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Im Nexus
ОглавлениеKaum hatte Bérénice ihre Absicht bekundet, als sie eine doppelte Anwandlung, fast wie ein mentaler Taumel verwirrte. Für die Dauer eines Wimpernschlages rechnete sie mit einem Hypno-Überfall der Hydren. Doch dann wurde ihr klar, dass es etwas ganz anderes war: Sie fühlte sich plötzlich wie ein Mann … ein längst toter Mann. Mit eisernem Willen kämpfte sie gegen eine neue Vision an, zu der sie jetzt keine Lust hatte.
Als hätte ich die anderen genießen können, fluchte sie stumm und musterte ihre Freunde, die sie abwartend anschauten. Doch sie konnte sich nicht bewegen. Ich will nach Hause … wieder einmal. Dann gewann die zweite Empfindung die Oberhand. Es wird nicht so einfach vonstattengehen. Ich … wir werden Umwege zurücklegen müssen. Es wird Zeit brauchen. Odysseus brauchte nach dem Fall Trojas zehn Jahre, bis er die Heimat wieder erreichte. Ich habe nicht vor, so viel Zeit verstreichen zu lassen …
Und als hätte diese Erkenntnis den Bann gebrochen, war sie wieder völlig im Hier und Jetzt.
»Naya. Kannst du Caesar verständlich machen, dass er seine Leute auf die MOBY DICK und zwei weitere Schiffe verteilen soll?« Sie wartete gar nicht erst deren Antwort ab, sondern wandte sich gleich Arliss zu. »Und darf ich Sie darum bitten, es mit Ihren Mazzar ebenso zu tun?«
Arliss nickte in menschlicher Manier und begann sich an ihre Unterführer zu wenden.
Die Rigelianerin ging mit Flynn und Roy zu Caesar, dessen Artgenossen eine Gasse freimachten, um den drei Mutanten den Weg zu ihm zu ermöglichen. Bérénice verfolgte gespannt die Szene und hatte den Eindruck, dass die Gorillas nun eine völlig andere Körpersprache zeigten: Die langen Arme hingen entspannt herab, anstatt wie früher bereit zu sein, alles und jeden mit ihrem Zangengriff zu umfassen. Die Gesichter, vor allem ihre dunklen Augen, drückten Achtung und dennoch hellwache Aufmerksamkeit aus.
»So still, Freitag?«, fragte die Agentin leise, als sie bemerkte, dass nur noch der Kampfroboter in ihrer unmittelbaren Nähe weilte, da Laurent Girard sich ein wenig zurückgezogen hatte und nahe der Rampe zur MOBY DICK stand und die Umgebung im Auge behielt.
»Es liegt kein Anlass zu einer Meldung vor, Agent Savoy.« Dann schien er doch die Relevanz einer Information für mitteilungswürdig kalkuliert zu haben. »Ich berechne augenblicklich lediglich unsere Optionen, Agent Savoy. Mir stehen aber nicht die Daten zur Verfügung, die ich für verlässliche Empfehlungen benötige. Möchten Sie dennoch meine bisherigen Überlegungen erfahren?«
»Raus damit, Blechschädel! Alles, was uns helfen könnte …«
»Ich muss zugeben, dass biologische Lebensformen einige Berechnungsvarianten nutzen können, die Robotern nicht zur Verfügung stehen.«
»Und die wären?«
»Sie greifen auf Spekulationen, Tricks und Täuschung zurück. Ich konnte während meiner Zeit an Ihrer Seite feststellen, dass die Fähigkeit zur Berücksichtigung auch solcher Parameter zu erstaunlichen Erfolgen führen kann.«
»Ach ja?« Bérénice wusste nicht, ob sie laut lachen oder den Kopf schütteln sollte.
