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Auf dem Flug in den Nexus
ОглавлениеBérénice Savoy stand in der Zentrale der MOBY DICK und starrte zusammen mit ihren Begleitern auf die zu einer großen Fläche zusammengeschalteten Monitore. Die Bildschirme zeigten sich ständig verändernde Wellen in allen Varianten von Grau, Anthrazit und Schwarz, so als wollten sie die dunklen Gedanken widerspiegeln, welche die Agentin im Augenblick beschäftigten. Es war totenstill an Bord des lebenden Raumschiffes. Alle in der Zentrale waren gefangen von dem, was die Außenkameras übertrugen: Mäandernde Ströme zogen in zähen Schlieren durch ein Medium, das noch nie ein Mensch zuvor auf diese Weise gesehen hatte. In der athletischen Frau tauchten längst vergessen geglaubte Bilder eines finsteren Sumpfes auf, den sie einmal bei einem Einsatz – damals noch als einfache Spacetrooperin – mit fast physisch spürbarer Beklemmung durchwatet hatte. Die gleiche Beklemmung stahl sich nun wie eine befreite Gefangene aus den Tiefen ihres Herzens nach oben und zog sie von Sekunde zu Sekunde immer mehr in ihren Bann. Die quälend langsamen Bewegungen dieses kosmischen Sumpfes standen im krassen Widerspruch zu der Geschwindigkeit, die sie beim Eintritt in das Dimensionstor auf dem Planeten Eternity erreicht gehabt hatten.
Dieses Slide-Schiff gleitet durch die Dimensionen wie eine Riesen-Anakonda durch schlüpfrigen Morast. Offensichtlich braucht es seine Zeit, um auf diese Weise vom Einsteinraum in den Nexus zu gelangen. Wir springen mit brachialer Kraft und einem gewaltigen Schock durch den Ultraraum. Sie jedoch die Hydren mittels solcher Lebendschiffe nicht! Das ist der wahre Grund, warum keiner unserer Sensoren sie anpeilen kann. Und wenn sie ihren parapsychischen Schutzschirm aktiviert haben, auch kein Bioscanner oder Mutant. Ein Schatten huschte über Bérénices Gesicht, im kläglichen Versuch, sie noch schwärzer wirken zu lassen. Wenn wir diesen Höllenflug endlich hinter uns gebracht haben … wie werden die Hydren auf eines ihrer Schiffe reagieren, das nun von Menschen und Mazzar befehligt wird?
Mit erheblicher Anstrengung löste sich die Haitianerin von den wenig erbaulichen Bildern und Gefühlen und musterte zum tausendsten Mal den Raum, den sie Zentrale getauft hatten. Das Lebendraumschiff aus der fremden Dimension verfügte über keinen eigenen Frontbildschirm, wie ihn jedes von Menschen, Mazzar, Givvianern oder anderen Völkern der Milchstraße erbaute Raumschiff besaß. Das Konstrukt, auf das Bérénice blickte, war ein Puzzle aus mazzarischen Geräten, welche die Techniker auf dem Planeten Crystal zu erstaunlicher Funktionalität zusammengefügt hatten. Ohne besonderen Anlass musste Bérénice an die Trutt denken. Ob diese an Bord ihrer geheimnisvollen Schiffe über eine ähnliche Einrichtung verfügten, wusste bislang niemand. Und im Augenblick war das auch nicht wichtig.
Wir werden in dieser fremden Galaxis allein sein … umgeben von Feinden. Und die angestrebte Sternenansammlung lag nicht einmal im Einsteinraum, sondern in der Dimension, aus der die Hydren stammten: dem Nexus. Das Schiff fliegt … gleitet in seine Heimat. Wir in völlig unbekanntes Terrain.
Trotz besseren Wissens wartete Bérénice unwillkürlich auf den einsetzenden Schmerz, der in der Milchstraße leidiger Bestandteil eines jeden Ultraraumsprunges war. Generationen von Besatzungen waren von ihm gequält worden. Und wurden es noch. Oft genug blieb eine Mannschaft auch eine Zeit lang ausgeschaltet. Gleichzeitig machte so ein Ultraraumschock ein springendes und wieder in den Einsteinraum einfallendes Raumschiff für alle anderen aufmerksamen Schiffbesatzungen im gleichen Raum-sektor anpeilbar ... sowohl für Freund als auch für Feind.
