarigen und richtete sich auf. »Ist etwas passiert, Bozadd? Besteht Gefahr?«

»Das kann ich nicht sagen, Nice«, kam es ruhig aber mit seltsamer Betonung von dem Mazzar zurück. »Bitte kommen Sie in die Zentrale und sehen sich das an, was Flynn uns schildert … Trooper Girard, Kefann und ich – und übrigens auch Freitag  aber so nicht sehen können.«

Naya hatte sich bei der Erwähnung ihres Bruders ebenfalls aufgerichtet. »Wieso Flynn? Ist Roy denn nicht mehr an seinem Pult?«

»Nein, der hat sich vor etwa fünf Terra-Stunden aus seinem Netz entbunden und ebenfalls schlafen gelegt. Flynn hat ihn abgelöst …«

»Vor fünf Stunden?«, unterbrach ihn Bérénice und begann sich hastig anzuziehen. Dass der Kampfroboter keinen Alarm schlug, beruhigte sie aber ein wenig. »Wie lange haben Sie uns schlafen lassen? Egal.« Dann stoppte sie. »Flynn sieht etwas und alle anderen nicht?«

»Deswegen sollen Sie ja so rasch wie möglich hier heraufkommen.«

Die beiden Frauen waren längst dazu übergegangen, ihre leichten Bordmonturen mit geübten Griffen anzulegen. »Wir sind praktisch schon auf dem Weg«, stieß die Agentin hervor, gab Naya einen kurzen Kuss auf den Mund und stürmte bereits aus der Kabine, als die Empathin noch nach ihrer dünnen Jacke griff und ihr dann hinterher hetzte. Es dauerte weniger als drei Minuten, bis sie den zentralen Raum erreichten, von Laurent Girard einen halb neidischen, halb resignierten Gesichtsausdruck nicht mitbekamen und automatisch auf die Fläche der Monitorwand sahen.

Naya stockte der Atem und blieb dort stehen, wo sie gerade war.

Bérénice ging noch zwei, drei Schritte und verharrte dann neben Flynn, der ebenfalls völlig fasziniert auf die Darstellung blickte, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Vor ihnen befand sich ein Doppelsternsystem. Der kleinere Stern leuchtete in einem bernsteinfarbenen Feuer, das auf alle einen heimeligen Eindruck gemacht hätte, wenn nicht sein deutlich größerer Partner mit seinem Licht die Aufmerksamkeit der Mutanten und der Agentin auf sich gezogen hätte.

»Unmöglich«, entfuhr es der schwarzen Amazone.

Denn das, was dort auf dem provisorischen Sichtschirm loderte, hatte noch nie ein Mensch zuvor gesehen: Eine grüne Sonne!

Bérénice zuckten die Lektionen in Astrophysik durch den Kopf, die begründeten, warum ein Mensch keine grüne Sonne  die es auch im Einsteinraum sehr wohl gab  sehen konnte.

Schwarze Körper1 … das Kirchhoffsche Strahlungsgesetz2 … Max Planck3 … und dennoch: Ich kann sie sehen! Dann fiel ihr der Roboter ein, der mit seinem deutlich breiteren Spektralbereich vielleicht … und fühlte gleichzeitig in Bauch und Kopf ein unangenehmes Ziehen auftauchen.

»Freitag? Kannst du etwas auf den Monitoren erkennen?«

»Selbstverständlich, Agent Savoy: ein Doppelsternsystem mit einem kleineren orangen Stern und einem deutlich größeren gelben Partnerstern. Die optischen Sensoren aller BEHEMOTH-Baureihen wurden denen der Menschen teilweise nachempfunden, auch wenn meine spektralen Sensoren sich darüber hinaus weit in den Infrarot-, beziehungsweise in den Ultraviolett-Bereich erstrecken. Ich kann aber bestätigen, dass dort draußen eine Sonne ist, deren Temperaturbereich zwischen 5.600 und 5.790 Kelvin liegt. Der Wellenbereich des großen Sterns liegt bei einem Mittelwert von 562 Nanometern. Ich nehme sie als gelben Stern wahr, genau wie Trooper Girard und offensichtlich auch die Mazzar.« Dann wandte er sich an die beiden Rigelianer. »Sie sehen diesen Stern tatsächlich in Grün strahlen? Ich empfehle dringend eine medizinische Untersuchung Ihrer Sehorgane. Leider steht uns momentan nur Kefann als Ärztin zur Verfügung. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass sie als Mazzarin …«

