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Die Weisheit der Post

Lag es an der Faszination des Wortes Münzschlitz, dass ich sechs Euro in den Münzschlitz eines Briefmarkenautomaten steckte? Nein, es war Abend und die Filiale der Post geschlossen, und so musste ich, um noch Briefe und Karten zu expedieren, mit den eher hässlichen automatengedruckten Postwertzeichen vorlieb nehmen: 6 x 55 Cent, 6 x 45 Cent, und ab geht die Post.

Ging sie aber nicht. Zwar behauptete das Display des Automaten zunächst, die Briefmarken würden gedruckt, meldete dann aber erst den Defekt des Druckers und kurz darauf den des ganzen Automaten: Die finale Meldung »Außer Betrieb« beinhaltete auch die Störung der Geld­rückgabefunktion. Die Penunze steckte im Apparat, und was ein richtiger Apparat ist, der rückt nichts raus.

Doch trotz des Druckerdefektes fiel noch etwas Gedrucktes ins Ausgabefach des Automaten: ein Beleg über sechs eingezahlte Euro, den ich, so stand es darauf geschrieben, in einer Filiale der Post vorlegen könne. Was ich, noch immer beeindruckt von den Geheimnissen der sagenhaften Automatenwelt, anderntags tat.

Kurz schilderte ich dem Mann am Schalter das Geschehene und legte ihm das Beweismittel vor. »Oh, kompliziert«, stöhnte er auf und wandte sich an eine Kollegin, die ihn aber sogleich an eine weitere Kollegin verwies, die sich mit dieser »schwierigen Sache« auskenne. Diese Kollegin suchte der Mann auch sogleich auf, ich sah sie miteinander sprechen und hörte, wie sie scharf »Aber nur in Briefmarken« sagte.

Der Postler kehrte zu mir zurück, tippte etwas in die Tastatur seines Computers, griff dann in seine Kasse und legte mir einen Fünf-Euro-Schein und eine Ein-Euro-Münze hin. »Gar nicht drüber nachdenken«, sagte er ohne mich anzusehen und ergänzte: »Da darf man nicht mit Logik drangehn.« Er sprach wohl mehr zu sich selbst. Dann zog er ein Formular aus einer Ablage, sah mich an und fragte in höflichem, fast entschuldigendem Ton: »Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«

Das hatte ich, kramte das Dokument hervor und sagte: »Die Arbeit müssen Sie sich aber doch bitte gar nicht machen. Ich möchte ja Briefmarken kaufen, genau wie gestern schon.« Er übertrug etwas vom Ausweis auf das Formular, schob es mir hin und bat mich um meine Unterschrift. Ohne zu lesen quittierte ich, bat um Briefmarken, bekam sie ausgehändigt und zahlte mit demselben Geld, das er mir zuvor erstattet hatte.

Lächelnd steckte ich die Briefmarken in die Innentasche meines Mantels. Der Mann hinter dem Schalter sah mich an und sagte nochmals leise und freundlich: »Einfach nicht drüber nachdenken. Sonst springt man aus dem Fenster.«

Ich ging. Aus dem Fenster springen, wenn der Raum im Parterre liegt, ist keine große Sache, dachte ich zunächst, aber dieser Sarkasmus verfehlte den Kern; der Mann war kein Angeber gewesen. Seiner Stimme hatte ich anhören können, dass jedes seiner Worte mit eigener Erfahrung bezahlt war: »Einfach nicht drüber nachdenken. Da darf man nicht mit Logik drangehn. Sonst springt man aus dem Fenster.« Es war ein Rezept zum Überleben in einer Welt, die auch heißen könnte: Irrsinn, Irrsinn & Irrsinn, Rechtsanwälte.

Ich frankierte meine Post, warf sie in den Briefkasten und ging zur Sparkasse, den nächsten Automatenabenteuern entgegen.

Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv

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