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12.

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Lange schon war ich nicht mehr im Garten meiner Mutter. Stell dir vor, diese Verrückte mit ihrem kranken Herz hat ihn umgegraben, ganz alleine, von vorne bis hinten. Hoffentlich hat sie den 200 Jahre alten Pflaumenbaum stehen lassen, jetzt kurz vor der Winterszeit. In diesem Jahr hat sie zum ersten Mal Zucchini angepflanzt. So groß wie Elefantenpimmel sind sie geworden. Du glaubst gar nicht, wie stolz sie darauf ist. Du musst unbedingt mal meine Mutter kennenlernen. Zwei Verrückte, wirst du denken, denen das Leben ganz einfach Spaß macht, obwohl die beiden am Existenzminimum herumkrakseln. Sie ist die einzige Anarchistin im Dorf, die einzige Anarchistin, die ich überhaupt kenne. Und die schönste, klügste und tapferste Frau dazu.

Das Telefon klingelte. Schweißgebadet schlug ich die Bettdecke zur Seite und sprang auf. Mit dem ersten Satz: – Ja hallo, wie spät ist es eigentlich wurde mir schwindelig. Es ist halb eins, hörte ich von irgendwoher eine Stimme. Es war Evas Stimme. Ich musste erst mal wach werden, meinen Schwindel und meine Gliederschwere loswerden. Aber es ging nicht so einfach. Am liebsten hätte ich zu ihr gesagt, dass sie kommen und mich gesund machen solle. Dann hätte ich aufgelegt und mich zurück unter die verschwitzte Bettdecke gegraben und auf sie gewartet. Sicherlich hätte ich darüber nachgedacht, ob ich den Haustürschlüssel hinunter auf die Straße werfen sollte, damit sie ihn dort finden und zu mir hinauf kommen könne. Aber ich hatte ja nicht aufgelegt und auch nicht zu ihr gesagt, dass sie kommen und mich gesund machen solle. Ich hatte immer noch den Hörer in der Hand am Ohr auf dem Weg zum Bett mit dem Telefon in der anderen Hand, zwei Finger in der dafür vorgesehenen … Möse … musste ich denken, als ich den Apparat in der Hand sah, ein anderes Wort fiel mir nicht ein. Ich musste lachen, über meinen Einfall, die Telefonmöse, in die ich meine Finger gelegt hatte, einfach so, aber sie fragte mich nicht, warum ich lachte.

Ich war froh, endlich wieder im Bett zu liegen. Jetzt konnte die Welt sich unter meinen Füßen wegdrehen wie sie wollte. Mein Kopf lag sicher im verschwitzten Kissen. Es ekelte mich ein wenig. Aber ich entschuldigte alles (und doch eigentlich nichts) mit meinem Kranksein. Berühren wollte mich im Moment eh niemand. Also konnte ich mich gehenlassen, so wie ich es lange schon nicht gemacht hatte, mich drei, vier Tage nicht waschen, kaum die Zähne putzen, ein unerträglicher Geschmack im Mund, mehr noch nach einem Kaffee oder Tee, oder Nudeln mit Ketchup und einem hineingequetschten Kartoffel, wie eine über die Zunge gestülpte klebrige Schlangenhaut.

Mir geht es nicht gut, habe ich in einem verschnupften Ton zu ihr gesagt.

Ja, ich hör’s.

Habe einen dicken Kopf, verdammt, und bin nicht in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen; deshalb fällt mir das Reden so schwer; der ganze Schleim zieht sich durch die Nase ins Hirn und blockiert alles.

Hast du schon eine Aspirin genommen?

Nein, die helfen bei mir nicht; das Einzige, was mir hilft, wäre ein bisschen – ich räusperte mich – Kopfkrabbeln. Und ich dachte an meine fettigen Haare und meinen verschwitzten, sicherlich ziemlich verpickelten Rücken. – Also müsse sie wohl vorbeikommen, mit streichelnden Händen, und … hmm äh, stolperte ich über einen Gedanken, der mich auf dem falschen Fuß erwischte, mich waschen zu müssen, andere Sachen anziehen, rasieren und das Zimmer aufräumen, die Fotos der weichen Girls, die verstreut über den ganzen Boden herumliegen, verschwinden lassen, alles viel zu anstrengend – tja, also … Mir fiel nichts ein, und ich wollte gar nicht, dass mir was einfiel, warum auch.

