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Transparenz

Die Inflationsvokabel »Nachhaltigkeit« hat eine Schwes­ter bekommen. Sie heißt »Transparenz«. Wie die »Nachhaltigkeit« zunächst nur von wenigen verlangt, dann aber zügig von allen für alles und jedes gefordert beziehungsweise sogar »eingefordert« wurde, ist ohne die »Transparenz« nichts mehr zu wollen, zu haben und zu machen.

Politiker vor allem jüngerer Provenienz »machen sich stark« und »positionieren« sich für »mehr«, »völlige« oder sogar »rückhaltlose Transparenz«; es gilt das Gebot der totalen Transparenz. Warum eigentlich?, ist eine Frage, die, wie bei jeder anderen Mode auch, zuverlässig versagt. Es ist im Jahr 2012 nun einmal gerade die Trans­parenz dran als ein Aufbruch, Modernität und Jugend versprechendes Wort, selbst die viel beschworene »Ehrlichkeit« schwingt da mit, und wenn man die simulieren kann, dann hat man es geschafft.

Groß ist das Interesse an der Transparenz anderer: Was macht der eigentlich den ganzen Tag? Irgendetwas, das ich nicht googeln kann? Es ist aber doch mein Menschenrecht, alles zu wissen, was mich nichts angeht! Für alles, das traditionell vom Klatschjournalismus bedient wurde, gibt es jetzt die »Transparenz«, und die klingt so schön seriös.

Eine grüngurkene Penetranzpolitikerin hat ein schlechtes Wahlergebnis eingefahren und möchte sich anschließend bei der Klientel ausflennen? Das ist Transparenz de luxe, wenn nicht Transparenz im Endstadium. Eine, da irrt der Irrtum Gauck, keineswegs »glückssüchtige«, sondern banalitätsversessene Tratschgesellschaft steckt Millionen von Nasen in alles, das sie von sich selbst und ihrem Zustand ablenkt; das ist Transparenz! Der Wunsch nach Transparenz schnurrt schnell zusammen auf das je schamferner desto größere Verlangen, anderen beim Herunterlassen der Unterhosen zuzusehen.

Aber in der Politik ist Transparenz doch ein »must«!, rufen ein junger Grüner und eine junge Piratenpolitikerin dazwischen; Transparenz bedeutet die Möglichkeit der Kontrolle! Wir müssen schließlich exakte Kenntnis haben darüber, was jeder verdient, damit wir unser abschließendes moralisches Urteil über ihn fällen können! Wir müssen von jedem alles lückenlos wissen: Welchen ökologischen Fußabdruck hinterlässt er auf Mutti Erde? Trennt er seinen Müll, und wenn ja, trennt er ihn auch richtig?

Eine der Hauptmaximen des Lebens heißt »Erkenne dich selbst«; Faulpelze begnügen sich mit dem Lebenstagesbefehl »Durchschnüffle alle anderen«. Dem Wunsch nach »Transparenz« klebt haftcremehaft der blockwartsmiefige Wunsch an, andere öffentlich für etwas geschurigelt zu sehen, das man für sich selbst privat mit größter Selbstverständlichkeit beansprucht. Der Schrei nach »Transparenz« ist Ausdruck der Begierde nach einer bitte auch »nachhaltig« materiell lohnenden Teilhabe an öffentlicher Doppelmoral, die sich so teuer gibt, wie sie billig ist. Dieses nennt man »transparent«.

PS: Das Gegenteil von »transparent« ist übrigens »opak«, also hermetisch verschlossen. Als ich das Wort »opak« im Feuilleton der FAZ las, notierte ich im Geis­te: Opak ist das Okapi, capito? Und, wie der Kollege Steffen Brück anmerkt: Der Topkapi-Palast in Istanbul wirkt von außen auch eher opak, also auf gar keinen Fall transparent, und das spricht sehr für ihn.

Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv

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