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Das Heilige Römische Reich im Kampf mit dem Türkenreich

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Die kriegerische Eskalation in Ungarn führte 1683 zum letzten großen Vorstoß des osmanischen Heeres. Unter dem Befehl des Großwesirs Kara Mustafa kam es ab dem 14. Juli zur zweiten Türkenbelagerung Wiens – 157 Jahre nach der ersten, fehlgeschlagenen Belagerung im Jahr 1526.

Anschließend richtete sich der Stoß der Türken gegen das mittelalterliche Königreich Ungarn, das noch im gleichen Jahr nach einem äußerst hartnäckigen Kampf in der Schlacht von Mohacz vernichtet wurde. Die ungarischen Kräfte hatten sich, obwohl seit der Vereinigung mit Böhmen im Jahr 1490 laufend verstärkt, als zu schwach erwiesen. Mohacz war das Ende, nachdem die Türkenflut nicht eingedämmt werden konnte. Für den britischen Geschichtsphilosophen Toynbee löste aber gerade das Ausmaß dieser vernichtenden Niederlage in dem verbliebenen Rumpfungarn und in Böhmen und Österreich neue Gegenkräfte aus: »Sie schlossen sich unter den Habsburgern, die in Österreich seit dem Jahre 1440 herrschten, eng zusammen. Und diese Verbindung bestand fast vierhundert Jahre, löste sich erst im Jahre 1918, also in dem gleichen Jahr, in dem auch das Türkenreich endgültig zerfiel – jenes Reich, das den Hammerschlag von Mohacz mit all seinen schöpferischen Folgen vierhundert Jahre zuvor ausgeführt hatte!«16

Während Wien von den Verteidigern gehalten werden konnte, gelang es am 12. September 1683 deutschen und polnischen Truppen unter dem Oberbefehl des Polenkönigs Johann III. Sobieski, vom Kahlenberg aus den Belagerungsring zu durchbrechen und die Vernichtung der osmanischen Verbände einzuleiten. Hier tat sich Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) als Feldherr besonders hervor. Der Mann, den Ludwig XIV. wegen seiner unscheinbaren Gestalt nicht als Offizier in sein Heer aufnehmen wollte, befreite in den nächsten Jahren immer mehr Länder von der türkischen Herrschaft. 1686 wurde Budapest eingenommen, 1687 Siebenbürgen befreit, und ein Jahr später standen die habsburgischen Truppen in Belgrad. Schließlich wurde die türkische Grenze, die von 1529 bis 1683 an den südöstlichen Vororten Wiens entlang führte, in die nordwestlichen Vororte Adrianopels – das heutige Edirne befindet sich etwa 220 km westlich von Istanbul – zurückverlegt.

Gleichzeitig kämpften Polen und Russland gegen die Türken und entrissen ihnen 1696 Asow am Schwarzen Meer. Im Frieden von Karlowitz gingen Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und der größte Teil von Slawonien an Österreich.

Nach der Befreiung Wiens von den Türken hatten Kaiser und Reich – darunter Bayern, Brandenburg, Hannover und Sachsen – die Kraft, den Kampf gegen Frankreich zunächst allein zu führen. Ludwigs Versuch, sich auch die Kurpfalz einzuverleiben, scheiterte am Engagement Wilhelms III. von Oranien, der seit 1689 König von England war. Als Gegner der französischen Expansionspolitik und in Sorge um ein Gleichgewicht im europäischen Mächteringen organisierte er ein kampfstarkes Bündnis. An der Seite von Kaiser und Reich traten Holland, England, Schweden und 1690 auch Spanien und Savoyen in den Krieg ein. Frankreich stand nach drei Jahren am Rande einer Niederlage. Aber auch die Große Allianz zeigte Abnutzungserscheinungen. Mit diplomatischem Geschick spielte Ludwig XIV. die Koalitionsparteien gegeneinander aus. Die Koalition zerbrach, und schwerwiegende Kriegsfolgen für Frankreich konnten verhindert werden. Im Friedensschluss zu Ryswick (1697) musste Frankreich bis auf das Elsass alle eroberten Gebiete zurückgeben.

Doch auch der Friede von Ryswick ließ Europa nicht zur Ruhe kommen, er leitete nur eine auf vier Jahre befristete Verschnaufpause ein. Denn als der spanische König Karl II. am 1. November 1700 im Alter von 39 Jahren kinderlos starb, erlosch die spanische Linie der Habsburger. Während nun Kaiser Ludwig XIV. für seinen Enkel Philipp von Anjou Erbansprüche anmeldete, sah der englische König William III. die hochgeschätzte »Balance of Power« in Gefahr. Geschickt schuf er »zur Verteidigung der Freiheit Europas« eine mächtige Koalition: England, Holland, Österreich, Preußen, Hannover, Portugal, das Deutsche Reich und Savoyen. Als einziger Verbündeter Ludwigs IV. blieb das Haus Wittelsbach, also Bayern. William III. war am Ziel seiner Träume.

