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Der Kampf um Nordamerika: Siebenjähriger Krieg bzw. Indian War

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In Nordamerika hatten sich keine 100 Jahre zuvor europäische Kolonisten unterschiedlicher Herkunft – Spanier, Franzosen, Holländer und Engländer – am südlichen Abschnitt der atlantischen Küste angesiedelt. Bei einem weiteren Vordringen ins Landesinnere mussten sie zwangsläufig miteinander in Streit geraten. Wer würde den Kampf gewinnen? Nach dem Dreißigjährigen Krieg schien die spanische Vorherrschaft beendet und Holland die Nase vorn zu haben. Es war zur See stärker als England und Frankreich und besaß das wertvolle Hudsontal. Frankreich beherrschte mit dem St.-Lorenz-Strom ein noch besseres Einfallstor. Von den beiden englischen Siedlungsgruppen schienen die auf fruchtbarem Boden und im milden Klima siedelnden Kolonisten beste Überlebenschancen zu haben, ihre inmitten des unfruchtbaren Landstrichs von Neuengland siedelnden Vettern waren hingegen dem Druck der Holländer und Franzosen ausgesetzt und in einer prekären Lage.

Das änderte sich, als 1664 der Herzog von York den Holländern Neu-Amsterdam entriss und es in New York umtaufte. Zielstrebig entwickelte sich England zum Konkurrenten im Seehandel. In der Navigationsakte hatte das englische Parlament 1651 den Seemachtsanspruch Englands festgeschrieben. Nach insgesamt vier Kriegen (der vierte wurde 1780–1784 geführt) musste Holland England die See überlassen.

Bevor die Engländer ihre Möglichkeiten im Hudsontal weitsichtig ausbauen konnten, erreichte 1673 der Franzose Louis Joliet vom Michigansee über den Wisconsin-Fluss den Mississippi. Neun Jahre später drang René-Robert La Salle, dem St-Lorenz-Strom folgend, zu den großen Seen und über die Wasserscheide ins Mississippibecken vor. Dort gründete er die französische Kolonie St. Louisiana, legte den Hafen La Nouvelle Orléans an und sicherte die Region durch das Fort St. Louis.

Die Aussichten der Engländer waren im Norden wie im Süden sehr bescheiden. Die Zukunft des Kontinents war sichtbar für die Franzosen entschieden. Deren Militärposten entstanden im Rücken der Engländer und wirkten wie ein kontinentaler Sperrriegel. Davon künden heute noch heute die Städtenamen: Detroit – Saint Paul – Saint Louis – New Orleans.

Auf See aber musste sich Frankreich in der Schlacht von La Hogue 1692 einer niederländisch-englischen Flotte geschlagen geben. Noch konnte Holland und England zugetraut werden, den Spaniern die Vorherrschaft zur See streitig zu machen. Die europäischen Machtkämpfe gingen in den Kolonien weiter; die dortigen Kämpfe wirkten sich wiederum auf das europäische Machtgefüge aus. So hat zum Beispiel der Siebenjährige Krieg – für viele ein Synonym für die Eroberungsgier Friedrichs II. – oberflächlich betrachtet mit dem nordamerikanischen Indian War nichts zu tun, abgesehen von den vom »Alten Fritz« eingeführten Kartoffeln. Erst bei genauerem Hinsehen erschließt sich der Zusammenhang. Die Menschen im ehemaligen Herrschaftsgebiet Friedrich des Großen – also Brandenburg, Pommern und Ostpreußen – mussten sich in einem ähnlich kargen Umfeld behaupten wie die Neuengländer: dünne Kiefernwälder und sandige Felder. In hartem Ringen mussten die armen Böden erschlossen werden. 200 Jahre später haben die Nachfahren der Neuengländer eine ebenso bedeutende Rolle in Nordamerika gespielt wie die Preußen in der deutschen Geschichte. Diese schwangen sich im 19. Jahrhundert nicht nur »zu den Herren Deutschlands auf«, so Toynbee, »und führten die Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert in dem ernsten Versuch an, unserer Gesellschaft einen allumfassenden Staat zu verschaffen; die Preußen lehrten zugleich ihre Nachbarn, wie man sandige Böden zum Körnerbau benutzen kann, indem man sie mit künstlichen Düngemitteln anreichert; wie man die ganze Bevölkerung durch allgemeine Schulpflicht auf einen vorher nie erreichten Stand sozialer Tüchtigkeit und durch allgemeine Unfall- und Arbeitslosenversicherung auf einen nie zuvor erreichten Stand sozialer Sicherheit heben kann. Wir mögen die Preußen nicht leiden, wir können aber nicht leugnen, daß wir von ihnen wichtige und wertvolle Lehren gelernt haben.«18