»Lass es gut sein, Freitag«, schnitt ihm Bérénice das Wort ab. »Mit unseren Augen ist alles in Ordnung. Ich ahne, warum Laurent Girard und die Mazzar nichts anderes als eine normale gelbe Sonne sehen; Naya, Flynn … und ich aber etwas anderes.«

Der Roboter ging nicht auf ihre Enthüllung ein, sondern fuhr ungerührt fort. »Ich kann keine Parameter feststellen, die auf Einflüsse dieser fremden Dimension hinweisen könnten, Agent Savoy. Ich empfehle noch einmal dringend die Konsultation eines Augenarztes, besser noch: Die Nutzung eines optischen Analysesystems und die gründliche Untersuchung Ihrer Sehorgane.«

Naya hatte sich aus ihrer Starre gelöst und war neben Bérénice getreten. »Das dort«, begann sie und deutete auf die Darstellung auf den Monitoren, »hat nichts mit unseren Augen zu tun.« Dann schritt sie vor die Agentin und sah diese fragend an. »Seit wann weißt du es?«

Die Haitianerin schüttelte den Kopf, sodass ihre mittlerweile wieder etwas nachgewachsenen Locken herumwirbelten. »Wissen? Nein, von Wissen kann keine Rede sein. Ich fühle nur etwas in mir wachsen, was ich zuhause nie gespürt habe. Aber mit jeder Stunde im Nexus, die vergeht und durch solche Erscheinungen«, sie wies mit einem Nicken auf die Sonne, »bekomme ich langsam ein Gefühl dafür, was es heißt, anders zu sein.«

Naya verstand natürlich, dass Bérénice mit zuhause das Einstein-Universum meinte. »Du warst schon immer anders, Nice. Das ist es, was ich an dir so liebe.« Dann nahm sie ihre rechte Hand und griff nach der Linken der Agentin. »Einige unserer Gen-Forscher auf Hope sind der Meinung, dass in jedem Menschen parapsychisches Potenzial schlummert. Bei uns Rigel-Geborenen sind sie natürlich entstanden. Bei dir muss es der Übertritt durch das Dimensionstor gewesen sein, der deine latenten Fähigkeiten geweckt hat. Nur so kann ich mir erklären, warum wir beide – und natürlich Roy und Flynn – diese Sonne in ihrer grünen Erscheinungsform wahrnehmen können. Es sind unsere PSI-Fähigkeiten, die in unserem Gehirn das Bild einer grünen Sonne erzeugen, nicht unsere Augen.« Naya wandte sich zu Freitag um. »Du kannst beruhigt sein, Roboter: Mit unseren Augen ist alles in Ordnung.«

Der Kampfroboter entgegnete nichts darauf. Was hätte er dazu schon äußern können?

Naya führte nun auch ihre andere Hand an die der Agentin. »Es stellen sich für mich dazu eine ganze Reihe von Fragen. Zuallererst: Welche Fähigkeit wirst du entwickeln? Und was wirst du damit anstellen?« Sie machte eine Pause und schien zu erkennen, dass Bérénice sich längst mit denselben Fragen beschäftigte.

Die lächelte ein wenig schicksalsergeben. »Spannender wäre zu wissen, ob ich dieses neue Talent nur hier im Nexus entwickeln und vielleicht zu unserem Nutzen einsetzen kann, oder ob ich es auch in unserer Dimension beibehalten werde.«

»Darüber machst du dir Sorgen? Ob du etwas, was du noch nie hattest und brauchtest, behalten darfst?« Naya grinste und strahlte neue Lebensfreude aus, die ein wenig die wirklichen Sorgen der Agentin milderten. »Du bist also der festen Überzeugung, dass wir dieses Wilde Dunkel unbeschadet durchreisen können und wieder in den Einsteinraum zurückkehren werden? Hast du etwa das Aevum-Gedicht vergessen? Dann darf ich dich an diese beiden Zeilen erinnern: Gehst du durch die Pforte, gibt es kein Zurück mehr…«

Bérénice sah einen Herzschlag lang so aus, als würde sie diese Zeilen zum ersten Mal hören. »Du glaubst etwa diesen Unfug? Wir haben in dem Planeten Eternity den legendären Ort Aevum erkannt … und dort ein Dimensionstor gefunden …«

»Na eben! Zwei Details der Legende, die sich als Wahrheit entpuppt haben! Was hält dich daher ab, auch den Rest als Fakt anzuerkennen? Es spricht alles dafür, dass wir den Nexus nicht mehr verlassen werden. Ein ganzes Universum voller Feinde …«

