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Mittsommertraum

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In der Sonnwendzeit sind die Tage so lang, daß man einst glaubte, die Sonne stehe still. Wiederum nahen sich die Göttlichen: Der Sonnengott und die Große Göttin, schwanger mit den Kräften, die der Himmel in das reifende Korn und die Wald- und Feldfrucht hineingeheimnist hat. Auch der mächtige Donnergott, der die Sommergewitter bringt, ist dabei. Mit ihnen kommen tanzende Elfen und ganze Scharen von luftigen Sylphen und feurigen Salamandern. Und wie üblich, wenn das Numinöse naht, gerieten die Menschen in Ekstase.

Überall im ländlichen Brauchtum haben sich Elemente des archaischen Sommersonnenwendbrauchtums erhalten, und wenn wir zugleich in die tiefen Schichten unserer Seele hineinlauschen, können wir uns ein treffendes Bild machen, wie einst gefeiert wurde. Wie die Wintersonnenwende dauerte das Fest volle zwölf Tage. Man nahm teil an der Lichtfülle und Feuerkraft und erhöhte sie noch durch Sonnenwendfeuer, durch Feuerläufe mit brennenden Besen und Fackeln, durch das Herunterrollen von Feuerrädern von den Bergen und Hügeln. Mit dem Feuer feierte man den Höhepunkt des Jahres, zugleich aber auch den Tod, das Opfer des Sonnengottes, des holden Baldur, wie er in Skandinavien genannt wurde.

In Wales wie auch anderswo wurden neunerlei verschiedene Arten Holz für das Feuer gesammelt.4 Ehrwürdige Alte oder auch ein junges Paar zünden den Feuerstoß an. Trockener Beifuß, das heilsame, »heiße« Kraut, das auf der ganzen nördlichen Hemisphäre in den Mittsommerfesten eine sakrale Rolle spielt, kam in das Feuer, so daß eine hohe, helle, violette Lohe entstand (STORL 1996a: 45). Durch diese Lohe sprangen die Feiernden, einer nach dem anderen, einzeln oder händehaltend. Im Beifuß war die Göttin, die Frau Holle, die Artemis, die Dea-Ana oder wie immer sie genannt wurde, persönlich anwesend. Man sprang, bloß mit Beifuß umgürtet, einen Gundermannkranz in den Haaren und etwas Eisenkraut in der Hand, durch die reinigenden Flammen von der einen Jahreshälfte in die andere. Im Gundermann und im Eisenkraut war der Gefährte und Buhle der Göttin, der Donnerer mit dem mächtigen Hammer, anwesend.

Dem heutigen Menschen, der sich weitgehend von der Natur abschirmt, fällt es schwer die Mittsommer-Ekstase, das bedingungslose Mitgerissenwerden vom Naturgeschehen, nachzuvollziehen. Noch aus dem Mittelalter hört man die wundersamsten Gerüchte. Man fühlt sich in die Welt des Hieronymus Bosch versetzt: Da macht die Sonne drei Sprünge; Wasser verwandelt sich in Wein; Heinzelmännchen verraten verborgene Schätze; Pferde können (wie auch zu Weihnachten) reden; Musik tönt aus dem Berg; Geisterzüge, Nixen und Elfen werden sichtbar; weiße Jungfrauen zeigen sich oder wollen erlöst werden; Zwerge feiern Hochzeit; Ottern huldigen ihrem König; das Farnkraut blüht um Mitternacht und trägt für eine Sekunde Samen – sie verleihen Unsichtbarkeit und Reichtum, wenn man sie findet; Krebse fliegen durch die Luft; der Bilwis reitet einen Feuerbock über die Felder.

Was sind das für Visionen? Es sind Bilder von der Innenseite der Natur. Ist es das Bilsenkrautbier, das in unmäßigen Mengen getrunken wurde? War es das nimmer endende Tanzen, die vielen Stunden ohne Schlaf, die dafür verantwortlich sind? Oder gar halluzinogene Pilze, etwa Glockendüngerlinge, Heudüngerlinge, Täuschlinge und andere Narrenschwämme, die die Menschen entrückten? Schließlich galt im Mittelalter der Tag des Sankt Veit (15. Juni) als Anfang des Mittsommers – »hier mag die Sunn nit höher!« Sankt Veit ist der »Schwammerlpatron«. Die Slaven sagen, ihm stehen gute Kobolde zur Seite, die die Pilze gut wachsen lassen. Sankt Veit wurde auch angerufen bei der Fallsucht und ebenso bei der Tanzwut, die im Mittelalter immer wieder auftrat. Bei dieser »psychischen Epidemie« hatten die Menschen das Bedürfnis, einen Reigen zu bilden und zu tanzen, bis die totale Erschöpfung eintrat.5


Der Gundermann oder die Gundelrebe (Glechoma hederacea L., Nepeta hederacea [L.] TREV.) ist eine gut eßbare Wildpflanze (besonders für Frühlingssalate und die Gründonnerstagssuppe). Dieses germanische Zaunkraut wurde zu Kränzen gebunden, durch die man am Walpurgistag (1. Mai) Hexen erschauen und erkennen kann. Die Gundelrebe sollte auch die Kraft haben, die Milch vor Behexung zu schützen oder von Zauberflüchen zu befreien. Zum Fruchtbarkeitszauber nähten die Aargauer Frauen Gundelreben in die Säume ihrer Röcke. Volksmedizinisch wurde das Kraut zur Anregung des Milchflusses, zur Wundbehandlung, zum Vertreiben der »Zahnwürmer« und als Abführmittel gebraucht. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)


Farnkräuter haben eine lange Geschichte in der Hexenmedizin. Es heißt, daß Farn unsichtbar machen könne, daß der Same, am besten in der Johannisnacht gesammelt, Glück bringe und magisch den Besitz vermehre. Allerdings wurde Farn auch als »Irrwurz« gefürchtet und dem nächtlichen Reich der Hexen und Teufel zugestellt. Es gibt sogar verschiedene Hinweise auf psychoaktive Farnarten. (Holzschnitt aus OTTO BRUNFELS, Kreutterbuch, 1532)


Das Johanniskraut (Hypericum perforatum) ist auch unter dem Namen Hartheu bekannt. Es ist eines der wichtigsten Johanniskräuter. (Holzschnitt aus OTTO BRUNFELS, Kreutterbuch, 1532)

Noch lange glaubte man, daß die Hexen ihre Kräuter zur Sommersonnenwende pflückten, und zwar nackt, mitten in der Nacht. Aber auch die Bäuerinnen stellten in den Mittsommertagen ein Johanniskräuterbüschel oder Sommersonnwendbuschen aus »neun« Kräutern zusammen – eine magische Zahl, die beliebig viele Arten beinhaltet. Um die Heilkraft der Schafgarbe, des Heilziests oder anderer Kräuter zu erhöhen, schauten die Frauen durch das Büschel hindurch ins Feuer und sprachen dazu einen Spruch, etwa: »Keine Beule werde an meinem Leibe, kein Bruch an meinem Fuße.«

Ganz heidnisch ist der Brauch, zur Sonnenwende Teppiche aus Blumen und Duftkräutern auf den Boden zu streuen, auf denen die Götter sich niederlassen können. Auch Liebeslager wurden so bereitet. Später wurde daraus die »Johannisstreu«, auf der sich der Lieblingsjünger des Herrn ausgeruht haben soll. Auch der Beifußgürtel wurde zum Gürtel umgedeutet, den der Täufer in der Wüste getragen haben soll.

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