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Stufe 2: Die Kindheit – Das Gruppenbewusstsein Die Welt des Kindes Der Weltenwechsel

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Wie sieht die Welt des Kindes aus? Wie ist sie objektiv beschaffen, und wie sieht und erlebt sie ein Kind? Was ist seine Perspektive, sein Standort, von dem aus es schaut? Wie wird sein Blick beeinflusst – durch das, was es aus der Zeit vor der Geburt und dem Erleben bei der Geburt schon mitbringt, durch die Position, die es in dieser neuen Welt einnimmt, und schließlich und nicht zuletzt durch die Menschen, bei denen es aufwächst und durch die Art und Weise, wie sie ihm die Welt zeigen und erklären und was sie ihm über es selbst sagen, und durch die Art, wie sie selbst leben und handeln? Und was macht diese kindliche Welt, was macht das, was ein Kind in dieser Welt erlebt und in sich aufnimmt, mit dem Menschen, zu dem es später wird, mit dem Erwachsenen? Wie beeinflusst unsere kindliche Welt (unser „inneres Kind“) unser weiteres Leben?

Um die Welt des Kindes zu verstehen, gehe ich noch einmal zurück zur Geburt. Ich habe sie ja vorhin als Weltenwechsel bezeichnet. Wie tiefgreifend dieser Wechsel ist, können wir uns wohl gar nicht vorstellen. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Mensch ein ganzes Jahr braucht, um auf eigenen Beinen zu stehen, während dies bei allen anderen Säugetieren (biologisch sind wir ja Säugetiere) schon nach einigen Stunden der Fall ist. Man kann dies natürlich rein physiologisch damit erklären, dass der menschliche Körper noch nicht so weit entwickelt ist, wie das bei Tieren der Fall ist. Aber warum ist das so? Mir scheint noch etwas anderes dahinter zu stecken, nämlich das menschliche Bewusstsein.

Ein Tier betritt die neue Welt nur mit seinem Körper, ein Mensch betritt sie auch mit seinem Bewusstsein. Es ist nicht nur – ich meine: nicht einmal in erster Linie – der Körper, der sich darin zurechtfinden muss, sondern auch und vor allem das Bewusstsein. Wir sind nicht, wie ein Tier, mit dem Instinkt mit der Mutter und dann auch mit der Welt verbunden, sondern wir müssen diese ganze neue Welt, angefangen bei der Mutter, in unser Bewusstsein nehmen. Der Weltenwechsel muss in unserem Bewusstsein ankommen und von diesem verarbeitet werden, wir müssen nicht nur physisch, sondern auch und vor allem seelisch und geistig in die neue Welt hineinwachsen. Das geht nicht von heute auf morgen, dazu braucht es Zeit.

Mit der Geburt tritt der Mensch in sein eigenes körperliches Leben ein, abhängig zwar, aber losgelöst, verbunden, aber nicht mehr verschmolzen. Was vorher das Umgebende war, in das man ganz eingelassen war, ist nun ein Anderes, ein Gegenüber, das getrennt von einem existiert und von dem man selbst getrennt ist. Nach wie vor ist die Mutter die ganze Welt, aber ich bin nicht mehr Teil von ihr. Anstelle der Symbiose tritt die Bindung. Wir sind jetzt zwei, und wir können uns aufeinander beziehen. Das Kind beginnt nun, die Mutter von außen zu entdecken, mit den Händen, dem Mund, der Nase und allen anderen Sinnen. Diese Sinne signalisieren ihm ganz genau, ob der Mensch, der es im Arm hält, seine Mutter ist oder nicht. Und schon nach kurzer Zeit beginnt es auch, ihre Gefühle wahrzunehmen und damit selbst sein Fühlen zu entwickeln – etwa wenn die Mutter lächelt und liebevoll mit ihm redet oder brabbelt (sie mag mich, ich bin willkommen) oder wenn sie im Gegenteil gestresst, genervt oder gar zornig ist (sie mag mich nicht, ich bin schlecht, ich bin eine Last, …). Die Mutter und später der Vater dienen dem Kind als Spiegel, um sein eigenes Menschsein zu entdecken und seine eigenen Gefühle zu entwickeln.