Die Neuengländer sind schließlich nicht nur die Herren Nordamerikas geworden, sondern auch, in der Mitte des 20. Jahrhunderts, Herren über Deutschland – Preußen wurde 1945 aufgelöst. Der Sieg Großbritanniens in Nordamerika wäre ohne die Unterstützung Preußens jedoch nicht möglich gewesen. Das hat Toynbee in seiner Studie zur Weltgeschichte unterschlagen. Dabei lässt sich an dieser Episode die Raffinesse englischer Machtpolitik vortrefflich studieren.

Die Lage Englands in den nordamerikanischen Kolonien war 1753 bedrohlich geworden. Hatten sich doch die Franzosen mit verbündeten Indianern des Ohio-Tales bemächtigt und Forts angelegt. Für England ein unhaltbarer Zustand. Um das schon verloren geglaubte Wettrennen doch noch gewinnen zu können, entwarf die englische Führung im Auftrag der Handelsherren einen Angriffsplan zur Beseitigung der französischen Kolonialherrschaft in Nordamerika. Die Umsetzung scheiterte und führte zu einer Reihe blutiger Niederlagen. Es bahnte sich eine Katastrophe an – denn parallel zum englisch-französischen Kolonialkrieg begann in Europa der Siebenjährige Krieg.

Als Seemacht konnte England Frankreich im Landesinneren Nordamerikas mangels Truppen nicht besiegen, also leitete es kriegerische Handlungen im Mittelmeerraum und in Indien ein, die sich auf Asien und Afrika ausdehnen sollten – der erste weltweite Eroberungskrieg der modernen Geschichte –, und sah sich in Europa nach geeigneten Verbündeten um, die das französische Kontinentalheer so binden würden, dass es sich im Schutz seiner starken Flotte auf den Kolonialkrieg konzentrieren konnte. Infrage kamen Österreich, Russland und Preußen. Welche Köder konnte London auslegen? Ein äußerst heikles diplomatisches Roulette setzte ein.

Der preußische König Friedrich II. aus dem Haus Hohenzollern hatte mit französischer Hilfe Schlesien den Habsburgern entreißen können. Der französische Gesandte in Berlin, La Touche, erwartete nun von Friedrich eine Gegenleistung. Dieser hatte die Gesamtlage in Europa und Amerika klar erkannt. So schlug er dem Gesandten vor, dass französische Truppen unmittelbar nach der Kriegserklärung Hannover besetzen sollten, denn der englische König Georg II. war in Personalunion auch Kurfürst von Hannover. Friedrich wollte damit verhindern, so schreibt Olaf Groehler 1990, »dass ein europäischer Brand aus der Kriegsflamme entstehen konnte, die sich im amerikanischen Wald entzündet hatte«19, denn nach dem Verlust von Hannover war zu erwarten, dass sich England völlig auf den Überseekrieg konzentrieren würde. Frankreich war bereit, den Plan Friedrichs aufzunehmen, jedoch mit einer kleinen Abänderung. Preußen selbst sollte Hannover einnehmen. Das hätte aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kriegsbündnis zwischen England, Österreich und Russland gegen Preußen zur Folge gehabt. Also lehnte Friedrich ab.

Die österreichische Regierung hatte noch den Verlust von Schlesien und der Grafschaft Glatz aus dem österreichischen Erbfolgekrieg zu verdauen. Ein englisches Bündnis mit Österreich hätte jedoch einen Krieg gegen Preußen bedeutet und wäre England in jedem Fall sehr teuer gekommen. Und Frankreich war auch noch gar nicht eingebunden. Da das oft erfolgreich praktizierte preiswerte Prinzip »Wo sind die Feinde meiner Feinde?« nicht verfing, musste gekauft werden. Hier war dann die englische Diplomatie am Zarenhof erfolgreich. Gegen jährlich 100 000 Pfund Sterling mietete England am 30. September 1755 55 000 russische Soldaten. Für den Kriegsfall sollten noch einmal 500 000 Pfund Subsidien draufgelegt werden. Im Gegenzug wollte Russland für den Transport von 10 000 Soldaten nach Nordwestdeutschland vierzig bis fünfzig Schiffe bereitstellen.