Die Überwindung der Sprungmauer quälte nicht nur uns jedes Mal, dachte die athletisch-schlanke Raumfahrerin. Sie hat den Krieg mit den Mazzar in eine fürchterliche Länge gezogen. Und laut dieses Slide-Wesens auch im Nexus Spuren hinterlassen: vernichtete Schiffe, Stationen und offenbar ganze Welten der Hydren. In einer für uns unbekannten Zahl. Wir ahnten nicht einmal, was wir mit unseren Sprüngen anrichteten … und immer noch tun. Kein Wunder, dass sie in den Einsteinraum einbrechen und sich jedes Raumschiff vorknöpfen, das ihnen vor ihre Waffen kommt.
Bérénice ergriff plötzlich eine seltsame Anwandlung. Für einen Moment kam es ihr vor, als würde sie ein leises Raunen hören … und das Slide-Schiff mehr als nur mit ihren Füßen fühlen. Verwirrt blickte sie um sich. Aber niemand schien ihre Empfindung zu teilen. Da alles ruhig blieb und sie momentan zur Tatenlosigkeit verurteilt war, musterte sie nacheinander ihre Besatzungsmitglieder.
Ihre Freundin Naya stand an den biologischen Kontakten und war – wie ihr Bruder Flynn und ihr Cousin Roy – dicht in das verfilzte Geflecht eingebettet, welches alle drei mit der MOBY DICK verband und ihnen somit eine Steuerung des lebenden Raumschiffes ermöglichte. Die parapsychischen Fähigkeiten der Rigelianer schien das Slide-Schiff immer besser zu akzeptieren. Ob die Mitglieder des Rigel-Clans 49 wirklich die Kontrolle über das Schiff hatten oder bald erlangen würden, war eine weitere Sorge der Agentin.
Die führenden Mazzar, Beraterin Arliss, die Ärztin Kefann und der momentan unfreiwillig untätige Pilot Bozadd, hielten sich im Hintergrund und hockten wie in Winterstarre gefallene Tiere bewegungslos auf dem Boden. Dennoch schimmerte in ihren großen Augen allerhöchstes Interesse. Allem Anschein nach waren auch die Krötenabkömmlinge mehr als hingerissen von dem, was dieses Lebewesen zu leisten vermochte. Bérénice konnte förmlich sehen, wie in deren Augen Spekulationen aufblitzten, was man erreichen könnte, gelänge es, das die Dimensionen überwindende Gleiten eines Slide-Wesens auf ein mazzarisches oder terranisches Raumschiff zu übertragen.
Der einzige Mensch, der wie sie nicht in das Geflecht des Slide-Schiffes eingebettet war, war ihr ehemaliger Trooperkamerad Laurent Girard. Der Franco-Kanadier stand ein paar Schritte hinter ihr, so als wolle er ihr den Rücken decken. Sein Misstrauen gegen das Kontingent der Gorillas, das von fast doppelt so vielen Mazzar in den Tiefen des Lebendschiffes bewacht wurde, war ihm immer noch anzusehen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sie alle aus einer offenen Schleuse ins All geworfen, obwohl sie sich seit ihrem letzten Aufstand äußerst ruhig verhielten. Offenbar hatte ihr Anführer Caesar endlich begriffen, dass Bérénice alles tat, um die Affenähnlichen in ihre Heimatdimension zu bringen. Und ihnen dort die Freiheit zu geben.
Bérénice drehte sich herum und sah zu Freitag. Der Kampfroboter der BEHEMOTH-Klasse III stand als stahlblau schimmernde und regungslose Statue hinter ihnen allen, überragte sie mit seiner Größe von 2,20 Meter locker und hatte offensichtlich seine Sensoren auch auf die Bildschirme und die darauf eingehenden Datenströme gerichtet. Natürlich konnte er Bérénices Gefühlsregungen nicht bemerken. Dass der auf sie geprägte Roboter aber anwesend war, trug nicht wenig zu ihrer Beruhigung bei. So überraschend der befremdende Eindruck in ihr aufgetaucht war, so rasch verschwand er auch wieder. Noch einmal sah sie zu dem Roboter. Der goldene Blitz auf seiner stählernen Stirn kam ihr längst wie ein Pendant ihrer eigenen goldenen Schminke vor, die auch jetzt ihre Lippen, Augen und Fingernägel schmückte. Seine und ihre Verzierungen erinnerten sie an glücklichere Zeiten und Orte.
