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Der Dreißigjährige Krieg in seiner heutigen Aktualität

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Gegen Ende des 16. Jahrhunderts brachen innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation trotz des Religionsfriedens von Augsburg (1555) die Glaubensgegensätze zwischen Luthertum und Katholizismus wieder auf. 1608 rief Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz die »Protestantische Liga« ins Leben, Herzog Maximilian von Bayern 1609 die »Katholische Liga«. Das Heilige Römische Reich war im Gegensatz zu Frankreich nicht zentralistisch geführt, sondern zerfiel in über dreihundert Einzelterritorien – und das im konfliktträchtigen Gravitationszentrum Europas. Die von den Kurfürsten gewählten Kaiser – fast immer aus der Herrscherfamilie der Habsburger – strebten danach, möglichst viel Macht allein und direkt auszuüben, was jedoch die einzelnen Reichsgebiete zu verhindern trachteten, z. B. die Schweiz, Norditalien, das heutige Belgien und die heutigen Niederlande. Die Habsburger beherrschten zudem Spanien, Süditalien, Böhmen und Ungarn. Somit hatte Frankreich ab dem frühen 16. Jahrhundert nur noch eine Außengrenze und einen Feind: die Habsburger.

Nach einer angeblichen Verletzung des »Majestätsbriefes«, der den Protestanten in Böhmen Religionsfreiheit zusicherte, warf am 23. Mai 1618 eine Verschwörergruppe unter Führung des aufgebrachten Heinrich Matthias Thurn (1567–1640) die beiden verhassten kaiserlichen Statthalter Jaroslav Martinitz und Wilhelm Slavata samt ihrem Sekretär Fabicius aus den Fenstern des Hradschins (in 17 Metern Höhe) – der Prager Fenstersturz wurde zum Fanal für den offenen Aufstand der böhmischen Stände gegen das Haus Habsburg, und als sichtbares Zeichen erhoben sie den Führer der »Protestantischen Union« zum böhmischen König: Kurfürst Friedrich V., Schwiegersohn Jacobs I. von England. Der »Böhmische Krieg« (1618–1620) mündete in den »Pfälzischen Krieg« (1621–1624). Dem katholischen Heerführer Johannes von Tilly hatte sich während des böhmischen Krieges ein konvertierter böhmischer Edelmann angeschlossen: Albrecht von Wallenstein (1583–1634). Mit Wallenstein, so Leopold von Ranke, trat die »außerordentlichste Gestalt« des Dreißigjährigen Krieges ins Rampenlicht.7 Der Kaiser hatte dessen Angebot, ein privates Söldnerheer aufzustellen, angenommen. Damit begann laut Gombrich »ein gräuliches Gemetzel von schlechtbezahlten, wilden Soldatenhorden«8, die hauptsächlich aufs Rauben und Plündern aus waren und je nach erhoffter Beute die Seite wechselten. Kaiser und Glaube waren längst vergessen. Heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, feiert diese Art der Kriegsführung fröhliche Urständ. Auch die USA setzen in ihren Kriegen private Söldnerarmeen ein, die wie einst Wallensteins Kämpen rechtlos operieren. Staatliche Souveränität, pervertiert zur Souveränität des Stärkeren.9

1628 erhielt Wallenstein das eroberte Mecklenburg als Reichslehen und den Titel »General der ganzen kaiserlichen Schiffsarmada zu Meere wie auch des ozeanischen und baltischen Meeres«. König Gustav II. Adolf von Schweden fürchtete nun, der habsburgische Kaiser beabsichtige, an Nord- und Ostsee eine Seeherrschaft zu begründen. Gleichzeitig sah er seine Chance gekommen, hegemoniale Ansprüche in Nordosteuropa durchzusetzen. Anfang Juli 1630 landete er mit einer starken Armee auf Usedom und zwang Pommern, Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen zu einem Bündnisvertrag. So wie heute Interventionen als humanitäre Rettungsaktionen verbrämt werden, verklärte Gustav Adolf seinen Krieg als Rettung des deutschen Protestantismus – und ließ sich vom katholischen Frankreich auch noch dafür bezahlen, denn in den Augen Richelieus war er als Vorkämpfer auf deutschem Boden ein willkommenes Werkzeug gegen das Haus Österreich.10 Gestern wie heute: Machtpolitik kennt keine Moral. Gustav Adolfs enge Anlehnung an Frankreich, wo Kardinal Richelieu längst zielstrebig auf die Schwächung der katholischen Habsburger hinarbeitete, verschaffte ihm durch den Bündnisvertrag von Bärwalde am 23. Januar 1631 jährlich eine Million Livres oder 400 000 Reichstaler französischer Hilfsgelder und versetzte ihn damit in die Lage, den Offensivkrieg »zur Restitution der unterdrückten Reichsstände ins Reich zu tragen«11.