Den preußischen Hof, vom englischen Gesandten über das englischrussische Abkommen informiert, beunruhigte die Tatsache, dass sich russische Soldaten in Nordwestdeutschland festsetzen könnten. Dem russischen Hof stand das erstarkte Preußen wegen eigener Pläne in Polen und Schweden im Weg. Ein Krieg wäre eine willkommene Gelegenheit gewesen, Preußen auf ein erträgliches Maß zurechtzustutzen. Das alles wurde in Berlin erkannt. Schlesien sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Also schloss Friedrich II. mit den Engländern am 16. Januar 1756 die Westminster-Konvention ab. Beide Teile verpflichteten sich, den Frieden in Deutschland aufrechtzuerhalten. Der Durchmarsch fremder Mächte sollte unterbunden werden. Damit war Hannover sowohl den Russen als auch den Franzosen versperrt. Doch Friedrichs Rechnung war falsch, »denn er hatte die Abhängigkeit Russlands von England über- und die Empörung des französischen Hofes über die preußische Annäherung an England unterschätzt.«20

Die Verstimmung in Paris und in Petersburg konnte die österreichische Diplomatie geschickt ausnutzen. Das Ziel: eine österreichisch-russisch-französische Koalition. Am 5. April 1756 willigte Zarin Elisabeth in den österreichischen Kriegsplan ein, gemeinsam Preußen anzugreifen. Die Waffen sollten erst nach der Rückeroberung Schlesiens niedergelegt werden. Als Entschädigung beanspruchte Russland das Kurland und die Semgallen. Das gerupfte Polen sollte mit Ostpreußen entschädigt werden. So einfach war das.

In Paris waren die österreichischen Diplomaten ebenso erfolgreich. Das preußisch-englische Abkommen konnte als Schlag gegen die französischen Interessen nachhaltig ins Feld geführt werden. Warum eigentlich? Ein Landheer konnte England nur im Kurfürstentum Hannover gefährlich werden. Und dieser Weg war durch die Westminster-Konvention versperrt. Zur See war England unangreifbar. Frankreich zögerte noch, denn ein zerschlagenes Preußen und ein übermächtiges Österreich entsprachen auch nicht unbedingt seinen Wunschvorstellungen. Die Bedenken konnten zerstreut werden. Österreich bot Frankreich die österreichischen Niederlande an, sobald Schlesien und die Grafschaft Glatz zurückerobert seien. Preußen sollte auf das Maß eines Kurfürstentums zurückgeschnitten werden. Nun witterten auch andere Morgenluft. Schweden und Sachsen traten der österreichisch-französisch-russischen Koalition bei. Pommern sollte zu Schweden, Magdeburg zu Sachsen, Kleve-Mark an die Kurpfalz und Ostpreußen an Polen fallen. Damit war das eingetreten, was Preußen tunlichst hatte vermeiden wollen: Es war isoliert. Nun blieb Friedrich II. nichts anderes übrig, als sich mit England zu verbünden. Militärische Hilfe war nicht zu erwarten, dafür sah ein großzügiger Subsidienvertrag die Zahlung jährlicher Hilfsgelder vor. Die im amerikanischen Wald entzündete Kriegsflamme wuchs sich nun tatsächlich zu einem europäischen Brand aus.

In Europa wurden die österreichisch-preußischen Gegensätze ausgetragen, die in der Eroberungspolitik Preußens während des Österreichischen Erbfolgekrieges begründet waren. In erster Linie jedoch ging es um den französischenglischen Gegensatz, und damit um die Vormacht zur See und um die Vorherrschaft in den indischen Kolonien. In Nordamerika mussten die protestantischen Angelsachsen zudem eine romanisch-katholische Herrschaft verhindern. Auch standen Handelsinteressen von ungeheurem Ausmaß auf dem Spiel. Es ging um Märkte und billige Rohstoffquellen, um Besitz, der hundertmal kostbarer erschien als Europa und zehntausendmal größer war als Schlesien – einschließlich der Grafschaft Glatz.

Nachdem die preußische Armee die französischen Truppen auf dem europäischen Kriegsschauplatz band und William Pitt 1757 für England die Kriegsführung übernommen hatte, gelang es den Briten, 1758 Louisbourg und 1759/60 Kanada zu erobern.21 Der letzte bedeutende französische Stützpunkt, Pondichery in Indien, wurde im Oktober 1760 von den Engländern eingeschlossen.22 Im Gegensatz zum Premier Pitt sahen der König und das englische Bürgertum die Kriegsziele damit im Wesentlichen verwirklicht. Folgerichtig wurden im Dezember 1761 die Zahlungen der Hilfsgelder an Preußen eingestellt. Aus Sicht der Engländer hatte Preußen seine Aufgabe vortrefflich erfüllt. Nun lag es »in der Agonie und erwartete die letzte Ölung«23.