Die Agentin drängte ihre Grübeleien zurück und konzentrierte sich wieder auf die optischen Anzeigen. Die übermittelten seit ihrem Eintritt in den Ultraraum nur unablässig wabernde Schlieren. Hatten Bérénices suchende Augen endlich etwas entdeckt, das auch nur annähernd ein körperliches Ding hätte sein können, verflüchtigte es sich auch schon wieder und wurde durch neue, sich permanent bewegende Geister ersetzt.
Die Geister toter Hydren … abgeschlachtet von allen Raumfahrern der Milchstraße … ohne, dass wir auch nur das Geringste davon ahnen konnten. Wenn wir diesen Transfer endlich hinter uns haben … was werden wir sehen?
Impressionen vergangener Schlachten zuckten in ihr auf. Nicht nur aus Filmen, die sie an der Militär-Akademie im Fach Strategie gesehen, sondern auch Schlachten, an denen sie selbst teilgenommen hatte.
Was können Ultraraumschocks in der Hydren-Dimension angerichtet haben? Wie groß ist der Schaden, den die Schockwellen den Schlangenwesen angetan haben? Auch jetzt noch, in dieser Sekunde, springen in der Milchstraße ständig Raumschiffe von Ort zu Ort. Und hinterlassen im Nexus eine Spur aus Vernichtung und Tod …
Bérénice riss sich endgültig zusammen und formulierte die Frage, die sich wohl jeder in der Zentrale stellte: »Wie lange sind wir schon unterwegs?« Sie hatte eine Antwort eigentlich von den Rigelianern erwartet, erhielt sie aber vom Roboter.
»13 Minuten und 17 Sekunden, Agent Savoy.«
»Im Einsteinraum dauert ein Ultraraumsprung nur wenige Sekunden …«, warf Bozadd ein und regte sich in einer Weise, die jedem vermittelte, dass er diese lange Flugzeit als möglicherweise gefährlich betrachtete.
Arliss hatte sich erhoben und war ein paar Schritte näher zu Bérénice gerückt. In typisch tieftönenden Mazzar-Vibrationen sagte sie: »Nun: Wir reisen nicht durch unseren Einsteinraum. Nehmen wir dieses schockfreie Gleiten und dessen Dauer als erstes und vor allem warnendes Detail wahr! Die Verhältnisse in der fremden Dimension dürften sich wohl in vielen Belangen von denen in unserer unterscheiden.« Dann lächelte sie. »Und bevor es jemand vergisst: Es ist äußerst angenehm, nicht von zuckenden Gliedern und brennenden Nerven malträtiert zu werden.«
»Ja, schon. Aber was bedeutet das?« Bérénice blickte auf die wenig erhellenden Bilder der Monitore. »Überwinden wir nur die Grenzen zwischen beiden Dimensionen? Oder auch Entfernungen, die nach Lichtjahren oder mehr zählen?«
Arliss zuckte in menschlicher Manier mit ihren mächtigen Schultern und blinzelte ein paar Mal langsam mit ihren Nickhäuten. »Ist das nicht gleichgültig? Dieses Lebewesen, die MOBY DICK, wird sich selbst – und damit uns – nicht einer Gefahr aussetzen. Nach den Aussagen der rigelianischen Mutanten hier zu urteilen, freut es sich, der Tyrannei der Hydren entgangen zu sein. Es strebt seiner Heimat entgegen und wird den Flug also nicht gerade in Regionen unternehmen, in denen eine tödliche Gefahr droht.«
»Hoffen wir es!«, antwortete Bérénice. »Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis wir auf andere Slide-Schiffe stoßen. Jedes Schiff, dem wir in dieser Dimension begegnen werden, dürfte von rachelüsternen Hydren besetzt und damit automatisch unser Feind sein. Oder glauben Sie, Beraterin, dass wir unerkannt agieren können? Bislang haben wir noch keine Ahnung, wie wir uns wehren können. Wir haben noch nicht einmal einen Versuch unternommen, die Waffen dieses Schiffes zu testen, geschweige denn, mit ihnen effektiv umgehen zu lernen.«
»Es blieb uns schlichtweg keine Zeit dafür, Nice«, erinnerte Kefann sie anstelle der Mazzar-Anführerin und legte ihre Hände kurz waagerecht über beide Augen, um ihr Bedauern darüber auszudrücken. Dass sie dabei Bérénice mit ihrem verkürzten Namen ansprach, sollte wohl bedeuten, dass sie die Menschenfrau längst als Freundin betrachtete.
