Читать книгу Vater und Klon - Wolf Buchinger - Страница 6

Jetzt geht’s los

Оглавление

Wer wagt es, an meine Badezimmertür zu klopfen? Das ist mein unantastbares Refugium!

„Monsieur, ich hier, Edouard!“

„Was soll das, du weißt doch, dass ich …“

„Excusez Monsieur, wir haben die gleiche oder besser die selbe Größe, ich habe hier brandneue Kleider für Sie, die von Ihnen sind doch nicht mehr à la mode, ich gebe sie Ihnen bis morgen gratis. Probieren Sie sie, ich könnte vom

Körperbau her Ihr Klon sein.“

„Oh, du überraschst mich! Merci, Edouard!“

Oh là là, Geschmack hat er, hellblau auf dunkelgrün, das hätte ich nie gewagt. Okay, passt! Und das Hemd, enganliegend, das trägt man wohl über der Hose und gerade noch unter dem Jackett. Passt perfekt.

„Super, Edouard!“

„Habe ich das Wort ‚Lohnerhöhung‘ gehört?“

„Oh, du Halsabschneider, ja, morgen reden wir drüber.“

„Ich freue mich schon. Die Leute vom Film sind da. Erschrecken Sie nicht, alles ist Towahobohu oder so ähnlich.“

So, jetzt nix wie raus in den Medienrummel, geträumt und vorgestellt habe ich mir das Ganze tausend Mal, und nun ist es soweit: Paul betritt die Bretter, die die Welt bedeuten.

„Herzlich willkommen bei mir zuhause! Hat jemand neue Möbel bestellt oder was ist hier los? Edouard, was soll das

Gerümpel hier, wer hat die Genehmigung dazu gegeben?“

„Darf ich vorstellen: Peter, der Regisseur, Selli an den Kameras und Fiona Maske, Script und Ton. Sie sind ein eingespieltes Team und haben schon fünf Staatsoberhäupter exklusiv interviewt.“

„Woher weißt du das alles?“

„Oh là là, wir haben schon bei mir unten gesessen und das gemacht, was Franzosen am besten können: Rotwein trinken, meinen neuen Madiran, ein Mix aus Carignan, Grenache und Mourvèdre, sollten Sie auch mal probieren, wir können ja meine Lohnerhöhung begießen.“

„Darf ich mich zuerst an den Regisseur wenden? Haben Sie alles im Griff?“

„Ja, reine Routine. All dieses Gerümpel, wie Sie es nennen, ist unser wertvolles Equipment auf dem neuesten Stand. Wir brauchen etwa drei Stunden zum Aufbau und schlagen Ihnen vor, dass wir morgen um zehn Uhr mit den Probeaufnahmen beginnen und am späteren Nachmittag fertig sein werden.“

„Darf ich noch was sagen oder ist alles schon entschieden? Ich habe nämlich morgen schon einen Termin um zehn Uhr. Sagen wir also elf Uhr.“

„Okay, dann dauert es halt länger.“

„Fühlen Sie sich wie zuhause, Monsieur Edouard wird sich um Sie kümmern und alle Ihre Wünsche erfüllen. Und Frau Fiona kann hinten die Gästedusche benutzen.“

„Pardon, Herr Paul, wir schlafen im Hotel, wo ist Ihr Problem?“

„Das Problem sind Ihre Rosen und Gespenster, die ihre zarte Haut verdrecken.“

„Hey Opa, das sind meine geliebten Tattoos, sie machen mich einmalig und haben alle eine wichtige Bedeutung für mich, ich kann ja in langen Ärmeln kommen, wenn Sie es wünschen.“

„Ja, tun Sie das bitte! Na, dann viel Spaß!“

„Stopp! Als Regisseur möchte ich Ihnen die Liste überreichen, nach der Sie morgen Frau Professor Ming befragen wird.“

„Was, sie kommt her?“

„Ja, aber nur elektronisch, wir schalten sie dazu. Sie selbst wirken besser, wenn Sie vorbereitet sind.“

„Hallo, ich bin ein spontaner Typ und weiche keiner Frage aus.“

„Sie haben noch nie vor einer Kamera gestanden, sind blutiger Anfänger und haben null Ahnung von professioneller Kommunikation. Arbeiten Sie sich durch, es lohnt sich. Wenn das Video mal eingestellt ist, rechnen wir von mehreren hunderttausend Klicks pro Tag. Frau Professor ist da sehr empfindlich.“

„Monsieur Paul, kommen Sie, ich brate Ihnen ein blutiges Steak und dann machen wir unsere Hausaufgaben zusammen!“