Nachdem 1635 die Reichsfürsten, Protestanten wie Katholiken, Frieden mit Ferdinand II. geschlossen hatten, griff Frankreich den habsburgischen Kaiser und dessen spanische Verwandte aktiv an, um die Umklammerung Frankreichs aufzusprengen und gleichzeitig strategisch wichtige Gebiete an sich zu reißen. Für das Heilige Römische Reich sollte der nun folgende Krieg gegen das katholische Frankreich und das protestantische Schweden (1635–1648) zur Zerreißprobe werden: Die in Böhmen als lokaler protestantisch-katholischer Konflikt begonnene Rebellion endete im Kampf zweier katholischer Machtblöcke: der spanischen und österreichischen Habsburger einerseits und Frankreichs andererseits.12 Es ging also letztlich nicht um Glaubenskämpfe, sie wurden nur zu Machtzwecken instrumentalisiert – ähnlich wie heute die von den USA in gefährlicher Weise geschürten »Glaubenskonflikte« zwischen Schiiten und Sunniten.

Die Wechselfälle des Dreißigjährigen Krieges, in dem Deutschland durch seine geographische Mittellage zur Bühne für das Kriegstheater der europäischen Mächte geworden war, endeten am 24. Oktober 1648. Im »Westfälischen Frieden« wurden der Augsburger Religionsfriede von 1555 präzisiert und alle christlichen Bekenntnisse als gleichberechtigt anerkannt. Als noch bedeutungsvoller sollte sich jedoch die veränderte Mächtekonstellation in Europa – und damit die veränderte Landkarte – erweisen: Die Schweiz und die Niederlande wurden unabhängig, Schweden stieg unter Frankreich zur neuen Großmacht auf. Die protestantische Ostseemacht erhielt Vorpommern mit Stettin und der Odermündung, Rügen, Wismar, das Erzbistum Bremen und Stift Verden (Elbe- und Wesermündung). Das katholische Frankreich bekam viele deutsche Festungen und Städte in der Nähe des Rheins und war der eigentliche Sieger. In den österreichischen Erblanden war der Protestantismus so gut wie ausgerottet, gleichzeitig wurde die Machtstellung des Hauses Habsburg vernichtet und große Gebiete verwüstet.

Für Richelieus Nachfolger Giulio Mazarin (1602–1661) bedeutete der Frieden zunächst den Triumph über Österreich und die Schwächung des Heiligen Römischen Reichs. Frankreich konnte sich von nun an als Bürge der Reichsverfassung jederzeit formal einmischen. Durch diese »Pax Gallica« mit ihren beträchtlichen Territorialgewinnen – die österreichische Landgrafschaft Ober- und Niederelsass, der Sundgau, die Landgrafschaft über zehn elsässische Reichsstädte, die definitive Bestätigung der lothringischen Bistümer Metz, Toul, Verdun und des Besatzungsrechts im rechtsrheinischen Gebiet Philippsburg sowie der Gewinn von Breisach – rückte die Einheit der deutschen Lande in weite Ferne.