»Ich stelle eine Veränderung der Datenströme fest«, kam es unvermittelt von Freitag, der nahezu unbemerkt seinen Standort verlassen hatte und sich nun in der Nähe einiger Monitore aufhielt, auf denen mazzarische Zahlenkolonnen herabscrollten. »Meine Sensoren registrieren widersprüchliche Werte, die sich teilweise mit diesen Daten decken«, sagte er und zeigte mit einer Hand auf einen der Bildschirme. »Daraus folgere ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,96 %, dass wir uns dem Ende des Dimensionsfluges nähern.«
Die Blicke aller widmeten sich wieder den Bildschirmen, die nun ein hektisches Durcheinander anstatt der bisher behäbigen Schleier übertrugen. Einzelne farbige und nadelstichkleine Punkte blitzten darin auf … die von einem Moment zum anderen von tiefer Schwärze ersetzt wurden.
»Was ist passiert?«, fragte Bozadd und glotzte mit kreisrunden Augen auf die nachtschwarzen Flächen der Monitore, welche die ohnehin spärliche Beleuchtung der Zentrale nun nicht mehr unterstützen konnten. Dennoch hatte jeder im Raum den Eindruck, dass der Übertritt vollzogen war.
»Warum sehen wir nichts? Hat diese Galaxis keine Sterne? Keine leuchtenden Gaswolken oder Nebel?« Kefann war anzusehen, dass Astronomie nicht ihre Lieblingsbeschäftigung war. Prompt wechselte sie zu einem Thema, das ihr als Ärztin deutlich mehr lag. »Wir haben rein gar nichts gespürt. Keinen Schock, keinen Schmerz. Nicht die geringste Beeinträchtigung unserer Sinne. Es wäre allerdings schön, wenn dieses lebende Raumschiff auch eine Innenbeleuchtung hätte.«
Flynn richtete sich ein wenig auf und drehte sich der mazzarischen Frau zu. »Die MOBY DICK braucht für sich selbst keine Raumbeleuchtung, Kefann. Aber warten Sie noch ein paar Sekunden … und staunen Sie!« Er drehte sich – immer noch eingebettet in das dichte Geflecht – wieder seinem Pult zu. Seine vorsichtigen Bewegungen hatten auf Bérénice den Eindruck gemacht, als hätte ein Kind sich im Spiel unter einer fadenscheinigen Decke versteckt. Dann verstand sie. Der Rigelianer wollte nicht riskieren, das Netz zu zerstören, das ihn mit dem Schiff verband.
»Auf was soll ich …?« Kefann unterbrach sich selbst, als die Wände der Zentrale sich langsam mit einem blauen Schimmern überzogen, das sich binnen weniger menschlicher Wimpernschläge zu einem gleichmäßigen Schein steigerte, der alles gestochen scharf hervorhob und trotzdem ihre Augen nicht überforderte.