„Na, dann bis morgen um elf!“

„Möchten Sie das Steak à point ou saignant?“

„Merci, Edouard, ich kann kein Blut sehen, bitte ganz durchgebraten. Sollten wir nicht lieber zuerst wenigstens die Hälfte der Liste abarbeiten?“

„Okay, aber nicht ohne einen klitzekleinen Pastis!“

„Muss wohl sein, also runter damit!“

„Bei uns in der Provence sagt man, dass zu viel Pastis impotent macht, no Problem, wenn man sich nun klonen lassen kann.“

„Ihr Deutsch wird immer besser, bravo!“

„Und flüssiger mit einem Aperitif.“

„Also los: die erste Frage!“

„Isch bin jetzt Frau Professor, hier die Flasche ist die Kamera und sie antworten spontan, wie Sie haben verbrochen …“

„Versprochen …“

„Kleiner Unterschied, große Wirkung, also versprochen. So, los geht’s. *Sehr geehrter Herr Kandidat,* … das hat sie schon vorher geschrieben, sie muss Sie unbedingt mit dem Namen ansprechen! Also: *Sehr geehrter Herr Paul! In diesem Exklusivinterview, zu dem wir Millionen von Menschen in der ganzen Welt begrüßen, sollten wir zuerst über Ihre Gefühle reden. Wie geht es Ihnen, nachdem Sie erfahren haben, dass die Kommission Sie auserwählt hat, als erster Mensch geklont zu werden?*

„Gut.“

„Non, Monsieur, Sie müssen eine lange intensive Antwort geben mit Zweifeln und hohen Emotionen! Etwa so: Isch bin überglücklich, unter Tausenden von Kandidaten auserwählt worden zu sein und bedanke mich herzlichst bei der Kommission und bei Ihnen, Frau Professor Ming, dass Sie meine Person trotz aller meiner persönlichen Zweifel auserwählt haben. Ich fühle mich höchst geehrt, kann nachts kaum schlafen vor Erwartung und Begeisterung und freue mich, bald meinen eigenen Clown neben mir sehen zu können! Herzlichen Dank!“

„Sie sind selbst ein Clown!“

„Pastis befreit die Gedanken, … okay, Klon.“

„Weiter geht’s! Es ist unvorstellbar schön, in die Weltgeschichte eingehen zu können; noch in tausend Jahren wird man von mir, sorry, von uns sprechen dank Ihnen, Frau Professor Ming!“

„Arschkriecher!“

„Oui, muss man können, um weiter zu kommen.“

„Willst du nicht das Interview für mich machen?“

„Non jamais, dann würde nachher noch ich geklont.“

„Merci, ich habe mir die Stichpunkte notiert.“

„Soll ich morgen eine Flasche Pastis mitbringen?“

„Hinter die Kulissen, für alle Fälle.“

„Oh, serr schön, Sie machen Fortschritte in der positiven Art, das Leben zu genießen. Und nun Frage 2: *Welches waren Ihre Beweggründe, sich bei uns zu bewerben?* Soll ich gleich selbst antworten? Also: Ich habe es im Leben sehr weit gebracht, muss mir keine Sorgen um die Zukunft machen und möchte diese Fähigkeiten weitergeben, zuerst an meinen Klon und dann an weitere Klone, – wenn ich das schon mal so sagen darf – damit die Menschheit etwas erfolgreicher wird. Ihr Institut ist das einzige seiner Art, dem ich zutraue, dieses extrem hohe Risiko meistern zu können. Und so hat das eine das andere maximal gefunden.“

„Edouard, ich bin sprachlos.“

Ich bin verunsichert über diesen Edouard. Ich sehe ihn noch, wie ich ihm mehr aus Mitleid als mit Hoffnung im damals vergammelten Pförtnerhaus ein Bett und eine Dusche angeboten habe. Wochenlang ist nichts passiert, er war einfach da und hat sich ruhig verhalten. Langsam hat er angefangen, seine Wohnung zu restaurieren, erst mit eigenen Mitteln, von denen ich nicht weiß, ob sie aus sauberen Quellen stammten, dann habe ich ihm unter die Arme gegriffen. Und siehe da, er hat seine Chance gepackt, hat von sich aus die Gartenarbeit übernommen, dann den Postdienst und schließlich ist er eine Art rechte Hand von mir geworden. Ich habe mich so an ihn gewöhnt, dass ich das Gefühl habe, er sei schon ewig hier. Und nun seine Steigerung heute, an diesem historischen Tag. Ohne ihn würde ich das Interview nie schaffen, er muss in sei nem Vorleben irgendetwas gemacht haben, was in diese Richtung geht. Ich habe ihn nie über seine Vergangenheit gefragt. Wenn die Polizei gekommen wäre, hätte ich ihn sofort rausgeworfen, er hat sich aber in unserer gemeinsamen Zeit nie etwas zu Schulden kommen lassen. Nach so vielen Jahren habe ich sogar Vertrauen in ihn - nur nicht an manchen Abenden, wenn um Mitternacht noch eine kleine Lampe bei ihm brennt und er zwei leere Flaschen neben sich stehen hat. Ich bin jetzt ganz unverschämt und frage ihn, woher er das Wissen um solche Interviews hat, der besondere Moment erlaubt es.