1758 hatten russische Truppen Neumark verwüstet, Küstrin eingeäschert und die Festung Kolberg erobert. Halb Schlesien, ganz Hinterpommern und Teile Sachsens mussten aufgegeben werden. Doch mit dem Tod von Zarin Elisabeth, Tochter Peters des Großen, veränderte sich für Preußen unverhofft die Lage. Ihr Nachfolger, Peter III., Verehrer des Preußenkönigs, ließ sofort die Kampfhandlungen einstellen und am 5. Mai Frieden schließen. Russland gab ohne Entschädigungsforderungen all seine in Preußen gemachten Eroberungen auf. Im letzten Gefecht bei Burkersdorf konnte Friedrich zudem die Österreicher schlagen und zum Abzug nötigen. Nun war auch für Preußen der Sieg vollständig.

Der 1763 in Paris geschlossene Friedensvertrag zwischen England und der spanisch-französischen Koalition regelte die Verhältnisse in der Welt neu. In Amerika fielen Kanada, Florida, die östliche Hälfte des Mississippitals und der größte Teil der Westindischen Inseln an England. Frankreich durfte seine Kolonien in Indien (in den Grenzen von 1749) behalten. Den Spaniern wurden ihre Besitzungen auf Kuba und Havanna zurückgegeben. Durch diesen Friedensvertrag ging in Amerika mehr Territorium von einer Nation an eine andere über als durch irgendein anderes Ereignis in der Geschichte dieses Kontinents.24

In Europa gab der englische Premierminister Lord Bute die preußischen Interessen völlig preis und billigte den Franzosen sogar den Besitz von Kleve und Geldern zu.25 Wenig Dank für den Steigbügelhalter, der Englands Vorherrschaft in Indien und Nordamerika sichern half.

Nicht nur großzügig, sondern direkt christlich ist die Londoner Proklamation vom 7. Oktober 1763. Den Indianern wurde darin feierlich das bisherige französische Einflussgebiet ostwärts der Appalachenwasserscheide und des Ohios als »Indianerschutzgebiet« garantiert. Anstelle des französischen Gegners trat nun auf einmal die englische Krone für die Siedler als Hindernis gegen weiteres Vordringen auf. Das verletzte den als selbstverständlich empfundenen Grundsatz der Kolonisten, Reichtum und Freiheit im Westen zu suchen.

Nachdem die Loslösung vom Mutterland öffentlich immer lauter gefordert wurde, billigte der Kongress am 4. Juli 1776 die im Wesentlichen von Thomas Jefferson vorbereitete Unabhängigkeitserklärung. Sie besteht aus einer Präambel mit naturrechtlicher Argumentation: Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Die 500 000 Sklaven sollten jedoch auf diese Menschenrechte noch über 100 Jahre warten müssen.

Auf die amerikanische Revolution folgte die französische. Unter dem Fanal »Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit« bekamen die Henker an der Guillotine viel zu tun. Einem korsischen Artillerieleutnant taten sich bald ungeahnte Möglichkeiten auf. Napoleon Bonapartes Truppen landeten in Ägypten, doch die Engländer vernichteten 1798 die vor Abukir ankernde französische Flotte. Nach verlustreichen Gefechten übergab Napoleon den Oberbefehl der ägyptischen Armee an General Kleber und kehrte nach Frankreich zurück, um sich nun mit neuen Armeen an die Eroberung Europas zu machen. Geldknappheit zwang ihn schließlich, am 30. April 1803 die Kolonie Louisiana – sie umfasste noch große Gebiete des Mittleren Westens – für 15 Millionen Dollar an Präsident Thomas Jefferson zu verkaufen. Damit verdoppelten die USA mit einem Schlag ihr Staatsgebiet. Da Kanada samt den französischen Siedlern schon vierzig Jahre lang Besitz der englischen Krone war, verschwand die französische Flagge nun endgültig von der politischen Landkarte Nordamerikas. Napoleon war der dadurch gewonnene geostrategische Vorteil für den Widersacher England wohl entgangen.