»Biolumineszenz«, stieß Kefann hervor, ging sofort ein paar Schritte auf die nächste Wandung zu und drückte eine ihrer dreigliedrigen Krötenhände darauf. Das blaue Glimmen ließ ein wenig nach, kehrte aber sofort zurück, als sie ihre Hand wieder entfernte. »Also sind unsere Augen in Ordnung. Dennoch sehen wir nichts auf den Monitoren.«
»Naya?« Bérénice trat neben ihre Freundin und strich mit einer Hand sanft über deren linke Schulter. Das Geflecht, das alle drei Rigelianer wie eine zweite Schicht Kleidung überzog und nur die Gesichter und Körperöffnungen frei ließ, fühlte sich für die Agentin wie Moos an. »Naya? Könnt ihr etwas durch die Augen der MOBY DICK sehen?«
»Ja«, kam es leise von der Rothaarigen zurück. »Die Bildschirme sind okay. Es gibt einfach nur wenig zu sehen.« Dann verstummte sie wieder und schien ganz in ihren Versuchen gefangen zu sein, mithilfe ihrer Clanmitglieder mehr aus dem zu erfahren, was das still vor sich hintreibende Lebewesen umgab.
»Ich kann ein paar erste Aussagen bezüglich der physikalischen Verhältnisse in dieser Dimension abgeben.« Freitag hatte sich keinen Millimeter bewegt, sah auch niemanden direkt an, sondern nahm seinem Gebaren nach weiterhin Messungen vor. Seine beiden vorderen und wie immer rot glühenden Augen blieben auf den provisorischen Frontbildschirm gerichtet. Sein einziges Heckauge sah zu seiner Schutzbefohlenen. »Es gibt sehr wohl Sterne in dieser Dimension, beziehungsweise einer ihrer Galaxien, in der wir uns im Augenblick befinden, Agent Savoy. Meinen Messungen zufolge besitzt die von Ihnen als Nexus bezeichnete Dimension deutlich mehr dunkle Materie, als der Einsteinraum. Wenn ich eine vorsichtige Schätzung abgeben darf, würde ich hier einen Faktor von 2,3 bis 3 – möglicherweise sogar noch mehr – kalkulieren. Deswegen sind die vorhandenen Sterne nur schwach zu erkennen oder einfach zu weit entfernt.«
»Du schätzt?«, fragte Laurent Girard und gab damit zum ersten Mal etwas von sich.
»Bitte vergessen Sie nicht, Trooper Girard, dass ich ein Kampfroboter bin und kein HAWKING-Modell. Überhaupt sind meine Messungen und Aussagen nur möglich, weil der verstorbene Major Palmwood und Agent Savoy dafür gesorgt haben, dass ich auf der TSS LEONIDAS mit diversen Erweiterungen ausgestattet wurde. Äußerlich sehen Sie dies beispielsweise nur an meinen Individual-Markierungen in Gold und …«
»Schon gut, Blechschädel«, stoppte Bérénice den Redefluss des Roboters. »Spar dir das für später auf.«
»Okay«, kam es von Bozadd. Niemand wunderte sich, dass der Mazzar ein typisch menschliches Wort benutzt hatte. »Der Nexus besitzt also mehr dunkle Materie als der Einsteinraum …«
»Augenblick bitte«, unterbrach Bérénice den Piloten und wandte sich an Naya. »Hattest du nicht einmal behauptet, die Partikeldichte im Nexus sei geringer als in unserem Einsteinraum?«
Die Rigelianerin dachte eine Sekunde nach und nickte dann langsam. »Ja … so zumindest mein damaliger Eindruck der Bilder, die ich von der MOBY DICK empfing. Vielleicht hatte sie aber den unmittelbaren Bereich um ihren Heimatplaneten gemeint. Verzeih, Nice. Es kann auch sein, dass ich die damaligen Szenen falsch oder unvollständig interpretiert habe.«
Bérénice nahm die Erklärung ohne Kommentar an, dachte aber daran, mit welchen Äußerungen sich ihre Freundin noch getäuscht haben mochte. Ein ungutes Gefühl in ihrem Magen schien sich dort festgesetzt zu haben … und mahnte sie, mit mehr Misstrauen jede neue Information zu beleuchten.
»Hat das Einfluss auf interstellare Flüge?«, fragte sie ihren metallenen Bodyguard.