„Monsieur Edouard …“

„Monsieur haben zum ersten Mal ‚Monsieur‘ zu mir gesagt, is was?“

„Ja, Monsieur, ich staune über ihre Fähigkeiten, solch professionelle Antworten auf die Interviewfragen zu formulieren. Sie sind ganz gewaltig in meinem Ansehen gestiegen …“

„Und jetzt sagen Sie schon ‚Sie‘ zu mir, wirkt der Pastis?“ „Non, es ist die Achtung vor deinen, äh Ihren Fähigkeiten.“

Oh là là, jetzt ist er verlegen; das ist das erste Mal, dass ich ihn so erlebe, also ist in seiner Vergangenheit vielleicht mehr schiefgelaufen, als er sagen kann oder will. Ich verzichte auf die Antwort.

„Sie müssen nicht antworten, es hat mich nur interessiert.“

„Kein Problem, Monsieur Paul, ich schlage vor, dass wir Frage 3 noch machen, dann brate ich die Steaks und dabei erzähle ich Ihnen etwas. Und davor killen wir noch eine Flasche Madiran. Okay?

Madame Professeur Ming will wissen, wie Sie sich auf diese Aufgabe vorbereiten. Also werden Sie sagen: Sehr geehrte Frau Professor, ich habe mein Leben total umgekrempelt in der Hoffnung, der Auserwählte werden zu können. Früher war ich faul, bewegungsarm und fett, nun habe ich etliche Kilo abgespeckt, habe eine gute Kondition und bemühe mich, gesund zu leben, schließlich soll ja mein zweites Ich eine perfekte Hülle bekommen. Dadurch bin ich positiver geworden, freue mich auf jeden neuen Tag und hoffe, auch diese so wichtigen Eigenschaften weiter multiplizieren zu können.“

„Edouard, Sie machen mir Angst! Das ist doch alles Lug und Trug! Ich bin ein Faulsack, bewege mich nur, wenn es sein muss und könnte an manchen Tagen vor mir selbst weglaufen. Und nur, weil ich ein guter Kostverwerter bin, wurde ich nicht besonders übergewichtig, aber einen Tausendmeterlauf würde ich wahrscheinlich nicht mehr überleben.“

„Dann sollten wir sofort mit dem Training anfangen!“

„Edouard als mein Personal-Trainer?“

„Bien sûr, nach dem Essen gehen wir eine halbe Stunde zügig im Park spazieren, dann können wir in Ruhe und ohne, dass jemand es hört, über meine neuen Aufgaben reden. Und über den Lohn für diese neuen Dinge.“

„Das muss ja wohl sein?“

„Sie ahnen es, aber vorweg gibt es ein Entrecôte de cheval à la moutarde de Dijon cuite à la braise avec des haricots verts préparés dans la graisse de canard.“