Nun setzte er seine Heere gen Mitteleuropa in Marsch. 1805 siegte er über die vereinten Preußen und Russen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt. Daraufhin unterwarfen sich die deutschen Fürsten dem mächtigen Napoleon und betrachteten sich von nun an als Verbündete. Konsequenterweise legte der amtierende deutsche Kaiser Franz aus dem Haus Habsburg im Jahr 1806 den Titel eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab und nannte sich nunmehr Kaiser von Österreich. Damit war das Reich, das mit der Krönung Karls des Großen in Rom begonnen hatte, Geschichte. Napoleon dankte für die bayerische Unterstützung und belohnte die Wittelsbacher noch im gleichen Jahr mit der Königskrone.

Im Oktober 1806 gerieten Portugal und Spanien unter französische Herrschaft, 1809 wurden die Österreicher erneut bei Wagram geschlagen und zum Frieden von Schönbrunn gezwungen. Und ein Jahr später annektierte Napoleon Bremen, Lübeck und weitere Teile Norddeutschlands sowie das gesamte Königreich Holland. Daraufhin wuchs in ganz Europa der Widerstand gegen die französische Fremdherrschaft.

Nach den Spaniern kämpften die Tiroler Bauern, die Napoleon dem Kaiser von Österreich weggenommen und an das Königreich Bayern verschenkt hatte, gegen die französischen und bayerischen Soldaten, bis Napoleon ihren Führer Andreas Hofer fangen und erschießen ließ. In den deutschen Landen empörten sich die Menschen gegen die Willkür und Gewalt des französischen Kaisers, der als Sohn der Revolution überall Monarchien installierte, die er mit Vorliebe mit Familienangehörigen besetzte. Die deutschen Volksgruppen fühlten erstmals in ihrer Geschichte die Gemeinsamkeit ihres Schicksals: Sie waren Deutsche und nicht Franzosen. Es war das erste Mal, dass alle Deutschen, ob Dichter oder Bauern, sich gegen den Willen ihrer Fürsten nach Befreiung sehnten. Doch Napoleon war noch zu mächtig, und Goethe mahnte: »Schüttelt nur an euren Ketten; der Mann ist euch zu groß!«26

Napoleons Ehrgeiz war tatsächlich ungezügelt. Nachdem sich die Russen seiner Anweisung widersetzt hatten, mit den Engländern keinen Handel zu treiben, wurden im riesigen Reich fast 700 000 Soldaten ausgehoben und an der Weichsel aufgestellt – so ein Heer hatte es in der Weltgeschichte noch nicht gegeben. 1812 marschierte Napoleon mit seiner Grande Armée und Hilfstruppen aus den »verbündeten« Ländern in Russland ein und führte sie bis vor die Tore Moskaus.

Die völlige Erschöpfung der Ressourcen durch die häufigen Kriege, die rigorose Steuerpolitik und seine Polizeiherrschaft hatten Napoleon längst bei der französischen Bevölkerung in Misskredit gebracht. Der verlustreiche Rückzug seiner Truppen im eisigen russischen Winter brachte sie weiter gegen ihn auf und ließ die europäischen Herrscher neue Hoffnung schöpfen. Seiner sterbenden Armee – von 30 000 bayerischen Soldaten kamen nur 4000 zurück – war ein verkleideter Napoleon auf einem Bauernschlitten nach Paris vorausgeeilt, um seine wankende Herrschaft zu festigen. Dort angekommen, verkündete er der Welt im 29. Bulletin: »Der Kaiser ist gesund, die Große Armee so gut wie vernichtet.«27 Zu neuen Taten drängend, stellte Napoleon unverzüglich ein neues Heer auf. Es war das letzte Aufgebot: Die Jugend Frankreichs sollte jetzt gegen die aufbegehrenden Völkerschaften in den Kampf geschickt werden.

Am 30. Dezember 1812 schloss der preußische General York eigenmächtig mit dem russischen General von Diebitsch einen Neutralitätsvertrag und besetzte die Gebiete zwischen Memel, Tilsit und Kurischem Haff. Daraufhin enthob ihn König Friedrich Wilhelm III. seines Postens. Doch dieser Akt des Ungehorsams wurde das Fanal für die Volkserhebung gegen Napoleon, und nach längerem Zögern stellte sich der Preußenkönig an die Spitze der Bewegung.

