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ОглавлениеVielleicht habe ich Ines ganz einfach überfordert! Unsere Gemeinsamkeit überfrachtet mit dem übermäßigen Interesse an mir selbst. So wie es bisher immer gewesen ist, dieses skurrile Selbstinteresse, diese ausgeprägte Autoerotik, der Onanist pur. Die halbe Doktorarbeit – eine Kritik des reinen Ekels auf zehn Jahre Studium, mehr oder weniger – weht als Asche, wie man es halt macht als sich maßlos selbstüberschätzender, verkannter Wissenschaftler, über den gelangweilten Wellen des Mittelmeeres. An einem Strand in Mallorca bei errötetem Sonnenuntergang, wie man’s halt so kennt, habe ich sie verbrannt und als Aschebündel zuletzt ins Meer geworfen.
Ich werde nie vergessen, wie böse Ines damals gewesen ist. In einem Strandcafé sitzend sah sie plötzlich eine immer größer werdende Flamme in meinen Händen. Sie kam angelaufen und schrie mich an, ob ich noch bei Trost sei, noch dicht wäre, was in mich gefahren sei und was das alles überhaupt sollte. In ihrem Zorn gefangen, sprach sie den ganzen Abend nicht mehr mit mir, kein einziges Wort. Ein Stück unserer gemeinsamen Zeit hätte ich verbrannt, einfach so, hat sie am anderen Tag zu mir gesagt, gerade der Anfang unserer Beziehung sei die schwerste Zeit gewesen, die Diss., zur Hälfte erst fertig, als wir uns kennenlernten, habe mich und damit auch sie aufgefressen. Behandelt hätte ich sie wie mich selbst, unerbittlich und rücksichtslos gegen jedes Gefühl, jedes Herzflackern, jede Liebkosung. Warum ich sie damals so behandelt hätte – die anderen in einer lieben und freundlichen Art begrüßt, sie dagegen kaum mit dem Hintern angeguckt, was nur eines von vielen Beispielen sei. Es sei die schrecklichste Zeit in ihrem Leben gewesen, hat sie gesagt, noch nie hätte sie so viel geweint, und nun das.
Ich saß ihr gegenüber und beobachtete sie in ihrer Rage, zum Schweigen verurteilt. Dass ihr so viel an mir und meinem Leben liege, ja, dass ihr Leben zu einem derart großen Interesse an meinem Leben geworden sei, hätte ich nie gedacht, sagte ich ihr – und hörte daraufhin in einem letzten Atem nur noch ein beinahe resignierendes Du Idiot.
Die Weite ihrer Liebe zu mir, mitsamt einer insgeheimen Zukunft, hatte ich im Feuer der verbrennenden Diss. zerstört. Endgültig verstanden habe ich ihre Enttäuschung jedoch erst, als sie sagte, dass ich einen Teil unserer gemeinsamen Geschichte, die immer eine Liebesgeschichte sein wird, verbrannt habe; es sei zwar eine schwere, aber letztlich dennoch sehr schöne, weil intensive Zeit gewesen, die uns erst richtig zueinandergebracht hat, richtig aneinandergeschweißt in der Empfindung unserer gemeinsamen Kraft, das alles durchzustehen und zu spüren, es durchstehen zu wollen; ein fast unerschütterliches Vertrauen, das uns zusammengehalten hat.
Warum diese ganzen Erinnerungen?
Irgendwann damals wurde es ihr zu viel, und sie nahm ihr Herz in beide Hände, hielt es mir vors Gesicht und sagte, dass es so nicht weitergehen könne; entweder sind wir zusammen, oder wir sind es nicht, aber nicht so. Wir standen vor dem Eingang der Stadtbücherei. Die Sonne verschwand gerade hinter der Seitenmauer dieses großen alten Gebäudes, als wolle sie uns alleinlassen mit unserem Problem. Ich nahm Ines in den Arm und entschuldigte mich für mein Verhalten, für meine pubertierenden Anwandlungen, wie ich es nannte, aber es sei nun einmal so, nur eines müsse sie mir unbedingt glauben: dass ich sie auf keinen Fall verlieren wolle – es sei zwar eine unglückliche … ach, ich weiß nicht, schließlich sei sie doch die einzige, die mich verstünde. Sie legte ihren Kopf an meine Brust und hielt mich fest. Sie weinte. Schluchzend sagte sie dann, dass wir vielleicht doch zusammen gehörten.
Ich streichelte Evas Wange, dann ihr seidenes Haar. Sie sah mich an und begann zu lachen, wie den ganzen Tag schon. Auch ich musste lachen, obwohl ich es gar nicht wollte. Ihr Lächeln verzehrte meine Zärtlichkeit. Bis in die Nacht hinein haben wir geredet, gegessen, getrunken und den jeweils anderen nicht ernst genommen. Das liegt doch auf der Hand, sagte ich irgendwann zu ihr, aus einem lauten Gedanken heraus, Prometheus war ein Intellektueller, und er beging den Fehler jedes Intellektuellen. Das liegt doch auf der Hand: Er traute dem Intellekt zu viel zu. Meinem letzten Satz schenkte sie gar keine Aufmerksamkeit mehr. Als ich sagte, dass dies doch auf der Hand liege, hob sie ihre Hände, drehte sie einige Male von einer Seite auf die andere und bedeutete mir mit einem Blick, dass auf ihren Händen nichts liege, zumindest sehe sie nichts, und drehte mit ihren Händen auch den Kopf hin und her, wie ein kleines Mädchen mit einem unbändigen Schalk in den Augen. Bis dahin glaubte ich, sie zu mögen; ab da begann ich sie zu lieben.