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Bürgerkrieg in Nordamerika: Kreuzzug des »mobilen Kapitals«

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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Südstaaten der USA durch starke landwirtschaftliche Ausrichtung geprägt – entlang des Mississippi zogen sich große Baumwollplantagen. Im Norden ging indes der industrielle Aufbau rasch vonstatten, und durch die Erfindung maschinengetriebener Webstühle wurden die Textilbetriebe konkurrenzfähig, gleichzeitig jedoch zunehmend von der Baumwolle aus den Südstaaten abhängig, wo zudem das Geschäft mit den neuen Baumwollspinnereien im englischen Lancashire florierte, der Markt wuchs ständig. Doch der industrielle Norden erhöhte die Einfuhrzölle und drückte die Preise. So kam es zur Kraftprobe im Kampf um die Vorherrschaft. Da sich die überwiegende Mehrheit des Kapitals aber bald im Norden konzentrierte – vorzugsweise in den Neuenglandstaaten der Ostküste –, wo der Kapitalertrag zum Maßstab aller Dinge wurde, wuchs der Zorn der Südstaatler auf die Yankees, ein Wirtschaftskrieg zwischen Nord und Süd war nicht mehr zu verhindern, in dessen Folge der Ruf der Südstaaten nach Unabhängigkeit (»Sezession«) von den dominanten Nordstaaten laut wurde – Auftakt zu einem gewaltigen vierjährigen Ringen (1861–1865) zwischen den »Konföderierten« im Süden und der »Union« im Norden, dessen Präsident Abraham Lincoln in der bedingungslosen Kapitulation des Südens das einzig akzeptable Ziel sah.

General William T. Sherman führte den Krieg nicht nur gegen die Streitkräfte des Südens, sondern mit unnachgiebiger Härte auch gegen die Zivilbevölkerung. In einem acht Wochen dauernden Vernichtungsmarsch zog seine Armee, die er yankeehaft »Gottes Werkzeug der Gerechtigkeit« nannte, durch Georgia sowie Nord- und Südkarolina, um »ein feindliches Volk … – alt und jung, reich und arm – die harte Hand des Krieges spüren (zu) lassen«35.


Cartoon von 1864, der die Lincoln-Administration fest im Griff von Kriegstreibern und Geldhaien zeigt. Parallelen zu heute drängen sich auf (© Abb. 3)

Der amerikanische Sezessionskrieg forderte an die 620 000 Opfer,36 unter ihnen vermutlich viele Deutsche, die nach der 1848er-Revolution in die USA emigriert waren und zum großen Teil aufseiten der Union kämpften. Zur Finanzierung des Krieges ließ Lincoln 450 000 000 Dollar, sogenannte »Greenbacks«, drucken.

Das veranlasste die Londoner Times zum folgenden Kommentar im Leitartikel: »Wenn diese bösartige Finanzpolitik, welche ihren Ursprung in der nordamerikanischen Republik hat, sich zu einem festen Bestandteil verhärten sollte, dann wird sich diese Regierung ihr eigenes Geld ohne Kosten schaffen. Sie wird ihre Schulden abbezahlen und ohne Schulden sein. Sie wird über alles Geld verfügen, das sie brauchen wird, um ihren Handel auszuführen. Sie wird wohlhabender werden als jede Regierung zuvor in der Geschichte der Zivilisierten Regierungen in der Welt. Die Intelligenz und der Reichtum aller Länder werden nach Nordamerika gehen. Diese Regierung muss zerstört werden, oder sie wird jede Monarchie auf dem Planeten zerstören.«37

Auch der preußische Kanzler Bismarck hielt sich mit Kritik nicht zurück: »Es kann nicht bezweifelt werden und ist mir mit absoluter Sicherheit bekannt, daß die Aufteilung der Vereinigten Staaten in zwei gleich starke Föderationen schon lange vor dem Bürgerkrieg von den stärksten Finanzmächten Europas beschlossen worden war. Diese Bankiers fürchteten, daß die Vereinigten Staaten, sollten sie vereinigt bleiben und sich zu einer einzigen Nation entwickeln, wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit erringen könnten, und diese hätte die weltweite finanzielle Vorherrschaft Europas bis ins Mark erschüttert. … Sie sahen eine Chance auf reichliche Beute voraus, falls es ihnen gelingen sollte, die starke, selbstbewußte, stolze und selbstversorgende Republik durch zwei schwache Demokratien zu ersetzen … Folglich sandten sie ihre Agenten aus, um das Thema der Sklaverei auszuschlachten und eine Kluft zwischen den beiden Teilen der Union zu schaffen. … Der Bruch zwischen dem Norden und dem Süden wurde unvermeidlich; die Herren der europäischen Finanz setzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte ein, um ihn zu bewerkstelligen und zu ihren eigenen Gunsten auszunutzen.«38

Diese Zusammenhänge dürften Unionsgeneral Ulysses Grant unbekannt geblieben sein. Er glaubte gegen verbrecherische Separatisten kämpfen zu müssen, setzte Lincolns Strategie schonungslos um und sicherte damit dessen Wiederwahl.

Für Arnold J. Toynbee drängte sich die Parallele auf, dass der Süden so plötzlich und vernichtend geschlagen wurde, wie einst die Holländer und Franzosen von den Engländern.39 Es war nicht nur der Sieg des industriellen Nordens über die Agrarstaaten des Südens, sondern auch der Sieg des mobilen Kapitals (Geld) über das immobile (Boden) und damit der Sieg kurzfristiger Spekulationsgewinne über nachhaltige Investitionen.40

Unter US-Präsident Ronald Reagan entwickelte sich die Marktwirtschaft der USA immer mehr zu einem Marktfundamentalismus. Dabei wird dem ungebremsten Kapital eine sakrale Erlösungskraft zugeschrieben, die letztlich zerstörerischer sein dürfte als manch politischer oder religiöser Fundamentalismus. Oberstes Ziel ist der Gewinn des Aktionärs, sein »Shareholder Value«41. Dieser als »Neoliberalismus« verkleidete Raubtierkapitalismus ist inzwischen zum Maßstab aller Dinge geworden. Auf der Strecke bleiben die sozialen Marktwirtschaften. Zugleich wird die europäische Kultur demontiert. Dieser Marktfundamentalismus dringt immer mehr in Bereiche ein, in denen er nichts zu suchen hat: Bildung, Medizin, Kunst, Kultur, Sport, Recht, Privatsphäre und Familie. Am Ende steht eine irreparable Deformation der Gesellschaft.42

Wiederkehr der Hasardeure

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