Читать книгу Das große Sutherland-Kompendium - William Garner Sutherland - Страница 61
ERFAHRUNGEN MIT LIGAMENTÄREN GELENKMECHANISMEN
ОглавлениеAls ich im Jahre 1920 Mitglied im ersten House of Delegates der American Osteopathic Association war, blieb mir nur wenig Zeit außerhalb des Konferenzraumes. Dennoch benutzte ich jede Gelegenheit, um Virgil Halladay D.O., damals Professor der Anatomie an der American School of Osteopathy in Kirksville, Missouri, aufzusuchen. Er hatte ein kleines Buch mit dem Titel The Applied Anatomy of the Spine geschrieben, welches auf jenem speziellen anatomischen Modell basierte, das er zur Konferenz mitbrachte.76
Das Modell bestand aus sämtlichen Knochen des Beckens, der Wirbelsäule und des Thorax, durch Bänder zusammengehalten und so präpariert, dass sie federnd und funktionsfähig erhalten blieben. Die gesamte Muskulatur war entfernt worden.
Während ich das Modell studierte, pflegte ich die Ossa ischii federnd zusammenzudrücken, um zu studieren, wie die iliosakralen Gelenke funktionierten. Sobald ich die Sitzhöcker zusammenschob, bewegten sich die Ilia im oberen Bereich auseinander. Wenn ich die Sitzhöcker auseinanderzog, kamen die Ilia im oberen Bereich zusammen. Ich sah, dass die Bänder das Becken zusammenhalten und auch den Bewegungsradius in diesem Bereich regulieren.
Durch das Studium des ligamentären Gelenkmechanismus im Becken lernte ich genug, um mit der Nadel und den Methoden der ambulanten Proktologie innerhalb meiner eigenen Profession konkurrieren zu können. Was geschieht, wenn Sie die Gewebe im kleinen Becken zusammendrücken? Was geschieht, wenn Menschen auf das Gesäß fallen und das Colon ascendens oder das Sigmoid unten im kleinen Becken blockieren? Sehen Sie einen Zug auf die Faszien? Oder Schwierigkeiten beim venösen Rückfluss aus den Venen des Beckens? Oder einen Strain des Diaphragma pelvis, aufgrund dessen sich Hämorrhoiden, ein Gebärmutterprolaps oder eine Prostatavergrößerung entwickeln können? Mit dieser Sichtweise der Anatomie, indem ich wie Dr. Still Osteopathie dachte, entwickelte ich mehrere Methoden, die ich die ‚Schoß-Techniken‘ nannte. Dabei saß ich vor der Behandlungsbank und ließ den Patienten sich auf meine Knie setzen. Nun musste ich nur noch abhängig vom Beckenbefund die Ossa ischii zusammen- bzw. auseinanderziehen. Es ist einfach, aber um ein guter Mechaniker zu sein, müssen Sie etwas über den Mechanismus wissen.
Etwa um diese Zeit war bei den Osteopathen neues Interesse an Fußproblemen erwacht. Viele dachten sich Techniken für den Mechanismus der Füße aus. Wenn Sie schmerzhafte Fußprobleme erfolgreich diagnostizieren und behandeln können, haben Sie schon einiges über den Mechanismus des lebenden menschlichen Fußes verstanden.
Ich habe Therapeuten gesehen, die das Os cuneiforme laterale attackierten und versuchten, es mit Gewalt an den richtigen Platz zu schieben oder es mithilfe der Zehen herauszuziehen, wenn es abgesunken war.
Wenn Sie aber den Mechanismus und den Platz des Os cuneiforme laterale im Mechanismus begreifen, können Sie sich einfach in dieses Gebiet begeben und spüren, wann Sie den Balancepunkt erreicht haben. Sie brauchen sich lediglich in Erinnerung rufen, dass die Bänder einen bestimmten Bewegungsradius zulassen. Es ist einfach, ihnen die Neuanordnung der Knochen zu überlassen. Sie können auch die Funktion jenes kleinen Lig. talocalcaneum wahrnehmen und sehen, dass Sie es zur Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Talus und Calcaneus nutzen können.
Das Bein ist ein membranöser Gelenkmechanismus. Ebenso der Unterarm. Es gibt dort die Membrana interossea cruris und entsprechend die Membrana interossea antebrachii. Sie können diese Membranen wie die Bänder zum Wiederherstellen der Beziehungen zwischen den Knochen nutzen. Dies liegt daran, dass sie in ihren lokalen Mechanismen wie Bänder funktionieren.
Dr. Still erteilte mir einmal zusammen mit dem Rest unserer Klasse eine Lektion. Ein Mitstudent war in einen rostigen Nagel getreten. Die übliche Wundversorgung und Reinigung war durchgeführt worden, aber die Wunde wollte nicht heilen. Sie begann sich zornig rot zu verfärben, also riefen wir den Alten Doktor. Er sagte: „Ihr verdammten Narren!“ Und das waren wir auch. Wir hatten keinen Gedanken daran verschwendet, dass der Patient sein Bein nach oben zurückgezogen hatte, als er auf den Nagel getreten war. Was war geschehen? Die kleine Articulatio tibiofibulare proximalis zeigte nach posterior und das Gelenk am distalen Ende in die entgegengesetzte Richtung. Aus diesem Grunde war die Blutversorgung unten im Fuß gestört, an welchem der rostige Nagel seinen Schaden angerichtet hatte. Das anhaltende Problem war nicht der Nagel oder die ursprüngliche Wunde, sondern das, was geschehen war, als der Patient plötzlich seinen Fuß zurückzog. Dies verursachte einen membranösen Gelenkstrain zwischen Fibula und Tibia. Es lag ein Strain an beiden Seiten vor, der auch einen Strain der Membrana interossea dazwischen verursachte.
Sie können die zwei Enden der Fibula anfassen und die beiden Knochen durch die Aktion der Membrana interossea cruris ausbalancieren. Die Membrana interossea antebrachii wird ebenfalls für Sie arbeiten, sobald Sie den Mechanismus mittels zweier Kontaktpunkte ausbalancieren.
In gleicher Weise können Sie mit der Clavicula, die auch zwei gelenkige Ansätze hat, arbeiten. Die Clavicula kann möglicherweise am sternalen Ende nach innen und am akromialen Ende nach außen gekippt sein oder umgekehrt. Während der Patient sitzt, brauchen Sie lediglich jeweils einen Daumen unter die beiden Enden der Clavicula zu schieben, den Patienten zu bitten, sich nach vorne zu beugen und auf diese Weise beide Enden zu liften. Die Bänder sorgen für den Ausgleich. Aus diesem Grund behandele ich Dysfunktionen der Fibula über einen Kontaktpunkt an beiden Enden. Es handelt sich um eine doppelte Dysfunktion, so wie sie auch im Unterarm vorkommen kann. Speiche und Elle bilden zusammen ein doppeltes Drehgelenk. Wenn beide Enden einem Strain ausgesetzt sind, wird die Membrana interossea dadurch nicht nur auch überlastet, sondern sie ist auch der Mittler, um den Strain mittels unserer zwei Kontaktpunkte aufzuheben.
Wenn ein Patient an der Ansatzstelle des M. deltoideus über Beschwerden klagt, betrachten Sie den Ursprung des Muskels sowohl auf der Clavicula als auch auf der Scapula. Sie erkennen, dass diese Art von Dysfunktion weniger eine Irritation des N. axillaris als eine Verdrehung der Muskelsehne ist. Sie spüren das In-sich-Verdrehte des Muskels und eine Abstandsänderung zwischen Ursprung und Ansatz.