Inzwischen hatte Napoleon seine neue Armee nach Osten in Bewegung gesetzt. Der Kaiser von Österreich schickte ihm Metternich entgegen, um einen Frieden auszuhandeln. Einen Tag feilschte Metternich, um schließlich Napoleon zu fragen, was er machen wolle, wenn auch diese jugendliche Armee dahingerafft werde. Da verlor der große Feldherr die Fassung und herrschte Metternich an: »Sie sind kein Soldat und wissen nicht, was in der Seele eines Soldaten vorgeht. Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich pfeift auf das Leben von einer Million Menschen.«28

Im Oktober 1813 stand Napoleons Armee mit dem Juniorpartner Bayern den Preußen, Russen, Engländern, Österreichern und Schweden in Deutschlands Mitte gegenüber. Am ersten Tag hielt sich Napoleon. Als am zweiten Tag die bayerischen Truppen die Seite wechselten, war die Schlacht, die als Völkerschlacht bei Leipzig in die Geschichte einging, für Napoleon verloren. Sein Großreich brach zusammen. Österreicher marschierten in Norditalien ein, und die Engländer landeten auf der iberischen Halbinsel und rückten über die Pyrenäen vor. Da der korsische Diktator Friedensverhandlungen ablehnte, marschierten die Alliierten am 31. März 1814 in Paris ein. Napoleon wurde ins fürstliche Exil auf Elba geschickt und mit ihm die ganze Revolution ausgelöscht.

Mit Ludwig XVIII. kam nun der Bruder des geköpften Ludwig XVI. auf den Thron, der mit gleichem Pomp, gleichem Unverstand und gleicher Unbeliebtheit herrschte. Auch der seit 1814 tagende Wiener Kongress versuchte, die Revolution ungeschehen zu machen und stellte die Uhren auf die vorrevolutionäre Zeit zurück. Unter dem Losungswort »Solidarität« – es war schon das einigende Band im Kampf gegen Napoleon – wollten die fünf Großmächte England, Russland, Österreich, Preußen und Frankreich Gleichgewicht, Frieden und Ordnung in Europa garantieren. Doch noch während an dieser friedlichen Ordnung gezimmert wurde, schlossen im Januar 1815 England, Frankreich und Österreich einen gegen Russland und Preußen gerichteten geheimen Bündnisvertrag. Hier deutete sich bereits ein geopolitischer Konflikt an: der Gegensatz zwischen der Seemacht England und der Kontinentalmacht Russland. Die Spannungen entwickelten sich in Asien und konnten als erste Anzeichen dafür gedeutet werden, »daß in nächster Zeit die europäischen Gegensätze von Weltgegensätzen überschattet werden«29.

Im Frühjahr 1815 wurde der Wiener Kongress durch die Meldung erschreckt, dass Napoleon an der französischen Küste gelandet sei und auf Paris zustürme. In der Schlacht von Waterloo wurde seiner »Herrschaft der hundert Tage« dann ein Ende bereitet. Als »Feind und Zerstörer der Ruhe der Welt«30 wurde der Weltenbrandentfacher nun auf die abgelegene Atlantikinsel St. Helena verbannt.

Obwohl Frankreich Europa fast ein Vierteljahrhundert in Aufruhr gehalten, mit seinen Truppen überschwemmt und Soldaten aus den eroberten Gebieten gepresst hatte, wurde es maßvoll behandelt und zur Bewahrung des europäischen Gleichgewichts in seinen Grenzen von 1790 belassen.

Auf Anregung von Zar Alexander I. wurde noch vor dem endgültigen Friedenschluss am 26. September 1815 zwischen den Monarchen Russlands, Österreichs und Preußens eine »Heilige Allianz« geschlossen mit dem Ziel, ihre Staaten nach den Grundsätzen des Christentums, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens zu leiten. Bis auf Großbritannien und den Heiligen Stuhl traten alle christlichen Mächte des Kontinents dieser Allianz bei. Sicherlich galt es, die Fürstenherrschaft zu sichern und ein Bollwerk gegen revolutionäre Erhebungen zu errichten. Doch vor allem verpflichteten sich die Staaten zur friedlichen Konfliktbeilegung. Für England, das sich seiner Unangreifbarkeit bewusst war, standen auf dem Kontinent die eigenen Interessen sowie das Mächtegleichgewicht im Vordergrund, und es konnte seine Rolle bei dieser vertraglich abgesicherten Zusammenarbeit der europäischen Großmächte dort nicht so spielen, wie man es in London beabsichtigte. So entsandte man keine Repräsentanten zu den »Kongressen« der Allianz. In gewisser Weise kann man in dieser »Heiligen Allianz« einen frühen Vorreiter der KSZE/OSZE sehen.31

