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7.

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Sie wusste irgendwie, das spürte ich von Anfang an – und vielleicht war es genau das, was uns gegenseitig so anzog –, dass ich zum Lachen geboren bin und mit dem Leben nicht mehr anfangen will, als es mit jedem Augenblick selbst aus der Hand zu schütteln und wie ein Jo-Jo auf und ab baumeln zu lassen. Du weißt doch, Ulle: ich rede so viel, weil ich nicht will, dass man bemerkt, wie ich wirklich denke. Unentwegte Lallolalie als Ablenkungsmanöver. Im Grunde meines Herzens interessiert mich kein Wort, nicht ein einziges, weder von mir noch von einem anderen. Man meint, dass alles, was man sagt, darauf aus ist, irgendwie von irgendjemandem verstanden zu werden. Doch ich will gar nicht verstanden werden. Auf jeden Fall nicht mit dem, was ich sage. Ich will geliebt, nur geliebt werden, unverstellt, unverzagt, nee, noch besser, unversagt (tschuldige, Ulle, dass ich jetzt so romantisch werde; vielleicht kannst du dich noch daran erinnern: Ines hat es immer ramontisch genannt).

Also halt doch einfach dein Maul, würde Heiner jetzt sagen, und (was er nicht sagen würde) schreib es auf – was ich hiermit tue, Ulle, an dich. Du sollst mein Nachlassverwalter sein, falls ich dabei draufgehe. Vielleicht bringt eine der beiden mich ja um, Erstickungstod, eine Titte in den Mund gestopft, bis ich keine Luft mehr kriege: vielleicht tun sie sich sogar zusammen und erledigen mich gemeinsam.

Vielleicht verlange ich zu viel: von mir und deshalb auch von den anderen um mich herum. Vielleicht bin ich deshalb oft so ungerecht. Zumindest scheint es so. Eva knabberte an einem Hähnchenschenkel. Ihre Lippen glänzten in dem aufgesogenen Fett. Den Knochen entblößt, rollte sie dann ihre Finger in eine schon gebrauchte, zusammengeknüllte Serviette ein (wie in eine Mullbinde), um sie mit der anderen Hand abzustreifen. Während sie trank, ließ sie ihren Blick langsam in das Glas fallen. Erst nachdem sie es wieder auf den Tisch gestellt hatte, sah sie mich an und sagte, dass wir es doch verdammt gut hätten, findest du nicht … Sie erwartete keine Antwort, während sie eine Zigarette aus der Schachtel zog und anzündete. Das Streichholz schüttelte sie aus und warf es in eine leere Salatschüssel. Eine Frau, die mit sich selbst zurechtkommt, dachte ich in diesem Moment, eine, die keine überzogen falsche Geselligkeit braucht, um sich vor der Gefahr hereinbrechender Einsamkeiten schützen zu müssen, keine vorgestiefelte Spur, um den Stunden ihre überall lauernde Depression zu nehmen. Sie hat die Gnade des Alleinseinkönnens auf der Zunge und in den Augen, als eine der wenigen, seltenen Begnadeten, die es auf dieser Welt gibt. Vielleicht? Wenn wir uns trennen würden, dachte ich plötzlich (ich weiß nicht warum), dann wäre es sicherlich von ihrer Seite aus, nicht wegen eines anderen Mannes, es käme nur aus ihr heraus, ihrer Selbstzweifel und eigenen Geringschätzung wegen, bestimmt.

Zwei Tage ohne ihre Lippen ließen mich verhungern. Ich sagte es ihr aber nicht. Nach einem längeren Kuss streifte ich ihr jedes Mal von neuem mit dem Handrücken meinen Speichel von ihren Mundfalten und ihrem Kinn ab. Ich liebe es, wie sie es geschehen lässt, wie sie ihr Kinn leicht gegen meine Hand drückt und mir mit dieser sanften Bewegung so vieles zeigt.


Morbus vitalis

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