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Im Nexus

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Naya wusste für mehrere Minuten nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte Bérénice als knallharte Kriegerin erlebt, als Black Ice. Ja, in manchen Situationen konnte die taffe Haitianerin auch äußerst liebevoll und leidenschaftlich sein. Aber so deprimiert hatte sich die Agentin nur einmal benommen.

Auf Eternity, erinnerte sich die Mutantin. Bei der Bestattung von Moyra, Savannah, Major Palmwood und all den gefallenen Mazzar. Bérénice war wie betäubt dagestanden und schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Dann wurde Naya schlagartig klar: Damals erlebte sie ihre erste Vision!

Mit Schaudern betrachtete sie Caesar, der den Rest der Zunge verschlungen hatte und zu ihnen zurückgekommen war. Unweigerlich musste sie an einen anderen Sklavenanführer denken: Spartacus. Es ist Tausende von Jahren her. Aber im Grunde hat sich nichts geändert. Die Schwachen werden von den Starken unterdrückt. Ob nun Sklave der Römer oder der Hydren. Auch diese Dimension kennt Unterdrückung.

Erschrocken fühlte die Rigelianerin die Niedergeschlagenheit in sich heraufkriechen, die sie zuvor an ihrer Freundin beobachtet hatte. Wir müssen uns davon befreien, sonst sind wir verloren. Alle!

»Was hast du nun vor, Nice?«, wandte sie sich mit erzwungen unternehmungslustigem Ton an die schwarze Frau. Eher zufällig ging ihr Blick dabei zu Caesar und Bérénice folgte der Bewegung.

»Wir lassen die Gorillas frei. Offensichtlich gefällt es Caesar hier. Ich glaube kaum, dass er und die anderen auf ihre Heimatwelt gebracht werden wollen. Die Hydren werden dort, im Gegensatz zu den Slide auf dieser Welt, ständig ihren Bedarf auffrischen. Wir können dort nicht hin. Nicht ohne Waffen, nicht so unvorbereitet und schon gar nicht mit dem Risiko, von den Hydren versklavt zu werden. An ein weiteres Zuchtprogramm glaube ich nicht. Die Gorillas sehen nicht so aus, als wären sie ein Produkt der Hydren.«

Als hätte der Affenähnliche sie verstanden, grummelte er in einer Weise, die man vage als Zustimmung hätte deuten können.

Dann wandte sich Bérénice an Naya. »Was denkst du darüber? Können wir die MOBY DICK auch ohne die Gorillas nutzen? Und was ist Ihre Meinung, Beraterin Arliss? Es ist müßig, die Affenähnlichen ständig bewachen zu müssen.«

Naya antwortete zuerst. »Die MOBY DICK vielleicht. Aber du hast angedeutet, dass du auch die anderen Slide-Schiffe in unsere Dimension bringen willst. Dafür sind wir definitiv zu wenig Mutanten.« Flynn und Roy sagten kein Wort und nickten nur.

»Von mir aus lassen wir die Affenabkömmlinge gerne hier«, stimmte Arliss zu. »Deren letzter Aufstand hat uns viel Blut gekostet. Vielleicht folgen uns die anderen Slide auch ohne die Sklaven. Wir könnten meine Mazzar auf alle Schiffe verteilen …«

Bérénice sah die beiden so unterschiedlichen Frauen an und wandte sich dann an Laurent Girard, der fast wie ein fünftes Rad am Wagen wirkte. »Was ist deine Meinung, Soldat?«

»Ich wäre lieber sofort wieder in meiner Dimension, wenn du schon fragst. Auch wenn wir nur mit der MOBY DICK zurückkehren würden, wäre deren Erforschung unschätzbar wertvoll. Wenn unsere Wissenschaftler es schaffen würden, die natürliche Slide-Fähigkeit dieser Wesen in eine Technik umzusetzen, die wir in unsere Raumschiffe einbauen könnten, hätten wir den Grundstein dafür gelegt, dass sich die Angriffe der Hydren von selbst auflösen würden … früher oder später. Also: Je früher, desto besser.« Dann sah er auf die stummen Artgenossen ihres Raumschiffes. »Wenn sie der MOBY DICK folgen: gut. Wenn nicht: auch gut. Ich traue unseren Forschern zu, dass sie es untersuchen können, ohne ihm zu schaden.«

