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Dialogannahme im Service-Kernprozess

Auf der »Automechanika«-Messe in Frankfurt am Main sah sich die Firma »Volkswagen Service« in einem »Kern­prozess«. Volkswagen Service-Leiter Dietmar Hildebrandt erklärte, »die Dialogannahme« sei »das Kern­thema« und »das vertrauensvolle Gespräch zwischen Serviceberater und Kunden heute mehr denn je Basis für eine dauerhafte Kundenbindung zum Partnerbetrieb und zur Marke«. Bei der »technischen Komplexität der heutigen Fahrzeuge« müsse »dem Kunden die angebotene Dienstleistung genau erklärt werden«; Service sei »eine äußerst aktive Angelegenheit. Dafür nehmen wir uns in der Dialogannahme Zeit.«

Kernprozess klingt ein bisschen nach demnächst explodierendem Kernkraftwerk, was ein prima Kernthema ab­gäbe. Etwas rätselhafter verhält es sich mit der Dialogannahme. Ist eine Dialogannahme so etwas wie eine Lottoannahmestelle? Oder ähnelt sie eher der Wäscheannahme samt Heißmangel, getreu der Devise: Der Herr ist mein Hirte, er wird mich mangeln? Kann man gebrauchte Dialoge in die Dialogannahme bringen und sie drei Tage später frisch gereinigt und gemangelt zurückbekommen? Damit es endlich wieder Dialoge gibt, die sich, wie man so sagt, gewaschen haben?

Das wäre wünschenswert; es gibt so viele Dialoge, die dringend der Pflege bedürfen. Das geächzte »Na, wie geht’s?« – »Danke, muss ja« ist ein ranzig gewordener Klassiker unter Bekannten und Kollegen, und auch der inflationärste aller gebrauchten Pärchendialoge – Sie, misstrauisch: »Woran denkst du? – Er, abwehrend: »An nichts.« – könnte eine solide Grundreinigung vertragen. Aber ob der Volkswagen Service-Kernprozess das leisten will und kann?

Schließlich ist das Kernthema in der Dialogannahme der Volkswagen-Service, und der dreht sich um »dauerhafte Kundenbindung« und um »Dienstleistungserklärung als äußerst aktive Angelegenheit«. Reißt sich da ein Servicemann das Hemd auf und bekennt. »Hier dienstleiste ich und kann nicht anders«?

Wird die Dialogannahme zum Beichtstuhl des Kunden und der Service-Dienstleister zu seinem Beichtvater? Muss man sich solch herzzerreißende Szenen vorstellen:

Kunde, stark zerknirscht: »Ach, ich habe wieder an der Benzinpumpe herumgespielt, und jetzt ist sie kaputt...« – »Bringe dreißig Kanister vom teuersten Sprit auf den Knien zur VW-Niederlassung nach Canossa, mein Sohn, und deine Sünden sind dir vergeben. Ego te abvolvo.«

Wie vollzieht sich der GAD, der Größte Anzunehmende Dialog? Betritt ein Kunde im Laufschritt die Dialogannahme und stößt hektisch hervor: »Hören Sie, ich parke in der zweiten Reihe...« Und schneidet der Mann mit dem »Kernthema Service« ihm dann lächelnd das Wort ab und fragt süffisant: »Tun Sie das nicht schon Ihr ganzes Leben?« Oder ningelt ein Herr in Wetterjacke mit grundempörtem Gesichtsausdruck durchdringend: »Ich finde es ökologisch unverantwortlich, dass mein Fernlicht noch nicht mit Energiesparlampen aufgerüstet wurde!«? Mitleidlos macht der Kunde weiter? »Kön­nen Sie Ihre Autos nicht noch breiter bauen? Meine Sicherheit und die meiner Familie haben oberste Priorität, und das weltweit! A propos Familie: Schon mein Großvater ist gerne Panzer gefahren...«

Was genau in der Dialogannahme geschieht, wissen wir nicht. Aber wir ahnen, dass im Volkswagen Service-Kernprozess die Kernthemen dieser Zeit verhandelt werden. Wir müssen den Dialog nur annehmen.

Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv

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