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen«, kam es von dem Roboter trocken zurück. »Wenn ich aber an die Tatsache erinnern darf, dass dieses Lebewesen hier und seine Artgenossen darin offenbar problemlos agieren können …«
»Wir haben noch die MATA HARI an Bord«, unterbrach ihn der Mazzar-Pilot. »Was meinst du zu Flügen mit ihr in diesem … dichteren Universum?«
»Sie wissen, dass die MATA HARI kein von Menschen erbautes Fahrzeug ist, sondern ein mazzarisches. Daher sollten Sie dessen Möglichkeiten besser kennen als wir.«
Bérénice musste unweigerlich grinsen. Freitags wir zeigte an, dass er sich zur Menschheit rechnete; natürlich nicht als Lebewesen. In ihren Ohren klang es aber danach.
Die MATA HARI war ein kleines Zwei-Mann-Scoutschiff, ein Modell des mazzarischen Geheimdienstes, das Bérénice einst von feindlich gesinnten Krötenabkömmlingen erobert hatte und nun meistens Bozadd und Kefann überließ, es aber selbst eigenständig bedienen konnte. Dass Bozadd überhaupt den Roboter danach gefragt hatte, bedeutete für die Agentin lediglich, dass sich alle Mazzar an Bord bewusst waren, dass dieses Vehikel gründlich, sehr gründlich, vom Terranischen Geheimdienst untersucht worden sein musste. Ob allerdings Erkenntnisse daraus in die Erweiterungen Freitags eingeflossen waren, konnte niemand von ihnen wissen.
Bozadd vermutet es aber. Und hat auf eine Aussage gehofft, die dies bestätigt.
»Welche Unterschiede zum Einsteinraum hast du noch zu bieten?«, fragte sie, um den Roboter wieder auf das aktuelle Thema zu bringen.
»Die elektromagnetische Strahlung des Nexus weicht erheblich von der des Einsteinraums ab«, kam es mit merklich weniger Worten von Freitag.
»Inwiefern?« Kefanns Krötengesicht war deutlich Misstrauen anzusehen. »Kann sie uns gefährlich werden?«
»Ich bin auch kein AESCULAP-Modell …«, begann der Roboter mit fast indignierter Stimme.
»Freitag!«
»… kann also keine detaillierten Aussagen zu Auswirkungen auf lebende Körper treffen«, ignorierte er Bérénices Mahnversuch und fuhr ungerührt fort. »Dennoch darf ich Sie alle beruhigen: Es besteht keine Gefahr.«
»Weshalb? Strahlung ist immer ein Punkt, dem man im Weltall Rechnung tragen sollte«, resümierte Kefann.
»Sie stellt keine Gefahr dar.« Freitag schien seltsamerweise ausgerechnet jetzt nicht gewillt zu sein, seine Behauptung in erschöpfender Weise darzulegen.
»Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus deiner Blechnase ziehen, Freitag.«
»Meine psychologischen Analysefähigkeiten sind äußerst begrenzt, Agent Savoy. Sie existieren nur in einem rudimentären Maße, wie sie für Handlungen im Kampf sinnvoll sind. Ich habe dennoch mehrfach registriert, dass Ihnen nicht an ausführlichen Antworten gelegen ist. Daher habe ich mich vor 1,54 Minuten entschlossen, nur noch kompakte Äußerungen abzugeben. Es erhöht zudem die Effektivität. Zeit ist auch im Kampf ein wertvoller Faktor.«
Bérénice war versucht, laut aufzulachen, konnte sich aber noch rechtzeitig beherrschen. »Was ist nun mit der elektromagnetischen Strahlung?«
»Es ist keine da, Agent Savoy.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Laurent Girard. »Das verstehe ich nicht.«
»Es existiert keine Strahlung, welche von den Menschen als kosmische Hintergrundstrahlung bezeichnet wird.«
»Unmöglich«, entfuhr es Laurent.
»Offenbar doch, Trooper Girard.« Der Roboter hatte sich immer noch keinen Millimeter bewegt und wirkte auf Bérénice wie ein störrisches Kind, das auf seine Ansicht pochte. »Die Daten beweisen es. Und erklären – zumindest zum Teil – warum die Slide-Wesen im freien Weltraum überleben können«, schob Freitag nach.
»Was für ein seltsames Universum.« Bérénice Savoy trat ein paar Schritte näher an die fast schwarzen Monitore heran und musterte sie mit nachdenklichem Ausdruck.
»Dunkel … und still.«