Bérénice hatte plötzlich feuchte Augen. »Und du bist mir dennoch gefolgt?«

»Ich würde dir auch in die Hölle folgen, Nice.«

»Sind wir das nicht auf eine exotische Weise?« Dann riss sich die Agentin zusammen und straffte sich. »Selbstverständlich werden wir wieder in unseren Einsteinraum zurückkehren«, antwortete sie mit voller Zuversicht. »Denkst du wirklich, ich wäre in den Nexus geflogen, wenn ich nicht an eine Rückkehr glauben würde?« Dann wies sie mit entschlossener Geste auf die grüne Sonne. »Das dürfte der Heimatstern der Slide-Wesen sein. Schließlich hat uns die MOBY DICK hierhergeführt.« Dann wandte sie sich um. »Freitag: Such nach Planeten.«

»Längst geschehen, Agent Savoy. Wenn Sie damit einverstanden sind, werde ich die größere Sonne – die Sie als grünen Stern wahrnehmen  als Smaragd, seinen kleineren Partner als Amber und dessen Planeten als Kobold I und Kobold II in das NKS aufnehmen. Ersterer ähnelt unserem Merkur und fällt als Ziel aus. Daher könnten die Slide-Wesen von Kobold II stammen.«

»Wie kommst du auf diese – zugegeben annehmbaren – Namen?«

»Sie hatten das am Rande der Milchstraße gelegene Mazzar-System Diamond getauft und dessen einzige Welt Crystal. Ich habe also entsprechende grüne und bernsteinfarbene Pendants – eben Smaragd und Amber – gewählt. Die Bezeichnung Kobold entnahm ich den irischen Wurzeln des Rigel-Clans 49.«

»Warum nicht Türkis für die Planeten, sondern die Bezeichnung für ein … Fabelwesen?« Naya schien recht amüsiert zu sein und auch Bérénice konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

»Die Slide-Wesen hüllen sich bei Gefahr in eine schwarze Wolke, wie wir schon auf Crystal beobachten konnten. Und schreibt man eine ähnliche Fähigkeit nicht auch den Kobolden aus den irischen Märchen zu?« Dann stoppte Freitag und wandte sich direkt an Naya. »Ich kann aber auch Bezeichnungen in das NKS eintragen, die Ihnen sinnvoller erscheinen, Trooperin Naya.«

»Nein, nein, lass nur, Freitag. Du musst nicht beleidigt sein. Wir finden deine Namenswahl durchaus passend.«

»Ich kann nicht beleidigt sein, Trooper Naya«, fing der Roboter an und sagte dann nichts mehr.

Wie leicht lassen wir uns von ein paar einfachen Worten beeinflussen, dachte Bérénice und hielt weiterhin Nayas Hand.

Roy war während des Gesprächs in die Zentrale gekommen, wortlos zwischen sie getreten, hatte nur einen Blick auf die Anwesenden, danach auf die Sonne Smaragd geworfen und sich dann in die Obhut seines Geflechtes begeben, um Flynn zu unterstützen.

Bérénice nickte den beiden Rigel-Mutanten aufmunternd zu. Die MOBY DICK würde auch ohne die beiden Rigelianer nach Hause fliegen. Aber jeder Tag, der in diese Verbindung zweier Spezies aus verschiedenen Dimensionen investiert wird, erhöht unsere Überlebenschancen.

Arliss war in Begleitung ihrer Leibgarde und des Gorilla-Anführers Caesar in der Zentrale aufgetaucht, hatte ein paar Worte mit Bozadd und Kefann gewechselt und mit einem beruhigenden Blick Bérénice auf ihre Mazzar-Krieger hingewiesen, die Caesar im Auge behielten und sich offenbar durch nichts anderes ablenken ließen.

Der Affenähnliche hatte sich fast sofort niedergesetzt und verhielt sich überraschend ruhig. Nur einmal sah er kurz zur schwarzen Frau herüber und hob witternd seine Nase. Was er dabei wahrnahm, konnte Bérénice natürlich nicht feststellen. Aber der abwartende Ausdruck in seinen Augen blieb konstant.

Kurs auf Kobold II, dachte die leidlich entspannte Agentin und spürte noch im selben Moment, wie sich die MOBY DICK, begleitet von 23 ihrer Artgenossen, auf den Weg zu dem Planeten machte.

Bald werden wir die erste Welt dieses Universums betreten. Und wir können den Göttern des Alls danken, dass es eine Welt ohne Hydren sein soll. Hoffen wir, dass sich daran in den letzten 250 Jahren nichts geändert hat …

Hydra

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