Читать книгу Morbus vitalis - Willi van Hengel - Страница 7
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ОглавлениеWomit beginnt eigentlich die Tragödie, die sich in jedem Augenblick, ganz in unserer Nähe, verbirgt und uns jederzeit unerwartet und hinterrücks würgt? Mit Bildern, dachte ich. Klarer noch: mit Fotos, sagte ich mir, und war überrascht über meine eindeutige Antwort. Ich habe von ihr einen ganzen Film gemacht, vierundzwanzig Bilder, wie sie aus der Badewanne steigt, in Unterwäsche auf dem Bett sitzt und sich schminkt, wie sie ihren blauen Pullover aus- und ihr grünes Sweatshirt anzieht (habe dabei ihre nackten Brüste halb erwischt), beim Kämmen vor dem Wohnzimmerspiegel, beim Bücken vor dem Kühlschrank, ihr schönes rundes Gesicht auf der ganzen Fotoseite, es lacht und zeigt ihre weißen Zähne, überstrahlt von ihren Augen, die sogar durch den Mattlack des Bildes hindurchglänzen.
Als ich sie beim Anziehen fotografieren wollte, während sie in eine dunkelbraune Strumpfhose schlüpft und sie mit beiden Händen nach oben hin glatt zieht, dann in ihren langen, aber engen Rock klettert, Foto beim ersten Bein, Foto beim zweiten Bein, Foto auf Kniehöhe, Foto beim Reißverschließen, Foto beim linken Schuh, Foto beim rechten Schuh, während sie schließlich wieder auf dem Bett sitzt und die Beine übereinander schlägt und der Rock ungeknöpft auseinanderfällt und ihre Schenkel, zwei dunkelbraune, pralle runde Schlangen, bloßlegt, bis obenhin, wurde sie sehr böse, sie sei doch keine billige Nutte – eine teure etwa, habe ich sie gefragt und sah meine Fotosession dahinschwinden, denn ziemlich heftig hat sie die Schlafzimmertür hinter sich zugeknallt, alles Weitere solle ich mir abschminken, es reicht: also keine Nacktbilder, wie sie sich auf dem Bett räkelt und ihren strammen Körper hin und her dreht, die Beine in die Luft streckt und wieder fallen lässt, auf die Knie rutscht, und zuletzt das große Gesicht ihrer Hüften mich anlacht, und ich …
… muss damit aufhören, es mir vorzustellen, darf nicht weiter darüber nachdenken, über all das, was mir entgangen ist, für jetzt und für später, für immer vielleicht?