Als sie englischen Interessen entgegenstand, wurde der Allianz der Todesstoß versetzt. Auslösendes Moment waren in den 1820er-Jahren die Befreiungskriege Serbiens und Griechenlands gegen die türkische Fremdherrschaft. Zur Unterdrückung des Aufstandes verübten im April 1822 die Osmanen an der griechischen Bevölkerung der Insel Chios ein Massaker, das die internationale Öffentlichkeit aufrüttelte und zur Entwicklung des Philhellenismus32 beitrug. Insgesamt sollen 25 000 Inselbewohner ermordet worden sein: alle Kinder unter zwei Jahren, alle Männer über zwölf Jahre und alle Frauen über vierzig Jahre. Der Rest, annähernd 45 000 an der Zahl, wurde auf Sklavenmärkten verkauft. Diese Vorgänge ließen die britische Bevölkerung nicht unberührt. Deren bürgerliches Engagement stand den geopolitischen Zielen Großbritanniens auf dem Balkan entgegen, denn dem britischen Imperialismus war am Erhalt des Osmanischen Reiches vor allem als Gegenkraft zur »Heiligen Allianz« gelegen; es wurde somit als notwendiges Übel geduldet und notfalls unterstützt. Aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung half Großbritannien nun trotz entgegenstehender außenpolitischer Ambitionen den Griechen in ihrem Freiheitskampf.

Nachdem der Sultan schließlich vor dem Zaren kapitulieren musste, sah das Londoner Protokoll von 1830 die Errichtung eines kleinen, unabhängigen griechischen Königreiches vor. Es sollte nach dem Willen von Frankreich, Russland und England vom bayerischen Prinzen Otto regiert werden.

Trotz aller Sympathie für die Griechen war die damalige Weltmacht Großbritannien nicht gewillt, die Türken nachhaltig zu schwächen. Das Osmanische Reich sollte weiterhin so stark bleiben, dass es den Russen den Zugang zum Mittelmeer versperren konnte. Und so fürchtete der Zar ein gegen ihn gerichtetes englisch-griechisches Bündnis. Die Franzosen trachteten danach, ihre strategischen wie finanziellen Interessen zu sichern und hätten am liebsten den Status quo aufrechterhalten. Die Freiheit Griechenlands und die Autonomie Serbiens schwächten das Osmanische Reich, ließen bisher unterdrückte Konflikte auf dem Balkan unter Slawen und Muslimen aufbrechen und lösten einen Machtkampf zwischen Wien und Sankt Petersburg aus. Diese Konflikte konnten bis 1914 nicht überbrückt werden.

Neben den um Unabhängigkeit ringenden Serben und Griechen erhoben sich im Juli 1830 in Paris Arbeiter, Studenten und Bürger gegen die Auflösung der Kammer, in der die Liberalen die Mehrheit hatten, sowie gegen Verschärfungen in der Pressezensur. König Karl X. musste nach England fliehen. Den Thron bestieg »Bürgerkönig« Louis Philippe. In Belgien, Polen und Italien wirkte indessen die »Juli-Revolution« nach.

Im Deutschen Bund – einem Flickwerk von kleinen Herzog-, Fürsten- und Königtümern, die in verwickelter Art verbündet oder verfeindet waren – blieben seit dem Wiener Kongress große Teile des Volkes von der Politik völlig unberührt. Dagegen erreichten Kunst und Kultur ungeahnte Höhen: in der Musik etwa durch Mozart, Beethoven und Schubert, in der Literatur durch Schiller und Goethe und in der Philosophie durch Hegel, Schelling und Schopenhauer. Diese beschaulich-geruhsame Zeit wurde später mit dem Etikett »Biedermeier« versehen.

1834 schlossen sich unter der Führung Preußens 18 der 39 deutschen Staaten zum »Deutschen Zollverein« zusammen. Die 1839 fertiggestellte Bahnlinie Leipzig-Dresden markiert den Beginn des deutschen Eisenbahnwesens.

In Frankreich führten Missernten und die Begünstigung der Besitzenden durch Louis Philippe 1848 zur »Februarrevolution«, in deren Folge er abdanken und fliehen musste. Unter dem romantischen Dichter Alphonse Lamartine bildete sich die »Provisorische Regierung« der Zweiten Republik. Das revolutionäre Feuer brannte jedoch weiter. Im Mai folgten in Paris Massenaufmärsche radikaler Sozialisten unter Auguste Blanqui. Sie forderten die Enteignung der Reichen sowie die Vergesellschaftung des Eigentums. Die Regierung ließ die Aufständischen durch das Militär zusammenschießen: 10 000 Todesopfer waren zu beklagen.