»Wir Mazzar werden unseren Beitrag dazu leisten, Bérénice Savoy. Menschen und Mazzar müssen gemeinsam daran arbeiten, die Ursache der Kriege auszumerzen. Sei es in unserer Dimension, sei es in dieser. Ich glaube mittlerweile nicht mehr daran, dass die Hydren militärisch zu besiegen sind. Auch die von uns provozierte massive Aufrüstung irdischer Technologie und entsprechender Raumstreitkräfte würde den Krieg mit den Hydren nur in die Länge ziehen. Lassen wir die Gorillas frei und suchen den Weg zurück in den Einsteinraum. Dort können wir mehr bewirken als in dieser feindlichen Dimension.«

Als Bérénice zustimmend nickte, klackte Arliss einigen Soldaten Worte zu, die der Translator offensichtlich nicht erfassen konnte. Doch als sich etwa ein Dutzend der Krötenabkömmlinge wieder in das lebende Schiff begab und nur zehn Minuten später die ersten Gorillas in der Schleuse erschienen – ohne sie eskortierende mazzarische Bewacher und unerwartet ruhig , war klar, welche Anweisung die Beraterin erteilt hatte. In einem dichten Strom schritten die Gorillas über die Rampe und sammelten sich um Caesar, der mit ausdruckslosem Gesicht die Freilassung verfolgte. Als der letzte Affenähnliche die MOBY DICK verlassen hatte und die Menge zum Stillstand kam, herrschte für einen Augenblick Ruhe.

Caesar suchte und fand den Blick der Agentin. Sie deutete mehrfach auf ihn und auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne der goldgelben Landschaft. Es dauerte nicht lange, bis der Anführer der Gorillas begriff. Doch anstatt in die Freiheit zu marschieren, grunzte und bellte er zu seinen Artgenossen. Die Unterhaltung hielt fast fünf Minuten an, nur ab und zu durch kurze Antworten anderer Gorillas unterbrochen. Menschen und Mazzar konnten beobachten, wie sich die Nachrichten aus der Mitte der Affenähnlichen, welche Caesar bildete, wellenartig nach außen verbreiteten und als knappe Erwiderungen zurückrollten, als würde Wasser sacht an einen Strand branden.

Und dann geschah etwas Erstaunliches.

Alle Gorillas wandten sich der Gruppe um Bérénice zu und ließen sich auf ein Knie nieder.

»Soll das wieder mal ihre Unterwerfung andeuten?« Laurents Stimme triefte nur so vor Zweifel. »Sie haben uns schon zwei Mal damit getäuscht.«

»Abwarten«, hielt ihn Bérénice auf. »Sie fassen sich zwar wieder an ihre Hauer, sie streifen sie aber nicht symbolisch ab oder zeigen uns ihre offenen – unbewaffneten  Hände.« Die Agentin drehte sich halb zu Naya um, die es allen gleichtat und beobachtete, wie Caesar und seine Artgenossen ihre Pranken so hielten, als hätten sie die Hauer immer noch darin und streckten sie Bérénice Savoy entgegen.

»Sie kapitulieren«, warf Laurent Girard ein. »Sie strecken die Waffen.«

»Nein«, widersprach Naya. »Sie strecken ihre Waffen nicht. Sie bieten sie uns an! Ich verstehe das so, dass sie gewillt sind, auf unserer Seite zu kämpfen … gegen ihre einstigen Unterdrücker, gegen die Hydren.«

Bevor Laurent darauf antworten konnte, begannen die Gorillas zu singen: Seltsame Töne drangen aus den zahnbewehrten Mäulern der ehemaligen Sklaven und selbst die im weiten Rund ruhenden Slide-Wesen reagierten darauf.

