Читать книгу Vater und Klon - Wolf Buchinger - Страница 13
Das Netz verbindet
Оглавление„Paul beeil dich, sie kommt in einer halben Stunde! Ich decke den Tisch, hole Croissants und Pains au Chocolat und schneide draußen ein paar Blumen. Und während sie da ist, hole ich den Anzug und ein paar Zeitungen. Und lies bitte noch ein paar dieser Mails, es werden immer mehr auf Deutsch.“
*hallo du irrer, wenn ich deinen krummen und faulen körper sehe, kommt mir nur eine frage in den sinn: lohnt es sich, gammelfleisch zu klonen?*
*Sehr geehrter Herr Paul, dürfen meine Kollegin und ich bald für eine Stunde vorbeikommen, um ein ausführliches Interview für unsere Schülerzeitung „Abi-Tour“ zu machen? Wir würden auch einen selbstgebackenen Kuchen mitbringen. Sie können wählen zwischen Schwarzwälder Torte und Apfeltaschen. Wir freuen uns auf Ihre Zusage! Suleika und Jasmina*
*Lieber Herr Paul, mein verstorbener Mann war in Ihrem Alter und hatte durchaus Ähnlichkeit mit Ihnen. Wäre es möglich, dass ich Raoul nach der Klongeburt kennenlernen könnte? Vielleicht entsteht dabei eine gewisse Zuneigung, aus der wir mehr machen könnten.
In Erwartung und Sehnsucht. Möge Gott Ihnen beistehen und Ihre Wünsche erfüllen! Katharina aus Polen*
„Herein! Ja, guten Morgen. Sie kommen gerade richtig. Lesen Sie hier, Katharina wünscht mir genau das Gegenteil wie Sie! Oh, ich glaube, ich habe Sie schon einmal gesehen. Sind Sie nicht die Zeitungsausträgerin?“
„Ebenfalls einen guten Morgen! Nein, nein, ich habe nur hie und da den Kirchenboten in Ihren Briefkasten gesteckt in der Hoffnung, dass Sie einmal zu uns kommen.“
„Da wird nichts draus, mit dem da oben hatte ich noch nie was am Hut!“
„Sie glauben also an gar nichts?“
„Doch! An die Logik des Menschen, der sicher einen Teil der Erde zerstört hat, aber schlussendlich doch genial und selbstbestimmt als einziges Wesen weit und breit agiert.“
„Tja, leider höre ich solche Scheinargumente in letzter Zeit immer häufiger, damit begründen vor allem Jüngere ihren Kirchenaustritt.“
„Und S i e wollen mich bewegen, zum christlichen Glauben zu finden, indem Sie dümmliche, pubertäre Schmierereien an meinem Haus anbringen?“
„Oh nein, das ist was ganz Anderes. Ich habe es aus tiefster Überzeugung getan, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Sie etwas total Gefährliches vorhaben! Sie stellen sich auf dieselbe Stufe wie Gott und wollen Leben schaffen.“
„Gott hat kein Leben erschaffen, das ist alter, längst belegter falscher Glaube. Die Menschheit hat sich durch die Evolution, ausschließlich durch die Evolution entwickelt. Sie müssen jetzt nicht heftig den Kopf schütteln, die Augen entsetzt aufreißen und mit Ihrer Gestik demonstrieren, dass ich ein Spinner bin. Die Kirche hat in der Regel den Fortschritt blockiert und stets versucht, ihn sogar zu verhindern. Der Vatikan hat vierhundert Jahre gebraucht, um zu akzeptieren, dass die Erde keine Scheibe ist. Kolumbus hatte Schwierigkeiten mit dem Papst, weil er einen neuen Kontinent entdeckt hatte, Frauen dürfen selbst heutzutage noch kein Priesteramt ausüben - und da ist es ganz logisch, dass Sie gegen alles sind, was die Welt zum Positiven verändern wird.“
„Sie machen einen kleinen Denkfehler! Ich bin nicht katholisch, sonst wäre ich nicht Pfarrerin, ich bin evangelisch und reformiert …“
„Das ist nicht viel anders …“
„… wir sind weltoffener, beweglicher und näher an den Menschen. Wir wollen nicht die Macht über die Menschen, wir wollen sie in ihrem Leben geistig und seelisch unterstützen.“
„Und deshalb sprayen Sie katholische Botschaften?“
„Die Verhinderung von Klonen betrifft alle Religionen, Gott ist unfehlbar …“
„… und bewirkt, dass es Missgeburten, Fehlgeburten, verdammt viele Kinder mit angeborenen Krankheiten gibt. Und das wird Klonen vermeiden! Zugegeben, wir sind erst am Anfang - vielleicht bin ich selbst nicht das Maximum als Klongeber. Aber spätestens in zwei Jahrzehnten wird es nur gesunde Kinder geben, Eltern werden dann mitbestimmen können …“