Ein Nachkomme des großen Napoleon, sein Neffe Louis Napoléon (1808–1873), wollte an die Zeit seines Onkels anknüpfen und hatte schon 1836 und 1840 erfolglos geputscht. Nun war seine Stunde gekommen, in der er mit Versprechen nicht geizte: So verhieß er den Arbeitern Gemeineigentum, den Bürgern Sicherheit vor dem Umsturz und den Bauern die Erneuerung der napoleonischen Welt und gewann damit bei den Novemberwahlen 1848 Dreiviertel der Stimmen. Als Präsident der Republik forcierte Louis Napoléon den Eisenbahn-, Straßen- und Wohnungsbau und ließ breite Prachtboulevards mit repräsentativen Bauten für Banken und Handel entstehen. Ein Jahr vor dem Ende seiner vierjährigen Amtszeit unternahm er einen Staatsstreich mit dem Ziel, seine Regierungsperiode ohne Wahl zu verlängern. Es funktionierte: Im Januar 1852 wurde die Amtszeit auf zehn Jahre festgesetzt. Noch im Dezember des gleichen Jahres ließ er sich als Napoleon III. zum Kaiser krönen. In einem Plebiszit wurde dieser Schritt von 97 % der Wahlberechtigten bestätigt.

Diesem Ergebnis verpflichtet, wollte er Frankreich Weltgeltung verschaffen und führte es in europäische und überseeische Abenteuer. 1853 nahm er die russische Besetzung der Fürstentümer Walachei und Moldau zum Anlass, Großbritannien zum gemeinsamen Vorgehen gegen den Zaren zu bewegen. Der kluge und geschmeidige Ministerpräsident von Sardinien-Piemont, Camillo Cavour (1810–1861), schloss sich an in der Hoffnung, von Frankreich Unterstützung im italienischen Einigungskrieg zu erhalten. Österreich blieb neutral.

Im September 1854 kam es bei Sewastopol auf der Krim zum ersten Stellungskrieg der modernen Geschichte, der 100 000 Soldaten das Leben kostete.33 Nach einem Jahr Belagerung fiel Sewastopol. Im Frieden von Paris verlor Russland 1856 das Donaudelta.

Nun unterstützte Kaiser Napoleon III. Cavours Ziel, ein italienisches Königreich zu errichten. Dazu führte Frankreich 1859 einen Krieg gegen Österreich. Nach den verlustreichen Schlachten von Magenta und Solferino zog sich die Donaumonarchie aus der Lombardei zurück.

Derart erfolgsverwöhnt, begann nun Napoleon III. sein mexikanisches Abenteuer. Mit Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs hatte Benito Juárez (1806–1872) mit Unterstützung der Nordstaaten Vera Cruz erobert und das europäische Eigentum konfisziert. Im Januar 1862 verjagten ihn vereinigte englisch-französisch-spanische Streitkräfte wieder. Nach Erfüllung ihrer Forderungen zogen die Engländer und Spanier schnell wieder ab. Napoleon III. wollte den Konservativen in Mexiko nach dem bereits verlorenen Bürgerkrieg nachträglich zur Macht verhelfen und eine von Frankreich abhängige Monarchie installieren. Ihm schwebte ein Mächtegleichgewicht in der westlichen Hemisphäre vor, das die USA im Zaum halten sollte, so wie ein ähnliches Gleichgewicht in der östlichen Hemisphäre Russland in Schranken hielt. Der Moment schien günstig: Die Amerikaner trachteten sich gegenseitig nach dem Leben. So überredete Napoleon III. den anfänglich zögernden Maximilian, den jüngeren Bruder des Kaisers Franz Joseph von Österreich, Mexiko in ein neues Zeitalter zu führen.34

Das musste die Nordamerikaner verbittern. Verstieß Napoleon doch damit gegen die politischen Ziele der USA in Mexiko, wo sie Ministerpräsident Juárez unterstützten. Während Napoleon III. 1863 in Mexiko eine erbliche katholische Monarchie unter dem österreichischen Erzherzog Maximilian etablierte, ließ er gleichzeitig das Mekongdelta im Südwesten von Vietnam besetzen. Nach Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges konnte Juárez mit amerikanischer Hilfe Mexiko zurückerobern, und Napoleon III. musste seine Truppen abziehen. Der Kaiser von Mexiko, Maximilian, wurde gefangengenommen und erschossen.

Wiederkehr der Hasardeure

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