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8.

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Zwei Monate später

Irgendwie wundert es mich, Ulle, dass ich mich nicht hin und her gerissen fühle zwischen Ines und Eva. Mir scheint, dass ein Anderer während der letzten beiden Monate wie ein Hund gelitten hat. Irgendwie kann ich immer weniger glauben, dass ich es gewesen sein soll, der vor Eifersucht keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und von ihr fast zerfressen worden wäre. Wie würde Ines, so habe ich gedacht, je auf den Gedanken kommen können, mich – mich – gegen einen kleinen Nichtssager, diesen kleinen Nichtssager, den sie jetzt hat (Psychologie studiert er, glaube ich; alle studieren Psychologie oder Germanistik oder Soziologie, die nichts anderes können, so wie im Sport alle diejenigen, die nichts (anderes) können, Volleyball spielen), eintauschen zu wollen. Mich gegen überhaupt einen anderen Menschen.

Doch ich habe es ja immer schon an ihren sogenannten guten Freunden vermutet, nein, sogar gesehen, dass in ihr mehr als nur ein verborgener Hang nach leerem Vergnügen, nach Etikette und hohlen Phrasen schlummert. Schließlich ist er ein Diplomatensöhnchen. Und ihr Vater war nichts anderes, passt doch, der Justizminister von Niedersachsen und der deutsche Diplomat von Burundi. Auf dem Treppenaufgang in seinem Haus hing an der Wand in einem billigen Rahmen eine Fotografie, er mitsamt seiner wasserstoffblonden Gattin, Frau Justizminster, neben Boris Becker bei einem Sektempfang auf dem Rothenbaum in Hamburg.

Ich wäre gern dabei gewesen, hatte an diesem Tag aber keine Zeit. Asche, wenigstens Tennisasche auf mein Haupt.

Ich glaube, seitdem mich nur noch Ines’ Körper interessierte, langweilte mich unsere Beziehung bis ins Mark hinein, nur habe ich es nie bemerkt, oder es nicht bemerken wollen, und jetzt befürchte ich, nie wieder von ihren schweren Brüsten, diesen beiden Traumballons im engen T-Shirt, loszukommen, nie wieder eine andere so begehren zu können wie sie.

Letzten Sonntag, als ich mit Sigrun, meiner alten Freundin aus den Politikseminaren, und ihrem kleinen Sohn im Park spazieren ging (die Luft war wie immer an einem Sonntag geschwollen und aufgebläht von einer anheimelnden Frömmigkeit), kam mir der Gedanke, dass ich womöglich in meinem Leben noch nie eine Frau geliebt habe, weißt du, so richtig. Ich habe mich nicht im Geringsten für das interessiert, was Ines interessiert hat, sagte ich zu Sigrun, worauf sie mich etwas merkwürdig von der Seite ansah. Ich wusste zunächst nicht, warum sie so grinste. Doch dann fiel mir ein, dass ich vor sechs Jahren einmal mir ihr, Sigrun, zusammen war, fast zwei Jahre lang, fast zwei Jahre lang eine Donnerstagsbeziehung, denn donnerstags hatten wir immer ein Seminar bis abends um sechs, danach sind wir zu ihr und haben die ganze Nacht rumgemacht; freitags hatten wir zum Glück beide nichts an der Uni.

Wir saßen auf einer großen weißen Holzbank und sahen dem kleinen Jan zu, wie er auf dem Rasen vor uns mit einigen herumliegenden Kastanien spielte. Hin und wieder kam er angelaufen und drückte uns eine Kastanie in die Hand, um sie gleich wieder zurückzufordern und auf einen der vielen kleinen Haufen zu legen, die er angesammelt hatte.

Ob ich mich je für Ines’ Interessen interessiert habe, fragte ich Sigrun, um meinen Gedanken nicht zu verlieren. Sigrun hörte mir nur halbwegs zu. Sie war ganz auf ihren Kleinen fixiert, lächelte ihn immerzu an und nickte fast ununterbrochen mit halbgeöffnetem Mund mit dem Kopf. Ein halbwegs normales Gespräch mit ihr zu führen schien unmöglich. Ich überlegte, ob sie meinen Unmut spürte, nicht nur in diesem Moment, sondern überhaupt in Bezug auf kleine Kinder, da ich oft genug Professor Kiers Buch mit dem treffenden Titel Die Zerstörung der Humanität durch Mutterliebe zitiert hatte.

Ich weiß nicht einmal das Thema ihrer Dissertation, sagte ich etwas trotzig. Ich weiß nicht einmal, ob sie sie überhaupt konzipiert hat. Eigentlich weiß ich nichts von ihr. Eine wunschlose Frau sollte sie sein, wunschlos unglücklich, vielleicht wie meine Mutter es ihr Leben lang gewesen ist. Ist es da noch verwunderlich, dass mich nach spätestens zwei Jahren alle Frauen verlassen? Wie schnell aus einem tragischen Gedanken ein komischer wird, was?

Sigrun grinste und schüttelte (abermals) mit dem Kopf. – Beklag dich doch nicht, sagte sie, sondern sei froh, dass dir überhaupt eine Frau davonläuft; viele wünschten sich das. War es nicht dein Freund Heiner, der all deine Frauen in seinem Kopf gespeichert hat; gerade er, der noch nie eine richtige Freundin gehabt hat, ja, vielleicht in seinem Leben nie eine haben wird, so wie der – es war doch Heiner, oder?

Ja, war er.