»Das erinnert mich irgendwie an mongolischen Kehlkopfgesang«, sagte Bérénice erstaunt. »Und sie klingen dazu wirklich wie eine Horde Gorillas. Keuchen, Bellen und Fauchen …«

»Ich kann auch Ähnlichkeiten zur indigenen Sprache der Inuit feststellen«, fügte der BEHEMOTH ungefragt hinzu. »Ich füttere gerade den Translator damit. Er wird die Laute analysieren und womöglich eine Syntax darin entdecken. Wenn der Gesang ausreichend verschiedene Elemente enthält und sich nicht nur in den immer gleichen Wiederholungen ausdrückt, könnte eine rudimentäre Verständigung möglich werden.«

»Du meinst, wir könnten bald nicht nur telepathisch mit den Gorillas kommunizieren, sondern auch akustisch?«

»Die Möglichkeit besteht, Agent Savoy. Allerdings sind die Daten noch viel zu gering, um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung erstellen zu können.«

Alle wandten sich den singenden Gorillas zu und waren fasziniert, wie anders die hartgesottenen Affenähnlichen plötzlich auf sie wirkten. Die Darbietung hatte etwas Surrealistisches an sich: Rund 150 Gorillas knieten auf dem Boden, bellten, fauchten, sangen ein Lied, das vor ihnen wohl noch nie ein Wesen aus dem Einsteinraum gehört haben konnte.

Umgeben wurden die Affenähnlichen und die wenigen menschlichen und mazzarischen Zuhörer von insgesamt 24 Slide-Wesen, ebenfalls ehemaligen Sklaven der Hydren. Ob es an dem zauberhaften Licht Ambers lag, der unerwarteten Freiheit und Rückkehr der Slide auf ihren Heimatplaneten oder wirklich nur am Gesang der Gorillas, konnte niemand sagen. Auf jeden Fall verschwanden die finsteren Schutzschirme der Lebendraumschiffe, verflüchtigten sich als schwarzer Morgennebel in den bernsteinfarbenen Strahlen der Sonne und präsentierten monströse Wesen, die wie von Zauberhand verwandelt nicht mehr finster und bedrohlich wirkten, sondern eher wie bedauernswerte gestrandete Wale an einem flachen Meeresstrand. Offenbar wirkte das Freiheitslied – so empfand es zumindest Bérénice und verlor viel ihrer eigenen Niedergeschlagenheit – auch auf die riesigen Lebewesen.

Als das Lied endlich endete, klang Freitags Stimme auf; wie immer nüchtern und ohne besondere Betonung. Dennoch empfand Bérénice tatsächlich Enttäuschung, als ihr die Konsequenz daraus bewusst wurde.

»Nach meiner vorläufigen Analyse komme ich zu dem Schluss«, begann der Roboter, »dass der Inhalt dieses Gesangs nicht direkt in Worte umzusetzen ist. Die Kombination der Klänge mit der Körpersprache lässt mich aber erkennen, dass die Gorillas zweifache Inhalte transportieren …«

»Welche wären?«

»Glückwunsch und Ehrerbietung. Die Gorillas beglückwünschen die Slide-Wesen zu ihrer Freiheit. Ich berechne eine Wahrscheinlichkeit von 83,4 %, dass sie die lebenden Schiffe für diesen Umstand beneiden.«

»Und die Ehrerbietung?«

»Gebührt Ihnen, Agent Savoy. Die Gorillas haben offensichtlich erkannt, dass Sie keine neue Sklavenhalterin sind und ehren Sie dafür.«

»WOW!«, entfuhr es Naya und fügte hinzu: »Das deckt sich mit meinen empathischen Beobachtungen. Die Gorillas schätzen es hoch ein, dass du ihnen auf dieser Welt die Freiheit geben wolltest. Da sie aber grundsätzlich extrem solidarisch sind, spüre ich, dass sie ihre Freiheit dahingehend nutzen wollen, auch andere Gorillas vom Joch der Hydren zu befreien.«

»Und was bedeutet das jetzt?« Laurent Girard stand immer noch der Zweifel im Gesicht.

Bérénice setzte ein wölfisches Lächeln auf. »Dass wir mindestens drei Slide-Schiffe mit einer Besatzung ausstatten können: Je ein empathischer Rigelianer und eine Abteilung Gorillas … die auch noch für uns gegen die Hydren kämpfen werden!«

»Was hast du also vor, Nice?«

»Wir fliegen nach Hause!«

Hydra

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