Читать книгу Vater und Klon - Wolf Buchinger - Страница 5
Die Kommission hat Sie auserwählt!
ОглавлениеHolidrio! Wow! Das kann doch nicht wahr sein! Ich glaub‘, ich spinne! Yippiyeah!
Scheiße …, mein ruhiges Leben ist vorbei! Endgültig. Für immer. Er wird mich überleben. Ich werde endlos weiterleben. In ihm. Mein Gott, ich bin der Erste, der sich einen unerfüllbar erscheinenden Lebenstraum erfüllen kann. Ich. Ich. Paul, der Unbedeutende. Paul, der bald Weltberühmte. Paul, der in wenigen Monaten direkt neben Gott stehen wird. Paul, Paul, wenn das deine Eltern wüssten … und Waldi, mein treuer Dackel, der leider zu früh überfahren wurde, ihn hätte ich auch gerne mitgenommen. Schade - und doch so schön! So schön! Puuh, ich muss mich schütteln, um es zu glauben!
Ja, Paul ist wach, nein, er träumt es nicht wie schon so oft. Paul ist ausgewählt worden unter Hunderten von Bewerbern, vielleicht unter Tausenden. Mein Name wird in den Geschichtsbüchern stehen, gleich neben allen Entdeckern: Christoph Kolumbus und Paul, Neil Armstrong und Paul, warum so bescheiden, ich gehöre zu den allergrößten Weltveränderern: Jesus Christus und Paul. Haha! Paul Bo-cuse ist ein Nichts im Vergleich zu mir. Nach mir werden Städte und Schiffe benannt werden, Inseln und Sterne, „Paul’s Bier“, „Paul’s Lieblingschips“, „Paul fährt nur Toyota … falsch: Mercedes“.
Paul, Paul, Paul, was ist nur aus dir geworden? Vor kurzem noch bist du fast vor Langeweile gestorben, du wusstest nicht, wie du den Tag rumbringen sollst, geschweige denn den Abend. Du hast deinen 70. Geburtstag alleine vor dem Spiegel verbracht, nur damit dir jemand zurückprostet. Du hattest nie wirklichen sozialen Kontakt, dafür haben dir deine Eltern goldene Löffel in die Wiege gelegt, die du reichlich vermehrt hast. Der Preis war die Einsamkeit mit deinen Bankkonten. Zu unattraktiv für Frauen, zu eklig zu Kunden, zu ungeschickt bei Gesprächen, selbst Small Talks hast du versaut mit unpassenden Bemerkungen. „Passt Ihre Krawatte wirklich zum Sakko?“ Und so bist du ein einsamer Wolf in einer großen Luxusvilla geworden. Deine Kontakte nach draußen wurden immer spärlicher und nur Edouard, die treue Seele, die du aus der Gosse gerettet hast, wohnt unten im Pförtnerhaus und kommt ausschließlich, wenn du ihn rufst.
Schluss mit den Selbstgesprächen! Die Welt muss mein Glück erfahren!