„… und da ist der Haken! Nicht der Mensch soll mitbestimmen, Gott, und nur ihm, darf überlassen werden, wer, wie und wo entsteht. Ihre Chinesen könnten, weil sie als erste diese Technik beherrschen, die Welt in ihrem Sinne verändern und Millionen von ihnen klonen und vielleicht nur noch angeklonte Eigenschaften als furchtlose Krieger produzieren, denen der Tod egal ist. Oder Reiche lassen sich nur Kinder herstellen, die groß sind, blond mit blauen Augen und langen Haaren …“
„… und großem Busen …“
„Das haben Sie gesagt. Ja, aber so wird es laufen. Der Mensch wird mal wieder ohne die nötige Moral sein und ausschließlich egoistisch mit sicherlich unchristlichen Zielen die eigene Spezies verändern bis sie sich selbst zugrunde geklont haben wird.“
„Halleluja, jetzt reden Sie doch wie der Papst.“
„Oh ja, alle geistlichen Führer der Weltreligionen denken so, selbst der Islam macht mit.“
„O weia, da bin ich ja richtig gefährdet! Eine persönliche Frage: Haben Sie die Schmiererei im Alleingang gemacht oder wurden Sie von außen gesteuert?“
„Eine ganz ehrliche Antwort …“
„Was denn sonst, ich denke, Sie sind eine echte Christin?“
„Oh ja, ich habe auch diese Aktion ganz allein vorgedacht und ausgeführt.“
„Was heißt ‚auch diese Aktion‘?“
„Vielleicht sage ich jetzt zu viel: Ich bin schon ein paar Mal vorgeprescht und habe kirchliches Denken anders umgesetzt, als die da oben sich vorstellen.“
„… die da oben?“
„Ja, das Übliche. Ich bin jung und will aktiv christliches Denken verbreiten und umsetzen, aber unsere Führung predigt je länger je mehr, dass Christsein auch Geduld, Kompromissbereitschaft und Zurückhaltung bedeutet. Die haben gut reden, kaum einer ist unter siebzig, da sieht die Welt halt anders aus. Und manchmal gehen meine inneren Gäule gegen alle Disziplin und Versprechen von Gehorsam mit mir durch. Dann schreibe ich schon mal einen Leserbrief über die Langsamkeit der Entscheidungsfin-dung von ‚denen da oben‘ oder ich gehe ohne Manuskript aus einem inneren Drang heraus, vieles besser machen zu können, an einer Synode ans Rednerpult und schimpfe über die fehlende Gleichberechtigung von Frau und Mann auch bei uns. Dann muss ich mich schriftlich entschuldigen, werde in ein langatmiges Coaching gezwungen und fühle mich monatelang sauelend.“
„Und was geschähe, wenn ich jetzt bei der Polizei Anzeige erstatten würde?“
„Dann? Dann bekäme ich wohl ein Kirchenausschlussverfahren, denn dann wäre ich kriminell.“
„Das haben Sie sich nicht vorher überlegt?“
„Doch, doch, aber der innere Drang, ein Zeichen zu setzen, war stärker. Von unserer Führung aus wird nämlich dazu nichts geschehen, noch nicht einmal eine Thematisierung des Themas auf den Kanzeln, wie ich es vorgeschlagen hatte. Der einzige Kommentar war: „Abgelehnt!“ Und dann hat sich meine Wut ins Unendliche gesteigert, tja und dann habe ich halt gesprayt und das Foto bewusst mit meiner Mailadresse an die Zeitung geschickt, damit man auch schnell herausfindet, wer das war. Alles andere wäre unchristlich, weil nicht ehrlich und feige.“
„Bravo! Das gefällt mir!“
„Sie überraschen mich, das hätte ich niemals von Ihnen gedacht. Sie machen eher den Eindruck eines sturen Alten, der nichts anderes als seine Prinzipien kennt. Sehen Sie, das hätte ich auch nicht sagen dürfen. Ich freue mich wirklich auf den Moment, wo ich mich endlich immer im Griff habe, kein Coaching hat bisher etwas bewirkt.“
„Darf ich Sie trösten? Ihrem sturen Alten geht es auch heute noch manchmal so. Genauso unüberlegt, nur weil ich begeistert war, habe ich mich zum Klonen angemeldet.“
„Sehen Sie, so kann man sich täuschen. Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit! Tief in Ihrem Herzen sind Sie doch ein echter Christ. Das finde ich prima. Darf ich vielleicht gleich schon wieder etwas Spontanes und wenig Überlegtes rauslassen?“
„Sie können mich kaum noch überraschen!“
„Okay, dann wage ich es! Trauen Sie es sich zu, bei uns an einem Themennachmittag ein Referat über das Klonen zu halten und sich anschließend einer Diskussion zu stellen?“
„Und Sie machen die Moderation?“
„Ja, gerne!“
„Dann komme ich, machen Sie mir Terminvorschläge, mein Sekretär wird Ihnen antworten.“
„Supi! Ich mag Sie, weil ich einen Kompagnon im Denken und Fühlen gefunden habe. Dann bis bald, der Kirchgemeindesaal ist nur dreihundert Meter von hier entfernt.“