Während ich dies dachte, sagte sie, dass sie sich auch nicht gut fühle, ihrer Tage wegen, die sie bekomme, morgen oder übermorgen, vielleicht aber auch heute Abend schon; es sei doch besser zu Hause zu bleiben und nichts zu tun.

Nach eineinhalb Stunden sagte sie dann, dass wir über vierzig Einheiten vertelefoniert hätten. Wie, so schnell vergehen eineinhalb Stunden; über was haben wir uns denn alles unterhalten? – Sie begann sich die Nase zu putzen, ein Elefant in der Ohrmuschel. Dann kehrte Stille ein, nur mehr ein Rascheln weit ab vom Hörer, und ich stellte mir vor, wie sie das Taschentuch im linken Ärmel ihres Pullovers verschwinden ließ, diese typische Bewegung einer Frau mit Taschentuch, zart und anmutig, während sich der Atem einen kleinen Luftschacht durch die verstopften Nasenwege verschafft.

Ich dachte nur: merkwürdig. Die Kopf- und Gliederschmerzen haben mir die Flügel gestutzt und das Lachen genommen. Der Ausschlag an den Lippen und die Bläschen, meine Aphten, im Mund, immer wenn ich Obst esse, heilen nur langsam. Ich glaube fast, sie verschwinden nie wieder. Sicherlich musste etwas geschehen, sonst wären mir irgendwann die Fäden aus dem Kopf geschlingert und hätten sich um meinen Hals gewickelt und mir die Luft abgeschnürt, ohne dass mir angst und bange geworden wäre. Der Realität den Garaus machen, ohne eine einzige Droge, weder Alkohol noch Tabletten, einfach so, seinem eigenen Verschwinden genüsslich zusehen, wie wenn man an einem Strand auf warmem Sand sitzt und dem feuerroten Punkt am Horizont alles Gute wünscht, ja nicht einmal das. Der Leidende kämpft seinen Freiheitskampf, weil er unentwegt mit sich selbst beschäftigt ist. Daher seine Gleichgültigkeit für den Rest: den des Tages, des Himmels, der Verwechslung und vor allem der Hoffnung. Bis schließlich der Rest selbst nur noch ein Rest ist.

Meine größte Enttäuschung jedoch lag neben mir im Bett. Sie hatte sich in meinen Kopf eingenistet und schwitzte mit mir unter der bis zum Kinn hinaufgezogenen Bettdecke den Virus aus. Unsinn, sagte ich mir nach den ersten beiden Schweißtropfen, die mir aus der Stirn krochen, bin aufgesprungen und durchs Zimmer gelaufen. Der Virus sitzt in meiner Seele, nicht in meinem Körper. Also nützt es nichts zu schwitzen, ebenso wenig eine Tablette zu schlucken oder den Kopf unter einem Handtuch über siedend heißes Salzwasser zu halten und zu inhalieren. Es wäre alles halb so schlimm, nein alles schön und gut, also schlimmer noch, wenn mein Körper krank wäre; aber er ist es ja nicht. Es ist meine Seele, mein verdammter Liebeskummer, der den Rest, allen Rest, lahm legt und beinahe unerträglich macht. Wie ein trotziges Kind hockt sie in einer Ecke meines Fleisches und hält den Virus, die Wirklichkeit, in ihren Händen fest wie einen Ball, den sie nicht mehr hergeben will.

Spielverderberin, gemeine Seelin, wenn ich nur wüsste, durch was du gekränkt worden bist, dass du mich nun so behandelst, so beleidigst! Beim heiligsten Schmerz, ich weiß es nicht! Soll halt so sein. Was bleibt mir anderes übrig, als so zu denken? Was? Nimm sie, wie sie kommen, die Weiber, die Krankheiten, die Verderbnisse, nimm sie so, wie sie sind, denn sie sind das einzige, was das Leben lebenswert macht.

Ich glaube, ich bin wirklich krank.


Morbus vitalis

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