„Edouard, Edouard, es ist dringend!“
„Oui, Monsieur Paul.“
„Wie kommst du so schnell hierher?“
„Isch abe vor das Tür gewartet, isch abe drei komische Typen nich hereingelassen, sie wollteten Sie filmen.“
„Das war ein Fehler. Okay, das konntest du ja nicht wissen. Ich bin jetzt weltberühmt! Ich lese dir mal die brandaktuelle Mail vor.“
„Brand – wo Monsieur?“
„Nein, nein, keine Angst, lediglich eine ganz neue Info aus China.“
„Sind die Aktien geklettert?“
„Nein! Setz dich hin und hör zu! Vor ein paar Minuten hat mir Frau Professor Ming aus China geschrieben: *Sehr geehrter Herr Paul, nach langwierigen Selektionen und Diskussionen können wir Ihnen hocherfreut mitteilen: Unsere Kommission hat Sie auserwählt! Sie werden der erste Mensch in der Geschichte der Welt sein, der vollumfänglich geklont werden wird!*
„Pardon, Monsieur, ich kennen das nicht, das Wort klone, ist das eine Art Zucht wie bei die Hünde oder die Mäuse?“
„Edouard, du Dummkopf! Klonen heißt - äh …, also, das ist ziemlich schwierig, also, klonen heißt: Madame Ming macht aus winzigsten Teilchen von mir, die sie zusammensetzt und wachsen lässt, nochmals einen Paul, der total genauso aussieht und denkt wie ich. Also, das wird ein zweiter, ein neuer Paul. Na, da staunst du?“
„Pardon Monsieur, rentiert sich das?“
„Edouard, du Dummköpfchen, stell dir mal vor, es gäbe zweimal denselben Edouard, wäre das nicht schön?“
„Non Monsieur, einer ist mir oft schon zu viel, ein Edouard, ça suffit!“
„Ja, das kann ich mir vorstellen bei deinem Rotwein-konsum, e i n Kopfweh am Morgen genügt …“
„Monsieur, bringt der neue Paul nochmals so viel Geld mit, wie Sie sind, pardon, haben?“
„Nein, er kommt nackt und ohne alle Mittel auf die Welt.“
„Das ist dumm, dann müssen Sie ihm die Hälfte von Ihrem Geld geben.“
„Och, das kann ich mir leisten! Jetzt hör dir aber erst einmal den Rest der Mail an: *Gemäß unterschriebenem Vertrag erwarten wir Sie möglichst bald hier bei uns zu den notwendigen medizinischen Abklärungen und zur Ent-nahme der diversen Gewebeteile. Bitte rechnen Sie mit einer Gesamtdauer von sieben bis zehn Tagen. Für Ihren Aufenthalt ist alles bestens vorbereitet. Falls Sie Medikamente einnehmen, bringen Sie diese bitte mit. Wir erinnern Sie auch an die fünfzig Prozent Anzahlung auf die Gesamtsumme. Wir freuen uns* … blablabla …“
„Chef, pardon, was koste das?“
„Nix viel. Nach zwölf Jahren hier bei mir solltest du doch wissen, dass es heißt: Was kostet das?“
„Oh pardon Chef, was kostet Kosten?“
„Oh mon Dieu, alles zusammen 15 Millionen plus Flüge und so.“
„Kosten kosten … und seit sechs Jahren abe isch keine Kostenerhöhung bekommen …“
„Wenn du für uns beide kochen musst, dann gibt es mehr L o h n, nicht Kosten, okay?“
„Aber Chef, lohnt sich denn so viel Lohn für die Chinesin?“
„Tut mir doch nicht weh, in drei Wochen habe ich das an der Börse wieder reingeholt!“
„15 Millionen?“
„Oui, 15 Millionen.“
Jetzt ist er still, das kann er sich nicht vorstellen, irgendwo ab dreihundert wird’s bei ihm schwierig mit dem Rechnen.