Im ohnmächtigen Deutschen Reich übernahmen nun die Landesfürsten die Rolle als Träger einer neuen Entwicklung, die durch Kleinstaaterei hindurch zum Nationalstaat führen sollte. Der Titel des Kaisers war kaum mehr als ein Ehrentitel, auch wenn die Habsburger ihn noch bis 1806 führten. Mit der Unabhängigkeit der Niederlande und dem Verlust wichtiger Küstenregionen und Ostseehäfen an Schweden war Deutschland fast völlig von der Hohen See abgeschnitten und somit vom Seehandel sowie dem Erwerb von Kolonien weitgehend ausgeschlossen und verlor damit an Bedeutung. England, Schweden, Spanien und die Niederlande hingegen wurden durch ihre erfolgreiche Kolonialpolitik einflussreich und wohlhabend, sie förderten zudem ein liberales Bürgertum, das sich in den deutschen Landen nicht entwickeln konnte.13

Der kriegsbedingte wirtschaftliche und finanzielle Zusammenbruch führte in Deutschland zu einer Verwilderung der Gesellschaft. Die Bevölkerung war um ein Drittel von 19 auf ca. 12 Millionen Einwohner zurückgegangen, wobei die meisten durch Hunger und vor allem durch Seuchen ums Leben gekommen sein mögen. Der Schwedengeneral Johan Banér schrieb 1638: »Vom äußersten Pommern an bis zur Elbe sind alle Länder so verwüstet und ausgeraubt, daß darin weder Hund noch Katze, geschweige denn Menschen und Pferde sich aufhalten können.«14 Die über eine Generation andauernden Verwüstungen und Kriegsgräuel setzten sich tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen fest.

In Frankreich wurde Ludwig XIV. 1643 als Vierjähriger inthronisiert und während seiner Minderjährigkeit von Kardinal Mazarin vertreten. Der spätere Sonnenkönig herrschte 72 Jahre lang – bis 1715. Sichtbares Zeichen seines Absolutismus ist u. a. das Schloss Versailles. Als wichtiges und jederzeit verlässliches Machtinstrument schuf er sich ein stehendes Heer, welches Kriegsminister Louvois zukunftsweisend nach Infanterie, Kavallerie und Artillerie aufbaute und streng in Kompanien, Regimenter und Brigaden gliederte. Die damalige Truppenstärke von 270 000 Mann15 bei 18 Millionen Einwohnern unterstreicht den Machtwillen des absolutistischen Monarchen. Der Sonnenkönig baute die Vormachtstellung Frankreichs weiter aus und führte eine Reihe von Eroberungskriegen.

Im Frieden zu Nimwegen (1678) einigte sich Frankreich mit Holland, Spanien und dem deutschen Kaiser. Das Ergebnis darf sich sehen lassen: Burgund, Cambrai, Valenciennes, Freiburg und Lothringen wurden französisch. Dadurch hatte Ludwig XIV. Frankreichs Grenzen nach Norden und – durch die Gewinne am Oberrhein – vor allem nach Osten weit vorgeschoben. Er war der mächtigste Herrscher in Europa und setzte seine Eroberungspolitik auch im Frieden fort. Um weiter nach Osten expandieren zu können, berief er sich auf ein umstrittenes Wiedervereinigungsrecht (Reunionsrecht) und erhob territoriale Ansprüche, die bis auf die Merowinger – das von 486 bis 751 herrschende Geschlecht der salischen Franken – zurückgingen. Weil der deutsche Kaiser wegen Unruhen in Ungarn sowie wegen eines drohenden Türkenangriffs – Ludwig XIV. hatte die Türken dazu ermuntert – keine militärische Hilfe leisten konnte, gingen das Elsass und weite Teile der Pfalz dem Reich kampflos verloren. Fragwürdiger Höhepunkt der Reunionspolitik war am 30. September 1681 die Besetzung und Annexion der freien Reichsstadt Straßburg, was sogar in den benachbarten westeuropäischen Staaten Empörung hervorrief.

Im Gegensatz zu Frankreich hatte das Osmanische Reich – vermutlich wegen vielfältiger innerer Probleme – die sich ihm im Dreißigjährigen Krieg bietenden Chancen ungenutzt verstreichen lassen. Erst als es um 1660 Siebenbürgen unterwerfen wollte, wurde die türkische Bedrohung für das Habsburgerreich akut, deren Abwehr aber durch die gleichzeitigen Kämpfe Kaiser Leopolds I. gegen den mit den Türken verbündeten Ludwig XIV. erschwert.

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