Du hättest jedem Mädel sofort sagen sollen, dass du sie nur als Körper willst. (Es stieß mich ab, ekelte mich fast, wie Sigrun das Wort Körper aussprach). Oder war es nicht so?

Doch, doch, assistierte sie sich selbst, so war es bestimmt.

Tja … (mehr fiel mir in diesem Moment nicht ein)

Plötzlich begann der kleine Jan zu schreien; er weinte. Sigrun sprang auf und nahm ihn in den Arm. Ihm war eine Kastanie auf den Fuß gefallen, von oben aus der Baumkrone, nicht weit vom Himmel entfernt. Und nun kullerten zwei dicke Tränen, eine aus jedem Auge, an seinen Wangen hinab. Es war aber gar nicht nötig, ihn beruhigen zu wollen und ihm vom Hottepferdchen oder von der Puffpuffeisenbahn und von Jim Knopf und Siggi Zweifel und Gaby Gabel zu erzählen, denn seinen Schmerz hatte er schnell vergessen, als ein Hund, groß und braun wie ein Teddybär, angelaufen kam und vor ihm stehen blieb und ihn beschnupperte. Sein Frauchen kam langsam hinterher getrottet. Ihr aschgraues Haar strahlte ebenso wie ihr Gesicht, das jugendhafte Züge barg, eine lebendige Ruhe und Gelassenheit aus. Die Arme hielt sie auf ihrem Rücken, und aus den verschränkten Händen baumelte die Hundeleine. Sie grüßte mich, indem sie mir zulächelte und mit dem Kopf nickte. Er liebt Kinder über alles, sagte sie dann und warf liebevoll einen Blick auf ihren Teddy, wie eine Mutter auf ihr Kind.

Tja … Wieder nichts. Ist wohl mein Tja-Tag, dachte ich und war froh, als Sigrun sich der Dame zuwandte und einige Worte, von Mutter zu Mutter sozusagen, mit ihr wechselte.

Ich bin nicht der Pappi des Kleinen, dachte ich nur, nein, ich nicht, und drehte mich ab, augwärts auf die andere Seite, zu einem Liebespärchen auf der Bank gegenüber; ihre Küsse und die heimlichen Berührungen unter dem Pullover wurden immer heftiger.

Nachdem der große Teddy und sein graues Frauchen – sie nickte zum Abschied noch einmal – weitergezogen waren, haben wir den kleinen Jan in den Wagen gesetzt und sind in ein Café gegangen, in den Stadtgarten, wo wir bei einem ewig lächelnden Kellner zwei Cola bestellten. Der Kleine war in der Zwischenzeit endlich eingeschlafen. Sigrun erzählte mir von einem neuen Mann in ihrem Leben, Edmund, der sehr einfühlsam sei, aber etwas naiv, gerade was das Sexuelle anbelangt; zum Beispiel könne er sich nicht vorstellen, dass es Männer gebe, die fünfmal am Tag onanierten.

Tja, grummelte ich, wenn’s mit 5-mal am Tag getan wäre.

Was, schreckte Sigrun auf.

Nein nein, ist schon gut, kommt nur manchmal vor, nicht oft, eher selten, also nicht jeden Tag.

Irgendwie hatte ich keine Lust, etwas zu sagen, aber auch nicht nichts zu sagen. So ließ ich meinen Blick wandern, über die Tische, die Köpfe, unter den Ästen der blühenden Bäume hindurch, bis ich ein schönes Gesicht sagte und mit nickendem Kopf auf eine Frau deutete, die mit ihrem Freund vor unserem Tisch stehen blieb und nach einem Platz Ausschau hielt – und eine noch schönere Figur. Sigrun wusste sofort, an was ich dachte: diesen herrlich gewachsenen Körper nicht in meinem Bett zu wollen, sondern nur in meinem Kopf, reibender Phantast, gliedrige Enthäutung, sie hier im Café über einen Tisch zu legen, zuerst lässt sie ihr kleines Höschen fallen, dann reiß ich ihr den Hintern auseinander und streife meinen Stab an ihrem Damm entlang, auf und ab, um mich dann auf ihr zu ergießen: ich, der Champ, der alle Tische gerade rückt.

Sigrun fragte mich, wie ich es mir gerade vorstellte, und ich erzählte es ihr. Doch sie sagte nur: nichts Besonderes also und fragte mich, ob Frauen überhaupt wissen, dass Männer immer irgendeine Frau im Kopf haben, wenn sie onanieren.

Ich glaube nicht, antwortete ich und dachte, dass es mir eigentlich ziemlich egal ist, ob sie es wissen oder nicht, wichtig ist doch nur, dass man einen schönen Körper im Kopf hat. Sie lächelte mich an, während sie mir sagte, dass sie glaube, dass es mir ziemlich egal sei, ob Frauen es wüssten oder nicht.

Mir fiel auf, dass sie viel hübscher war, wenn sie lachte, und dass ich sie eigentlich sehr selten lachen sehe. Und ich sagte es ihr. Der Vogel, der nicht fliegt, weiß nicht, wo reife Früchte sind. Warum sagst du nichts, Sigrun? Ich blickte zu ihr hinüber und sah, dass sie ihrem Kleinen zuzwinkerte. Er war gerade aufgewacht und guckte mit riesigen Augen aus seinem Wagen. Sie nahm ihn auf den Schoß und tätschelte seine Beinchen … da isser ja wieder, hallo männelein, pipipip … Er hob sein kleines Händchen und zeigte auf mein Glas, Durst, und hätte sicherlich meine ganze Cola ausgetrunken, wenn ich ihm nicht schnell mit einem großen Schluck zuvorgekommen wäre.


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