Freitags Gesicht wandte sich ihr zu. »Zum Beispiel den Feind zu verwirren«, antwortete der BEHEMOTH lapidar. Und dann schob er eine Frage nach, die sie mehr als verblüffte: »Kennen Sie das Werk Die Kunst des Krieges von Sun Tsu?«
»Natürlich. Sowohl bei den Spacetroopern – und erst recht beim Terranischen Geheimdienst – gehört es zu den Standardwerken, die gelehrt werden.« Dann musste sie wirklich lächeln. »Es ist schon erstaunlich, dass wir heute, rund 3.000 Jahre nach Sun Tsu, noch Nutzen aus seinen Lehren ziehen können … und dass du, ein Kampfroboter, davon Kenntnis hast.«
Freitag hatte die unausgesprochene Frage mitbekommen. »Dieses militärische Strategiewissen ist normalerweise kein Bestandteil der Standardprogrammierung eines BEHEMOTH«, erklärte er. »Major Tyler Palmwood veranlasste, mir diese Daten und einige andere zugänglich zu machen.« Und dann hob es Bérénice beinahe aus den Schuhen, als der Kampfroboter begann, den antiken Chinesen zu zitieren: »Jede Kriegführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv scheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, dass wir weit entfernt sind, wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, dass wir nahe sind.«
»Und welche Szenarien hast du daraus entwickelt, mein stählerner Freund?«
»Dazu müssen wir zunächst definieren, in welcher Situation wir uns befinden. Erstens sind wir dem Feind – den Hydren – nah, nur weil wir uns in ihrer Dimension befinden? Antwort: nein. Also sollten wir dem Feind suggerieren, wir wären nah. Wir befinden uns zwar sogar auf dessen Ursprungsplaneten, aber ich muss Beraterin Arliss zustimmen, dass die Hydren diese Welt längst verlassen haben und woanders agieren; wo, wissen wir nicht.«
»Die MOBY DICK und ihre Artgenossen könnten uns dort hinführen …«, warf die Agentin ein. »Aber ich habe nicht vor, mich in die Höhle des Löwen zu begeben. Mach weiter, Freitag!«
»Ich würde ebenfalls davon abraten. Die Funktion von PSI-Attacken kann ich nicht erfassen, deren Auswirkungen jedoch beobachten. Wir haben aktuell keinen wirksamen Schutz vor massiven Angriffen der Hydren. Also sind wir schwach. Nach Sun Tsu sollten wir daher stark erscheinen.« Er wartete eine Sekunde, fuhr aber fort, als sie nichts darauf erwiderte. »Zweitens befinden wir uns in der Lage, den Hydren militärisch einen empfindlichen Schlag zu versetzen? Antwort: nein. Selbst wenn wir eine ihrer Basen, Welten oder Flotten zerstören könnten, würden sie wahrscheinlich den Unterschied zu Vernichtungen nicht erkennen können, welche aufgrund von Ultraraumsprüngen innerhalb des Einsteinraumes hier im Nexus stattfinden. Wieder ein Punkt, der uns schwach sein lässt und in dem wir dem Feind das Gegenteil vorspielen sollten. Allerdings fehlen uns hier die Mittel, eine Täuschung vorzunehmen, die meiner Meinung nach ohnehin obsolet wäre. Die Slide-Schiffe sind unbewaffnet. Und ich entnehme Ihrem gesamten bisherigen Verhalten, Agent Savoy, dass Sie nicht geneigt sind, auch nur eines dieser Wesen in einen Kamikaze-Angriff zu führen.«
»Korrekt.«
»Also ist unser vorrangiges Ziel die Rückkehr in den Einsteinraum und zweitens die Überführung möglichst vieler Slide-Schiffe zu deren Erforschung und natürlich möglichst rascher Umsetzung in terranische Sprungtechnologie.«
»Du vergisst die Gorillas.«
Freitag nickte kurz. »Drittens: Die anfängliche Feindseligkeit unserer Gorillas hat sich erstaunlich schnell gewandelt, Agent Savoy.«
Bérénice lächelte wieder, als der Roboter Caesar und seine Gefolgschaft als unsere Gorillas bezeichnete.
Freitag dagegen fuhr ungerührt fort. »Es bestünde theoretisch die Möglichkeit, alle 24 Slide-Schiffe mit einem notwendigen Kontingent von weiteren Gorillas zu bemannen. Allerdings rate ich auch davon ab. Die Sklaven auf anderen Welten und erst recht an Bord anderer Slide-Schiffe dürften selbstverständlich unter der Kontrolle anwesender Hydren stehen. Diese erst auszuschalten, die Gorillas danach davon zu überzeugen, zu uns überzulaufen und dann auch noch ihre angestammte Dimension zu verlassen, dürfte uns nicht noch einmal so einfach gelingen.«
»Einfach? Du scherzt, Blechschädel. Und du sprichst immer von uns.«
»Selbstverständlich, Agent Savoy. Ich bin auf Sie geprägt und gehöre somit automatisch zu Ihrer Mannschaft.«
Bérénice schüttelte ihren Kopf, sah dabei aus den Augenwinkeln Naya, ihre Verwandten und eine Handvoll Mazzar zurückkommen. »Nein, Freitag, du gehörst nicht zu meiner Mannschaft. Du bist längst Bestandteil meiner Familie … so klein und seltsam sie auch sein mag.«
Der Roboter erwiderte nichts darauf, vielleicht auch, weil die Rigelianer und Arliss, Bozadd und Kefann sich um sie versammelten.
Naya schien sofort zu spüren, dass ihre Ankunft ein Gespräch zwischen Bérénice und Freitag unterbrochen hatte. »Haben wir etwas verpasst?«
»Freitag hat einen Plan«, gab die Haitianerin knapp zurück und hoffte, dass er wirklich etwas Brauchbares vorzubringen hatte.