Doch ehe er sich in das Kriegsgetümmel stürzen konnte, erlag er den Verletzungen, die er sich bei einem Sturz vom Pferd zugezogen hatte. Nun musste zunächst die Erbfolge in England geklärt werden. Die Wahl fiel auf Anne, zweite Tochter von Charles II. Sie war streng anglikanisch erzogen worden und hatte sich während der »Glorious Revolution« gegen ihren Vater auf die Seite ihres Schwagers William von Oranien gestellt. Das verhieß für das englische Parlament Kontinuität.

Um die Verwirrung komplett zu machen, erhob der österreichische Kaiser Leopold I. gegen die französische Erbpolitik eigene Erbansprüche auf Spanien für seinen Zweitgeborenen Erzherzog Karl. Ein kaiserliches Heer unter Prinz Eugen setzte sich nach Italien in Marsch. Es begann der erste Weltkrieg der Neuzeit mit Kriegsschauplätzen in Spanien, Italien, Süddeutschland, den Niederlanden, auf den Ozeanen und in der Nordsee. Die Allianz stürmte von Sieg zu Sieg. Österreich wurde Englands »Festlandsdegen« und sollte es ein halbes Jahrhundert lang bleiben. Doch konnte es die lebenswichtige Seestraße von Gibraltar sichern? Eine Sperrung, die das geschwächte Spanien zwar angedroht hatte, aber nicht umsetzen konnte, wäre für den englischen Handel katastrophal gewesen. Die strategische Bedeutung hatte auch der spanische Kommandant von Gibraltar erkannt und um Verstärkung gebeten – zum Glück der Engländer vergeblich.

Anfang August 1704 eroberten die hessisch-österreichischen Truppen von Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt Gibraltar. Auf den Festungswällen wehten nun der habsburgische Doppeladler und der hessische Löwe. Damit sollte Gibraltar als Besitz des rechtmäßigen Thronfolgers von Spanien angezeigt werden. Als die Truppen des Landgrafen zu einem anderen Kriegsschauplatz befohlen wurden, ließ der englische Admiral Sir George Rooke die Flaggen wieder einholen und dafür die englische setzen. Alle Versuche der Spanier und Franzosen, den leichtfertig aufgegebenen Platz zurückzugewinnen, schlugen fehl.

Im Frieden von Utrecht gelang 1713 ein diplomatisches Meisterstück. Spanien wurde zwischen Philipp von Anjou, dem Enkel Ludwig XIV., und dem österreichischen Kaiser Karl IV. aufgeteilt. Holland erhielt die Verfügungsmacht über einige spanisch-niederländische Grenzbefestigungen, Preußen Obergeldern und die Grafschaften Mörs und Lingen. England wurden die Hudsonbay-Länder, Neufundland und Neuschottland überlassen. Spanien musste Gibraltar und Menorca an England abtreten. Des Weiteren erkannte Frankreich den preußischen Königstitel und die protestantische Thronfolge in England an und war bereit, die Festungswälle von Dünkirchen zu schleifen. Diese Zugeständnisse waren von großer Tragweite: Zum einen konnten jetzt englische Pelzjäger in die Wälder um Kanada eindringen, zum anderen bedeutete es die endgültige Ausschaltung Frankreichs aus der Nordsee. Zusätzlich konnte sich die englische Kaufmannschaft das spanische Monopol des Sklavenhandels sichern, der sich bald zu einem wohlorganisierten Handel von der westafrikanischen Küste zu den westindischen Plantagen entwickelte. Gott dankend, verfasste der Theologe und Dichter James Thomson (1700–1748) das englische Nationallied: »Rule, Britannia, Britannia rule the waves« – »Beherrsche die Meere, Britannien!« Es scheint so, als ob die Früchte des Friedens im umgekehrten Verhältnis zum Einsatz im Krieg standen: Für Britannien waren 18 000 Mann im Feld gewesen, für die Niederlande 90 000, für Österreich 100 000.

Im Frieden von Rastatt und Baden bestätigte Kaiser Karl IV. 1714 die Abmachungen des Utrechter Friedens und nahm die ihm bestimmten Länder an. Ein britischer Sieg auf der ganzen Linie. Die »Gleichgewichtspolitik« konnte erfolgreich umgesetzt werden, und Großbritannien erlangte die Rolle eines »Schiedsrichters« durch einen Krieg, der mehr als jeder andere wirtschaftlich orientiert war, was Sir John Seely zum Ausspruch veranlasste: »the most businesslike of all our wars.«17 Königin Anne war es 1707 gelungen, die Personalunion England-Schottland in eine Realunion mit dem Namen »Großbritannien« umzuwandeln. Derart gestärkt, konnte man den Blick über den Atlantik wagen.

Wiederkehr der Hasardeure

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