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»Fit für den Winter«?

Eine Plakatreklame fragt den Betrachter: »Ist Ihr Haus fit für den Winter?« Ich kenne die Antwort nicht, besitze ich doch kein Haus und werde mir, mit Rilke, jetzt auch keines mehr bauen. Selbst aber wenn ein Haus mein Eigen wäre, könnte ich nicht sagen, ob es »fit« ist und wenn ja, für was.

Nicht nur für Häuser gilt die Winterfitnesspflicht. »Ist Ihr Auto fit für den Winter?«, wird der Autobesitzer gefragt, denn der Sinn allen Besitzes besteht darin, sich immerzu um ihn zu sorgen. Und so muss selbst ein mit Füßen getretener Teppich »fit für den Winter« sein oder werden. Was nicht »fit für den Winter« ist, das wird »fit für den Winter« gemacht, so verlangt es die Winterhilfswerksordnung.

Das ist der Grund dafür, dass man so viele keuchende Teppiche, japsende Autos und schwitzende Häuser durch die Straßen walken, joggen und biken sieht, als wären sie ihre eigenen Eigentümer. Wie diese checken auch Teppich, Auto und Haus regelmäßig im Fitness-Studio ein, als »Power-Payback-Kunden« versteht sich. Anschließend geht es noch ein bisschen zu »Wellness & Beauty« und in den Salon »Vorher – Nachhair«, zur »Hair Affair« zwischen den Top-Haircuttern »Buddhar«, »Haircules« und »Haarald«, die »Hairline & Grooming« anbieten. (»Grooming« ist, wenn Ihnen jemand etwas in die Haare schmiert; schließlich sind Sie, vergessen Sie das nie, »born to be styled«.)

Beim »Grooming« treffen die inzwischen ziemlich »fitten« Autos, Teppiche und Häuser auch auf ihre Besitzer: Fußballspieler, die wissen, dass »fit« sein überhaupt nicht reicht, wenn man doch »topfit« zu sein hat, weil »top« sein einfach alles ist, gerade als Mensch: »Er ist nicht nur ein Top-Spieler, sondern auch ein Top-Mensch«, sagte der Fußballprofessionelle Mario Gomez in Bild über seinen Kollegen Lukas Podolski und strich sich anschließend eine gegroomte Haarsträhne glatt, ein für »Top-Menschen« unverzichtbares Accessoire.

Was aber ist und wie wird man »ein Top-Mensch«? Ist »Top-Mensch« der letzte Schrei der Menschheit, oder schwebte schon Nietzsche der »Top-Mensch« vor? Modellierte Arno Breker den »Top-Menschen«? Handelt es sich um das revolutionäre Ideal des »neuen Menschen«?

Kann sich zum »Top-Menschen« nur emanzipieren, erheben und aufschwingen, wer nicht damit zufrieden ist, bloß »ans Limit zu gehen« und »seine Leistung abzurufen«, sondern sich permanent »weiter optimiert«, weil er ja immer »noch Luft nach oben hat«? Und gehört es auch zu den Aufgaben der Sprache, Lebenswirklichkeit wiederzugeben, oder ist sowieso alles Reklame, Werbung, Marketing und Propaganda?

Die alte Darwin’sche Maxime vom »survival of the fittest«, dem Überleben des am besten Angepassten, wurde einigermaßen relativiert, als »fit« der Name eines Geschirrspülmittels wurde. Das geschah im Jahr 1954, im damaligen Karl-Marx-Stadt; besonders erstaunlich ist, dass diese Form von »fit« bis heute überlebt hat, obwohl der Name nicht zu »topfit« quasi »top-optimiert« wurde und sein Bekanntheitsgrad unter »Top-Menschen« eher gering ist.

Ob man mit »fit« aber sein Haus, sein Auto und seinen Teppich »fit für den Winter« machen kann, das weiß allein der Nesquik.

Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv

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