»Dann lass hören, Blechschädel«, sagte Naya und grinste verhalten.
Bérénice ahnte sofort, dass die Rigelianerin auch etwas Erfreuliches zu vermelden hatte.
Und Freitag schlug in die gleiche Kerbe. »Negativ, Trooperin Naya. Ich leite aus Ihrem Gesichtsausdruck ab, dass Sie positive Nachrichten haben. Wenn Sie gestatten, würde ich diese in meinen noch bruchstückhaften Plan einbeziehen, sollte dies möglich sein.«
»Na schön, wie du meinst.« Dann wandte sich die Rothaarige an Bérénice. »Wir konnten mit Hilfe der MOBY DICK den Gorillas klarmachen, dass wir in unsere Dimension zurückwollen. Caesar und seine Artgenossen sind Soldaten durch und durch. Ihre ganze Lebensart auf ihrer fernen Heimatwelt ist von Fehden und Kriegen geprägt … auch heute noch. Es war und ist den Hydren ein Leichtes, die zerstrittenen Clans hypnotisch zu unterjochen und sie als Besatzungen für die Slide-Schiffe … umzuprogrammieren, wenn man geistige Vergewaltigung so bezeichnen will. Du, mein Schatz, kannst das wohl besser als jeder andere von uns nachvollziehen, nicht wahr?«
Die schwarze Agentin nickte nur grimmig und vermied es dabei, Kefann anzusehen, die zum Teil für ihr zurückliegendes Schicksal mitverantwortlich gewesen war.
»Caesar hat zu verstehen gegeben, dass er und alle anderen lieber im Kampf sterben wollen, als hier auf dieser Welt ein freies aber langweiliges Leben führen zu können. Sie brennen auf Rache und wollen uns mit aller Kraft darin unterstützen, die Hydren zu vernichten.«
»Was nicht unbedingt unser … mein Ziel ist, Liebes. Ich habe nicht vor, die Hydren zu vernichten.«
»Schon klar, Nice. Aber das wollte er nicht hören, glaub mir. Wir sollten heilfroh sein, dass sie uns beistehen und begleiten wollen. Das Wohlbefinden der Slide-Wesen dürfte auch von der Präsenz ihrer normalen Besatzung abhängen.«
»Aber wir würden sie damit anlügen …«
»Darf ich Sie an Sun Tsu erinnern, Agent Savoy? Den Feind täuschen …«, kam es von Freitag.
»Die Gorillas sind nicht unsere wahren Feinde, Blechschädel.«
»Die anwesenden Affenähnlichen nicht. Alle anderen in diesem Universum erst mal schon!«
»Das ist …« Sie wollte eiskaltes oder maschinenhaftes Denken sagen, unterließ es aber, weil sie zugeben musste, dass Freitag damit recht hatte. »Also hätten wir rund 150 Gorillas, die wir auf … wie viele Slide-Schiffe verteilen können?«
Jetzt grinste Naya beinahe in einer Weise, die Bérénice an glücklichere Tage und Nächte erinnerte. »Auf alle 24! Roy, Flynn und ich konnten die MOBY DICK davon überzeugen, dass noch viel Zeit vergehen wird, bis die Kriege endlich enden können, ergo: sie in unserer Dimension vor zufälliger Vernichtung durch Ultraraumschocks sicherer sind als hier im Nexus. Sie werden mit uns fliegen!«
»Mitten durch Millionen oder Milliarden blutrünstiger Hydren? Sie werden uns mit Hypnosewellen überschwemmen, wie ein Tsunami arglose Touristen an einem Strand.« Bérénice Savoy wandte sich mit neugierigem Ausdruck an Freitag. »Wie passt das nun in deinen möglichen oder unmöglichen Plan, Freitag?«
»Perfekt, Agent Savoy. Ich gebe zu, dass diese letzten Informationen die Chancen meines recht unzulänglichen Planes deutlich erhöht haben. Aus einer anfänglichen Erfolgsrate von 17,1 % sind nun …«
»Stopp, lass es! Sag uns einfach, was du vorschlägst!«
»Wir machen es wie Odysseus: Wir stecken allen biologischen Besatzungsmitgliedern Wachs in die Ohren. Und ich übernehme die Rolle des Odysseus.«
»Wachs? Odysseus?« Laurent glotzte verständnislos und die Mazzar drückten das gleiche Gefühl mit einem leisen Zischen aus, das sie zwischen den nur leicht geöffneten Lippen hervorpressten.
Bérénice Savoy sah zur MOBY DICK. »Ich ahne, was er meint. Ein alter Chinese und ein alter Grieche lassen einen hochmodernen Kampfroboter einen Plan entwickeln. Geht es noch verrückter?«
Es ging.