„Edouard, bisher war es unmöglich, ein Leben selbst zu erzeugen und jetzt kann sie es! Das wäre mir auch zehnmal mehr wert.“
„Oh là là, 200 Millionen, das kann ich mir nicht vorstellen. Chef, mach Sie es für den alten Monsieur Paul oder für den neuen Monsieur Paul?“
„Schwierige Frage. Weißt du Edouard, zuerst einmal für mich, ich bin so einsam, so allein …“
„Isch abe Sie tausend Mal zu mir für eine Flasche Wein eingeladen, Sie sind nie gekommen.“
„Merci, merci, aber Alkohol ist nichts für mich.“
„Wegen den Kosten oder weil Sie nischts dabei verdienen können?“
„Hallo, jetzt wirst du aber frech!“
„Pardon, mein Problem, immer ehrlisch sein zu müssen.“
„Und ich tue es auch für mein zweites Ich. Nichts ist schöner, als sich selbst noch einmal zu sehen und zu erleben. Wir könnten alles zusammen machen, stundenlang diskutieren …“
„Pardon, aber Sie kennen doch schon ihre eigene Meinung!“
„Aber Edouard! Wir könnten aus meinen Fehlern lernen, vieles besser machen …“
„Also noch mehr Geld verdienen?“
„Edouard, jetzt reicht es!“
„Oui, oui, erlauben Sie mir noch eine Frage: Was soll ich mit dem Filmteam machen? Sie wollen in zwei Stunden nochmals kommen.“
„Sofort reinlassen! Und besorge alle Sorten von Getränken, die du dann hier im Wohnzimmer drapierst!“
„Très bien, oh, Monsieur kann Französisch!“
„A toute à l’heure!“
„Okay.“
Und jetzt ab in die Dusche, nein, erst die Kleider aussuchen. Was zieht man zu einem solch epochalen Ereignis an? Der Smoking – nö, das ist kein Festanlass, sie wollen mich sehen wie ich bin. T-Shirt – nö, ein Millionär zieht so was nicht an, also …, also, eine dunkle Hose und ein schickes Hemd, hell oder dunkel? Mein Gott, die letzte Kleidung habe ich vor zwanzig Jahren gekauft, was ist heute eigentlich chic? Und das Jackett sieht aus wie aus dem Brockenhaus, Edouard legt Wert auf Kleidung, er kauft bei Tati und sieht immer gut aus. Fazit: Ich habe nichts anzuziehen! Jetzt bekomme ich die Quittung für mein abstruses, zurückgezogenes Leben.
Okay, dann blamiere ich mich halt und gehe ganz salopp mit Hose und Hemd raus, egal wie ältlich ich damit aussehe. Oh nein, Schuhe brauche ich auch noch. Sind spitze mit zweifarbigem Nappaleder modern? Manchmal wiederholt sich ja die Mode, weil den Machern nichts mehr einfällt. Vielleicht sind wenigstens die Socken gleichgeblieben, tristes Schwarz passt hoffentlich immer noch. Morgen muss ich mir einiges mit einer Modeberaterin kaufen, für einen neuen modernen Paul, in drei Varianten: kleines Schwarzes, großes Schwarzes, alles dreifach, wer weiß, vielleicht kommen mehrere TV-Teams oder ich bin in Talkshows zu sehen, da muss man immer was Anderes anhaben.
Paul, werde wach, dein Leben beginnt jetzt! Also, ab in die Dusche. Bäh, neue Unterhosen wären auch mal fällig …! Oh nein, muss ich mich nackischt sehen? Das ist ja ein jämmerlicher Auftritt! Paul, wo sind deine Haare? Ein paar weiße Flöckchen noch auf der Brust – und selbst die Schamhaare sind schon grau. Und wo ist das winzige Kränchen untendrunter? Kaum zu sehen, weil Fettfalten es halb zudecken. Und die Muskeln? Wackelpudding. Und der Waschbrettbauch? Achtung, achter Monat, das Kind wird bald geboren. Gute Idee! So könnte ich mich gratis selbst klonen.
Ich knipse jetzt das Licht aus und dusche im Dunkeln. Ach, das tut gut! Ich mache wohl erst mit meinem Klon ein Blind-Date, damit er nicht gleich erschrickt über mein Aussehen, das auch irgendwann seines sein wird. Ja, abtrocknen im Dunkeln, das tut gut. Und jetzt raus, etwas mehr Deodorant als sonst, rasieren liegt nicht drin, ein Viertagebart soll ja heute modern sein.
Unterhemd oder nicht? Sowieso zu eng, also Unterhose, Socken, Hose, Hemd, Schuhe. Gürtel brauche ich nicht, die Hose spannt voll über den Bauch. Ein letzter Blick in den Spiegel: Na ja, den Typen lasse ich gerade noch durchgehen, könnte aber eher der Hausmeister sein. Ich höre im Wohntrakt Stimmen, das können nur die Fuzzis vom Fernsehen sein. Schön, schön, dass es endlich so weit ist, fünfzig Jahre früher wäre besser gewesen, aber hier geht es ja um höhere Werte und nicht um Glanz und Gloria. Das heißt: Gloria eigentlich schon