Bis zum Erkennen der Mutter als eigene Person dauert es noch eine Weile – und bis zum Erkennen von sich selbst als Person ebenfalls –, aber das Kind muss sich bemerkbar machen, Bedürfnisse äußern und auf vielfältige Weise Kontakt aufnehmen. Die Zeit, wo für alles gesorgt war, ist vorbei, und zwar unwiderruflich. Die neue Freiheit verlangt von dem Kind, dass es anfängt, seine Bedürfnisse auszudrücken, und sie birgt das Risiko, dass dies nicht gehört oder nicht richtig verstanden oder bewusst ignoriert wird. Dabei ist es vollkommen abhängig, denn es kann sich weder selbst versorgen noch gar von sich aus in dieser vollkommen fremden Welt orientieren. Dazu braucht es jemanden, und zwar zuallererst die Mutter.

Die Mutter kann zwar, anders als vor der Geburt, physisch und geistig von einer anderen Person ersetzt werden, aber nicht emotional. Die frühkindliche Seele empfindet jede längere Trennung von der Mutter als Todesbedrohung. Nur die ständige Präsenz der Mutter gibt dem Säugling die Sicherheit, die er braucht, um sich entspannt in die Offenheit der neuen Welt einzulassen. Je unsicherer der Kontakt zur Mutter ist, umso unsicherer kommt ihm die Welt vor (die Mutter ist ja seine Welt), und umso angespannter und ängstlicher wird er ihr – jetzt und später, oft sein ganzes Leben lang – begegnen. Diese Anspannung manifestiert sich auch im Körper. Wilhelm Reich hat sie den „Charakterpanzer“ genannt, eine chronische Verfestigung unserer Muskulatur, die aus einer lang andauernden Spannung resultiert, in die sich das Kind einst eingemauert hat, um sich zu schützen.

Zu dem, was die Abwesenheit der Mutter mit einem Kind machen kann, eine kleine Geschichte von einem alten Freund: In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab seine erschöpfte Mutter ihn–er war zehn Monate alt – in eine Wochenkrippe und fuhr mit ihrem Mann in Urlaub. In der DDR war das üblich, die Kinder wurden professionell versorgt. Als sie ihren Jungen nach zwei Wochen wieder abholte, war sie entsetzt: er war nur noch ein apathisches Bündel. Der Arzt, zu dem sie ihn brachte, diagnostizierte eine schwere Ernährungsstörung mit Durchfall, Erbrechen und akuter Lebensgefahr und wollte das Kind ins Krankenhaus einweisen. Die Mutter aber spürte: Mein Kind braucht nichts dringender als mich, und sagte zum Arzt: „Sagen Sie mir einfach, was ich tun muss.“ Dreißiggrammweise fütterte sie ihr Kind wieder auf, mit selbstgemachtem Möhrenbrei. Das Kind überlebte.

Jedes Kind reagiert anders auf eine solche Situation, aber jedes nimmt davon etwas mit in sein späteres Leben. Was, kann man nicht vorhersagen. Aus dem Kind von damals ist ein stattlicher, immer fröhlicher und humorvoller Mann geworden, der sehr gerne und mit großem Genuss isst. Als er eine Zeitlang mit sehr wenig Geld auskommen musste, sagte er, wenn ich ihn fragte, ob er klarkommt, immer: „Es ist noch genug da, um satt zu werden.“ Er hat viele außerordentlich schwierige Situationen gut überstanden hat und ist daran gewachsen, hatte aber immer ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Frauen. Er liebt sie und fühlte sich für die meiste Zeit seines Lebens zugleich unsicher mit ihnen, suchte ihre Nähe und hatte zugleich eine tiefe Angst vor zu viel Nähe.

Die Welt, in der wir leben

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