„Oui, oui, ich lasse mich überraschen, ich habe nur ‚Dijon‘ verstanden.“

„Bevor ich koche, müssen wir erst einmal eine Flasche Wein köpfen. Plopp. Mein Lieblings-Cru aus dem Süden, sehr heiß im Sommer, wenig Wasser und tiefe, lange Wurzeln, so könnte ich mich auch wohlfühlen. Meine Wurzeln sind im Elsass, daher auch das etwas andere Deutsch, nur meine Mutter hat es gesprochen, viel zu selten, daher auch meine Fehler, die immer weniger werden, je länger ich spreche. Beruf auf Wunsch meines Vaters: Elektriker, aber sehr schnell steile Karriere in der Politik, deswegen Umzug in den Süden, dort Maire, also Bürgermeister in einer großen Stadt, sechs glückliche Jahre mit einer tollen Frau. Dann haben mich der Neid und die Missgunst der Einheimischen ruiniert, denn ich habe mich gegen alle Bestechungen gewehrt und etliche Korruptionsversuche vereitelt. Irgendwer hat mir Papiere untergeschoben, die genau das Gegenteil in Millionenhöhe nachgewiesen haben. Aufsehenerregender Schuldspruch bestochener Richter, Ächtung durch alle, Morddrohungen, Brandanschlag, bei dem meine geliebte Suzanne umgekommen ist. Das letzte, was die Partei für mich getan hat: Eine neue Identität mit wasserdichten Papieren, die so gut sind, dass bei der Passverlängerung niemand etwas beanstandet hat. Ich bin anonym untergetaucht. Als Clochard war ich erst einmal ganz alleine in Paris, - da fällt man in der Masse nicht auf -, dann wollte ich ein besseres Leben anfangen und bin nach Irgendwohin getrampt, bis Sie mich aufgelesen haben. Ich bin sehr, sehr glücklich hier. Ich habe meine Wohnung, einen Garten, einen Park, ein unbedrohtes Leben, mein gewohntes Essen und Trinken und nun schon wieder einen gesellschaftlichen Aufstieg. Nach so vielen Jahren werden sie mich nicht mehr so intensiv suchen, aber einen Bart lasse ich mir trotzdem wachsen. Sicher ist sicher. Fragen Sie mich bitte nie, wo dies alles war und wie ich wirklich heiße, ich bin einfach Edouard. Ein untergetauchter Immigrant. Basta. Santé! Der Madiran ist gut wie immer. Und jetzt schlage ich vor, dass wir schweigend essen, so können sich die Aromen besser entfalten.“

„Mmmh, oh oui, oh, c’est si bon.“

„Oui, solche Bemerkungen sind erlaubt!“

„Merci, merci beaucoup, Edouard oder wie Sie auch immer heissen, bei Ihnen ist mir sauwohl. Machen wir jetzt die anderen drei Fragen, es wird spät.“

„Gleich, Monsieur, zuerst noch die nächste Flasche, keine Angst, ich habe genug davon. Haben Sie gemerkt, dass Sie mehr getrunken haben als ich? Also - plopp - auf ein Neues!

Madame möchte in Kürze wissen, wie Ihr Lebenslauf war, na, das passt ja jetzt gut. Das können nur Sie sagen, das Wichtige und Positive, mehr nicht.“

„Also, ich bin vor 70 Jahren in eine sehr reiche Familie geboren worden. Elektrogroßhandel. Ich habe mich schon früh auf Börsengeschäfte spezialisiert, hatte ein glückliches Händchen dafür und war schon mit 18 Jahren Millionär. Dann habe ich die Millionen gesammelt wie andere Pilze und nun kratze ich an der Mauer zum Milliardär.“

„Phantastique! Das will sie hören! Sie braucht jemanden, der endlos Geld hat, denn S I E braucht endlos viel davon für ihre Idee, die wichtigsten Menschen dieser Welt zu klonen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es ihr um die Wissenschaft alleine geht oder ob sie geldgeil ist. Pardon, dieses Wort habe ich gerade gelernt. Ich vermute, beides kombiniert.

Frage numéro 5: *Wie werden Sie mit Ihrem Klon umgehen und was haben Sie mit ihm vor nach unserer Welttournée?*

„Welttournée? Davon weiß ich nichts.“

„Steht sicher im Vertrag, das ist doch ein Traum für jeden Menschen und ein toller Start für den neuen Paul! Also, dies werden wir sagen: Meinen Klon werde ich ganz langsam auf unsere Welt vorbereiten, ihm alle Bildung zukommen lassen, die er braucht und die er sich wünscht - und vor allen Dingen möchte ich ihn glücklich machen.“

„Bravo Edouard, genau das spüre ich!“

„Eine schnelle letzte Antwort für Madame: Welchen Namen soll Ihr Klon tragen?“

„Er soll Edouard heißen! … Jetzt habe ich einen Witz gemacht. Klar doch: Paul.“

„Non, non, Monsieur, ein neues Individuum muss einen anderen Namen tragen!“

„Okay, dann Paul der Erste und Paul der …“

„Non, wir sind doch nicht im Vatikan, non, das ist nicht üblich.“

„Bei Klonen ist noch gar nichts üblich, dann schlage ich vor: Paul und Saul …“

„Halleluja! Oh là là, das dauert wohl, es macht nochmals plopp, eine Flasche schaffen wir noch.“

„Paul und - … keine Idee … Santé! ... Paul und Maul … saudoof … Paul und das Wort umgedreht: Paul und Laup … noch saudoofer … hick … Paul und … - psst, Edouard hat zu viel getrunken, er schläft. Wie bitte? Er sagt etwas Undeutliches … wie bitte?“

„Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr“

„Ja, ja, das ist es! Paul und Raoul! Paul und Raoul. Das ist international, genial, epochal! Hick, Rrrrrraoul, gute Nacht!“

Vater und Klon

Подняться наверх